(Gegenwind 312, September 2014)


„... hier ist nicht der Iran, hier ist alles sicher.”

Interview mit Niayesh Najafi

In diesem Jahr werden doppelt so viele Flüchtlinge in Deutschland Asyl beantragen wie 2013. Grund sind die zunehmenden Kriege, vor allem in Syrien, Irak und Afghanistan, aber auch die zunehmende Diskriminierung von Minderheiten, wie in Russland oder Serbien. Doch es sind nicht nur Zahlen, es sind Menschen. Wir trafen Niayesh Najafi, die als Flüchtling aus dem Iran kam und in Neumünster Asyl beantragte. Sie wartet noch auf eine Antwort.

Gegenwind:

Du bist aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Wie war Dein Leben im Iran? Weshalb konntest Du dort nicht mehr leben?

Niayesh Najafi:

Wir waren im Iran politisch engagiert. Meine Mutter hat im Iran Jura studiert und sich engagiert, deshalb bekamen wir Probleme. Ich war auch engagiert. Für eine 19-jährige ist es im Iran schlimm, ich wollte und konnte dort nicht mehr leben. Die Frauen dürfen dort nicht alles machen, sie sollen auf die Eltern oder andere aus der Familie warten, die sagen, was sie machen sollen. Die Frauen oder Mädchen sollen dort nicht selbst entscheiden, was sie wollen. Es gibt Mädchen im Iran, die sehr intelligent sind. Sie wollen studieren, sie wollen einen Beruf haben und arbeiten, sie wollen nicht heiraten, oder sie möchten selbst entscheiden, wen sie heiraten und wann. Das dürfen sie aber nicht.

Wir haben in einem kleinen Ort im Süden des Iran gelebt. Dort lebten vor allem arabische Leute, meistens strenge Muslime. Sie haben ihren eigenen Töchtern nichts erlaubt, auch ihren Frauen nicht, ihren Schwestern nicht. Alles wurde vorgeschrieben.

Gegenwind:

Heißt das, auch die Nachbarn haben kontrolliert, wie Ihr lebt?

Niayesh Najafi:

Das kommt auf die Nachbarn an. Die Polizei kontrolliert, aber manche Nachbarn auch. Wir hatten dort Bekannte, die haben mich mal mit einer Halskette gesehen, an der ein kleines Kreuz hing. Sie haben mich sofort angehalten und gefragt, ob ich keine Muslima bin. Ich habe gesagt, nein, ich möchte über meine Religion selbst entscheiden. Sie haben das Kreuz gepackt und die Halskette abgerissen. Sie haben mir gesagt, ich käme vom Teufel. Es gibt viele, die mich auf der Straße kontrollieren, die meine Kleidung kritisieren, die wollen, dass ich ein Kopftuch trage oder einen Hidschab.

Gegenwind:

Gab es Freundinnen, mit denen Du offen sprechen konntest?

Niayesh Najafi:

Ja, Freundinnen gab es. Mit Freunden ist es schwieriger, im Iran darf man sich nicht mit Jungen treffen oder mit ihren sprechen. Trotzdem hatte ich auch Freunde, aber heimlich. Mein Vater war ganz offen und liberal. Mein Vater hat mir immer gesagt, ich dürfte machen, was ich will. Er hat mir gesagt, ich soll Freunde finden, ich soll einen Beruf aussuchen, ich soll Sprachkurse suchen. Er wollte immer, dass ich studiere.

Ich habe zwei gute Freundinnen. Mit denen habe ich über Facebook bis heute Kontakt. Sie fragen mich jetzt, wie es in Deutschland ist, ob ich hier glücklich bin, und ich antworte: Ja. Ich bin jetzt glücklich. Sie haben geschrieben, sie wollen auch nach Deutschland, sie können auch im Iran nicht mehr leben.

Gegenwind:

Wie ist es mit Facebook im Iran?

Niayesh Najafi:

Eigentlich gibt es das nicht, das ist im Iran verboten. Das ist sowieso schwierig. Man kann im Iran im Internet längst nicht alles suchen. Wenn Du hier in Deutschland ein Wort eingibt, dann kommen Fotos und Texte, was Du willst. Das ist im Iran nicht so. Es gibt auch kein Facebook, und viele andere Sachen sind auch verboten.

Gegenwind:

Wie seid Ihr nach Deutschland gekommen?

Niayesh Najafi:

Das war eine aufregende Geschichte. Ich habe sie hier schon erzählt, aber es gab Leute, die glauben das nicht. Eine Freundin hat mir gesagt, es wäre unglaublich. Wir sind mit dem Auto, dann mit einem LKW in die Türkei, teils mit einem Bus, eine Strecke auch zu Fuß. Wir hatten dann in der Türkei die Hilfe von einem Schlepper oder Fluchthelfer. Fluchthelfer klingt netter, aber die sind nicht nett. Zu uns waren sie nicht nett. Wir haben Geld bezahlt.

Gegenwind:

Kannst Du noch erzählen, warum Ihr aufgebrochen seid?

Niayesh Najafi:

Wir waren zu Besuch in Teheran, bei einem Onkel. Dort hat unsere Nachbarin von zu Hause angerufen und meiner Mama erzählt, dass die Polizei gerade in unserer Wohnung ist. Sie hat erzählt, dass die Polizei etwas sucht. Meine Mutter entschied, dass wir nicht zurück können, sondern den Iran verlassen müssen. Mein Onkel hat uns dann aus der Stadt gebracht, ich weiß nicht den genauen Weg. Ich hatte Angst, es war einfach viel Stress. Wir waren dann in einem Kleinbus, dann zu Fuß.

Gegenwind:

Und wie seid Ihr nach Europa gekommen?

Niayesh Najafi:

Das war in einem LKW. Wir sind zwei oder drei Tage gefahren, das weiß ich nicht genau. Der Fluchthelfer hatte uns Schlaftabletten ins Wasser getan, damit wir keine Geräusche machen, falls es an der Grenze Kontrollen gibt. Ich glaube, im Essen waren auch Tabletten. Ich bin einmal aufgewacht, habe meine Mutter gesucht, aber bin wieder eingeschlafen. Ich glaube, wir waren auch auf dem Wasser, es hörte sich so an. Aber ich habe vor allem geschlafen.

Und dann waren wir irgendwann in Belgien, und dort hat die Polizei uns gefunden. Dort haben sie uns Fingerabdrücke abgenommen. Zum Glück hat Belgien später einen Brief geschrieben, den hat unser Anwalt, dass wir nicht nach Belgien zurück kommen sollen.

Wir waren zwei Tage in Belgien. Unser Fluchthelfer hat gesagt, wir können dort bleiben. Aber dann haben wir mit dem Fluchthelfer telefoniert, er hat uns gesagt, wir sollen nie was über ihn erzählen, nie sagen, dass er uns geholfen hat. Er hat uns dann abgeholt und in ein anderes Land gebracht. Erst wollten wir nach England, weil meine Tante dort ist, aber gottseidank sind wir hierher gekommen.

Er hat uns mit dem Auto gefahren, und dann waren wir in Dortmund. Er hat uns aus dem Auto weggeschickt, hat uns vorher alles Geld abgenommen. Meine Mama hat gefragt, wo sind wir, denn wir wussten nicht. Wir haben dann zwei Mädchen gefragt, in welchem Land wir sind. Mein Bruder dachte, wir sind in England, aber ich habe gesagt, das glaube ich nicht. Es gab keine englischen Wörter an den Geschäften. Die Mädchen hatten Kopftücher, die haben uns gesagt, wir müssen zur Polizei gehen, wenn wir Flüchtlinge sind. Ich habe gefragt: „Ist hier England?” Sie hat gesagt: „Was? England? Nein, Ihr seid in Deutschland”. Ich habe das nicht verstanden, dann hat sie gesagt: „Germany”. Meine Mama hat gesagt, das ist okay. Mein Bruder war sehr krank, hatte Herzprobleme. Wir haben beim Hauptbahnhof eine Polizeistation gefunden.

Bei der Polizei war eine Frau, ich habe auf englisch gesagt, wir wollen Asyl. Ich habe gefragt, was wir machen sollen. Ich habe sie auch gefragt, ob wir eine Chance haben. Aber die waren sehr aufgeregt, denn andere Moslems hatten gerade eine Bombe gelegt.

(Anmerkung: Am 10. Dezember 2012 gab es einen versuchten Bombenanschlag von Salafisten auf dem Bahnhof Bonn. Vermutlich war deshalb die Bundespolizei auf dem Bahnhof Dortmund im Alarmzustand. Red.)

Sie haben uns wohl deshalb zum Gefängnis gebracht. Mein Bruder wurde sofort mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht, meine Mutter und ich mussten bleiben. Ich habe aber eine Phobie, ich kann nicht in einer kleinen Zelle bleiben. Die Zelle war klein, ich habe geweint, ich habe gesagt, ich kann da nicht bleiben. Es gab dort eine Klingel in der Zelle, ich habe dreißigmal oder vierzigmal geklingelt. Ich habe geweint, habe gesagt, ich kann da nicht bleiben. Eine Frau war da, unfreundlich, sie hat gesagt, das ist mein Problem, ich muss jetzt bleiben. Ich habe einem jungen Polizisten gesagt, Du musst mir helfen. Er hat gesagt „Ich helfe Dir”. Er hat zur Frau gesagt, Du darfst nicht so mit ihr sprechen. Er hat dann die Tür offen gelassen, so dass ich Licht sehen und atmen konnte.


Nach ein paar Stunden haben sie uns in ein anderes Gefängnis gebracht. Sie haben mich mit Handschellen gefesselt. Für mich war das schlimm. Sie haben mir alles weggenommen, Uhr und Schmuck, und mich in ein kleines dunkles Zimmer gebracht. Ich habe gesagt, ich kann nicht, ich habe eine Phobie. Ich habe geweint. Sie haben mich dann mit Handschellen an das Bett gefesselt, jede Hand einzeln an einer Ecke. Ich konnte nicht mal auf die Toilette. Mama war gegenüber, sie hat gerufen: „Nia, bist Du okay?” Ich habe zurückgerufen: „Ja, ich bin okay.” Sie sind dann gekommen und haben gesagt, Ihr dürft nicht sprechen. Meine Mama wusste auch nicht, dass ich mit Handschellen gefesselt war. Sie war ganz ruhig, sie ist ohne Handschellen in die Zelle gebracht worden. Meine Mama hat immer gesagt, ich soll ruhig sein, hier ist nicht der Iran, hier ist alles sicher.

Am nächsten Mittag war ein Dolmetscher da, sie haben dann mit uns gesprochen. Sie haben sich entschuldigt, dass sie das mit uns gemacht haben. Sie haben erklärt, dass Moslems eine Bombe gelegt haben. Sie haben gesagt, es tut ihnen leid. Wir sollten dann nach Dortmund-Hacheney ins Asylcamp. Dorthin sind wir gegangen, und dort waren wir eine Woche lang und wussten nicht, wo sie meinen Bruder hingebracht haben. Sie sagten uns, wir müssen da bleiben. Wir bekamen einen Ausweis, aber wir durften nicht einfach spazieren gehen. Wir mussten immer Bescheid sagen, ich möchte jetzt spazieren gehen.

Wir waren in einem Zimmer, meine Mutter und ich. Dort gab es eine Gruppe, die haben uns geholfen. Da war eine arabische Frau, die anderen waren Deutsche. Die haben telefoniert, die haben herausgefunden, wo mein Bruder ist, und dann konnten wir endlich mit meinem Bruder telefonieren. Er sagte, dass er glaubte uns nie wiederzusehen, er glaubte, dass er uns verloren hat.

Nach einer Woche kam mein Bruder wieder zu uns. Dann bekamen wir ein Papier, dass wir nach Neumünster müssen.

Gegenwind:

War es im Flüchtlingsheim in Neumünster anders als in Dortmund?

Niayesh Najafi:

Es war anders. Neumünster war besser. In Dortmund gab es keinen Schlüssel für unsere Tür. In Neumünster hatten wir ein Zimmer, nur acht oder zehn Quadratmeter mit drei Betten. Wir hatten einen Schlüssel, und das Personal war sehr nett. Sie haben uns geholfen. Es war ein Asylheim, wir durften nicht alles machen. Wir durften nicht selbst kochen, wir mussten in den Essensraum. Aber es war besser als in Dortmund, ich glaube, da kann man nicht zwei Wochen leben. Wir waren zum Glück nur eine Woche da.

In Neumünster waren wir fast drei Monate. Wir waren länger da als andere Familien.

Gegenwind:

Hast Du dort auch Deutsche kennen gelernt?

Niayesh Najafi:

Ja. Das waren erst die Leute, die da arbeiten. Aber wir waren dann auch gegenüber in der Kirche, dort habe ich mich taufen lassen. Wir waren am Sonntag im Gottesdienst, und manchmal auch Donnerstag, da haben sich Flüchtlinge getroffen. Ich kannte im Iran schon Christen, ich hatte dort eine Freundin, die Christin war. Die Familie von meiner Freundin hatte mir eine Bibel geschenkt, auf Persisch. Da habe ich viel gelesen und meine Mutter davon erzählt.

In Neumüster habe ich gefragt, wo eine Kirche ist, in der Nähe, denn wir müssen zu Fuß gehen. Sie haben gesagt, das ist gegenüber vom Asylheim, und die beten jeden Sonntag und singen auch. Wir sind dann jeden Sonntag gegangen, und ich war auch im Kirchenchor. Sie spielen dort auch Klavier und Gitarre, aber ich habe gesungen.

Ich bin dann zwei Wochen in einen Sprachkurs gegangen, das hat sehr geholfen. Ich weiß nicht, von wem das war. Das war eine Lehrerin, ich habe den Namen vergessen. Aber ich glaube, das war vom Roten Kreuz. Jetzt kann ich Deutsch sprechen, nicht so gut, aber ich kann das. Aber die ersten Wörter habe ich in Neumünster gelernt. Ich konnte schon Englisch, ich kannte auch die Buchstaben. Ich habe acht oder neun Jahre Englisch in der Schule gehabt. Aber man lernt das im Iran nur mit Büchern, ich kann nicht so gut sprechen.

Gegenwind:

Wo ist Dein Vater?

Niayesh Najafi:

Er konnte nicht mit. Er war ja nicht in Teheran, und wir mussten sofort flüchten. Er musste da bleiben, und jetzt kann er nicht kommen, er hat auch Probleme dort. Nachdem wir geflohen sind, ist mein Cousin hingerichtet worden. Und alle von der Familie, die noch da sind, haben Probleme.

Gegenwind:

Hast Du noch Kontakt?

Niayesh Najafi:

Ja, wir telefonieren manchmal, über Skype. Aber es geht nicht so gut, wir können nicht sagen, was wir machen. Mein Vater will fragen, ob wir in die Kirche gehen, aber er darf nicht „Kirche” auf persisch sagen. Wir sind hier in der Kirche mit Gisela zusammen, sie hat uns viel geholfen, sie ist ein Engel. Wir sagen dann, wir sind zu Gisela gegangen, und dann weiß er, wo wir waren. Und wenn Mama über die Religion redet, dann sage ich immer auf Deutsch „Vorsicht, Mama”. Es ist im Internet gefährlich.

Gegenwind:

Wie war Deine Anhörung im Asylverfahren?

Niayesh Najafi:

Das war gut, Ich war bei einer Frau, Frau Liebner. Sie hat richtig zugehört. Ich habe gesagt, dass wir viel Stress hatten. Sie hat gesagt, ich soll was trinken, ich soll ganz ruhig erzählen. Sie hat mich gefragt, was ich in Deutschland machen möchte. Ich habe gesagt, ich möchte Jura oder Medizin studieren. Sie hat gesagt, hier in Deutschland darf ich alles machen. Sie hat auch gesagt, sie weiß, wie es im Iran ist, aber ich sollte von mir erzählen.

Gegenwind:

Wie bist Du dann nach Schacht-Audorf gekommen?

Niayesh Najafi:

In Neumünster hängen immer Zettel an der Tafel, da steht, wer gehen soll und wohin wir gehen sollen. Bei uns stand „Rendsburg”, wir haben einen Ticket bekommen, das war schon bezahlt. Wir kamen nach Rendsburg, und wir sind zur Ausländerbehörde gegangen. Dort wurde gesagt, Ihr seid nicht in Rendsburg, aber in der Nähe. Wir mussten erst in die Kaiserstraße, Herr Hoque hat gesagt, dass die Ausländerbehörde nicht mehr geöffnet hat. Mama hat geweint, weil da so wenig Platz war. Aber er hat gesagt, es ist nur für eine Nacht, und morgen kommt Ihr in eine eigene Wohnung.

Gegenwind:

Wie wohnt Ihr jetzt?

Niayesh Najafi:

Das ist gut. Wir haben drei Zimmer, und wir haben gute Nachbarn. Gegenüber wohnt eine Frau, die alleine wohnt, die laden wir ein. Und ich habe in der Volkshochschule Deutsch gelernt. Ich musste das selbst bezahlen, aber die waren ganz nett. Die haben gesagt, ich kann jeden Monat etwas bezahlen, so viel Geld wie ich bezahlen kann.

Gegenwind:

Wie lange wartest Du auf die Antwort vom Bundesamt?

Niayesh Najafi:

Die Anhörung war im Februar 2013. Ich warte jetzt 17 Monate.

Gegenwind:

Was erwartest Du? Und was willst du hier machen?

Niayesh Najafi:

Ich weiß nicht, was für eine Antwort kommt. Man kann das nicht sagen, man muss warten. Aber wenn die Antwort nicht negativ ist, will ich Medizin oder Jura studieren. Meine Mama hat gesagt, ich habe auch Jura studiert, das kannst Du auch. Aber hier haben uns so viele Leute geholfen, ich möchte später auch anderen helfen. Das ist meine Idee.

Gegenwind:

Vielen Dank.

Interview: Reinhard Pohl

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