(Gegenwind 317, Februar 2015)
Im Dezember 2014 erlangte die Hansestadt Lübeck überregionale Beachtung, allerdings nicht in einem positiven Sinn. Der Lübecker Unternehmer Winfried Stöcker äußerte sich im Zusammenhang mit der Absage eines Adventssingens zu Gunsten von Flüchtlingen in einem von Stöcker erworbenen Görlitzer Kaufhaus menschenverachtend und rassistisch. Auch wenn Herr Stöcker sich inzwischen für seine Äußerungen entschuldigt hat, werden wir diesen Vorfall im Jahr 2015 weiter thematisieren.
Leider geriet durch Stöckers Entgleisungen etwas in Vergessenheit, dass Lübeck in der Integrationspolitik im Jahr 2014 durchaus im Aufbau einer Anerkennungs- und Willkommenskultur weiter gekommen ist. Im Rahmen dieses Artikels möchte ich vier Punkte herausstellen, die im Jahr 2014 von den GRÜNEN in Lübeck initiiert worden sind:
Verwaltungen brauchen interkulturelle Öffnung und ein Diversity Management. Was heißt das? In vielen Unternehmensstrategien ist es inzwischen üblich, die Vielfalt der MitarbeiterInnen des Unternehmens zu betonen. Vielfalt als Chance zu betrachten, hat sich durchgesetzt. Das muss auch für die Lübecker Verwaltung gelten. Zum einen ist unsere Gesellschaft vielfältig, und das soll sich auch dort widerspiegeln, wo Menschen die Verwaltung verkörpern. Zum anderen führt Vielfalt nachweislich zu einer höheren Kreativität der Mitarbeiter, einer gesteigerten Attraktivität für Talente und zu einem guten Image des Arbeitgebers. Gleichzeitig ist es wichtig, MitarbeiterInnen für den kompetenten Umgang mit Vielfalt zu qualifizieren. Die Öffentliche Verwaltung hat hier eine Vorbildfunktion gegenüber allen EinwohnerInnen ihrer Kommune. Sie kann darauf hinwirken, dass sie auch von Menschen nichtdeutscher Herkunft als „ihre” Verwaltung akzeptiert wird. Die GRÜNEN haben 2014 zusammen mit anderen Fraktionen in der Bürgerschaft einstimmig beschlossen, dass die Stadt weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Integrationskonzeptes anschiebt.
Inzwischen liegen die Vorschläge der Verwaltung vor:
Im Rahmen von Messeauftritten, Informationsveranstaltungen, Filmen, Interviews in Broschüren und Zeitungen werden gezielt Auszubildende mit Migrationshintergrund in die Öffentlichkeitsarbeit der Hansestadt Lübeck einbezogen. Bei der Gewinnung von Auszubildenden für die Hansestadt Lübeck hat sich die Präsenz und das Sichtbarmachen bereits vorhandener Auszubildenden mit Migrationshintergrund erfolgreich gezeigt.
In bisherige Auswahlverfahren für Auszubildende sollen die Themen Mehrsprachigkeit, interkulturelle Kompetenz in Stellenausschreibungen aufgegriffen werden. Hierbei sollen die Erfahrungen bereits erfolgreich praktizierter kultursensibler Auswahlverfahren anderer Kommunen wie z.B. Osnabrück, Hamburg und Bremen aufgegriffen werden. Allerdings sei hier von einem längerfristigen Prozess auszugehen, da die Überarbeitung der Verfahren verwaltungsintern abgestimmt werden muss.
Sensibilisierung und Qualifizierung der Beschäftigten zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz sollen im Rahmen des Konzeptes „Führungsentwicklung bei der Hansestadt Lübeck” weiter geführt und auch interkulturelle Schulungselemente für bestehende Führungskräfte enthalten.
Sensibilität für interkulturelle Prozesse kann in den für 2015 geplanten ersten Teil eines abgestimmten Personalauswahlkonzeptes einbezogen werden. Ziel ist, transparente Qualitätskriterien für die Auswahl von Führungskräften festzulegen.
Manchmal sind auch kleine Schritte wichtig. Einen solchen Schritt hin zu einer vielfältigeren Verwaltung hat die Hansestadt im Oktober 2014 gewagt. Im Hauptausschuss der Bürgerschaft wurde einstimmig der von den GRÜNEN gestellte Antrag beschlossen: „Alle Stellenausschreibungen der Hansestadt Lübeck enthalten zukünftig den Zusatz ‚Ausdrücklich begrüßen wir es, wenn sich Menschen mit Migrationshintergrund bei uns bewerben.’”" Mit einem solchen Zusatz wird die Vielfalt in der Verwaltung nicht sofort sprunghaft in die Höhe schießen. Aber der eine oder andere, der vielleicht gezögert hat, seine Chance bei der Stadtverwaltung zu suchen, könnte ermutigt werden, es tatsächlich zu tun. Die Verwaltung hat den Beschluss inzwischen umgesetzt.
Ein Problem bei der Beurteilung von Erfolgen der Integrationspolitik bestand immer darin, dass eine brauchbare Datengrundlage nicht vorhanden war. Wie vielfältig ist die Verwaltung bereits heute bzw. wie groß ist das Defizit an Vielfalt? Daher wird es eine Abfrage bei den Mitarbeitern der Verwaltung zu diesen Fragen geben. Angaben über die Herkunft eines Menschen unterliegen dem Datenschutz. Deshalb wird die Teilnahme an der Abfrage freiwillig sein. Städte wie Hamburg und Flensburg haben gezeigt, dass trotzdem eine hohe Beteiligung zu erreichen ist, so dass wir eine Datengrundlage bekommen, mit der wir arbeiten können. Denn nur so können Anstrengungen von Politik und Verwaltungen für mehr Vielfalt auf ihren Erfolg geprüft und gesteuert werden. Initiiert durch die GRÜNE Fraktion hat die Bürgerschaft diese freiwillige Abfrage mit breiter Mehrheit beschlossen. Obwohl die Verwaltung anfangs einer Durchführung eher skeptisch gegenüberstand, teilte sie erfreulicherweise im Hauptausschuss der Bürgerschaft zuletzt mit, dass die Umsetzung des Beschlusses in Planung sei. Ein konkreter Zeitrahmen, in dem die Befragung durchgeführt werde, sei zwar noch nicht festgelegt sei. Die Verwaltung geht jedoch davon aus, dass das Befragungskonzept in 2015 relativ zügig ausgearbeitet und dann auch umgesetzt werden kann.
Die kommunalen Haushalte sind stark strapaziert, besonders in Lübeck. Für viele soziale Projekte aus den Bereichen Bildung und Migration fehlen häufig die notwendigen finanziellen Mittel.
Gleichzeitig stehen für solche Projekte beachtliche Fördermittel zur Verfügung, beispielsweise aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Warum also nicht konsequent versuchen, die Fördertöpfe anzuzapfen? Allerdings sind Fördermodalitäten und -anträge oft recht komplex, so dass für die Fördermittelgenerierung Strukturen für die Stadtverwaltung aber auch für die Projektlandschaften geschaffen werden müssen. Die Bürgerschaft möchte die Professionalisierung der städtischen Fördermittelakquise. Nur so kann sichergestellt werden, dass in der kommenden Förderperiode auch Lübeck stärker in ESF-Programmen erfolgreich aktiv wird.
Zwei Aspekte sind uns GRÜNE bei der Professionalisierung besonders wichtig:
Die Initiative zur Professionalisierung der Einwerbung von Fördermitteln wurde von der Bürgerschaft mit breiter Mehrheit beschlossen.
Bereits im Februar 2012 wurde das kommunale Integrationskonzept für die Hansestadt Lübeck durch die Bürgerschaft beschlossen. „Um die Leit- und Teilziele des Integrationskonzeptes zu erreichen, sind Maßnahmen oder Projekte zu entwickeln”, so lautete der damalige Beschluss. Aufgrund der Haushaltslage fehlten jedoch für neue Projekte oft die notwendigen finanziellen Mittel, so dass die Umsetzung des Integrationskonzeptes nur schleppend voran geht.
Auf Initiative der GRÜNEN hat die Bürgerschaft die Einrichtung eines Integrationsfonds für Lübeck beschlossen. Die Stadt Lübeck verpflichtet sich fortan, jährlich einen Betrag von mindestens 50.000 Euro in den Fonds einzuzahlen. Gleichzeitig sollen Wirtschaftsunternehmen, IHK, Handwerkskammer und Stiftungen einbezogen und gebeten werden, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Die weitere Akquise von Bundes- oder Europamitteln für konkrete Projekte soll durch den Fonds ebenfalls erleichtert werden, da hieraus der jeweilige Eigenanteil finanziert werden kann. Zusammen mit der Professionalisierung der Fördermittelakquise (vgl. Ziffer 2) sollen mehr Mittel zur Förderung von Integrationsprojekten eingeworben werden.
Als besonders wichtige Maßnahme des Integrationskonzeptes wird die Einrichtung eines Sprach- und KulturmittlerInnen-Pools gesehen. Sie ist als Dienstleistung zur interkulturellen Öffnung der Institutionen sowie als ein Baustein zur Entwicklung einer Willkommenskultur dringend erforderlich und soll als erste Maßnahme aus dem Integrationsfonds finanziert und aufgebaut werden.
Wir werden immer wieder damit konfrontiert, dass es im Alltag an Übersetzern mangelt, wenn zugewanderte Menschen zunächst ohne Deutschkenntnisse ihr Leben gestalten müssen. Insbesondere in der Anfangsphase ist bei Arztbesuchen, Beratungsgesprächen oder Behördengängen eine professionelle Übersetzung unerlässlich.
Die Einrichtungen der sozialen Regeldienste, wie z.B. Gesundheits- und Sozialwesen, angefangen von Beratungsstellen bis hin zu Krankenhäusern, sind häufig noch immer nur unzureichend auf NeuzuwanderInnen eingestellt. Missverständnisse, Fehleinschätzungen und Fehldiagnosen sind viel beschriebene Folgen unzureichender Verständigung aufgrund von Sprachbarrieren. Aber auch mögliche Ressourcen, welche Einwanderer für die Bewältigung ihrer Probleme mitbringen, werden ohne interkulturelle Öffnung der Regeldienste und ohne eine gute sprachliche Verständigung leider oft nicht erkannt. Die Forderung an Menschen mit Migrationshintergrund, doch endlich richtig Deutsch zu lernen, greift häufig zu kurz. Nur über die Anwendung der erworbenen Sprache im Alltag kann eine ausreichende Sprachkompetenz erzielt werden. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass Neuzuwanderer erst nach drei Jahren in der Lage sind, sich ohne Unterstützung beispielsweise im Behördenalltag zu verständigen.
Die gefassten Beschlüsse zeigen, dass Verwaltung und Politik über Parteigrenzen und Funktionen hinweg alle an einem Strang ziehen können, um in Lübeck eine echte Willkommens- und Anerkennungskultur zu schaffen.
Auch im Jahr 2015 werden wir GRÜNE weitere Initiativen zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund ergreifen, um die Teilhabe aller Lübeckerinnen und Lübecker ungeachtet ihrer ethnischen, religiösen oder sozialen Herkunft am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und rassistischen Äußerungen keinen Raum lassen, denn Lübeck ist keine Stadt des Rassismus - Lübeck ist weltoffen.
Michelle Akyurt