(Gegenwind 316, Januar 2015)


Asylverfahren vor Gericht

7.000 Flüchtlinge haben im Jahre 2014 Schleswig-Holstein erreicht und Asyl beantragt, bundesweit sind es 200.000. Im Jahre 2015 kann man mit 350.000 neuen Flüchtlingen rechnen, davon wird Schleswig-Holstein rund 12.000 aufnehmen. Grund dafür sind die zunehmenden Kriege.

Der Islamische Staat dehnt sich in Syrien und dem Irak weiterhin aus, das nimmt den Flüchtlingen in den Nachbarländern die Hoffnung, bald zurückkehren zu können. Ebenso geht es den übrigen Flüchtlingen aus Syrien, wo die Regierung in ihrem verzweifelten Kampf zum Machterhalt bereits Hunderttausende umgebracht hat. Im Irak gibt es keine funktionierende Regierung, die großen Volksgruppen schützen sich durch eigene Milizen, die Angehörigen der kleineren Volksgruppen fliehen ins Ausland.

In Afghanistan ist die Staatenbildung nach Zerschlagung der Taliban-Herrschaft 2002 nicht wirklich gelungen. Da die dort agierenden NATO-Truppen kein Konzept haben, ziehen sie zum Jahresende 2014 ab und probieren ab 2015 eine Stabilisierung mit Hilfe von Zehntausenden „Militärberatern”. Auch dieses Nicht-Konzept ist für viele, die bisher gezögert haben, eine Aufforderung zur Flucht.

In Eritrea ist die Situation für viele unerträglich und hoffnungslos. Dass die Situation im Zufluchtsland Sudan, Libyen oder Israel alles andere als einladend ist, hat sich herumgesprochen. So bleibt auch hier für alle, die es schaffen, Westeuropa und Deutschland als vage Hoffnung, das Leben zu retten.

Asylverfahren

Das Asylverfahren ist schwer zu bewältigen. Anders als oft berichtet liegt das nicht vor allem daran, dass die Flüchtlinge keine guten Gründe für ihre Flucht haben. Vielmehr gibt es zwei Gründe, die mehr Einfluss haben:

  1. Das Asylrecht wurde 1947/48 für einen bestimmten Typ von Flüchtling formuliert. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten den einzelnen Oppositionellen, den intellektuellen Gegner der Diktatur im Blick, der verfolgt im anderen Land Zuflucht sucht. Die naheliegende Idee, eine Minderheit von Jesiden könnte vom Islamischen Staat als Gruppe verfolgt werden, fand auch kurz nach der Verfolgung der Juden durch den Nationalsozialismus keinen Eingang ins Asylverfahrensgesetz. Erst später begannen Gerichte mit der Korrektur, so dass heute auch nicht-staatlich Verfolgte ein Bleiberecht bekommen können, das schaffen die Betroffenen aber meistens nicht ohne fremde Hilfe.
  2. Das Asylverfahren selbst sieht für die Behörden lange Bearbeitungszeiten vor, so dauert die Antwort des „Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge” auf einen Asylantrag drei Monate bis drei Jahre - schwer vorstellbar, dass Deutsche sich das im Umgang mit einer steuerfinanzierten Behörde gefallen ließen. Umgekehrt sind aber sehr kurze Rückmeldefristen vorgesehen. Kommt nach zwei oder drei Jahren eine Ablehnung, hat der Flüchtling ein oder zwei Wochen Zeit, eine Klage beim Verwaltungsgericht einzureichen.

Dies sowie bestimmte Rückmeldefristen und lange Verfahren, um die Zuständigkeit eines anderen europäischen Landes für das Asylverfahren festzustellen, führen dazu, dass rund 40 Prozent aller Asylverfahren ohne Ergebnis enden. Rund 30 Prozent führen zu einem Bleiberecht, rund 30 Prozent werden abgelehnt.

Aber nicht jedes Bleiberecht reicht den Antragstellern aus. So führt ein Abschiebeschutz aufgrund eines Krieges oder einer Krankheit nicht zum Recht, die Familie nachzuholen, dieses Recht haben nur anerkannte Flüchtlinge. Gegen einen Bescheid klagen also nicht nur abgelehnte Flüchtlinge, sondern auch solche, deren Antrag nur einen „halben Erfolg” hatte.

Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht in Schleswig ist zuständig für alle Klagen aufgrund einer Entscheidung der Außenstelle Neumünster des „Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge”, ebenso für alle angegriffenen Entscheidungen von Ausländerbehörden in Schleswig-Holstein. Dabei sind die einzelnen Herkunftsländer einzelnen Kammern zugeteilt, das ist jeweils aus dem „Geschäftsverteilungsplan” ersichtlich. Klagen und Anträge von Flüchtlingen aus Herkunftsländern, deren Zuständigkeit nicht verteilt ist, landen bei der 3. Kammer. Die Kammern bestehen zwar aus drei Richterinnen oder Richtern, diese teilen sich aber die Akten auf, es entscheidet also in der Regel eine Einzelrichterin oder ein Einzelrichter.

Seit dem Dezember 2013 telefoniere ich regelmäßig mit den Geschäftsstellen der einzelnen Kammern und erfrage Verhandlungstermine. Diese werden in der Regel so geplant, dass drei bis sechs Verhandlungen hintereinander liegen, meistens zum gleichen Herkunftsland. Alle Verhandlungen sind öffentlich.

Ich empfehle Beratungsstellen, Mitgliedern von Freundeskreisen oder auch DolmetscherInnen, solche Verhandlungen zu besuchen. Man gibt den Flüchtlingen eine moralische Unterstützung, vor allem aber lernt man den Ablauf kennen, erfährt vieles über die Einschätzung des Gerichts zu verschiedenen Herkunftsländern und der bestehenden Gefahren bei bestimmten Fallkonstellationen. DolmetscherInnen können besser einschätzen, ob sie die Aufgabe bewältigen und sich guten Gewissens beim Gericht bewerben können. Denn alle Verhandlungen finden in Anwesenheit von DolmetscherInnen statt, auch wenn einzelne Flüchtlinge ganz oder teilweise deutsch sprechen.

Es lohnt sich auch, bei den Daten aufmerksam zuzuhören. So wurden in der 5. Kammer im Jahre 2014 im Frühling viele Klagen aufgerufen, bei denen es um eine Ablehnung des Bundesamtes aus dem Jahr 2011 ging, die Flüchtlinge hatten also weitere drei Jahre auf einen Verhandlungstermin gewartet. Kurz vor Weihnachten ging es in der gleichen Kammer um Ablehnungen aus dem Jahre 2013. Das lag auch daran, dass das Präsidium entschieden hatte, der 5. Kammer im Jahre 2014 keine andere Zuständigkeit zu geben außer den Asylanträgen aus Afghanistan, erst zum 1. August wurde der Kammer dann zusätzlich die Zuständigkeit für alle Dublin-Verfahren gegeben.

Jemen

Zuständig ist die 9. Kammer. Aus dem Jemen kommen nur wenige Flüchtlinge nach Deutschland, diese werden aber alle nach Schleswig-Holstein verteilt.

Problem für das Gericht ist die dünne Information. Es gibt kaum Botschaften oder Menschenrechtsorganisationen, die sich im Land bewegen. So kommt es vor allem auf den einzelnen Flüchtling uns seine Schilderung an, ob eine Klage Erfolg hat.

Iran

Zuständig ist die 7. Kammer. Diese war im ersten Halbjahr 2014 auch für Syrien zuständig, hat diese Zuständigkeit aber an die 12. Kammer abgegeben. Grund dafür ist der bekannte „Rückstau” beim Bundesamt, das rund 700 Asylanträge zum Iran in Neumünster seit 2013 nicht bearbeitet hat, sondern dies erst für 2015 plant. Damit werden vermutlich in kurzer Zeit viele Klagen iranischer Flüchtlinge beim Gericht eintreffen.

Sehr viele Verhandlungen beim Verwaltungsgericht betreffen nicht eine Verfolgung im Iran, sondern eine erwartete Verfolgung, weil man in Deutschland zum Christentum konvertiert sei. Oft erfolgte das erst nach der Abhörung zum Asylantrag, so dass das Bundesamt es noch nicht berücksichtigen konnte.

Bei einer Konversion versuchen Richterinnen und Richter zu klären, ob die Konversion aus einer „inneren Überzeugung” erfolgt ist. Sie fragen also nach Punkten, die kaum belegbar sind, sondern nur mehr oder weniger überzeugend dargestellt werden können. Das ist für alle Beteiligten schwierig.

Afghanistan

Zuständig ist die 5. Kammer, die im Jahre 2014 relativ viele Verhandlungen angesetzt hat - und ansetzen konnte, weil die Kammer von anderen Aufgaben entlastet wurde.

Das Problem fast aller Flüchtlinge ist, dass eine „staatliche Verfolgung” nicht vorgebracht wird und man sich deshalb schon am Rande des Asylrechts bewegt. Viele haben lange Jahre im Iran oder in Pakistan gelebt, wo man zwar kein „richtiges” Aufenthaltsrecht erlangen kann, wo aber oft auch die Verfolgung fehlt, die das deutsche Asylrecht zur Voraussetzung einer Anerkennung macht.

Die Bedrohungslage ist oft diffus. So gibt es Drohungen, Überfälle, Entführungen, deren Hintergrund aber oft nicht klar ist. In Afghanistan gibt es durch das Fehlen staatlicher Strukturen auch viele Drohungen und Entführungen, die „nur” zum Ziel haben, Geld zu erpressen, und sei es das von in Europa lebenden Familienangehörigen.

So geht es oftmals um die Glaubwürdigkeit des Vorbringens, wobei der Richterin und den beiden Richtern eine Ablehnung auch dadurch erleichtert wird, dass die Ausländerbehörden kaum jemanden wirklich abschieben, sondern man auch nach Ablehnung des Asylantrages zu einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen kommen kann. 2014 gab es aus Schleswig-Holstein drei Abschiebungen, alle begründet durch strafrechtliche Verurteilungen. Dennoch ist es für fast alle Beteiligten, Flüchtlinge und ihre Helfer, aber auch Behörden und Gericht unbefriedigend, denn das Verfahren selbst führt bei den meisten Betroffenen zu fünf oder zehn „verlorenen Jahren”.

Armenien

Zuständig ist die 4. Kammer, die auch für die übrigen südkaukasischen Länder und die Ukraine zuständig ist.

In Armenien wird vom Gericht, genauso wie vom Bundesamt, kaum noch eine politische Verfolgung gesehen, wie sie während des Krieges um Karabach und in den Jahren danach noch existierte. Die meisten Flüchtlinge beschränken auch ihren Antrag von vornherein auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen und legen mehr oder weniger ausführliche ärztliche Stellungnahmen vor. Die Richter wissen, dass die formell für alle vorhandene medizinische Versorgung faktisch nur erreichbar ist, wenn man Beziehungen oder Geld hat. So geht es letztlich in der Regel um die Qualität der medizinischen Gutachten, die leider sehr oft zu wünschen übrig lässt.

Irak

Zuständig ist die 6. Kammer. Die Flüchtlinge gehören verschiedenen Gruppen an, wobei die Jesiden stark überwiegen. Das hängt auch damit zusammen, dass Schiiten, Sunniten und Kurden über eigene Milizen verfügen.

Jesiden erhalten aus diesem Grund auch oft einen Abschiebeschutz, auch wenn die konkrete Verfolgung nicht „ausreichend” für eine Anerkennung ist. Denn viele, die hier sind, sind eben hier, weil sie der oft tödlichen Verfolgung entkommen sind und deshalb keine eigene Verfolgung schildern können. Seit Ende Juni werden aber (auf Anweisung des Bundesinnenministers) alle Asylanträge aus diesem Bereich anerkannt, so dass das Gericht in Zukunft weniger zu tun hat.

Auch in den Irak gibt es kaum Abschiebungen.

Türkei

Zuständig ist die 8. Kammer. Die Zahl der Flüchtlinge ist sehr gering, sie haben angesichts der Veränderungen in der Türkei auch kaum Aussicht auf Anerkennung. Zwar gibt es in der Türkei Verfolgung und auch militärische Auseinandersetzungen, die persönliche Verfolgung und Gefahr muss aber gut belegt werden.

Vorbereitung

Ein großer Teil der Flüchtlinge erscheint bei Gericht weitgehend unvorbereitet. Sie wirken unsicher und unausgeschlafen, beides die schlechtesten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verhandlung.

Anwältinnen und Anwälte sind selten in der Lage, diese Vorbereitung zu übernehmen. Die Flüchtlinge haben Probleme damit, die Finanzierung der anwaltlichen Vertretung sicher zu stellen und können nicht zusätzlich Dolmetscherinnen oder Dolmetscher für die Vorbesprechungen finanzieren. So beschränkt sich der Austausch oft darauf, mit Hilfe von „Bekannten” die Informationen zu klären.

„Fremde brauchen Freunde”, heißt einer der dienstältesten Freundeskreise für Asylbewerber in Schleswig-Holstein, der sich 1992 gebildet hat, und genau das ist der Schlüssel zum Erfolg. Der Erfolg besteht bei vielen Flüchtlingen nicht in der Anerkennung des Asylantrages, das schaffen tatsächlich nur 20 Prozent. Aber viele könnten ein Bleiberecht, einen Abschiebungsschutz erreichen, wenn sie das Asylverfahren systematisch und stets pünktlich durchführen und sich nach einer Ablehnung durch die Behörde auf die mündliche Verhandlung beim Gericht systematisch vorbereiten. Ein Besuch von öffentlichen Verhandlungen kann dafür sorgen, das Lampenfieber zurückzudrängen. Dadurch kann man sich auf die wichtigen Punkte besser vorbereiten.

Besuch beim Verwaltungsgericht in Schleswig

Der Besuch von öffentlichen Verhandlungen ist einfach:

Über die Gegenwind-Redaktion (redaktion@gegenwind.info) lässt man sich eine Liste mit Verhandlungstermine zuschicken.

Man fährt rechtzeitig hin, so dass man 10 bis 15 Minuten vor Verhandlungsbeginn dort ist. Die Justizangestellten am Tor haben stets eine aktuelle Liste der Verhandlung dort und zeigen den Weg in den Saal, in dem die Verhandlung stattfindet. Ein Aushang an der Tür informiert über den Namen von Richterin oder Richter, Klägerin oder Kläger, Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt. Das Thema wird in der Regel nur mit dem Wort „Asylrecht” oder „Feststellung von Abschiebungshindernissen” vorgestellt.

Es ist immer möglich, dass eine Verhandlung kurzfristig ausfällt. Deshalb ist es sinnvoll, sich einen Tag auszusuchen, an dem vier oder sechs Verhandlungen stattfinden - dadurch kann man auch eine bessere Übersicht zur Ansicht der Kammer zu einem bestimmten Herkunftsland erhalten.

Die Verhandlung selbst beginnt in der Regel mit einer Vorstellung des Falls nach Aktenlage. Hier gibt es Richterinnen und Richter, die sich auf ein oder zwei Sätze beschränken, andere tragen zehn Minuten lang vor. Danach haben die Flüchtlingen Gelegenheit, das zu korrigieren oder zu ergänzen, im Wesentlichen schließen sich aber Fragen des Gerichts an. Hier werden Ehepaare oft getrennt, für das Gericht eine Routine, für viele Paare unerwartet. Hier halten sich Anwältin und Anwalt auch oft zurück, geht es doch um die Glaubwürdigkeit des Berichtes, den nur der Flüchtlings selbst geben kann. Erst danach, wenn es um die „Einordnung” in die asylrechtlichen Bestimmungen geht, sind Anwälte gefragt.

Für die Besucherinnen und Besucher enden Verhandlungen oft offen, weil RichterInnen nicht immer am gleichen Tag entscheiden. Nur wer Flüchtlinge persönlich kennt, kann zwei Wochen später das Ergebnis erfahren.

Reinhard Pohl

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