(Gegenwind 334, Juli 2016)
Im vorigen Gegenwind wurde hier der „Referentenentwurf” des Integrationsgesetzes vorgestellt (Gegenwind 333, Seite 18). Innenministerium und Arbeitsministerium verschickten den Entwurf am Freitag, dem 29. April, mit Zeit zur Stellungnahme bis zum folgenden Dienstag. Die Stellungnahmen für die Regierung fielen verheerend aus: Für fast alle Verbände überwogen die Bestimmungen, die die Integration behindern oder verhindern. Jetzt ist der neue Entwurf der Regierung dem Parlament zugegangen. Die Anhörung dazu findet erst nach Druckbeginn dieser Ausgabe statt. Eine erste Übersicht soll trotzdem gegeben werden, denn die Regierung versucht, das Gesetz im Schnellverfahren bis Mitte Juli in Kraft zu setzen.
Seit ungefähr einem Jahr versucht die Bundesregierung, die Flüchtlinge in Gruppen zu spalten: „keine Bleibeperspektive” (sichere Herkunftsstaaten), „unklare Bleibeperspektive” (vor allem Afghanistan, Russland, Armenien, Pakistan, Nigeria, Jemen, Somalia), „dauerhafte Aufenthalt erwartet” (Iran, Irak, Syrien, Eritrea). Dabei geht es keineswegs logisch zu - bei der „bereinigten Schutzquote” (also die reinen Verwaltungsverfahren rausgerechnet) wurden Flüchtlinge aus dem Jemen zu genau 100 Prozent anerkannt. Da die Regierung aber hofft, dass der Krieg irgendwann endet und bis dahin keine allzu große Aufmerksamkeit findet, werden sie in die „unklare” Gruppe gesteckt, vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus „Cluster C” genannt. Flüchtlinge aus dem Iran hingegen, bei denen die „bereinigte Schutzquote” 2015 nur bei 84,4 Prozent lag, kommen in die beste Gruppe, die mit Bleibeperspektive: Sie dürfen sich schon während des Asylverfahrens zu Integrationskursen anmelden, sie sollen in Zukunft auch schon nach einigen Monaten Aufenthalt hier Bafög bekommen können.
Der Grund dafür steht in der Gesetzesbegründung nicht. Grund ist natürlich, dass der Jemen ein relativ armes Land ist, der Iran hingegen zumindest so wohlhabend, dass er viele Akademikerinnen und Akademiker hervorbringt. Und die sind natürlich am ehesten unzufrieden mit der Diktatur und ihrer schlechten Wirtschaftspolitik, so dass sie auch am ehesten mit dem Regime aneinandergeraten und Verfolgung auf sich ziehen.
Flüchtlinge ohne Vorzugsbehandlung sollen sechs Jahre warten, bis sie in den Genuss der verschiedenen Werkzeuge der Arbeitsmarktförderung und Ausbildungsförderung kommen. Andere dagegen sollen gefördert werden - befristet und unter Ausschluss von Nicht-Flüchtlingen.
Immer wieder kommen Flüchtlinge her, die in einem anderen EU-Staat „Schutz” erhalten hat. Das heißt, Bulgarien oder Italien hat den Asylantrag ganz oder teilweise anerkannt. Doch in diesen Ländern gibt es außer der Anerkennung oft wenig: Sie dürfen arbeiten, aber es gibt kaum Arbeitsplätze. Sie dürfen eine Wohnung beziehen, müssen diese aber selbst bezahlen. Sie werden krankenversichert, allerdings erst nach der Anmeldung, die eine Wohnung und einen Mietvertrag voraussetzt. Sprachkurse werden nicht finanziert...
Oft kommen solche Flüchtlinge nach Deutschland, um hier zum zweiten Mal Asyl zu beantragen. Das führt in der Regel zur schnellen Entscheidung, dass der Asylantrag „unzulässig” ist - der Schutz vor Verfolgung selbst wurde ja schon ausgesprochen. Dann wird die Abschiebung in den anderen EU-Staat angedroht, dagegen kann man rechtlich vorgehen, wenn andere Gefahren drohen, zum Beispiel die Verweigerung einer Krankenbehandlung.
Diesen Flüchtlinge soll in Zukunft das Leben hier erschwert werden: Die Leistungen sollen gekürzt werden. Das ist zunächst ein neuer Versuch, über die Kürzung beim Essen und Trinken Flüchtlinge zur Ausreise zu „überreden”. Das Bundesverfassungsgericht nennt es allerdings eine Kürzung der „Menschenwürde” und hat es eigentlich verboten. Im Prinzip handelt es sich einfach um ein Vorgehen von SPD und CDU/CSU, das bei anderen Parteien zur Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz führen müsste. Offenbar spekulieren die Regierungsparteien darauf, dass durch das Inkrafttreten des Gesetzes viele Betroffene zur „freiwilligen Ausreise” gedrängt werden können, eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht erfolgt ja nur, wenn jemand klagt, und kommt oft erst nach einigen Jahren.
Die Kürzungen sollen auch auf diejenigen angewendet werden, die Unterlagen oder Papiere zur Klärung ihrer Identität haben, sie aber nicht bei der Polizei oder dem Bundesamt abliefern. Wenn man bedenkt, dass Hunderttausende von Ausweisen und Diplomen, die 2015 eingesammelt wurden, seitdem verschwunden sind, muss man zur Zeit mit Tausenden von nachvollziehbaren Tipps innerhalb der Szene rechnen, auf die eigenen Papiere besser selbst aufzupassen. SPD, CDU und CSU liegt aber jede Form von Selbstkritik fern, um auf die tatsächlichen Probleme einzugehen.
Bisher dürfen Flüchtlinge nach der Anerkennung den Wohnort in Deutschland selbst wählen, und eigentlich steht das auch so in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der Grundrechtecharta der Europäischen Union. Das möchte die Bundesregierung jetzt einschränken. Dabei argumentiert sie in der Öffentlichkeit mit der Überlastung einiger Großstädte, die beim Wohnungsbau so große Rückstände haben, dass sie zu wenig Wohnungen im niedrigsten Preissegment anbieten. Diese Versäumnisse sind nicht die Schuld der Flüchtlinge, diese sollen es aber jetzt ausbaden.
Auf der anderen Seite stehen die Grundrechte: Der Europäische Gerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass eine solche Einschränkung der Freizügigkeit nur erlaubt ist, wenn die Betroffenen individuell betrachtet werden und die Wohnsitzzuweisung die Integration beschleunigt. Das benutzen die Regierungsparteien auch zur Begründung, planen aber in Wirklichkeit das Gegenteil: Flüchtlinge sollen möglichst aus den Städten rausgehalten werden, weil es auf dem Lande mehr leerstehende Wohnungen gibt. Dort gibt es aber weniger Sprachkurse, weniger Ausbildungsplätze, weniger Unterstützung durch die Netzwerke der eigenen Community und weniger Arbeitsplätze - also auch längeren Bezug von Transferleistungen.
Auch bei dieser geplanten Regelung ist das Problem, wie man damit vor Gericht bestehen will. Und das kleinere Problem, warum die Regierungsparteien das Gesetz „Integrationsgesetz” nennen, wenn sie doch das Gegenteil anstreben.
Anerkannte Flüchtlinge bekommen bisher nach drei Jahren, wenn sich im Herkunftsland keine grundlegenden Änderungen ergeben haben, eine (unbefristete) Niederlassungserlaubnis. Das war 2005 ausdrücklich unter dem Aspekt der schnelleren Integration ins Gesetz eingefügt worden, bedeutet das doch für alle (also Flüchtlinge und Einheimische) das Signal, dass die Einwanderung endgültig ist.
Geplant ist jetzt eine Erschwerung und Verunsicherung: Die Niederlassungserlaubnis soll an Arbeit und Einkommen, Rentenbeiträge und anderes gebunden werden, im Prinzip wie bei anderen Einwanderern (StudentInnen, Familienangehörigen, Arbeitskräften). Das hat vor allem eine Selektionsfunktion: Damit können junge, gesunde und ausgebildete Flüchtlinge bevorzugt, alte, kranke und schlecht gebildete Flüchtlinge in einem unsicheren Status gehalten und vielleicht nach zehn oder zwanzig Jahren, wenn eine Diktatur stürzt oder ein Krieg aufhört, dann doch noch zur Ausreise gedrängt werden.
Auch hier gilt: Es geht den beiden „Volksparteien” nicht um eine Verbesserung der Integration, sondern um eine schärfere Auswahl nach Nützlichkeit.
Bisher können Geduldete, das sind meistens abgelehnte Flüchtlinge, eine Verlängerung der Duldung um jeweils ein Jahr bekommen, wenn sie eine reguläre Ausbildung machen. Anschließend bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche, erst das gibt ihnen die Sicherheit, bleiben zu können.
Gefordert und teils auch in den Ministerien geplant war schon seit langem, Flüchtlingen für die Ausbildung eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis zu geben. Viele können erst damit den begehrten Ausbildungsvertrag bekommen, weil Ausbildungsbetriebe durch eine lediglich einjährige Duldung oft stark verunsichert werden und ihrerseits den Vertrag nicht unterschreiben wollen.
Das will die Bundesregierung jetzt doch nicht. Kompromiss zwischen CSU und SPD ist, Flüchtlingen in Ausbildung eine Duldung für drei Jahre zu geben. Zusätzlich wird eine Meldepflicht für Ausbildungsbetriebe ins Gesetz eingebaut: Sie müssen einen Abbruch der Ausbildung melden, sonst riskieren sie hohe Strafen, Bußgelder bis zu 30.000 Euro pro Flüchtling.
Was daran ist genau eine Förderung der Integration? Das kann ich auf Anhieb nicht erklären, fragen Sie bitte Ihre/n Bundestagsabgeordnete/n.
Zur Zeit gibt es die Möglichkeit, „sonstige Familienangehörige” von Flüchtlingen auch privat zu einem Einreisevisum zu verhelfen: Jemand, der ausreichend Einkommen hat, muss mit einer „Verpflichtungserklärung” für sie bürgen. Diese Verpflichtung bezieht sich darauf, Behörden alle öffentlichen Leistungen (Arbeitslosengeld II, Grundsicherung, Asylbewerberleistungen) zu ersetzen. Bisher endet die Verpflichtung, wenn sie einen anderen Aufenthaltstitel erhalten.
Bisher beantragen viele dieser Familienangehörigen selbst Asyl. Der Verpflichtungsgeber muss dann die Unterbringung im Flüchtlingsheim bezahlen, aber nach einer Anerkennung des Asylantrags endet diese Pflicht, und die große Mehrheit der Antragsteller wird ja zur Zeit anerkannt.
Das neue Gesetz verlängert diese Zeit der finanziellen Garantie auf fünf Jahre, und die endet nicht vorzeitig, wenn ein Asylantrag anerkannt wird. Auch diese Regelung erleichtert offensichtlich nicht die Integration, sondern erschwert die Einreise mit einem Visum. Die Flüchtlinge werden also von der Bundesregierung wieder mal vermehrt dazu gedrängt, sich selbst einen Platz in einem Schlauchboot zu sichern und das Mittelmeer zu überqueren.
In Zukunft sollen auch Angestellte anderer Behörden die Anhörung zum Asylantrag machen können. Hintergrund ist offensichtlich die Überforderung des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die teilweise zu mehrjährigen Wartezeiten führt.
Die Einschränkung im neuen § 24, Absatz 1a des Asylgesetzes, dass die „Amateur-Anhörer” während der Anhörung ihre Uniform ausziehen müssen, ist bereits eine Andeutung, in welche Richtung SPD, CDU und CSU denken. Eine Qualifikation dieser Amateure wird im Gesetz nicht vorgeschrieben.
Welchen Beitrag diese Regelung zur Integration leistet, wird nicht beschrieben. Zunächst sieht es aus wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Verwaltungsgerichte, die unsachgemäße Entscheidungen korrigieren müssen.
Völlig unklar in der Anwendung ist der neue § 29 im Asylgesetz. Danach soll ein Asylantrag unzulässig sein, wenn der Antragsteller über ein Land außerhalb der EU eingereist ist, das das Bundesamt für sicher hält.
Die Regelung zielt anscheinend auf Länder wie Serbien, Marokko, die Türkei oder die Ukraine. Der Asylantrag soll auch „unzulässig” sein, wenn er gut begründet ist, zum Beispiel bei Flüchtlingen aus Syrien oder Eritrea. Noch ist schwer vorstellbar, wie die Regierungsparteien die Regelung konkret durch die Überprüfung durch ein Gericht bringen wollen.
Was genau passiert, wenn eine Abschiebung in diesen Staat nicht möglich ist, wird nicht geregelt. Die Gesetzesänderung erweckt den Eindruck, dass sehenden Auges Hunderttausende von geduldeten syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in Kauf genommen werden sollen als Preis für die Abschreckung. Mit der „unzulässig”-Entscheidung erspart sich das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” eine inhaltliche Prüfung - schiebt diese aber vermutlich dem Verwaltungsgericht zu, falls dort die Klage fristgerecht eingeht.
Der Ankunftsnachweis soll der Aufenthaltsgestattung, die erst nach dem formellen Asylantrag ausgestellt wird, gleichgestellt werden. Nach diesem sollen sich dann die Fristen bemessen, ab wann man zum Beispiel arbeiten darf oder ungekürzte Leistungen bezieht.
Allerdings soll der Ankunftsnachweis noch immer eingezogen werden, wenn die Aufenthaltsgestattung ausgestellt wird. Für den Betroffenen ist das „offizielle” Ankunftsdatum also nur nachzuweisen, wenn er zufällig daran gedacht hat, sich rechtzeitig eine beglaubigte Kopie zu machen.
Nicht geregelt ist der Umgang mit den vielen fehlerhaften Ankunftsnachweisen, die offiziell ignoriert werden. Bisher ist es dem Engagement der Freundeskreise überlassen, diese korrigieren zu lassen, wobei viele auf erhebliche bürokratische Hindernisse stoßen.
In einigen Gegenden Deutschlands mit niedriger Arbeitslosigkeit soll die Vorrangprüfung ausgesetzt werden. Damit wird geprüft, ob es bei einem Arbeitswunsch eines gestatteten Flüchtlings eine Arbeitserlaubnis gibt oder ob diese wegen des theoretischen Vorhandenseins von Arbeitslosen verweigert wird.
Diese an sich begrüßenswerte Lockerung der Bestimmungen führt aber wieder zu vielen Ungerechtigkeiten und Fehlinformationen. Es ist eben nicht so, wenn ein Bekannter die Arbeitserlaubnis ohne Probleme bekommt, dass es im vergleichbaren Fall in 100 Kilometer Entfernung auch funktioniert.
Im Referentenentwurf war die Kostenübernahme für das Dolmetschen im Gesundheitswesen für die ersten drei Jahre des Aufenthalts geregelt worden. Das war ein echter Fortschritt bei der Integration, hätte auch Kosten gespart. Denn jetzt gibt es überall Ärztehopping, Fehlbehandlungen und das Versäumnis rechtzeitiger Behandlungen.
Auf Druck der Krankenkassen ist diese Regelung ersatzlos aus dem Entwurf verschwunden.
Die Zustimmung zu den Regierungsparteien ist in den letzten Monaten kontinuierlich gesunken, beide Volksparteien erreichen zur Zeit nur rund 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Dieser Gesetzesentwurf ist einer der Gründe dafür.
Wenn in einem Jahr 600.000 Flüchtlinge kommen, von denen mindestens 400.000 auf Dauer bleiben, muss man sich wirklich ernsthaft Gedanken über die Integration machen und diese systematisch planen. Das leistet dieser Gesetzentwurf leider überhaupt nicht.
Reinhard Pohl