(Gegenwind 314, November 2014)
Die Tarife für Bus und Bahn in Schleswig-Holstein sind teurer als sonst in Deutschland. Das gibt auch die verantwortliche LVS zu. Die dafür versprochene hohe Service-Qualität löst sie zumindest an der Westküste nicht ein. Die dünn besiedelten Gebiete überlassen Experten und Lizenznehmer dem Trend gehorchend austrocknen, das Netz West im Schienenverkehr des Landes konzentriert sich auf die Fernverbindung von Hamburg nach Westerland.
Am Montag, dem 22. September, referierte Burkhard Schulze von der Landesweiten Verkehrsservice Gesellschaft Schleswig-Holstein LVS vor dem Logistikforum der egeb, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Landkreise Dithmarschen und Steinburg. Die LVS ist zuständig für den Zugverkehr im Land. Mit einem Jahr Verspätung soll das Netz West ab Fahrplanwechsel im Dezember 2016 neu vergeben werden. Das Netz West besteht ausschließlich aus der Marschbahnstrecke von Hamburg nach Westerland. Verbindungen, die die Interessen der Westküste unmittelbar betreffen, gehören zu anderen Netzen aus Sicht der Bahnlobbyisten in Kiel und Hamburg. So wird die Strecke Hamburg-Itzehoe zum Netz Mitte (Hamburg-Flensburg) gerechnet, die Strecke Büsum-Heide-Neumünster, die vollständig im Holsteinischen Landesteil liegt zum Netz Nord, ebenso wie die Strecke St. Peter-Ording - Husum - Kiel. Sowohl Pro-Bahn-Lobbyisten wie auch Immobilienspekulanten sehen den Hauptzweck dieser Bahnverbindung darin, den Nachwuchs für die Party auf Sylt möglichst schnell von Hamburg nach Sylt zu transportieren, die Interessen der strukturschwachen Fläche werden von Linken ebenso belächelt wie von rechten Landespolitikern. Ob ihnen das Lächeln vergeht, wenn die Spekulationsblase Nordfriesische Inseln platzt?
Bürkhard Schulze stellte die Ziele dar, die die LVS bei der Vergabe des Netzes West verfolgt. Ab Fahrplanwechsel 2014 wird die nordbahn die Regionalbahn von Hamburg Hauptbahnhof nach Itzehoe (Netz Mitte) betreiben. Hier sollen modernere Triebwagen eingesetzt werden, die eine um 100 Sitzplätze höhere Kapazität aufweisen. Zum Fahrplanwechsel 2016 soll dann auch der Betrieb der Strecken Hamburg-Westerland sowie Itzehoe - Heide /Husum neu vergeben werden. Die Züge bleiben die gleichen wie bisher, nur die Fahrpläne sollen sich ändern. Aus dem Publikum wurde kritisiert, dass die LVS den Schwerpunkt darauf legt, dass die Menschen aus der Region in die Metropole Hamburg gebracht werden. Auf den Transport in die Gegenrichtung werde nicht so viel Wert gelegt. Dies stritt Schulze für die LVS zwar ab, aber er musste eingestehen, dass Züge morgens leer von Hamburg in die Provinz fahren, um dann in der Gegenrichtung den Fahrplan zu bedienen. Abends wiederholt sich der Vorgang in der Gegenrichtung. Der Arzt, der von Hamburg nach Glückstadt pendelt, hat das Nachsehen.
Die Regionalexpresslinie Altona-Westerland wird in Zukunft nicht mehr in Glückstadt halten. Dort wird dann nur noch die Regionalbahn nach Hamburg Hauptbahnhof halten. Wegen der Verbesserungen auf dieser Linie sei dies ein Vorteil, zumal sich die Fahrzeit ins Zentrum Hamburgs verkürze. Die LVS könne durch die Streichung des Halts einen Zug im Westerlandverkehr einsparen, weil die Züge dann sofort wieder zurückfahren können und nicht mehr in Altona ausgesetzt werden müssen. Für die Neuvergabe der Lizenz auf der Marschbahn sind acht Betreiber angesprochen worden und die LVS hofft, dass möglichst viele Verkehrsunternehmen für den Betrieb bieten. Bleibt abzuwarten, welche Firma LVS und Hamburger Hochbahn in Zukunft puschen wollen.
Für die Bahnfahrer, die in Wilster, Burg (Dithmarschen), St. Michel und Meldorf einsteigen, sollen sich die Anschlüsse nach Norden verbessern. Wenn sie nach Hamburg fahren, steigen sie nicht mehr in den Regional-express nach Altona um, sondern in die neue nordbahn nach Hauptbahnhof. Trotz der vielen Stationen unterwegs ist die Verbindung ins Hamburger Zentrum dann schneller als der Umweg über Altona. Durch diese Veränderung kann die Pendelbahn zwischen Itzehoe und Heide dann Richtung Norden Anschluss an den Westerländer bekommen, so dass auch die Anschlüsse in Heide nach Büsum und in Husum nach St. Peter-Ording und Kiel besser werden. Außerdem will die LVS eine Studie in Auftrag geben, die die Chancen für eine Elektrifizierung der Strecke bis Heide ausloten soll. Die Regionalbahn von Hamburg könnte dann bis Heide durchfahren, Lokwechsel für den Regionalexpress und IC-Züge seien in Heide möglich.
Burkhard Schulze räumte in Itzehoe ein, dass Bus und Bahn in Schleswig-Holstein sehr teuer seien. Das DB-Länderticket wurde in der Diskussion kritisiert, es sei in dem kleinen Land Schleswig-Holstein fünf Euro teurer als im größeren Niedersachsen. Es sei zwar auch in ganz Mecklenburg gültig. Warum eine Fahrt aus Schleswig-Holstein nach Hamburg unterm Strich genau so viel kostet wie von Westerland nach Swinemünde, konnte niemand plausibel erklären. Burkhard Schulze gab bekannt, dass das DB-Länderticket künftig stärker in den Tarif des Bundeslandes integriert werden solle. Es füge sich mit seinem hohen Preis in den teuren nah.sh-Tarif ein. Dieses Eingeständnis war bisher kaum zu hören, die Refernten der LVS bissen verkniffen die Lippen zusammen, wenn sie diesen Vorwurf zu hören bekamen. Was also ist der Grund dafür? Der Grund für die überaus hohen Preise in Schleswig-Holstein seien in der hohen Qualität zu finden, so der Planer von der LVS. Nun ja, dieses hohe Niveau wird jedenfalls von der Nord-Ostsee-Bahn nicht erreicht, die zwischen Itzehoe und Heide einfach Züge streicht, wenn man in Itzehoe den Satz hört: „Guck mal, das Rücklicht ist schon wieder kaputt!” Oder dass es dort keine Zugbegleiter mehr gibt, wenn die NOB den Wettbewerb im Fernverkehr aufnimmt. Dann lauern einige Fahrgäste vor den Automaten, aber wenn kein Schaffner kommt ... Immerhin kommen 43% der Einnahmen aus dem Fahrscheinverkauf, wirkt das schon wie Boykott des Nahverkehrs, wenn die Schaffner fehlen.
Wirft man einen Blick auf die Entwicklung der Kosten, könnte darin ein weiterer Hinweis versteckt sein. Denn von 2002 bis 2012 stiegen die Kosten für das Schienennetz schneller als alle anderen Kosten. Sie fressen jetzt über 70% aller Regionalisierungsmittel, zehn Jahre vorher waren es nur 58% gewesen. Für die Streckenkosten, so Schulze, seien für die nächsten Jahre Preiserhöhungen von drei Prozent angekündigt. Das ist mehr als die durchschnittlichen Preissteigerungen von 2,34% in den letzten Jahren. Das heißt im Klartext: Die Kosten für das Schienennetz treiben die Preise für Bus und Bahn nach oben. In den letzten zehn Jahren konnte das teilweise durch das Drücken der Preise für den Betrieb der Strecken kompensiert werden. Aber spätestens nach den Streiks gegen NOB und nordbahn dürfte jedem deutlich geworden sein, dass weitere Einsparungen durch Lohndrückerei und verstärkte Ausbeutung nicht mehr durchzusetzen sind. Die Preise für Bus und Bahn werden also deutlich steigen. Der Ausbau des Schienennetzes hat also Grenzen, nämlich finanzielle. Um die Fläche zu versorgen, haben Busse Vorteile zumindest für diejenigen, die für eine Fahrkarte zum Schleswig-Holstein-Tarif nicht so tief in die Tasche greifen können wie Erste-Klasse-Kunden, die bei der LVS oder in der Landeregierung arbeiten.
Es gibt zusätzlich zu den teuren nah-sh-Preisen kalte Preiserhöhungen, die ausschließlich Provinzmenschen betreffen, weil Busverbindungen mit Hinweis auf Bahnlinien gestrichen werden. So kostet eine Fahrkarte von Meldorf nach Kiel auf direktem Weg mit dem Bus 18 €. Die Busverbindung ist aber ausgedünnt worden, weil es heutzutage ja ungeheuer komfortable Bahnverbindungen über Husum oder Elmshorn gibt. Deswegen berappt mensch 26,80 € für die Bahnlinie, also knapp 50% mehr als der direkte Weg mit dem Bus. In der Fläche ist der Nutzen der Bahnanbindung also begrenzt. Besonders deutlich wurde dies durch eine Grafik, die Burkhard Schulze für den angedachten Bahnanschluss von Kellinghusen zeigte. Es sei aus Befragungen und Untersuchungen bekannt, dass eine neue Bahnstation einen Einzugsbereich von 500 Metern rund um diese Station hätte. Eine neue Bahnstation in Kellinghusen würde demnach noch nicht einmal alle 7800 Menschen erreichen, die in Kellinghusen wohnen. In der Provinz ist der Bus also effizienter als der Neubau von Bahnstrecken.
In der Ausschreibung des Westnetzes soll außerdem abgefragt werden, was eine Zuganbindung in das Industriegebiet Brunsbüttel kosten würde. Alternativ wird eine Schnellbusverbindung abgefragt, die nach den Plänen der LVS nicht über das Industriegebiet östlich des Kanals, sondern durch das Stadtgebiet geführt werden soll. Den Versuch eines Schnellbusses hatte es schon einmal gegeben, der wurde aber sehr schnell wieder eingestellt. Seinerzeit hatte die veolia-Tochter Nord-Ostsee-Bahn den Betrieb des Westnetzes übernommen und sich selbst wohl auch, denn nach und nach versuchte sie allerlei Pflichten abzuschütteln und verlangte von Reisenden zeitweise sogar Zuschläge auf Fernfahrkarten. Wegen der höheren Effizienz von Buslinien im ländlichen Raum bat der Leitende Kreisverwaltungsdirektor Dithmarschens Christian Rüsen die LVS, im ländlichen Raum auch Busverbindungen in das Kalkül einzubeziehen.
Christian Sternberg
Wohnprojekt frische bauern, Meldorf