(Gegenwind 322, Juli 2015)
Am 9. Juli soll der diesjährige „Soziale Tag” stattfinden. Zehntausende von Schülerinnen und Schülern suchen sich Arbeit für einen Tag, der „Lohn” wird unter anderem für zwei neu gewählte Projekte gespendet. Wir trafen Anna-Lena Oltersdorf im Bundesbüro der Organisation.
Gegenwind:
Kannst Du Dich kurz vorstellen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Ich bin Anna-Lena, 19 Jahre alt. Ich leiste hier im Bundesbüro von „Schüler Helfen Leben” meinen Freiwilligendienst im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Letztes Jahr habe ich meinen Schulabschluss gemacht, und dann bin ich direkt zu „Schüler Helfen Leben” gekommen.
Gegenwind:
Das ist ja eine bundesweite Aktion, und es gibt auch Ausbildungen, wenn man den Pressebereich leitet. Wie bereitet die Schule darauf vor, bei einer bundesweiten Organisation kurz reinzuspringen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Ich glaube, dass es auf das selbständige Arbeiten in der Abiturphase ankommt. Wenn man sich selbst seine Themen sucht, selbst entscheidet, in welchen Fächern man seine Abiturprüfung schreiben möchte, und die Prüfungen selbstständig vorbereitet, das hat mir sehr geholfen, auch hier im FSJ zurechtzukommen.
Gegenwind:
Wie funktioniert die Organisation? „Schüler Helfen Leben” arbeitet ja mit Freiwilligen, die immer ein Jahr da sind. Du hast Dutzende von Vorgängerinnen. Was hinterlassen sie? Ist das systematisiert? Oder bleibt es jeder selbst überlassen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Jede Freiwillige und jeder Freiwilliger, die oder der neu zu „Schüler Helfen Leben” kommt, verbringt erst mal einen Monat mit der Vorgängerin oder dem Vorgänger, so dass eine intensive Einarbeitung stattfinden kann. Alle wichtigen Dokumente, alles Wissen, alle Kontakte, die gesammelt wurden im Vorgängerjahr, werden übergeben. Und zusätzlich schreiben wir einen Bericht, dabei bin ich gerade, wo alles detailliert aufgezählt wird. Aber es bleibt viel Learning by Doing, denn wenn man dann zu Beginn allein im Büro ist, darauf kann einen nichts vorbereiten. Wenn das erste Mal das Telefon klingelt oder die erste E-Mail kommt, da wächst man dann eben rein und fragt vielleicht mal beim Vorstand nach, die Mitglieder bringen ja meist Erfahrung aus dem eigenen Freiwilligendienst mit.
Gegenwind:
Wie lang ist der Vorstand im Amt?
Anna-Lena Oltersdorf:
Der Vorstand ist auch nur ein Jahr im Amt, der wechselt aber etwas zeitversetzt. Im Juli kommen die neuen Freiwilligen, und im Oktober wechselt der Vorstand. Das ist eine hohe Fluktuation, aber die meisten Vorstandsmitglieder sind schon länger bei „Schüler Helfen Leben”, haben zum Bespiel im Jahr davor einen Freiwilligendienst gemacht, darauf können sie zurückgreifen. Manchmal ist der Freiwilligendienst auch einige Jahre her oder sie haben sich anderweitig im Verein engagiert.
Gegenwind:
Der „Soziale Tag” ist ein Tag. Wie viel Arbeit ist es, diesen einen Tag vorzubereiten?
Anna-Lena Oltersdorf:
Das ist eine Menge Aufwand. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Es ist ein Tag im Jahr, das klingt nicht viel, aber was dahinter steckt, das ist schon viel, viel Arbeit. Nicht umsonst sind wir hier zu Acht, die acht Freiwilligen arbeiten Vollzeit ein ganzes Jahr lang, um diesen Tag zu organisieren. Es steckt sehr viel Detailarbeit drin. Jede einzelne Schule möchte natürlich betreut werden, möchte Fragen loswerden, möchte Materialien bekommen. Da steckt nicht nur eine Menge Arbeit, sondern auch eine Menge Herzblut dahinter.
Gegenwind:
Wie viele Schülerinnen und Schüler werden sich am „Sozialen Tag” beteiligen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Wir rechnen aus Erfahrungswerten aus den vergangenen Jahren wieder mit rund 80.000 Schülerinnen und Schülern. Momentan haben wir 723 Schulen, die angemeldet sind, und noch ist ja ein Monat Zeit. Es ist auch so, dass der 9. Juli, der bundesweit kommunizierte Termin, nur ein Vorschlag ist. Eine Schule, die jetzt erst davon erfährt, oder momentan einen zu vollen Terminplan hat, kann den „Sozialen Tag” auch im Herbst oder Winter, nach den Sommerferien durchführen. So könnte die Teilnehmerzahl noch erhöht werden.
Gegenwind:
Wie ist die Verteilung der Schulen in Deutschland? Gibt es Schwerpunkte?
Anna-Lena Oltersdorf:
Wir haben definitiv den Schwerpunkt Schleswig-Holstein. Das liegt daran, dass der Ursprung des Vereins auch hier liegt. Es ist erfahrungsgemäß so, dass eine deutliche Mehrheit der Schulen aus Schleswig-Holstein kommt.
Gegenwind:
Wie wird entschieden, welche Projekte mit den Erlösen des „Sozialen Tags” finanziert werden?
Anna-Lena Oltersdorf:
Das Besondere bei „Schüler Helfen Leben” ist, dass das nicht in der Hand einer Leitungsebene liegt, sondern in den Händen der Schülerinnen und Schüler. Jede Schule, die sich zum „Sozialen Tag” anmeldet, hat die Gelegenheit, ein bis zwei Delegierte zu entsenden. Die kommen nach Berlin zu unserem „Projektauswahltreffen”. Dort stehen für die Schülerinnen und Schüler verschiedene Projektanträge der Region Balkan und der Region Jordanien zur Wahl. Sie informieren sich ein ganzen Wochenende lang über die Projekte, über die Regionen, auch über die Frage: „Wie geht es Gleichaltrigen dort?”. Und am Sonntag entscheiden sie mit ihren Stimmen, welche Projekte mit den Spenden unterstützt werden sollen. Das liegt in den Händen der Schülerinnen und Schüler. Ich zum Beispiel als Freiwillige habe dort keine Stimme. Nur wer am „Soziales Tag” arbeitet, darf wählen. Das ist einzigartig, und wir sind sehr stolz darauf, dass das in diesem Jahr zum 10. Mal funktioniert.
Gegenwind:
Welche Projekte werden in diesem Jahr unterstützt?
Anna-Lena Oltersdorf:
Für die Projektregion Jordanien wurde ein Projekt gewählt, das sich gegen Kinderarbeit einsetzt. Es kümmert sich um Flüchtlingsfamilien, die außerhalb der offiziellen Flüchtlingslager leben, das sind immerhin 80 Prozent aller Flüchtlinge in Jordanien. Diese Familien sind oftmals darauf angewiesen, dass ihre Kinder zur Arbeit gehen statt zur Schule, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Das Projekt soll diese Familien, insbesondere die Kinder unterstützen. Es soll im September anlaufen und hat verschiedene Ansätze. Es geht um die finanzielle Unterstützung dieser Familien, aber auch die Rückgliederung in die Schule und ein Workshop-Angebot, um die Erlebnisse aufzuarbeiten und mit Kindern und Eltern über die Folgen von Kinderarbeit zu sprechen.
Für die Projektregion Balkan wurde ein Projekt gewählt, das sich um Opfer von Menschenhandel, insbesondere Kinder, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, kümmert. Das Projekt findet in Serbien statt, wo viele Minderheiten, beispielsweise Roma, unter Diskriminierung leiden und leicht zu Opfern von Menschenhandel werden.
Gegenwind:
Über wie viel Geld sprechen wir?
Anna-Lena Oltersdorf:
Wir erwarten in diesem Jahr Einnahmen von rund 1,5 Millionen Euro. Es geht aber nicht die Gesamtsumme an ein Projekt, sondern die beiden neuen Projekte sollen mit etwa 200.000 Euro unterstützt werden. Der Rest des Geldes geht an Projekte, die sich in einem „Exit-Prozess” befinden. Das sind Projekte, die von vergangenen „Sozialen Tagen” unterstützt wurden, und nicht einfach fallen gelassen werden sollen. Gerade auf dem Balkan ist es sehr schwierig, weitere Geldgeber zu finden, weitere Unterstützung zu bekommen. Wir helfen bei der Vermittlung zu anderen Organisationen und unterstützen die Projekte weiterhin mit kleineren Summen, so dass die Projekte weiter laufen können und Zeit haben, selbständig zu werden, sich mit anderen Geldgebern zu verknüpfen. Dazu wird auch eine Summe gebraucht, so dass nicht die gesamten 1,5 Millionen nur in neue Projekte gehen. Wir wollen unserem Anspruch der Nachhaltigkeit gerecht werden.
Gegenwind:
Es gibt nicht viele 19-Jährige in Deutschland, die mit Millionen-Beträgen hantieren. Gibt es da auch Angst, es könnte mal was schief gehen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Diese Angst kenne ich nicht. Die ist auch dadurch unbegründet, dass wir eine Stiftung haben. Diese wurde auch von Schülerinnen und Schülern gegründetals der „Soziale Tag” immer größer und erfolgreicher wurde. Die Stiftung ist mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt und hat die Aufgabe, den direkten Kontakt mit den Projekten zu halten und das Vermögen, das „Schüler Helfen Leben” hat, zu verwalten. Diese Struktur von Verein und Stiftung hat sich etabliert, und das Geld ist bei der Stiftung sehr gut aufgehoben, sodass wir uns keine Sorgen machen müssen und auch mit Sicherheit sagen können, dass die Spenden, die bei uns eintrudeln, auch in den Projekten ankommen.
Gegenwind:
Du warst jetzt selbst in Jordanien. Was hast Du dort gemacht, was bringst Du mit?
Anna-Lena Oltersdorf:
Ich war eine Woche in Jordanien unterwegs. Ich war unter anderem im Flüchtlingslager Za'atari. Das ist das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. Es hat momentan ungefähr 83.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen und liegt sehr nah an der syrischen Grenze, etwa acht bis zehn Kilometer entfernt. Dort haben wir im letzten Jahr ein Projekt unterstützt, damit Kindergärten betrieben werden können. Ungefähr 20 Prozent der 83.000 Flüchtlinge dort sind unter fünf Jahren alt, sie benötigen also eine frühkindliche Betreuung. Da haben wir mit 200.000 Euro unterstützt, und wollten nun sehen, was mit den Spenden passiert ist, wie sich das Projekt entwickelt hat. Wir haben uns die verschiedenen Aktivitäten für die Kinder angeschaut. Die restliche Zeit haben wir damit verbracht, die Orte kennenzulernen, an denen unser neues Projekt stattfinden wird. Es ging auch um das Netzwerken mit Organisationen, die „Schüler Helfen Leben” bisher nicht kennen, weil wir seit Beginn unseres Engagements in Jordanien 2013 mit „Save the Children” zusammenarbeiten, und nun schauen wollten, welche Organisationen es noch gibt. Wir brauchen den Blick über den Tellerrand, und dafür haben wir die Zeit auch genutzt.
Gegenwind:
Konntest Du Dich dort mit allen verständigen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Das war natürlich schwierig, weil ich kein Wort Arabisch spreche. Aber wir haben spielerisch versucht, mit den Kindern zu kommunizieren, indem wir mit einer Gruppe von Kindern Capoeira gemacht haben. Das ist eine brasilianische Kampfsportart, aber aufgelockert durch Elemente wie Tanz und Sport. Dabei war es gar nicht nötig, die Sprache zu sprechen. Teilweise war es auch so, dass die Kinder untereinander nicht die gleiche Sprache gesprochen haben, weil sie aus unterschiedlichen Gegenden kamen. Wir haben mitgemacht und dadurch die Barrieren überwunden. Und die Verständigung ging auch mit Händen und Füßen, und es waren Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter da, die für uns dolmetschen konnten.
Gegenwind:
Wie verbreitest Du das, was Du in Jordanien erfahren hast?
Anna-Lena Oltersdorf:
Es ist natürlich sehr wichtig, die gesammelten Eindrücke weiter zu geben. Das versuche ich über alle möglichen Kanäle. Zunächst über die Öffentlichkeitsarbeit, über Interviews wie diese, in der Hoffnung, dass so viele Menschen wie möglich das lesen. Und ich berichte natürlich auf Seminaren für Schülerinnen und Schüler darüber, auch bei Schulbesuchen, die wir in ganz Deutschland wahrnehmen. Uns ist es sehr wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler, die am Projekttag arbeiten, auch wissen, was in den Projektregionen mit ihrem Geld passiert. Die Reise war ja nicht für uns selbst, sondern wir wollen jetzt als Multiplikatoren dienen.
Gegenwind:
Kannst Du erzählen, wie die Projekte im Kosovo betreut, besucht und kontrolliert werden?
Anna-Lena Oltersdorf:
Wir haben unsere Stiftung „Schüler Helfen Leben”, dort arbeiten drei Projektkoordinatorinnen, die einzeln für die Projekte verantwortlich sind. Sarah war mit uns in Jordanien, weil sie dort die Projekte betreut. Genauso haben wir Koordinatorinnen für den Balkan, auch für den Kosovo. Auch dort waren wir vor Ort, zusammen mit der Projektkoordinatorin Sandra, und zwar im letzten Herbst. Seitdem waren auch andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, weil es auch dort total wichtig ist, in Kontakt zu sein mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort, weil wir mittlerweile keine eigenen Projekte mehr starten, sondern immer Initiativen unterstützen, die es bereits gibt. Und da ist es besonders wichtig, immer ein Auge darauf zu haben, was gerade im Projekt passiert. Im Kosovo haben wir auch eine Freiwillige vor Ort, die in dem Jugendzentrum „SHL Kosova” arbeitet, und sie wird im Herbst von einer neuen Freiwilligen abgelöst, wir konnten wieder eine junge Freiwillige gewinnen, die dort mitarbeiten wird. So ist kontinuierlich jemand von „Schüler Helfen Leben” vor Ort. Hinzu kommt die Betreuung durch die Stiftung.
Partner: Atina, Serbien
Die Lage in Serbien ist angespannt, denn Gewalt, Ausgrenzung und Kinderhandel gehören in der Balkanregion zum Alltag. Besonders müssen darunter die Schwächsten der Gesellschaft leiden: Kinder. Vor allem die grundlegenden Lebensbedingungen von Roma, Waisen und Kinder anderer nicht akzeptierten Minderheiten sind mangelhaft und diese jungen Menschen werden oft Opfer von Kinderhandel. Die offiziellen Zahlen von 92 beziehungsweise 125 Kindern, die in den Jahren 2013 und 2014 von diesem Verbrechen betroffen sind, werden in der Realität auf mehr als das zehnfache geschätzt.
Die Intention unseres Partners vor Ort ist es, auf lange Sicht eine Gesellschaft zu schaffen, in der jedes Kind das Recht auf Liebe, Gesundheit, ein Zuhause, Sicherheit, eine Familie, Dokumente und Papiere, Bildung und Freude am Leben hat. Mithilfe von jugend- und kindgerechten Maßnahmen wie Workshops, Literaturkursen, Rollenspielen und individuellen Reintegrationsplänen geben wir den Kindern ein Stück Kindheit zurück, sodass sie mit Selbstbewusstsein in einer gewaltfreien Umwelt aufwachsen können. Auch medizinische und psychologische Unterstützung ist ein Teil der Unterstützung.
Gegenwind:
Es gab im Vorfeld des „Soziales Tages” Probleme mit dem Ministerium, das die Haftung angesprochen hat. Wie hast Du diese Diskussion erlebt?
Anna-Lena Oltersdorf:
Das Bildungsministerium Schleswig-Holstein hat einen Erlass herausgegeben zum „Sozialen Tag”, der für alle Schulen in Schleswig-Holstein verbindlich ist. Wir begrüßen grundsätzlich das Vorhaben, mehr Rechtssicherheit zu schaffen für den „Sozialen Tag” und für die Schülerinnen und Schüler, die arbeiten gehen. Gleichzeitig haben wir auch wahrgenommen, dass die Regelungen in dem Erlass bei einigen Schulen für Unsicherheit sorgen. Da sind bei uns viele Anfragen eingetrudelt. Es ging um Nachfragen zum Inhalt des Erlasses. Es gab ja auch eine Diskussion in den Medien dazu.
Gegenwind:
War das eine Schikane gegen Eure Arbeit? Oder habt Ihr einfach aneinander vorbei gearbeitet?
Anna-Lena Oltersdorf:
Grundsätzlich sind es zwei verschiedene Sachen. „Schüler Helfen Leben” organisiert den „Soziales Tag”, dafür möchten wir die Schulen gewinnen. Das Ministerium ist der Dienstherr für die Schulen. Wir haben ja nicht direkt was miteinander zu tun.
Gegenwind:
Wie ist denn generell die Unterstützung aus der Politik oder von anderen Vereinen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Wir konnten für den „Sozialen Tag 2015” wieder viele Schirmherren und Schirmherrinnen aus der Politik gewinnen, sei es der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, oder die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es gibt weitere Ministerpräsidenten oder auch Bürgermeister, die uns unterstützen. Wir sind sehr froh, dass wir diese Unterstützung bekommen und die Schirmherrinnen und Schirmherren aktiv dazu aufrufen, in ihrem Bundesland, am „Sozialen Tag” teilzunehmen. Torsten Albig hat das in einem Rundschreiben an alle Schulen in Schleswig-Holstein getan, aber auch der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern Erwin Sellering hat alle Schulen in seinem Bundesland zum Mitmachen aufgerufen.
Gegenwind:
Könnt Ihr Euch von Euren Schirmherren und -frauen so etwas auch wünschen, wenn Ihr etwas braucht?
Anna-Lena Oltersdorf:
Da kommt es natürlich darauf an, was wir uns wünschen. Aber wenn man realistisch bleibt und nicht herumspinnt, was man sich wünscht, sondern mit konkreten Ideen auf die Schirmherrinnen und Schirmherren zugeht, haben wir gute Erfahrungen gemacht. Wir konnten Torsten Albig für konkrete Aktionen gewinnen, eben das Rundschreiben und für den ersten Schulbesuch mit unserem neuen „Sozialer-Tag-Mobil”. Da war er vor Ort, hat uns unterstützt, eine Rede gehalten und auch kleine Späße mitgemacht. Es ist Klasse, dass wir als Jugendorganisation mit unseren Ideen um die Ecke kommen können und auf offene Ohren stoßen.
Gegenwind:
Funktioniert hier die Organisation gut? Ihr seid als Freiwillige zusammengewürfelt, kanntet Euch vorher teilweise gar nicht.
Anna-Lena Oltersdorf:
Genau. Wir sind aus total verschiedenen Regionen Deutschlands hier angekommen, haben alle gerade unseren Schulabschluss gemacht und sind dann hier zusammengewürfelt worden. Und es funktioniert erstaunlich gut. Wir arbeiten ja nicht nur tagtäglich zusammen, sind an Wochenenden gemeinsam zu Veranstaltungen unterwegs. Wir wohnen auch noch zusammen. Das ist eine besondere Situation, wir sind mehr als verheiratet für dieses eine Jahr. Aber es ist total wichtig, diese Unterstützung zu haben, immer zu wissen, es gibt weitere sieben Freiwillige hier, die die in der gleichen Situation sind wie ich, gerade auch von zu Hause ausgezogen sind und ins kalte Wasser geschmissen worden sind. Das ist eine schöne Erfahrung, auch wenn es nicht immer leicht ist, 24 Stunden zusammen zu arbeiten und zusammen zu wohnen. Ich bin aber sehr stolz, dass wir das seit fast einem Jahr so gut hinkriegen.
Partner: Save the Children, Jordanien
Ein massives Problem in Jordanien stellt die weit verbreitete Kinderarbeit dar. Viele besonders arme Familien sehen darin den einzigen Weg, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch den Syrien-Konflikt verschäfte sich die Lage noch: Die Hälfte aller arbeitenden Kinder in Jordanien sind Syrer/innen. Oft arbeiten sie in der Landwirtschaft, wo sie harte körperliche Arbeit leisten müssen und zudem gesundheitsschädlichen Pestiziden ausgesetzt sind.
Ein Grund für Kinderarbeit liegt darin, dass die Eltern keine Arbeit haben, bzw. nicht genug verdienen, um die Familie zu versorgen. Syrer/innen dürfen in Jordanien offiziell gar nicht arbeiten. Jugendliche in Aushilfstätigkeiten fallen oft weniger auf. Das heißt auch, dass diese Jugendlichen meist nicht mehr zur Schule gehen können.
Das Projekt möchte daher betroffenen Familien andere Optionen bieten. Für 150 Familien bietet das Projekt finanzielle Unterstützung, wenn die Kinder stattdessen lernen können. Das passiert entweder in Kursen, die speziell für die Jugendlichen angeboten werden, oder in der Schule. Hinzu kommt Aufklärung über die Folgen von Kinderarbeit. Mit diesen Workshops wird noch eine deutlich größere Zahl von Familien erreicht.
Gegenwind:
Es gibt ja auch Familien aus dem Kosovo, Familien aus Syrien, die hier leben. Wenn Du auf Gleichaltrige stößt, bei Veranstaltungen oder Schulbesuchen: Wie reagieren sie darauf, dass Du Dich freiwillig für die Länder engagierst, aus denen sie kommen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, waren davon begeistert. Sie waren besonders erstaunt, wie einfach sie auch selbst mitmachen können. Es ist ja nicht die einzige Möglichkeit, hier ein Freiwilligenjahr zu machen, es kann auch der eine Tag im Jahr sein, an dem man sich für Gleichaltrige einsetzt: Der Soziale Tag. Dadurch kann man sogar etwas Berufserfahrung sammeln. Die meisten sind begeistert, auch weil sie oft noch nichts davon wussten, und es eben einfach ist, mitzumachen.
Gegenwind:
Gibt es auch kritische Stimmen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Meistens nicht von Schülerinnen und Schülern. Aber es sind von Erwachsenen öfter Anfragen gekommen, die anmerken, dass sie es besser finden würden, wenn unsere Unterstützung Kindern aus Deutschland zu Gute kommen würde. Aber das ist glücklicherweise nicht die Mehrheit des Feedbacks, das wir bekommen.
Gegenwind:
Klappt es, wenn 80.000 Schülerinnen und Schüler mitmachen wollen, für alle einen Platz zu finden? Was muss die Zentrale dafür tun, wie viel müssen die einzelnen Schülerinnen und Schüler machen?
Anna-Lena Oltersdorf:
Die Jobsuche liegt zu hundert Prozent in den Händen der Schülerinnen und Schüler. Wir können es natürlich mit acht Personen nicht leisten, 80.000 Arbeitsstellen zu vermitteln. Wenn wir Angebote von Arbeitgebern bekommen, leiten wir das natürlich weiter. Aber grundsätzlich sucht jede Schülerin und jeder Schüler, die oder der am „Sozialen Tag” arbeiten möchten, den Job selbst. Wir bekommen natürlich viele Anrufe, und da geben wir gerne Hinweise, wo man arbeiten könnte. Aber die tatsächliche Jobsuche liegt in den Händen der Schülerinnen und Schüler, und das klappt erfahrungsgemäß sehr gut. Es gibt eben auch einfache Möglichkeiten, zum Beispiel dem Nachbarn beim Rasenmähen zu helfen oder im Supermarkt um die Ecke Regale einzuräumen. Es muss ja kein großes Unternehmen sein. Es sind bisher immer alle ganz gut untergekommen.
Gegenwind:
Vielen Dank!
Interview: Reinhard Pohl
www.schueler-helfen.leben.de