(Gegenwind 320, Mai 2015)
Seit Jahren haben wir in Deutschland in neues altes Phänomen: Die Liebe zum Krieg. Viele Gruppen und Grüppchen, deren Mitglieder im Westen leben, jubeln über alle Kriege, die „gegen den Westen” geführt werden - sei es von Putin, sei es von Assad, sei es von Saddam Hussein, sei es von Ghadafi. Was die eigene Bevölkerung in den Ländern dafür bezahlen muss, interessiert weniger - man lebt ja nicht dort. Es gibt aber auch Jugendliche, meistens männliche Jugendliche, die persönlich in den Krieg ziehen und tatsächlich „dort” leben wollen. Sie sind meistens Anhänger religiöser totalitärer Bewegungen.
Die stärkste Mobilisierungskraft geht zur Zeit vom „Islamischen Staat” aus. Doch schon vorher gab es Freiwillige, die in diesen Krieg zogen. Sie zogen nach Afghanistan, nachdem die Sowjetunion dort einmarschiert war, oder nach Tschetschenien, als Russland dort seine Herrschaft wieder herstellte. Sie zogen auch schon vorher in den Libanon oder nach Jemen, um dort eine Ausbildung zu absolvieren, sei es für den Kampf oder für Anschläge. Doch alle diese Gebiete waren relativ schwer (und kostspielig) zu erreichen. Um nach Afghanistan zu kommen, musste man „unauffällig” nach Pakistan fliegen oder den gefährlichen Landweg durch den Iran nehmen.
Um heute nach Syrien oder den Irak zu kommen, ist von Deutschland aus nur der Personalausweis erforderlich, mit dem man visumfrei und relativ billig in die Türkei fliegen kann. Dort braucht man einige Kontaktadressen, um nach Syrien geschleust zu werden, muss aber nicht mit allzu intensiven türkischen Bemühungen um den Grenzschutz rechnen, zumindest nicht in diese Richtung und in dieser Ausrichtung. Insofern kommen das schnell wachsende Internet, die schnell zunehmenden Billigflüge und einiges mehr zusammen, um aus dieser Freiwilligenbewegung im Gegensatz zu früheren Kampagnen eine wirkliche Bewegung zu machen.
Der Autor untersucht und beschreibt, was die Faszination dieser Bewegung ausmacht. Dazu untersucht er die bekannten Anfänge, also die „Hamburger Zelle”, die die Anschläge 2001 in den USA vorbereitete und durchführte, oder auch die sogenannte „Sauerland-Gruppe”, die aus dem Kampf in fernen Ländern zurückkehrte, um einen Anschlag in Deutschland vorzubereiten, der sich vor allem gegen die US-Streitkräfte richten sollte.
Vorgestellt wird die Logistik, die die Türkei zur Drehscheibe dieser Bewegung werden ließ. Die dortige AKP-Regierung spekuliert mit einem Sturz der syrischen Regierung, also von Präsident Assad „um jeden Preis”, also auch um den, eine islamistische Bewegung als neuen Machtfaktor an der südlichen Grenze zu bekommen. Diese mag zwar militärisch in einer gewissen Situation effektiv sein, hat aber bisher nicht gezeigt, dass wirkliche staatliche Strukturen kompetent aufgebaut werden können.
Es ist eine „Jungs”-Bewegung: Frauen sollen keine gleichen Rechte haben oder bekommen, sondern auf „ihren Platz” verwiesen werden, als Gefährtin und Gehilfin des Mannes. Dabei ist von „Kurzzeit-Ehe”, wie die Prostitution im Islamischen Staat heißt, über die Sklaverei von andersgläubigen Frauen bis zu Freiwilligen, die sich dort verheiraten lassen, alles möglich - alles bis auf die Gleichberechtigung. Die Zahl der freiwilligen Frauen und Mädchen, die sich darauf einlassen und von dem Leben an der Seite der Kämpfer träumen, ist denn auch sehr überschaubar.
Mehrere Kapitel sind einer deutschen Gruppe gewidmet, die zeitweise in Pakistan existierte: Die „Deutschen Taliban Mudschahidin”. Sie waren Teil der Islamischen Bewegung Usbekistans, einer ursprünglich in Zentralasien beheimateten Bewegung, die in der Phase der Unabhängigkeit der dortigen Republiken nach Zusammenbruch der Sowjetunion versuchten, eine neue Ordnung zu errichten. Damals entwickelten sich ehemaligen Funktionäre der Kommunistischen Partei zu nationalistischen und höchst korrupten Diktatoren, die in der Regel versuchten, eine Familiendynastie zu etablieren. In Aserbaidschan ist das der Aliev-Familie gelungen, in Turkmenistan und Kirgistan ist es gescheitert, aber es gibt reichlich Schwächen der dortigen Regime, die eine entschlossene islamistische Gruppierung nutzen kann.
Die Islamische Bewegung Usbekistens musste allerdings das Hauptquartier erst nach Afghanistan, später nach Pakistan verlegen und internationalisierte sich danach. Dabei gab es hier wie in all diesen Bewegungen ständige Auseinandersetzungen. Einmal ging es um die Frage des „nahen Feindes” gegenüber dem „fernen Feind”: Sollte man vor allem die USA, Europa und Israel angreifen? Oder die „eigene” Regierung in Usbekistan, Afghanistan oder Russland?
Hier nahmen die deutschen Freiwilligen eine besondere Rolle ein. Beteiligten sie sich in Pakistan an der Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen gegen pakistanische, afghanische oder usbekische Soldaten, war das für sie eher der „ferne Feind”, während Angriffe auf Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan oder gar Deutschland für die dortigen usbekischen oder afghanischen Bewegungen internationale Aufmerksamkeit verhießen.
Das macht auch für viele die Faszination aus. Es handelt sich oft um hier geborene Kinder, Söhne von Einwanderern, die in der Schule und der Berufskarriere gescheitert sind. Dieses Scheitern hängt an den ungünstigen Voraussetzungen, allerdings oft auch an der Diskriminierung und den Mängeln um Schulsystem, das die Unterstützung bei den Hausaufgaben durch die Eltern (die nicht beruftätige Mutter) ungefragt zur Voraussetzung für einen guten Schulabschluss macht. Islamistische, salafistische Bewegungen erklären den Jugendlichen jetzt, es handele sich um einen umfassenden Krieg „gegen den Islam”, und rufen sie zum „bewaffneten Widerstand” auf. Nicht das Lernen für Prüfungen, sondern die Vorbereitung auf Anschläge „gegen Deutschland” wären ihre Zukunft.
Natürlich sind es zahlenmäßig nicht viele, die diesen Vorstellungen folgen. Aber die Propaganda ist im Internet in Sekunden weltweit verbreitet und kostenlos runtergeladen, die Prediger in deutschen Videos sprechen Deutsch (im Gegensatz zu den Predigern in der örtlichen Moschee, die meist Türkisch, oft Arabisch und fast nie Deutsch sprechen). Und die Ideologie ist einfach. Es gibt nur zwei Seiten, die böse und unsere. Die Welt ist einfach in zwei Teile geteilt, und dann ist die andere Seite nicht nur böse, sondern auch überlegen. Sie haben Hunderte von Flugzeugen und bombardieren die Gläubigen aus der Luft, die sich tapfer dagegen wehren und als Gruppe zusammen halten.
Das Buch liefert auch viele Hintergründe aus der Geschichte und Entwicklung Zentralasiens, Afghanistans und Syrien der letzten 20 Jahre und hilft dadurch, die Entwicklung und die Gedankengänge der Jugendlichen zu verstehen - und auch die Ideologie, die dem Führerprinzip folgt (wobei jede Gruppe, jedes Grüppchen natürlich ihren eigenen Führer hat) und die die Freiwilligen gnadenlos verheizt. Gezeigt wird aber auch die „Strategie” der deutschen Besatzung in Kunduz, die mehr als ungeschickt agiert und einen großen Teil Mitverantwortung dafür trägt, es den Islamisten einfach zu machen.
Reinhard Pohl