(Gegenwind 315, Dezember 2014)
Eine neue Höchstspannungstrasse an der Westküste soll einen wesentlichen Bestandteil einer konfusen und fragwürdigen Energiewendepolitik bilden. Die erste rot-grüne Bundesregierung hatte die Energiewendepolitik zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht, neben diverser Finanzmarkt-Deregulierungen, der Agenda 2010, Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende und den sogenannten „Rentenreformen”. Die massive Förderung der erneuerbaren Energien war ohne Konzept erfolgt, ohne Trassenplanung, ohne Speicherung, ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf den Kraftwerkspark und ohne Berücksichtigung sozialer Folgen.
Man kann zu dem Schluss kommen, dass Entscheidungen wie diese in einem kapitalistischen System, die systembedingt jeweils wieder neue und oft schwerwiegendere Probleme auslösen, durchaus typisch sind. Zu Systemänderungen waren die verantwortlichen Akteure trotz früherer Propaganda jedoch nicht bereit oder in der Lage. Die einschlägigen Verbände waren im naiven Glauben an eine neue, bessere Politik erstarrt. Dialektisches Denken, Denken und Handeln über die spezifischen Verbandsinteressen hinaus ist vielen Akteuren bis heute fremd. Mit den im Spätsommer 2004 beginnenden neuen Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010 keimte Hoffnung auf, die neoliberale rotgrüne Politik zu entlarven, Alternativen ins Bewusstsein zu rücken und zumindest wesentliche Korrekturen zu erzwingen. Doch wieder einmal siegte das kleinbürgerliche Denken.
Abstände zu Wohngebäuden im Geltungsbereich von Bebauungsplänen (innerhalb von Ortschaften): 400 m,
Abstände zu Wohngebäuden im Außenbereich: 200 m
Abstandsempfehlungen Windenergie (Bandbreiten, die sich aus unterschiedlichen Empfehlungen der Bundesländer ergeben)
Für einige Kriterienbereiche werden von den Bundesländern keine Abstände angegeben oder es wird auf Einzelfallprüfungen hingewiesen.
Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten nennt folgende erforderliche Abstände für Schutzgebiete mit Bedeutung für den Vogelschutz einschließlich größerer Gewässer: 10-fache Anlagenhöhe, mind. jedoch 1200 m; Schlafplätze für Großvögel 3000 m (6000 m Prüfbereich)
Nachdem die politisch Verantwortlichen feststellen mussten, dass die Stromnetzkapazitäten durch den exzessiven Ausbau der Windenergie nicht nur in den betroffenen Regionen an ihre Grenzen kommen würden, musste so schnell wie möglich durch neue Gesetze, darunter ein Beschleunigungsgesetz, und in Schleswig-Holstein auch noch durch Verzicht auf Raumordnungsverfahren Anm. 1, die Planung von neuen Höchstspannungsleitungen durchgezogen werden. Zur Ruhigstellung der Öffentlichkeit und der Verbände, sollten zahlreiche Bürgerdialoge dienen. Diese Bürgerdialoge waren wiederum ausschließlich auf die Neuplanung ausgerichtet. Diskussionen über Speicherung, Begrenzung oder Abregelung von Kapazitäten waren praktisch nicht erwünscht und wurden letztlich auch nicht berücksichtigt. Mögliche Überschneidungen mit einer an der Westküste noch fehlenden Bahnstromversorgung wurden ausgeblendet. Die alternative Erdverkabelung von vorhandenen und neuen Leitungen hatten weder Planer noch das zuständige Ministerium vorgeschlagen. Die während der Bürgerdialoge vorgebrachten Vorschläge wurden wortreich abgelehnt. Als Ergebnis der Bürgerdialoge blieb die vorläufige Festlegung auf die am wenigsten konfliktreichen Trassenverläufe und die unterirdische Verlegung der Trasse, die bisher die Eider bei Tönning oberirdisch kreuzt.
Die Planfeststellungsverfahren zum Bau der Trasse und der Umspannstationen werden in vier Abschnitte aufgeteilt, die Planfeststellungsverfahren für die südlichen Teile „Brunsbüttel bis Barlt” sowie „Barlt bis Heide” sind bereits eingeleitet worden Anm. 2. Von den Verbänden hatte auch der BUND Kreisverband Dithmarschen im Dezember 2013 im Namen des BUND Landesverbandes Schleswig-Holstein im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der Öffentlichkeit am Verfahren eine Einwendung eingereicht.
Zerstörung des Landschaftsbildes mit Folgen für die Erholung, Elektrosmog, Entwertung des Eigentums, negative Folgen für die Avifauna. Der BUND stell ferner fest, dass die geplante Leitung überdimensioniert ist. Es wird als Alternative die Verlegung eines HGÜ-Erdkabels (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) gefordert. Um den Netzausbau auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß auszurichten, müsse ein Last- und Erzeugungsmanagement eingeplant werden, die zuständige Behörde hat entsprechende Prüfungen unterlassen.
Weiter wird angeführt, dass Vorsorgeabstände zur Wohnbebauung (400 Meter) nicht eingehalten worden sind. Zur Entwertung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden sowie zu Entschädigungszahlungen gibt es keine Angaben im Planfeststellungsverfahren. Gutachten, in denen die Erdverkabelung geprüft und der oberirdischen Leitungsführung gegenüber gestellt wird, liegen nicht vor. In diesem Zusammenhang wären u.a. das Tötungsverbot nach EU-Vogelschutzrichtlinie und Beeinträchtigungen bzw. Ausfälle der Stromübertragung bei Orkanen zu berücksichtigen. Schließlich werde durch eine oberirdische Trasse eine erhebliche Vorbelastung der Region geschaffen, die weitere Eingriffe erleichtern würde.
Auf seiner Delegiertenversammlung hat der BUND Landesverband Schleswig-Holstein im Sommer 2014 folgenden Beschluss gefasst. „Der BUND Landesvorstand Schleswig-Holstein wird aufgefordert, für den Neubau der 380 kV-Freileitung von Brunsbüttel bis Niebüll weiterhin ein Erdkabel im Planfeststellungsverfahren nach §§ 43 ff. des Energiewirtschaftsgesetzes (ENWG) zu fordern und dies, wenn nötig, klageweise durchzusetzen.”
Der BUND hatte sich bisher relativ moderat den Planungen und Projekten im Rahmen der Energiewendepolitik gegenüber verhalten. Stärker noch als NABU und WWF ist er über parteipolitische und andere Interessen in die Politik der Landesregierung involviert. Zusammen mit Wirtschaft, Parlamentariern, Gewerkschaften, Wissenschaft, Kommunen und anderen Verbänden sind die drei großen Naturschutzverbände Anfang 2014 in einen rund 45 Vertreter umfassenden Energiewendebeirat berufen worden, der die Energiewende- und Klimapolitik der schleswig-holsteinischen Landesregierung begleiten soll. Beratungen sollen einmal jährlich „nichtöffentlich” in den Räumen des Bildungszentrums für Natur, Umwelt und ländliche Räume in Flintbek stattfinden.
Eine Überprüfung der Trassenkonzeption sollte auch eine verfassungsrechtliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit der massiven, teilweise flächendeckenden Eingriffe durch Windenergieanlagen und Trassen der Landschaft und ihre Wirkungen auf die Orts- und Stadtbilder einschließen. Die Gesetzgeber hatten noch vor der Ergänzung des § 20 des Grundgesetzes (§ 20a, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) Eingriffe in die Landschaft durch Baumaßnahmen gemäß § 35 des Baugesetzbuches (Bauen im Außenbereich) nicht ohne Grund stark eingeschränkt. Das Bundesnaturschutzgesetz gilt auf der gesamten Fläche und nicht nur in besonderen Schutzgebieten. Dass geradezu gewaltige Eingriffe (Windenergieanlagen bis 200 Meter Höhe, Trassenmasten bis 65 Meter, bei Flussüberquerungen deutlich höher) inzwischen vielerorts erfolgt sind, darf kein Grund sein, weitere derartige Eingriffe hinzunehmen. Unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch, dass prinzipiell keinerlei Höhenbeschränkungen vorgesehen und auch keine Maßstäbe zur Festlegung der Höhe vorgesehen sind. Lediglich Abstände, etwa zur Bebauung, werden vorgegeben. Im Rahmen der Reform des Erneuerbare- Energien-Gesetzes hat Bayern durchgesetzt, dass die Länder die Abstände zu Siedlungen durch Nichtanwendung der in § 35 Absatz 1 Nr. 5 des Bundesbaugesetzes vorgesehenen Ausnahmen für die Windenergienutzung festlegen können Anm. 3. Bayern, ein Bundesland mit bisher relativ wenigen Großwindenergieanlagen, will die Mindestabstände auf 2000 Meter festlegen. Geradezu absurd, wenn Eingriffe in die Landschaft (Höchstspannungsmasten an der Westküste) durch das Anpflanzen bzw. Umpflanzen einer größeren Anzahl von Wasserpflanzen, der geschätzten „Krebsschere”, ausgeglichen werden sollen, die von einer Libellenart als Lebensraum bevorzugt wird.
Zukünftige Generationen haben auch einen Anspruch auf unzerstörte Landschaften und eine sich positiv entwickelte Baukultur Anm. 4. Das kulturelle Erbe darf nicht der Beliebigkeit geopfert werden. Verantwortliche wie beispielsweise der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter, agieren leider verantwortungslos in diese Richtung. Die Energie- und Klimaprobleme lassen sich auf andere Art und Weise lösen, durch eine Umstellung auf eine ressourcen- und energieschonende, antikapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise.
Klaus Peters