(Gegenwind 332, Mai 2016)

Buch: Christopf Reuter: Die schwarze Macht
Christopf Reuter: Die schwarze Macht. Der „Islamische Staat” und die Strategie des Terrors. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015 (7. Auflage), 351 Seiten, 19,99 Euro.

Buch

Blick ins Innere

Eine andere Sicht auf den Islamischen Staat vermittelt Christoph Reuter in seinem Buch. Er sieht sich die innere Struktur an und erklärt, warum Assad die Organisation gefördert hat und braucht.

Am Anfang steht die Stasi. Der Autor, Spiegel-Korrespondent für die Türkei, Syrien und Irak erläutert den Übergang des irakischen Geheimdienstes von der Regierung Saddam Husseins zum Islamischen Staat. Es waren die USA, die 2003 die Regierung des Irak aus dem Amt jagten. Saddam Hussein hatte über Jahrzehnte eine gut organisierte und nahezu lückenlose Überwachung der Bevölkerung aufgebaut - gelegentlich protestierten ja auch deutsche Gruppen gegen die Ausstattung der Diktatur mit Computeranlagen von Siemens, die als „nicht-militärische” Waren nicht genehmigungspflichtig waren.

Die USA setzten nicht nur die Regierung ab, sondern der Militärkommandeur verbot auch allen Mitgliedern der Regierungspartei die Arbeit im Öffentlichen Dienst. Für das Land war es verheerend, weil es auch Ärzte und Lehrer traf, das Gesundheitssystem und das Bildungssystem brachen zusammen. Aber für diejenigen, die wirklich getroffen werden sollten, also die Geheimdienstoffizieren, war es das Signal, dass es kaum eine Rückkehr an die Macht im Rahmen der neuen Regierung geben würde. Denn jede spätere Lockerung der Regelung bezog sich nur auf die Bereiche, die nicht zum Inneren der Diktatur gehört hatten.

Mit dem Aufstand in Syrien gegen die Diktatur musste sich auch Assad eine Strategie überlegen. Denn die erste Reaktion, die Bombardierung der „aufständischen” Orte, hatte das Gegenteil des erwarteten Effektes zur Folge. In den vorigen Jahrzehnten war jeder Protest durch rücksichtslose Massaker gestoppt worden. Diesmal gab es massenhafte Desertionen aus der Armee und die Bildung der „Freien syrischen Armee”, deren Einheiten sich zunächst der Verteidigung der Zivilbevölkerung verschieben. Darauf reagierte Assad mit der Freilassung Hunderter Islamisten aus den Gefängnissen, die zunächst der Nusra-Front zu einem steilen Aufstieg innerhalb des Widerstandes verhalfen.

Das war auch das Motiv von Assad: Er wusste, dass die Repression gegen islamistische „Terroristen” in Westen kaum zur Kritik führte, anders als die Massaker an der Zivilbevölkerung. Also wollte er dafür sorgen, dass die Regierungsgegner als Terroristen erschienen. Und so sorgte er für den Nachschub an Kämpfern für die zunächst nur einzeln ins Land kommenden Kämpfer aus dem Irak, wo die Organisation ISI in ISIS umbenannt wurde.

Der Islamische Staat sieht im Irak immer noch in weiten Teilen so aus wie eine Wiederauferstehung des Repressionsapparates von Saddam Hussein. Durch den Krieg in Syrien hat die Organisation inzwischen ihren Charakter verändert. Es gibt eine Eroberungsstrategie, die mit der genauen Ausspionierung der einheimischen Bevölkerung beginnt. Die Ortschaften werden dann zunächst von innen erobert, bevor die Truppen des IS auch von außen angreifen. Dabei geht der IS mit rücksichtsloser Gewalt gegen alle vor - hat sich aber über zwei Jahre in Syrien erkennbar darauf konzentriert, der syrischen Armee nicht zu nahe zu kommen. Diese revanchierte sich aus mit den Freilassungen gefangener Islamisten 2012 durch die Schonung von IS-Stellungen bei ihren Angriffen, die sich vor allem gegen FSA- und Nusra-Gebiete richteten.

Der Charakter des IS ändert sich erneut mit dem Angriff auf Sindjar. Waren vorher die Schiiten und die irakische Armee ein Ziel der Angriffe gewesen, danach die syrischen Kurden und ihre YPG-Einheiten, stand jetzt die Ausrottung der jesidischen Zivilbevölerung auf der Agenda. Diese verfügte nicht über eine Miliz, die spontane Neugründung bekam keine militärische Bedeutung. Und da die Peshmerga beim ersten Angriff flohen, waren die Jesiden im Sindjar-Gebirge letztlich darauf angewiesen, dass PKK-Einheiten sie unter schweren eigenen Opfern evakuierten.

„Nordkorea auf Arabisch” nennt der Autor den Alltag im Islamischen Staat. Es gibt ja einige Rückeroberungen von IS-regierten Ortschaften, bei denen den Truppen auch interne Verwaltungsunterlagen des IS in die Hände fielen. Und diese zeigen, dass man nicht nur zur Überwachung der eigenen Kämpfer, die ja meistens Freiwillige sind, sehr akribisch Akten mit Berichten etlicher Spitzel füllt. Auch die gesamte Wirtschaft und das Steuersystem wird auf der Basis von Spitzelberichten und Überwachungen aufgebaut. So wird der Islamische Staat von seinen Untertanen nicht geliebt, aber gefürchtet. Und Rückeroberungen können umso besser gelingen, je mehr es den Gegnern des IS gelingt, ein eigenes Angebot für die Zivilbevölkerung zu machen. Genau das hat die PKK und später auch die kurdische Regionalregierung verstanden. Die irakische oder die syrische Regierung sind dazu nicht in der Lage, weil sie eben von der mehrheitlich sunnitischen Zivilbevölkerung im Herrschaftsgebiet des IS als Feinde gesehen werden.

Das letzte Kapitel widmet der Autor den Ausgründungen des IS: Es gibt heute Gebiete des IS in Libyen und im Jemen, in Nigeria und in Afghanistan. So versucht der IS, seinen Anspruch von einem weltumspannenden Kalifat umzusetzen, bisher aber mit sehr mäßigem Erfolg.

Wie kann man den Islamischen Staat eingrenzen, bekämpfen oder zerschlagen? Jedenfalls nicht so, wie es die Nachbarstaaten angehen. Die türkische AKP-Regierung sah im Islamischen Staat lange Zeit eine nützliche Gruppe, quasi einen Verbündeten im Kampf gegen die Kurden und gegen die Assad-Regierung. Die Assad-Regierung bemüht sich bis heute, die anderen Oppositionsgruppen zu zerschlagen, auch mit russischer Unterstützung, um sich anschließend als einzige Alternative zum Islamischen Staat zu präsentieren und die Welt zur Entscheidung zwischen Pest oder Cholera zu zwingen. Die irakische Regierung sieht sich selbst als schiitische Regierung, die sich für die Schiiten des Irak einsetzt und sich von der Regierung des Iran unterstützen lässt. So bekämpft sie den Islamischen Staat und stärkt ihn doch gleichzeitig.

Der Autor kann sich auf ein professionelles Recherche-Team stützen und erlaubt deshalb Einblicke in das Innere des Islamischen Staates, das andere Autoren nicht haben.

Reinhard Pohl

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