(Gegenwind 325, Oktober 2015)

soziales Zentrum Rote Flora

Repression

Maria B. lädt zum Bier in den Park

„Maria Block” - unter diesen Tarnnamen wurde in Hamburg erneut eine Polizeibeamtin enttarnt, die in linken Szenen eifrig verdeckt ermittelt hatte, wie von Bespitzelten detailliert enthüllt wurde.

Die legitimierenden Reaktionen der Hamburger Polizeiführung und Landesregierung auf die Enttarnung der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Maria B. alias „Maria Block” verheißen nichts Gutes. Am 26. August stellte eine Recherchegruppe das 20-seitige Dossier „Enttarnung der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Maria ‚Block’” auf dem eigens hierfür eingerichteten Blog „enttarnungen.blackblogs.org” ins Internet. Erst zehn Monate ist es her, dass mit einem ähnlich detaillierten Dossier auf dem Blog „verdeckteermittler.blogsport.eu/” der Einsatz der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Iris P. alias „Iris Schneider” ebenfalls in Hamburg in den Jahren 2001 bis 2006 enttarnt wurde.

Beide Polizistinnen waren in und um das soziale Zentrum Rote Flora im Einsatz, Iris P. verletzte darüber hinaus noch die Pressefreiheit durch redaktionelle Mitarbeit im Freien Sender Kombinat. Maria B. war von 2009 bis 2012 vor allem auf antirassistisch und antifaschistisch aktive Gruppierungen angesetzt: „Dieser Fall macht, im Zusammenhang mit der Enttarnung der LKA-Beamtin Iris P., erneut deutlich, dass die von der Hamburger Innenbehörde abgestrittenen Rechtsverletzungen System haben”, so die Recherchegruppe in ihrer ersten und bisher einzigen Presseerklärung: So habe auch Maria B. „regelmäßig Privatwohnungen betreten und wie die LKA-Beamtin P. in mindestens einem Fall unter ihrer Tarn-identität eine intime Beziehung geführt.” Die Beamtin Maria B. forschte nicht nur antirassistische Strukturen der linken Szene Hamburgs massiv aus und beteiligte sich vielfältig an Aktionen: „Sie verschaffte sich über langjährige ‚Freundschaften’ und mindestens ein sexuelles Verhältnis vielfältigen Zugang zum Privatleben und Privaträumen linker AktivistInnen”, so die Recherchegruppe: „Sie lud oft auf ein Bierchen im Park ein”, veranstaltete „gemeinsame Kochabende”, ging immer gerne mit in die Kneipe. „Neben den über diese ‚Freundschaften’ erlangten Information konnte sie sich durch diese Beziehungen Vertrauen erschleichen und in vielen linken Zusammenhängen teilnehmen”. Aktiv wirkte sie an der Organisation von Veranstaltungen, Kongressen und Demonstrationen in den Bereichen Antirassismus, Antifaschismus, Wohnraum und Anti-Atom- sowie Klimakämpfen. Über das offene Plenum der AntiRa-Kneipe in der „Hafenvokü” in den ehemals besetzten Häusern der Hafenstraße schleuste sich Maria B. in ihre erste linke Gruppierung ein. „Im Rahmen ihrer jahrelangen Ermittlungen war sie auch an strafrechtlich relevanten Aktionen beteiligt”, betont die Recherchegruppe. Ob sie als Beamtin zur Lagebeurteilung (BfL) mit entsprechend eingeschränkten Befugnissen - kein Betreten von Privatwohnungen, keine Erhebung personenbezogener Daten - im Einsatz war oder mit Absegnung der Staatsanwaltschaft als verdeckte Ermittlerin mit entsprechend erweiterten Befugnissen - könne noch nicht gesagt werden, so die Recherchegruppe: „Klar ist jedoch, dass sie die rechtlichen Kompetenzen beider Szenarien weit überschritten hat” durch die Intensität der persönlichen Beziehungen bis hin zu „einem sexuellen Verhältnis” mit einem Aktivisten der AntiRa-Kneipe. „Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann offenbart das ein großes Problem der Polizei”, erklärte dazu Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft: „Entweder hat sie ihre BeamtInnen für Lagebeurteilung nicht unter Kontrolle und nimmt ihre Rechtsbrüche stillschweigend in Kauf”, so Schneider, „oder sie ordnet die absolut unverhältnismäßigen Eingriffe in Grundrechte und die Rechtsbrüche ihrer BeamtInnen an, beides ist inakzeptabel.”

Maria B.s Observation antirassistischer Aktivitäten schloss auch die Teilnahme an den internationalen NoBorder-Camps im August 2009 auf Lesvos in Griechenland und im September 2010 im belgischen Brüssel ein. Im Rahmen ihrer verdeckten Ermittlung beteiligte sie sich darüber hinaus auch an Mobilisierungsaktionen und referierte auf Auswertungsveranstaltungen. An einem Vorbereitungstreffen für das NoBorder-Camp 2010 in Brüssel nahm außer ihr auch Simon B. aus Heidelberg teil. Die beiden wussten sicher nicht voneinander, es ist eine beliebte Methode der VE-Führer des Staatsschutzes, welche die verdeckten ErmittlerInnen leiten, deren jeweiligen Berichte dadurch zu kontrollieren und gegenzuchecken, dass noch ein zweiter Bericht von einer anderen Person im Staatsdienst eingeholt wird. In Hamburg beteiligte sich Maria B. an der Vorbereitung antirassistischer Kongresse in der Roten Flora, sie bewegte sich „in diversen Privatwohnungen und Räumen der Hamburger linken Szene”, hatte Schlüssel der Hafenvokü, der Roten Flora und weiterer Zentren. Als auffällig bilanziert die Recherchegruppe „dass sie wiederholt versuchte, radikalere bis militante Positionen öffentlich anschlussfähig zu machen, die für den Rahmen unangebracht waren”. Dies ging über eine Selbstinszenierung als vermeintlich radikale Linke hinaus in Richtung plumper Provokation. Bei einem Vorbereitungstreffen zur Anti-Nazi-Demo am 2. Juni 2012 habe sie etwa die Formulierung „Nazis die Beine brechen” ins Spiel gebracht. Bei dieser Protestaktion gegen den „Tag der deutschen Zukunft” war sie an der internen Kommunikation der Demonstrationsleitung beteiligt und kannte das nichtöffentlich entwickelte Demokonzept so gut, dass offenkundig aufgrund ihrer Berichte die Polizeiführung jeden effektiven Versuch, der Nazidemo direkt entgegenzutreten im Vornherein massiv vereiteln konnte, „dabei wurde massiv das vorbereitete Konzept verhindert”, so die Recherchegruppe: Aufgrund „ihrer jahrelangen Tätigkeit in der linken Szene” und der vorgespielten „Freundschaften” konnte sie „in solch geschlossene Strukturen wie die autonome Antifakoordination zum 2. Juni 2012” vordringen.

„Konsequente AntifaschistInnen wurden leider schon immer mittels der ‚Extremismus-Doktrin’ mit den Nazis gleichgesetzt, diskriminiert und in schlimmeren Fällen auch observiert”, so Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts, in dem neben vielen Anderen auch Autonome mitarbeiten: „Wer nicht nur wohlfeile Sonntagsreden beim ‚Bratwurst-Essen gegen Rechts’ fernab des Geschehens hält, sondern sich wirklich den RassistInnen in den Weg stellt, muss leider auch mit staatlicher Repression rechnen.” Felix Krebs: „Manchmal geht Antifaschismus halt nur gegen diesen Staat.”

In einer Erklärung ebenfalls vom 26. August - für eine linke Feierabendgruppe überraschend kurzfristig nur einen halben Tag nach der Enttarnung von Maria B. - erklärte die Recherchegruppe zu Iris P.: „Ein bitterer Nachgeschmack bleibt: Verdeckte Maßnahmen werden auch in Zukunft durchgeführt, mit allen Konsequenzen, politischer wie privater Natur, eventuell etwas geschickter. Dass wir mit diesen Befürchtungen recht hatten, zeigt die Enttarnung der Beamtin Maria B.”

Zwei Tage nach der erneuten Enttarnung einer ehemaligen verdeckten Ermittlerin tagte am 28. August der Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, in dessen Verlauf ein 39-seitiger Bericht der Innenrevision der Hamburger Innenbehörde zur Bewertung des Einsatzes von Iris P. verlesen wurde. In diesem wird eindeutig festgestellt, dass das Engagement von Iris P. in der queerfeministischen Szene und in dem Radio „Freies Sender Kombinat”, FSK, nie zu ihrem Auftrag als verdeckte Ermittlerin des BKA zwecks Strafverfolgung gehörte, sondern zu ihrer Parallelfunktion als Aufklärerin des Hamburger Staatsschutzes gehört haben muss. Die Verquickung von zwei parallelen verdeckten Tätigkeiten habe dies befördert. Zudem habe sie ihr vorheriges Privatleben nahezu aufgegeben und ihren Lebensmittelpunkt verlagert, was zu einer Verschmelzung mit der Szene geführt habe, sodass sie 353 Tage Überstunden anhäufte, erklärte die Leiterin der Innenrevision der Innenbehörde, Gabriele Schiffer. Dabei habe Iris P. massiv ihre rechtlichen Befugnisse überschritten. Ob es zu Liebesbeziehungen gekommen sei, könne nicht geklärt werden, da Iris P. zu diesem Bereich die Aussage verweigere.

Diese gesamten Entwicklungen hätten die Führer der verdeckten Ermittlungen überhaupt nicht wahrgenommen. „Die VE-Führung war zu lasch, der Einsatz ist entglitten”, kritisierte Schiffer. Sie schlug in ihrem Bericht einen 17-Punkte-Maßnahmenkatalog vor, um Rechtsbrüche und Grundrechtseingriffe wie beim Einsatz von Iris P. alias „Iris Schneider” in den Jahren 2000 bis 2006 zu unterbinden. Innensenator Neumann erklärte treuherzig, der Staatsschutz der Polizei würde künftig zur Lageerkundung in der linken Szene auf v„erdeckte Aufklärer” verzichten, wodurch die Verwischung zwischen rein polizeilich angeordneter verdeckter Aufklärung und staatsanwaltlich „kontrollierter” verdeckter Ermittlung in Zukunft nicht mehr möglich wäre, um aber sogleich nachzuschieben: Zukünftig werde die Polizei weiterhin „verdeckte Ermittler” einsetzen, wofür sie zwar die Genehmigung der Staatsanwaltschaft benötige, die aber dann die erweiterten Befugnisse hätten: Privatwohnungen zu betreten und personenbezogen Daten zu erheben. Innensenator gegenüber dem Innenausschuss der Bürgerschaft: „Ich habe den Polizeipräsidenten angewiesen, alle 17 Punkte umgehend umzusetzen”, sagte Neumann. Sekundiert von seinem Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer: Im Fall der zwei Tage zuvor enttarnten Staatsschützerin Maria B. mit dem Tarnnamen „Maria Block” sei alles rechtmäßig gewesen: „Alle Anordnungen der Staatsanwaltschaft liegen vor”, so Meyer. „Die rechtlichen Voraussetzungen haben vorgelegen, es waren Straftaten von erheblicher Bedeutung zu befürchten.”

Dem Statement des Hamburger Innensenators Michael Neumann (SPD), bei Iris P. sei der Einsatz „etwas aus dem Ruder” gelaufen, aber dies sei eine Ausnahme, sekundiert von Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, der den Einsatz von „Maria Block” für rechtmäßig erklärte: „Wir haben keine Hinweise auf ein Fehlverhalten.” Die Recherchegruppe zu Iris P. kritisiert dagegen: Bei Maria B. drücke sich wie zuvor bei Iris P. „der fortdauernde politische Wille der Repressionsbehörden aus, sich noch nicht mal an eigene Gesetze zu halten. Man hofft darauf, einfach nicht dabei erwischt zu werden...”. Hamburgs oberster Polizeisprecher Timo Zill sieht dies völlig anders: „Verdeckte Ermittler sind für die Polizei ein unverzichtbares Mittel im Bereich des politischen und religiösen Extremismus sowie schwerster und organisierter Kriminalität”. Und Polizeipräsident Meyer betonte, Maria B. ließe sich derzeit an der Hamburger Polizei-Akademie für den gehobenen Dienst, zur Kommissarin ausbilden. Auch für Iris P. waren die verdeckten Ermittlungen karrierefördernd: Sie ist beim Hamburger Staatsschutz, dem LKA 7, als auf Lebenszeit verbeamtete Expertin für Präventionsarbeit gegen Islamismus tätig.

Gaston Kirsche

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