(Gegenwind 321, Juni 2015)

Weiter so: vorbei an den Erfordernissen

Der von der SPD und den GRÜNEN vorgelegte Koalitionsvertrag (zu finden unter www.spd-hamburg.de/linkableblob/128150/data/koalitionsvertrag_download.pdf) umfasst zwar gut 100 Seiten, er ignoriert aber in weiten Teilen die Lebenswirklichkeit in Hamburg. Die immer weiter aufgehende Arm-Reich-Schere wird gaaaanz klein geschrieben, Olympia dagegen sehr groß. Das ist der Tenor, den die Linksfraktion bei der Bewertung der Vereinbarung von SPD und GRÜNEN anschlägt. Wir dokumentieren hier beispielhaft die Kurzanalysen der LINKEN Hamburg für die Arbeitsbereiche von Christiane Schneider (Flüchtlinge und Polizei/Verfassungsschutz) sowie Heike Sudmann (Stadtentwicklung/Wohnen und Verkehr).

Flüchtlinge

Zunächst fällt auf, dass die Gruppe „Lampedusa in Hamburg” im Koalitionsvertrag mit keinem Wort Erwähnung findet. Die Forderung der GRÜNEN nach einer politischen Lösung scheint vom Tisch. Die Formulierungen im Bereich Flüchtlingspolitik sind fast alle extrem schwammig: Mehr Vernetzung und Koordinierung wird in fast allen Teilbereichen der Flüchtlingspolitik angekündigt, es scheint sogar so zu sein, dass Koordinierung und Vernetzung konkrete Politik ersetzen. Der Vorschlag, ein „Forum Flüchtlingshilfe” für Initiativen und Verbände einzuberufen, ist nicht schlecht; allerdings müsste sichergestellt werden, dass dort keine Top-Down-Politik unter dem Dirigentenstab der Behörde gemacht wird und dass auch Flüchtlings- und MigrantInnen-Selbstorganisationen prominent vertreten sind.

Als konkrete, aber doch recht kleine Verbesserung könnte die Mitfinanzierung des Abschiebemonitorings am Hamburger Flughafen erwähnt werden. Allerdings, selbst bei dieser winzigen Personalstelle, möchte der Hamburger Senat die anderen norddeutschen Bundesländer zur Finanzierung mit ins Boot holen, das wird wahrscheinlich mehr Arbeit bedeuten, als dann letztendlich beim Abschiebemonitoring gemacht wird.

Das mittelfristige Anstreben von kleineren Flüchtlingsunterkünften ist sinnvoll, nur scheint dieses Ziel angesichts von immer mehr Menschen weiter in die Ferne zu rücken. Und es gibt wenig Hoffnung, dass die SPD kleine Unterkünfte auf einmal mit Nachdruck verfolgt.

Sehr zu bedauern ist, dass die bundesweite Debatte um Mindeststandards in der Unterbringung von Flüchtlingen völlig an den KoalitionärInnen vorbeigegangen ist. Auch das Recht auf Wohnen für alle oder der diskriminierungsfreie Zugang zum Wohnungsmarkt für Flüchtlinge und MigrantInnen werden nicht vorangebracht.

Polizei und Verfassungsschutz

In den Bereichen Polizei/Verfassungsschutz wird ebenfalls entweder ausgelassen oder drumherum geredet. Das Thema Kennzeichnungspflicht z.B. soll, nach Gesprächen mit den Polizeigewerkschaften, „geprüft” werden. Dieselbe Formulierung gab es schon einmal in einem schwarz-grünen Änderungsantrag und es hat sich daraufhin nichts am Status quo geändert, obwohl einige andere Bundesländer mittlerweile diesen sinnvollen Schritt gegangen sind.

Von einer polizeilichen Beschwerdestelle, der Verbesserung der polizeilichen Aus- und Fortbildung oder Maßnahmen gegen „racial profiling” ist noch nicht mal mehr die Rede.

Die Einrichtung von Gefahrengebieten soll vor dem Hintergrund der Rechtsprechung überprüft und ggf. angepasst werden. Das bleibt weit hinter der politischen Notwendigkeit zurück.

Es ist abzuwarten, wie die Innenbehörde auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom 13. Mai reagieren wird. Wichtige Konsequenzen aus dem Behördenversagen bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen werden in keiner Weise gezogen, weder im Polizeibereich noch im Bereich des Verfassungsschutzes. Hier heißt es lediglich, dass das Landesamt für Verfassungsschutz weiterentwickelt und die Zusammenarbeit mit anderen Landesbehörden gestärkt werden soll.

Stadtentwicklung und Wohnen

Der Koalitionsvertrag (KV) setzt wenig neue Akzente in der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Eine grüne Akzentverschiebung ist nur an sehr wenigen Punkten erkennbar. Im Grunde soll die SPD-Senatspolitik schlicht fortgesetzt werden.

Hinsichtlich der realen Probleme auf dem Wohnungsmarkt (Wohnungsnot; Mietenwahnsinn; Rückgang der Sozialwohnungen; Zuwachs der Eigentumswohnungen; Gentrifizierung; Segregation) liefert der KV keine neuen Antworten. Trotz des absoluten Bevölkerungswachstums von 8.000 bis 10.000 BürgerInnen jährlich soll nach wie vor an lediglich 6.000 Neubauwohnungen pro Jahr festgehalten werden. Die Wohnungsnot wird damit nicht abgebaut.

Besonders dramatisch ist und bleibt die Lage für die Menschen mit geringem oder auch mittlerem Einkommen. Obwohl 40% aller Haushalte Anspruch auf eine Wohnung des 1. Förderweges haben, sollen nach wie vor lediglich 2.000 geförderte Wohnungen pro Jahr neu entstehen, und das bei erheblich mehr Ausläufen mietpreisgebundener Wohnungen. Die Wohnungsnot im preisgünstigen Segment wird sich damit weiter verschärfen.

Leichte Verbesserungen soll es bei der Versorgung von vordringlich Wohnungssuchenden geben. Die Erhöhung der Zahl der WA-(Wohnungsamt-)gebundenen Wohnungen bei der SAGA um 200 Wohneinheiten, ein Runder Tisch und ein Sofortprogramm - all das sind Maßnahmen, die in die richtige Richtung zielen. Im Hinblick auf die Not von mehr als 2.000 Obdachlosen und 14.000 Wohnungslosen und angesichts der Versorgungsquote bei 7.000 Haushalten mit einem Dringlichkeitsschein von lediglich 27% im ersten Halbjahr 2014, bleibt das allerdings ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auffällig ist in diesem KV, dass nur selten genaue Zahlen genannt werden. Doch nicht blumige Versprechungen helfen weiter, sondern nur konkrete, bezifferte und terminierte Angaben darüber, in welcher Dimension insbesondere das Wohnungsbauprogramm ausgebaut wird. Zwar wird in Aussicht gestellt, gegen Leerstand und Zweckentfremdung „konsequent vorzugehen”, doch kein Wort davon, dass dafür auch eine beträchtliche Aufstockung des bezirklichen Personals vonnöten wäre. Statt Ausbauzahlen zu liefern, beispielsweise bei der im Bundesmaßstab unterdurchschnittlichen Versorgung der Studierenden mit Wohnheimplätzen, ist im KV nur unverbindlich von „verbessern”, „verstärken” und „vorantreiben” zu lesen.

In dieser Hinsicht ist auch der Bereich soziale bzw. integrierte Stadt- und Quartiersentwicklung von Belang. Im entsprechenden Kapitel heißt es zwar - unverbindlich - zu Anfang:

„Die soziale Spaltung in unserer Stadt bleibt weiterhin ein großes Problem”, ah ja, das war's dann aber auch schon wieder. Kein Wort davon, dass die zunehmende soziale Spaltung vom neuen Senat mit zusätzlichen Mitteln bekämpft wird, kein Wort davon, dass die im Haushalt bereits eingeplante Reduzierung der RISE-Mittel um weitere 5 Mio. Euro 2016 zurückgenommen werden würde.

Verkehr

Wer gehofft hat, die grüne Regierungsbeteiligung würde zu einer Verkehrswende führen, wird enttäuscht. Auf elf Seiten ist unter der Überschrift „Modern und nachhaltig - Hamburg als Stadt der Mobilität” kaum etwas anderes finden als die Fortsetzung der bisherigen Verkehrspolitik. Ein Anstieg des Wirtschafts- und Autoverkehrs wird als gegeben hingenommen:

Unverändert sollen die großen Autobahnprojekte (Ausbau der A 7 in verschiedenen Abschnitten, Hafenquerspange - Verlängerung A 26, Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße als Quasi-Autobahn, Ausbau der A 1) realisiert werden.

Bedauernd wird festgestellt: „In einem über Jahrhunderte gewachsenen Stadtraum können die Straßen und Wege nicht unbegrenzt ausgebaut werden” (S. 35). Deshalb setzt der rotgrüne Senat auf Verkehrstechnik, um „die Verkehrswege so effizient und intelligent wie möglich” zu gestalten. Die alte, aber immer noch bewährte Formel für den Umgang mit dem Autoverkehr: „vermeiden, verringern, verlagern”, spielt so gut wie keine Rolle. Lediglich das grüne Steckenpferd „Radverkehr wird als ein wichtiger Ansatz gesehen, um die Straßen vom Kfz-Verkehr zu entlasten und damit die Lärm-, Luft- und Stauprobleme zu verringern” (S. 36). Doch wenige Sätze weiter gibt es nur die Ansage, dass in den 2020er Jahren der Radverkehrsanteil auf 25% steigen soll. In der letzten Erhebung im Jahr 2008 lag der Anteil bei 12%. Der SPD-Senat hatte 2011 zwar die Zielmarke von 18% Radverkehr bis zum Jahr 2015 anvisiert, aber in den letzten Jahren immer wieder betont, dass er mittlerweile davon ausgehe, dass dieser Anteil doch bereits erreicht sei. Eine weitere Erhöhung des Anteils um magere 7% bis spätestens 2029 ist daher nicht ambitioniert, sondern einfach nur schwach.

Die Fortschreibung der SPD-Verkehrspolitik findet sich auch in den anderen Abschnitten. Alle bisher bekannten U- und B-Bahn-Vorhaben sollen weiter verfolgt werden, konkrete Realisierungsdaten finden sich jedoch nur selten. Wie nicht anders zu erwarten, wurde die Stadtbahn beerdigt.

Das umstrittene Busbeschleunigungsprogramm gibt es nicht mehr - jedenfalls nicht unter diesem Namen. Inhaltlich wird es jedoch fortgeführt, allerdings mit der vagen Aussicht auf (bessere) BürgerInnenbeteiligung.

Insgesamt lässt sich für den Verkehrsbereich feststellen, dass der neue Senat mutlos und ohne Visionen für eine Verkehrswende hin zu weniger Kfz-Verkehr und mehr umweltfreundlichen Verkehr agiert. Mit Grün geht das leider auch.

Surya Stülpe / Michael Joho

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