(Gegenwind 310, Juli 2014)

Straßenfest und Kundgebung „Birlikte”
Die Fotos zeigen das Straßenfest und Kundgebung „Birlikte”, Pfingsten 2014 in der Keupstraße in Köln zum 10. Jahrestag des Bombenanschlags
(Fotos. A. Hoffmann)

„Die Bundesanwaltschaft versucht, möglichst wenig Aufklärung zuzulassen.”

Interview mit Rechtsanwalt Alexander Hoffmann über den NSU-Prozess in München

Seit über einem Jahr stehen in München fünf Personen vor Gericht, angeklagt wegen Mordes und Beihilfe. Die bekannteste Angeklagte ist Beate Zschäpe, einzige Überlebende des NSU-„Trios”. Es geht um zehn Morde an Einwanderern und einer Polizistin. Alexander Hoffmann vertritt eine Nebenklägerin, die beim Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße verletzt wurde. Kurz nach Beginn des Prozesses haben wir ihn schon einmal interviewt (Gegenwind 297, Seite 15: „Es wird eine zähe, langsame Beweisaufnahme”, Juni 2013).

Gegenwind:

Der Prozess begann ja mit einem Streit und einer Verschiebung, es ging um die Verteilung der Presseplätze. Sind jetzt die knappen Presseplätze immer besetzt? Oder hat das Interesse nachgelassen?

Alexander Hoffmann:

Natürlich sind sie nicht alle immer besetzt. Es sind regelmäßig Plätze frei, auch für das normale Publikum. An Tagen, an denen ein besonderes öffentlichen Interesse da ist, sind die Plätze auch mal voll. Es bleibt ja dabei, dass die ursprünglich vergebenen Plätze einen Platz sichern. Aber alle JournalistInnen, die damals nicht zum Zuge gekommen sind, müssen sich hinten anstellen, wenn es mal voll ist. Sie müssen dann warten, bis ein Platz frei wird. Das war ja am Anfang ein eindeutiger Fehler des Gerichts, das hat sich jetzt alles beruhigt, es stellt kein Problem mehr dar.

Gegenwind:

Als Zeitungsleser hat man den Eindruck, es ist alles durcheinander. Mal kommt ein Zeuge zu diesem Thema, mal eine Zeugin zu einem anderen Thema. Von außen ist nicht erkennbar, wie der Richter agiert. Wie agiert der Richter?

Alexander Hoffmann:

Zu diesem Durcheinander ist es ursprünglich deswegen gekommen, weil der Richter nach dem Prozessauftakt im Mai / Juni bis Oktober des letzten Jahres gedacht hat, er könnte die Beweisaufnahme sehr schnell durchführen. Er hat sehr viele Zeugen für einen einzelnen Verhandlungstag geladen. Dann haben die ganz normalen Verzögerungen bei der Befragung durch viele Beteiligte dazu geführt, dass das nicht funktioniert hat, viele Zeugen mussten unverrichteter Dinge nach Hause geschickt werden und wurden dann irgendwann später neu geladen. Damit gibt es keine richtige Reihenfolge mehr. Der Richter hat einen Plan verfolgt, und den verfolgt er noch immer, allerdings geht das nicht immer auf. Er hat zuerst, also im ersten dreiviertel oder ganzen Jahr, die einzelnen Morde abgearbeitet. Die sind im Wesentlichen jetzt auch abgearbeitet. Das klingt natürlich ein bisschen kalt. Es bedeutet aber, dass man den Tatort, die Todesweise, die Obduktionsbilder, die Tatzeugen, die Tatwaffen, alles das in jedem einzelnen Fall durcharbeitet. Das ist jetzt geschehen, im Wesentlichen für alle Morde. Wir arbeiten immer noch an dem Fall Kassel, wo es mit der Anwesenheit des Verfassungsschutz-Mitarbeiters Temme am Tatort besondere Probleme gibt, weil er mit Rückendeckung seiner Behörde angibt, nichts gesehen und gehört zu haben. Da hören wir jetzt weitere Verfassungsschutz-Mitarbeiter. Auch der Fall Heilbronn mit der ermordeten Polizeibeamtin Kiesewetter und dem schwer verletzten Polizeibeamten ist noch nicht abgeschlossen. Im Wesentlichen ist die Beweisaufnahme zu den Morden aber abgeschlossen.

Wir sind jetzt mitten drin in der Beweisaufnahme zum Thema „terroristische Vereinigung”. Wir sind also dabei herauszuarbeiten: Wie ist der NSU entstanden? In welchen politischen Gruppen waren Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und die anderen Angeklagten und Unterstützer aktiv? Wie kam es zur Gründung einer Gruppe mit dem Ziel, Menschen umzubringen? Welche Unterstützung gab es? Wer hat Waffen besorgt? Es ist überhaupt noch nicht abzusehen, wann wir dies abschließen können. Auch hier gab es etliche Verzögerungen dadurch, dass einzelne Zeugen sich auf ein Schweigerecht berufen haben, was dann noch überprüft werden musste, oder dass das Gericht Zeugen ohne nachvollziehbaren Grund keine Anwälte als Zeugenbeistände genehmigt hat, und die dann auf einem Anwalt beharrt haben. Da hat sich einiges verzögert. Ursprünglich wollte der Vorsitzende das alles im Juni oder Juli abschließen. Wir werden mit Sicherheit bis zur Sommerpause ab dem 8. August damit nicht fertig sein. Parallel dazu haben wir jetzt in den letzten zwei Wochen den ersten Kölner Bombenanschlag in der Probsteigasse behandelt. Dieser Bombenanschlag ist überwiegend abgearbeitet. Ich gehe deswegen davon aus, dass irgendwann zwischen September und November die Keupstraße, also der zweite Bombenanschlag in Köln im Jahr 2004, drankommen wird. Da wird man parallel auch immer noch Zeugen zur Frage der terroristischen Vereinigung hören. Die Keupstraße war ursprünglich geplant noch für den Juli, sie wird jetzt nach hinten geschoben. Ich kann nicht einschätzen, ob es September oder später wird. Wir wissen auch noch nicht, in welchem Umfang der Vorsitzende hier Geschädigte vorladen wird. Ich nehme aber an, dass das bis zum Herbst angefangen und dann auch abgeschlossen wird.

Es wird dann noch eine Zeit kommen in der zweiten Jahreshälfte, vielleicht auch noch bis Anfang 2015, in der alle Zeugen gehört werden, die im bisherigen Verhandlungsjahr ausgefallen sind. Das wird für die Öffentlichkeit gar nicht mehr nachzuvollziehen sein, weil wir da tatsächlich auch an einzelnen Verhandlungstagen weite Sprünge zwischen verschiedenen Taten und Bereichen der Beweisaufnahme machen werden.

Und dann muss man eigentlich auch einen großen Teil der Banküberfälle abarbeiten. Diese Reihenfolge wäre es also, wenn denn alles so klappt, wie es jetzt geplant ist.

Gegenwind:

Wie agiert der vorsitzende Richter? Darf die Nebenklage alle Fragen an Zeugen stellen, die sie stellen möchte, oder wird da eingeschritten und beschränkt?

Alexander Hoffmann:

Einerseits wird eingeschritten immer unter dem Vorwand, Fragen würden nicht zur Anklage gehören, Fragen wären auf allgemeine Punkte gesteuert. In solchen Fällen können Fragen beanstandet werden. Eigentlich muss sich jede Frage darauf beziehen ob die Angeklagten nach der Anklage verurteilt werden können. Sehr viele Fragen gehen natürlich weiter. Da gibt es einiges an Streit. Insgesamt muss ich aber sagen, dass die Nebenklage sich eine sehr gute Position erarbeitet hat, indem die verschiedenen Nebenklage-Vertreterinnen und -Vertreter immer wieder und ganz zielgenau ihre Fragen und ihre Zielrichtung deutlich gemacht und ihre Position auch nachdrücklich behauptet haben. Wir dürfen sehr viel mehr als der Vorsitzende und vor allem auch die Bundesanwaltschaft anfangs noch erlauben wollten. Ganz im Gegenteil: Mit vielen Beweisanträgen der Nebenklage waren wir erfolgreich, vielen Beweisanträgen der Nebenklage geht der vorsitzende Richter jetzt nach, und zwar gegen den erklärten Willen der Bundesanwaltschaft, die bei vielen Punkten gesagt hat, das wollen wir nicht. Zum Fall Kassel mit dem zum Tatzeitpunkt am Tatort anwesendenVerfassungsschützer Temme werden jetzt noch viel mehr Zeugen gehört als ursprünglich geplant, das ist alles nur der Nebenklage zu verdanken. Auch die Tatsache, dass jetzt zahlreiche weitere V-Leute, also Vertrauenspersonen des Verfassungsschutzes gehört werden, ist nur zu erklären mit der nachhaltigen, dauerhaften Arbeit der Nebenklage. Da war die Nebenklage bisher sehr erfolgreich.

Der vorsitzende Richter hat offensichtlich inzwischen auch zumindest im Ansatz verstanden, dass wir es hier nicht mit einer absolut abgeschotteten Gruppe von vielleicht drei Mitgliedern zu tun haben, sondern jedenfalls das Unterstützernetzwerk eng mit der aktiven militanten Nazi-Szene verknüpft war. Er lässt inzwischen auch Beweisanträge in dieser Richtung zu und geht diesen nach.

Gegenwind:

Wie agiert die Anklage? Geschieht das aus Deiner Sicht eifrig genug?

Alexander Hoffmann:

Die Bundesanwaltschaft, die ja hier die Anklage vertritt, ist eifrig, aber nicht in der Richtung, in der man es erwarten könnte, sondern sie ist eifrig dabei zu versuchen, den Prozessstoff so eng wie möglich zu halten. Die Bundesanwaltschaft geht mit aller Kraft gegen Beweisanträge vor, die den Blick über diese Gruppe hinaus erweitert. Sie möchte alles verhindern an weitergehenden Beweisanträgen, sie möchte Fragen verhindern, die zum Hintergrund der Organisationen gestellt werden, die den NSU unterstützt haben, und so weiter. Die Bundesanwaltschaft spielt hier wirklich den Abblocker und versucht, möglicht wenig Aufklärung zuzulassen.

Straßenfest und Kundgebung „Birlikte”
Die Fotos zeigen das Straßenfest und Kundgebung „Birlikte”, Pfingsten 2014 in der Keupstraße in Köln zum 10. Jahrestag des Bombenanschlags
(Fotos. A. Hoffmann)

Gegenwind:

Wie agiert die Verteidigung? Es sind ja drei Verteidiger der Hauptangeklagten, aber auch die Verteidiger der anderen vier Angeklagten.

Alexander Hoffmann:

Das ist sehr unterschiedlich. Die Verteidigung des Carsten Schulze, der ja an der Beschaffung der Czeska beteiligt gewesen sein soll, hat von Anfang an eine klare Linie verfolgt. Aus ihrer Sicht hat sich ihr Mandant längst von dieser Szene verabschiedet. Er hat diese Waffe geliefert, konnte sich aber nicht vorstellen, dass solche Verbrechen damit geschehen. Dieser Linie bleibt die Verteidigung Carsten Schulze treu.

Die Verteidigung des Holger Gerlach, der ebenfalls eine Waffe besorgt haben soll, aber auch ansonsten bis 2011 immer wieder sich mit dem sogenannten Trio getroffen hat und seine Ausweisdokumente zur Verfügung gestellt hat, agiert sehr still, macht fast gar nichts und hofft offensichtlich darauf, dass die Angaben, die ihr Mandant im Vorverfahren gemacht, und in der Hauptverhandlung allerdings nicht wiederholt hat, ausreichen, um ihm eine milde Strafe zu besorgen.

Die Verteidigung von André Eminger, der ja auch bis zum Schluss als Unterstützer aktiv gewesen sein soll, macht bisher fast gar nichts, auch weil der Prozess sich bis jetzt fast gar nicht mit der Rolle des André Emminger beschäftigt hat.

Die Verteidigung Ralf Wohlleben, die ja aus ausgewiesen rechten Verteidigern besteht, ist sehr aktiv, macht aber keine konfrontative Verteidigung. Sie versuchen immer wieder einzugreifen, deutlich zu machen, dass aus ihrer Sicht bestimmte Beweise nicht zulässig wären. Insgesamt ist das aber auch deutlich weniger als erwartet.

Die VerteidigerInnen der Angeklagten Beate Zschäpe, die natürlich in erster Linie im Rampenlicht des Prozesses stehen, halten sich durchgehend zurück. Sie versuchen immer wieder einen imaginären Schulterschluss mit dem Gericht, zum Beispiel gegen die Nebenklage, zu ziehen. Sie scheinen die Illusion zu haben, dass die Beweise gegen ihre Mandantin nicht reichen würden, dass es hier doch Zweifel an den Anklagevorwürfen geben würde. Sie agieren zurückhaltend und machen insgesamt wenig. Ich gehe davon aus, dass die Hoffnungen der Verteidigung Zschäpe sich nicht erfüllen werden und sich diese Untätigkeit für eine mögliche Revision rächen wird.

Gegenwind:

Wie agiert die Nebenklage? Sind die Nebenkläger selbst anwesend? Gibt es Absprachen einer Strategie oder einen Arbeitsteilung unter den Anwältinnen und Anwälten?

Alexander Hoffmann:

Nein, die Nebenklage als gemeinsam handelndes Subjekt gibt es nicht. Es sind zahlreiche Nebenklägerinnen und Nebenkläger die für sich agieren. Es gibt keine gemeinsame Zusammenarbeit aller Nebenklage-Vertreter. Einige arbeiten ein bisschen enger zusammen und versuchen, sich zu koordinieren. Im wesentlich arbeiten aber alle vor sich hin. Es gibt gemeinsame Ansätze und Absprachen von etwa einem Drittel bis der Hälfte der NebenklagevertreterInnen, den Druck auf mehr Aufklärung zu richten. Von den Nebenklägern selbst kommen nur wenige regelmäßig zum Prozess, auch weil es eine sehr anstrengende und aufreibende Angelegenheit ist. Wir können das verfolgen, wir sehen, wie stark die Teilnahme am Prozess die Nebenkläger, die kommen, belastet. Es sind aber einige, die schon regelmäßig da sind, und das ist auch wichtig und sehr beeindruckend.

Gegenwind:

Was gibt es aus Deiner Sicht an Erkenntnissen über die Taten, die es vor dem Prozess nicht gab?

Alexander Hoffmann:

Man muss zum einen sagen, dass öffentliche Erkenntnisse, die es vorher gab, die aber oft nur als Behauptungen durch die Medienlandschaft gegeistert sind, jetzt im Prozess den Tätern bewiesen werden müssen. Insofern ist sehr vieles neu, was wir im Prozess erarbeiten, auch wenn es vorher schon mal irgendwo geschrieben war. Denn jetzt ist es nicht nur eine Behauptung in einer Zeitung, sondern wir können tatsächlich Leute befragen, wir können Urkunden sehen, wir können schauen, ob es tatsächlich so war.

Was sich meiner Meinung nach im Gegensatz zur Anklageschrift als neu erwiesen hat ist, dass der NSU keineswegs so stark isoliert war von der restlichen militanten Nazi-Szene wie es in der Anklageschrift erscheint, das wird sich auch noch weiter herausstellen. Es gab von Anfang an, schon vor der Gründung, aber auch nach dem Abtauchen des sogenannten Trios enge Verbindungen zu organisierten Nazis. Wir sind gerade dabei, auch zu überprüfen und weiter daran zu arbeiten, ob es diese Unterstützung auch während der Morde gab. Ein weiterer Bombenanschlag in Nürnberg wurde durch den Angeklagten Schultze angegeben und hat sich bestätigt.

Gegenwind:

Gibt es denn schon neue Erkenntnisse in Richtung auf das Umfeld? Wer hat die Opfer ausgewählt? Gibt es Erkenntnisse, die vielleicht zu weiteren Anklagen führen können?

Alexander Hoffmann:

Es gibt zahlreiche Erkenntnisse über Unterstützer, vor allem in der Anfangszeit, also Personen, die beim Abtauchen geholfen haben. Es gibt ein Ermittlungsverfahren bei der Bundesanwaltschaft, in das wir leider keine Akteneinsicht erhalten. Das wird gegen einige Beschuldigte geführt, wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Es ist aber überhaupt nicht abzusehen, ob und wann sich daraus noch weitere Anklagen ergeben werden. Die konkreten Erkenntnisse, die wir eigentlich haben wollen zur Frage der Verwicklung des Nazi-Umfeldes in die Verbrechen des NSU, sind bisher nicht zu Tage gefördert, da sind wir nicht viel weiter gekommen. Wir stoßen auf eine Wand des Schweigens. Leider werden viele Zeugen aus dem Nazi-Umfeld bei ihrer Weigerung, Aussagen zu machen, auch noch von der Bundesanwaltschaft unterstützt. Die Bundesanwaltschaft hat kein Interesse, in diesem Prozess irgend eine weitere Aufklärung über die Anklage, die sie selbst verfasst hat, hinaus herbeizuführen, sondern scheut dies. Und wenn dann Nazi-Zeugen die Aussage verweigern und die Nebenklage versucht, Druck aufzubauen, ist die Bundesanwaltschaft schon öfters diesen Zeugen zur Seite gesprungen. Das ist ein großes Problem.

Gegenwind:

Gibt es denn neue Erkenntnisse über das Agieren der Sicherheitsbehörden? Gab es Weggucken, Unterstützen oder heimliches Sympatisantentum, gab es institutionellen Rassismus?

Alexander Hoffmann:

Teils, teils. Es ist bei der Aufarbeitung der einzelnen Morde und auch jetzt zuletzt bei der Aufarbeitung des Sprengstoffanschlages in der Kölner Probstei-gasse deutlich geworden, dass die Ermittlungsarbeit der Polizei ganz stark von einem institutionellen Rassismus geprägt war. Das bedeutet, dass ganz unabhängig, ob die Beamten, die dort gearbeitet haben, Rassisten waren oder nicht, gegen Nicht-Deutsche oder vermeintlich Nicht-Deutsche Opfer in einer ganz anderen Art vorgegangen worden ist als man das bei Deutschen gemacht hat. Bei jedem dieser migrantischen Opfer ist zunächst nach dem Täter im familiären und Freundes-Umfeld, sowie im sogenannten Heimatland gesucht worden. Es hat jedes Mal eine Umkehr stattgefunden, dass man das Umfeld der Opfer stärker verdächtigt hat als andere. Es hat zahlreiche Male wirklich das aktive Tun gegeben, mit dem man einen Verdacht gegen neo-nazistische Täter beiseite geschoben hat. Das ist ganz deutlich geworden. Es ist bisher auch deutlich geworden, dass in den ursprünglichen Ermittlungen es keinen Willen gab in Richtung Neonazis zu ermitteln, obwohl spätestens ab dem Jahr 2006 in der bundesweit agierenden Ermittlungsgruppe klar war, dass man es bei der sogenannten Ceszka-Mordserie mit großer Wahrscheinlichkeit mit den Taten von Neonazis zu tun hat.

Gegenwind:

Was wird denn das Ergebnis des Prozesses sein? Welchen Gewinn kann die Gesellschaft daraus ziehen, dass es aufgearbeitet wird?

Alexander Hoffmann:

Ich glaube, dass das zwei unterschiedlichen Fragen sind. Der Prozess wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine überwiegend anklagegemäße Verurteilung der fünf Angeklagten mit sich bringen. Insofern wird der Prozess aus Sicht der Bundesanwaltschaft erfolgreich enden. Um aus dem ganzen Geschehen tatsächlich gesellschaftlich Nutzen zu ziehen, müsste sehr viel mehr passieren. Und dafür ist der Strafprozess an sich nicht das richtige Mittel. Man müsste weit über den Strafprozess hinaus gehen und die Aufarbeitung dessen, was hier geschehen ist, und dessen, was nicht geschehen ist, in andere gesellschaftliche Felder hineintragen. Insbesondere darf man auf keinen Fall mit einer Verurteilung der Täter die Sache ruhen lassen. Wir sind hiermit erst am Anfang. Wir stellen jetzt erst fest, welche Fehler gemacht worden sind. Wir wissen letztlich auch nicht, ob nicht noch sehr viel mehr geschehen ist, und ob es nicht mehr waren als Fehler. Wir müssen die schwierige Übertragung in gesellschaftlich relevante Kreise schaffen, um deutlich zu machen, dass sich in diesem Prozess Sachen geäußert haben, die im Kern der Gesellschaft von Bedeutung sind. Da sehe ich uns noch nicht besonders weit gekommen. Im übrigen ist die Frage der Verantwortlichkeit und Verstrickung von Geheimdiensten in den Fall noch nicht im Ansatz geklärt. Ob und wann hier weitere Erkenntnisse gewonnen werden können, ist eine zentrale Frage und Aufgabe für alle Beteiligte, Nebenklage wie Presse und Politik.

Gegenwind:

Wie müssen wir uns jetzt den weiteren Verlauf vorstellen? Wie lange dauert es bis zum Urteil?

Alexander Hoffmann:

Ich kann es nicht einschätzen. Ursprünglich hatte ich gedacht, dass der Prozess im Mai 2015 fertig ist. Es gibt aber wie schon dargestellt zahlreiche Verzögerungen. Es könnte sein, dass mit den neuen Untersuchungsausschüssen in Hessen und Nordrhein-Westfalen auch neue Informationen kommen. Es wird jetzt so sein, dass der vorsitzende Richter versucht, noch in diesem Jahr jedenfalls die restliche Beweisaufnahme zu den Morden und zum Anschlag in der Keupstraße durchzuführen machen und zu versuchen, alle Zeugen zur Entstehung und Fortführung der terroristischen Vereinigung zu hören. Dann widmen wir uns im nächsten Jahr den Banküberfällen, soweit wir diese aufarbeiten müssen. Wenn das vorbei ist, wäre dann ja damit nur das Beweisprogramm des Gerichts abgearbeitet. Dann würden noch alle Beweisanträge der Verteidigung und der Nebenklage kommen, die bis dahin noch nicht gestellt worden sind bzw. über die das Gericht noch nicht entschieden hat. Ib der Prozess also im Jahr 2015 oder erst 2016 abgeschlossen wird, ist heute noch offen.

Interview: Reinhard Pohl

Siehe auch: www.birlikte.info
Siehe auch: www.nsu-nebenklage.de

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