(Gegenwind 310, Juli 2014)
Im März 1991 kam Dayan Kodua, 10 Jahre alt, nach Kiel. Ihr Vater lebte schon länger dort, zwei Jahre zuvor konnten die Mutter und die jüngere Schwester nachziehen. Zehn Jahre später wurde sie „Miss Schleswig-Holstein”, 23 Jahre später erschien ihr Buch „My Black Skin”. Heute wohnt sie in Hamburg, dort traf ich sie zum Interview.
Gegenwind:
Wie war die Ankunft in Kiel mit 10 Jahren?
Dayan Kodua:
Die Ankunft in Kiel war für mich sehr kühl. Es war kalt und fremd. Es waren alles Sachen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Hohe Häuser kannte ich nicht, überall weiße Menschen, das kannte ich auch nicht. Später wusste ich natürlich, dass es nicht nur Deutsche, sondern auch Türken oder Araber sind. Aber damals waren sie alle weiß. Alles war sehr ungewohnt. Gerade war ich noch in Schwarzafrika, jetzt in Weißdeutschland. Das hat ein bisschen gedauert, bis ich das verstanden habe. Ich bin ja im März gekommen, da war es sehr kalt.
Gegenwind:
Wie war es in der Schule? Wie lange hat es gedauert, die anderen zu verstehen?
Dayan Kodua:
Es hat sehr lange gedauert. Das Gute war, dass meine jüngere Schwester Cherine Kodua schon zwei Jahre vor mir nach Deutschland gekommen war. Sie konnte schon deutsch. Sie hat mir beigebracht, was passieren könnte mit mir in der Schule. Aber es war schwierig, weil sie in einer anderen Schule war, ich habe erst mal nichts verstanden. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, jemals diese Sprache sprechen zu können, für mich war es keine Sprache, es war schwierig.
Gegenwind:
Wie haben die anderen Kinder auf ein schwarzes Mädchen reagiert?
Dayan Kodua:
Ich bin in Kiel zur Fridtjov-Nansen-Schule in Gaarden gekommen, damals eine Hauptschule. Aus heutiger Sicht ist interessant, dass alle Kinder aus dem Ausland waren, aber ich war für die erst die richtige Ausländerin. Bei mir in der Klasse waren Russen, Armenier, Türken, alle zugewandert, sie haben kaum deutsch gesprochen. Es war eine Vorbereitungsklasse. Ich war damals schon sehr lang, aber noch dünner als heute, sie haben „Bohnenstange” und „Arab” gesagt, also das türkische Wort für „Schwarze”, „Araber”. Das habe ich nicht gemocht. Und mit der Zeit kamen dann Wörter wie „Neger”, da habe ich zu Hause gefragt, warum sie mich „Neger” nennen oder „Arab”. Später fand ich es interessant, dass die Menschen, die Ausländer sind wie ich, mir nicht so schöne Namen gegeben haben. Aber man lernt mit der Zeit, sich zu verteidigen. Das habe ich dann auch immer gemacht.
Gegenwind:
Damals ging die Politik davon aus, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Wie schwer mussten Ihre Eltern dafür arbeiten, dass Sie als Zehnjährige einwandern konnten?
Dayan Kodua:
Am schwierigsten war das für meinen Vater. Er ist vor langer, langer Zeit weggegangen, bevor ich denken konnte, ging er nach Deutschland. Später, als wir älter wurden, wussten wir, dass unser Vater in Deutschland ist. Er war damals in München, man bekommt dann ja einen Zettel, wo man hinmuss. Er ist dann in Kiel gelandet und hat für uns Asyl beantragt. Er hatte den ganzen Stress, die ganze Arbeit. Er war über neun Jahre in Deutschland und hat für uns die Möglichkeiten erkämpft, bevor wir dann nach Deutschland gekommen sind. Deshalb mussten wir die harte Asylzeit nicht miterleben. Meine Mutter und meine Schwester haben noch im Asylantenheim gewohnt, erst kurz bevor ich nach Deutschland gekommen bin, sind sie ausgezogen. Sie hatten dort nur ein Zimmer für drei Personen. Als ich kam, hatten wir zwei Zimmer in Kiel-Gaarden. Ich war trotzdem immer im Asylantenheim, nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, weil es das einzige war, was meine Schwester kannte. Heute habe ich noch die Gerüche in der Nase. Es gab ja eine Küche für alle, dort haben Rumänen gekocht, Afrikaner, und die Ghanaer anders als die Nigerianer und Togolesen, und diese Gerüchte habe ich heute noch in der Nase. Ich bin froh, dass ich dort nicht leben musste. Das verdanke ich meinen Eltern, besonders meinem Vater, dass sie das für mich gemacht haben.
Gegenwind:
Haben Sie als Kind mitbekommen, dass Ihre Eltern los müssen, arbeiten müssen, keine Zeit haben?
Dayan Kodua:
Ich wusste, wie meine Mutter ausgesehen hat, bevor sie nach Deutschland gekommen ist. Für mich als Kind war meine Mutter die schönste Frau des Planeten, groß, schlank, lange Haare, hatte immer Highheels an, tolle Kleider. Und bei uns in Ghana wurde sie immer von allen bewundert. Dann in Deutschland habe ich festgestellt, dass sie ihre Haare abgeschnitten hat, dass sie zehn Kilo zugenommen hatte, und das Fröhliche, das Lachen, das Herzliche war auf einmal nicht mehr da. Es hat für mich sehr lange gedauert, bis ich verstanden habe, warum das so ist. Diese Freude war auf einmal weg. Sie musste einen Job ausüben, den sie vorher nicht machen musste, und nebenbei noch Putzen, und das alles für uns. Das hat mich sehr lange beschäftigt, das hat mich auch gestört. Heute ist das vorbei, heute machen sie andere Sachen.
Gegenwind:
Wie hat die Schule auf Sie reagiert? Wurden Sie gefördert oder bei der Hauptschule einsortiert?
Dayan Kodua:
Ich wurde schon gefördert. Zuerst haben alle gesagt, dass ich Deutsch lernen muss. Ich bin extra noch zum Hort gegangen, um weiter zu lernen. Ich habe versucht, mit vielen deutschen Kindern zu spielen. Meine Schwester hat genau das Gleiche gemacht. Ihre Freundinnen waren zwar aus dem Iran oder Jamaika, aber alle hier geboren, die haben normal deutsch gesprochen. Mein Vater war auch hinterher. Er war Flugzeugingenieur und superfit in Mathematik und diesen Sachen. Sachen, die ich nicht gut fand, aber er war immer spitze und hat zu Hause geguckt, dass ich immer lerne, er hat auch mit der Schule gesprochen, dass ich in der Schule weiter komme.
Gegenwind:
Wie hat es angefangen mit dem Tanzen, den Cheerleader, dem Modeln?
Dayan Kodua:
Die Zeit in Kiel verging, ich habe die Sprache gelernt, ich hatte Freunde. Mein damaliger Freund sagte irgendwann, ob ich mich nicht bei den Kieler Cheerleader anmelden möchte. Warum eigentlich nicht? Ich habe viel Sport gemacht, Basketball gespielt, meine Schwester hat Leichtathletik gemacht. Ich wollte auch aus mir herauskommen. Ich bin bei den Kiel Baltic Hurricanes eingestiegen, ich habe dann mit der Gruppe sportlich auch viel erreicht. Über Bijan, der im Kieler Sophienhof sein Geschäft hat, der hat damals riesige Modeschauen im Kieler „Max” veranstaltet, bin ich da reingeraten. Mein Mutter hatte damals Arbeit dort, sie hatte eine Umschulung zur Schneiderin gemacht, hat die Sachen für die Models fertig gemacht, und so bin ich dahin gekommen. Ich sollte eine Modelschule besuchen, das sollte damals aber 800 Mark kosten, das hatte ich natürlich nicht. Ich habe damals auch als Background-Sängerin gearbeitet, in Eckernförde bei Werner und Claudia Loll, dort habe ich mir das Geld geliehen. Dadurch konnte ich dann in die Model-Welt einsteigen.
Gegenwind:
Würden Sie aus heutiger Sicht sagen, dass es typisch ist, dass eine Schwarze hier als Sportlerin, Sängerin oder Model eher akzeptiert wird als auf anderen Gebieten?
Dayan Kodua:
Ich glaube, schwarze Menschen haben überall auf der Welt Probleme, und zwar Probleme mit dem Rassismus. Auch in Afrika selbst. Es gibt auch Probleme zwischen Nigerianern, Togolesen, Ghananern. Trotzdem glaube ich, ich habe in Spanien gearbeitet, in Italien gearbeitet, in England gearbeitet, dass es in Deutschland hilft, dass viele „political correctness” zeigen. Hier gibt es viele Förderprojekte für Menschen mit Migrationshintergrund, hier werden Projekte gegen Rassismus unterstützt, das hat man in vielen anderen Ländern nicht. Aber es ist für jeden schwierig, der nicht der Norm entspricht. Nicht nur für eine Schwarze, auch für Behinderte, auch für andere. Man muss vom Rassismus wissen und muss versuchen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Gegenwind:
Wer hatte als erstes die Idee, dass Sie zu einer Misswahl kandidieren sollen?
Dayan Kodua:
Als erstes hatte die Idee ein ganz lieber Freund von mir, Karsten Pavel in Berlin. Und der hat mich dann vier, fünf Monate lang genervt damit. Das war für mich fernab von allen Gedanken. Ich war eingewandert, schwarz, und dann Misswahl? Aber dann hieß es, es gibt eine Woche Grand Canaria im Fünf-Sterne-Hotel, und ich dachte: „Urlaub. Das ist gut, da mache ich mit.” So habe ich mich überreden lassen und habe auf Amrum angefangen. Damals besuchte ich gerade die Schauspielschule in Berlin, und von dort aus bin ich mit einer Freundin nach Amrum gefahren. Und dort bin ich Vize-„Miss Amrum” geworden. Dann meinte der Freund, „Du kannst ja noch nach Kiel, da hast Du die Chance, sogar zu gewinnen.” Ich habe gedacht, solange meine Eltern nichts davon wissen, mache ich gerne mit. Ich bin dann nach Kiel, dann zum K7 kurz vor Eckernförde, und dort bin ich 2001 zur „Miss Schleswig-Holstein” gewählt geworden.
Gegenwind:
Wie haben die anderen Kandidatinnen bei der anschließenden Miss-Germany-Wahl darauf reagiert, dass eine Schwarze Schleswig-Holstein repräsentieren will?
Dayan Kodua:
Die einzige, mit der ich mich von Anfang an verstanden habe, war die „Miss Bayern” Indira Selmic. Wir sind auch heute noch befreundet. Das war, weil sie selbst mit einem schwarze Basketballer zusammen war. Aber ich war für die meistens Mädels Luft. Das war eher: Sie interessiert uns nicht, sie ist ja keine Konkurrenz für uns. Am Ende des Tages hörte ich immer noch, „wir suchen doch „Miss Germany”, sie hat aber nichts mit „deutsch” zu tun.” Deshalb war ich für die keine Konkurrenz. Heute würde ich vielleicht anders reagieren, aber damals war ich zickig. Das war für mich verletzend, weil ich dachte, ich bin genauso wertvoll wie ihr, auch ich habe eine Schärpe, da steht richtig „Miss Schleswig-Holstein” drauf. Bei Euch steht vielleicht Miss Bremen oder Miss Sowieso drauf, aber ich bin genauso wie ihr, nur mit anderer Hautfarbe. Das hat mich damals ge-nervt, ich war auch noch unreif, da sagt man Sachen, die man heute nicht sagen würde.
Gegenwind:
Haben Sie das später auch zu spüren bekommen? Nicht nur als Model, sondern auch als Schauspielerin wird man ja leicht in bestimmte Kategorien eingeteilt. Es war ja für Sibel Kekilli im Kieler Tatort ungewöhnlich, dass sie für die Rolle einen deutschen Namen bekommen hat.
Dayan Kodua:
Das will ich auch. Ingrid oder so will ich im Film heißen. Es ist natürlich so, dass sich alle Menschen meiner Hautfarbe tatsächlich durchkämpfen müssen. Es ist besser geworden, vor zehn Jahren war es noch schlimmer. Da gab es kaum irgendwas für uns. Jetzt habe ich vor zwei Wochen gedreht, da habe ich eine ganz normale Rolle gespielt, und solche Rollen wünsche ich mir einfach. Dass man eben nicht auf die Hautfarbe reduziert wird. Ich finde, in dem Moment, in dem man auf die Hautfarbe reduziert wird, weiß man gar nicht, um welche Figur es geht. Man weiß gar nicht mehr, wer ist sie, wie reagiert sie auf dieses und jenes. Das ist das, was weh tut. Ich spiele gerne alles, aber die Geschichte hinter der Person muss auch erzählt werden. Darauf freue ich mich, wenn sie das verbessert.
Gegenwind:
Kommt es auch vor, dass Konkurrentinnen hinter Ihrem Rücken sagen, die ist noch eine Fehlbesetzung, die passt doch nicht...
Dayan Kodua:
Falls das schon mal passiert ist, habe ich es nicht mitbekommen. Aber ich glaube schon, dass Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, alle sehr positiv waren. Ich hatte bis jetzt nicht das Gefühl, ich wäre irgend wo fehl am Platz, oder man will mich nicht haben.
Gegenwind:
Wenn Sie zu einer Modenschau engagiert werden und die anderen zum ersten Mal treffen, und es ist eine andere Schwarze dabei, gibt es automatisch Solidarität?
Dayan Kodua:
Nicht immer. Meine Erfahrung in der Modelbranche ist bisher, wenn es zu wenig gibt, fah-ren die Menschen ihre Ellbogen raus. Das ist auch unter den Schwarzen so. Eine Zeitlang war ich fast die einzige Schwarze auf allen Shows, aber jetzt gibt es viel mehr. Ich mache heute auch weniger Shows als noch vor zehn Jahren. Aber Solidarität gibt es unter den Schwarzen selten. Das ist meine Erfahrung. Es ist nicht ausgeschlossen, aber es herrscht ein Konkurrenzkampf.
Gegenwind:
Wie ist es umgekehrt? Wenn eine Schwarze wie jetzt beim Wettbewerb auf „Pro 7” öffentlich beschimpft und gemoppt wird, sind Sie da automatisch solidarisch?
Dayan Kodua:
Ich bin nicht automatisch solidarisch, aber ich kann verstehen, wie es ihr geht. Aber es geht eben nicht nur um die Hautfarbe, es geht immer um mehr. Was hat diese Person im Kopf? Das eine ist gemoppt zu werden, weil man schwarz ist, aber das andere sind ihre Reaktionen. Finde ich die gut? Oder finde ich das zu prollig oder schwachsinnig? Da stehe ich ganz anders dazu. Aber wenn ich über die junge Frau, die jetzt bei „Germanys Next Topmodell” war, lese, was für rassistischen Äußerungen sie da ausgesetzt war, dann tut mir das weh für sie, weil ich es genau nachvollziehen kann. Ich habe ja auch eine Zeitlang diese Wettbewerbe mitgemacht, das wurde von SAT-1 über mehrere Wochen ausgestrahlt. Mein Glück war, dass es damals kein Facebook gab. Niemand konnte sich zu Hause hinsetzen und mich anonym beschimpfen. Ich wurde direkt beschimpft, ich habe es mitbekommen oder es wurde mir direkt gezeigt. Aber ich muss nicht zwei Wochen später lesen, was über mich erzählt wurde.
Gegenwind:
Was gab es für direkte Beschimpfungen?
Dayan Kodua:
Ach, das fing damit an „Was will die hier”, „Ist die für das Makeup hier zuständig”, „Was, Du machst mit?”. Schlimm war für mich zu wissen, dass meine Eltern Rassismus kannten, aber wohl hofften, dass meine Schwester und ich das nicht mehr erleben müssen. Für mich war es das erste mal, dass ich bewusst gesehen habe, wie meine Mutter das mitbekam, dass ich beschimpft worden bin. Sie ist sehr herzlich, aber auch sehr tränenreich. Und sie hat eben gehört, wie während des Wettbewerbs gerufen wurde „Raus mit der Negerin”. Das fand ich nicht schön, es hat mir wehgetan, aber nicht für mich, sondern dass meine Eltern das mithören mussten. Heute würde ich ganz anders drauf reagieren.
Gegenwind:
Wie ist die Idee entstanden, 25 Leute für ein Buch zu suchen, die alle schwarz sind?
Dayan Kodua:
Für mich war es immer so, dass ich in Kiel keine Geschäftsleute gesehen habe, die schwarz sind, als ich aufwuchs. Ich wusste aus Ghana, dass es Professoren gab, Lehrer, Geschäftsleute. Ich wusste, dass sie in Kiel einen unterbezahlten Job machen. Ich habe das als Kind lange nicht verstanden. Ich weiß noch, das erste mal, dass ich einen schwarzen Busfahrer gesehen habe, das war in Amsterdam. Ich bin stehen geblieben, den Mund offen, ich war vierzehn, und ich dachte: „Oh mein Gott. Das ist ein Schwarzer, der fährt einen Bus.” Das hat mich über Jahre verfolgt. Ich habe später lange in Los Angeles gelebt und dort habe ich gesehen: Schwarze können alles. Die haben Unternehmen, die fahren dicke Autos, die haben eigene Häuser. Ich dachte, in Deutschland muss es auch erfolgreiche Schwarze geben, aber wo sind die? So kam langsam, langsam die Idee, die zu suchen und ein Buch zu machen. Es hat sehr lange gedauert, ich bin ja keine Verlegerin oder keine Herausgeberin. Es war eine Idee, und darauf wurde ein Herzensprojekt. Und dann habe ich mitbekommen, wie es meinem Kind ergeht. Ich habe mitbekommen, wenn sich nichts ändert, wird mein Kind in Deutschland immer Ausländer sein. Nur weil er dunkel ist. Das ist Schwachsinn, er hat überhaupt keine Erfahrung mit Afrika, nur die Mama ist aus Afrika. Aber so wurde aus dem Projekt ein Herzensprojekt. Ich wollte auch Vorbilder suchen. Ich denke, wenn Kinder mit Migrationshintergrund das Bild haben von erfolgreichen Migrantinnen und Migranten, dann wachsen sie damit. Sie sehen, was möglich ist. Aber wenn Du als Kind nur siehst, dass alle Bekannten um dich rum nur putzen gehen oder andere Dreckarbeit machen, versuchst Du es ja gar nicht. Man muss auf die Idee kommen: Gibt es nicht noch mehr? Dann wird man vielleicht eher zu sowas, wenn man sieht, was alles möglich ist. So habe ich den Entschluss gefasst, das Projekt durchzuziehen, und 25 schwarze Menschen zu portraitieren, die in Deutschland etwas erreicht haben, es zu etwas gebracht haben.
Gegenwind:
War es schwer, andere zu überreden mitzumachen? Sie wollten ja eine Grafikerin, einen Fotografen und andere gewinnen.
Dayan Kodua:
Das Interessante war: Ich habe das Projekt bewusst mit Deutschen umgesetzt. Das wurde auch von anderen kritisiert. Nicht weil ich keinen Bock hatte, es mit Afrikanern umzusetzen. Ich wollte Leute haben, die ich kenne und auf die ich mich verlassen kann. Und auf die Frage: „Warum ist der Fotograf weiß?”, habe ich gesagt: „Ich kenne ihn, ich habe ihn angesprochen, er hat sofort ja gesagt.” Warum soll ich dann noch einen Fotografen suchen, weil diejenigen, die das Buch machen, schwarz sein müssen? Es ist ja kein Projekt von Schwarzen für Schwarze. Ich bin zufällig ein schwarzes Mädchen, ich wollte ein Buchprojekt machen für Menschen. Es ist ja kein Buch für Schwarze, sondern ein Buch für Menschen, die sich dafür interessieren. Und Leute, die ich gefragt habe, ob sie beim Projekt mitmachen, haben sofort gesagt: Ich bin dabei. Ich musste niemanden überreden. Die Frau Susanne Dorn von ASM (Arbeitsgemeinschaft selbständiger Migranten), die habe ich nur besucht, um das Buchprojekt vorzustellen und ein bisschen Geld für die Produktion zu bekommen. Und sie sagte, „ich finde das so toll, ich bin dabei”. Und sie hat für mich die ganzen Interviews geführt. Schwierig wurde das später, es gab einige Schwarze, die kein Interesse hatten mitzumachen.
Gegenwind:
Wie war denn die Reaktion bei den verschiedenen Interviewpartnern? Wie viele mussten Sie fragen, um 25 zu finden, die „ja” sagen?
Dayan Kodua:
Ich habe erst lange recherchiert, denn ich wollte keine zwei Protagonisten haben mit einer gleichen Berufsrichtung. Ich wollte Leute finden, die sehr verschiedene Sachen machen. Es gab aber mindestens zwei Leute, die ich gerne dabei gehabt hätte, die nicht wollten. Der eine sagte, dass er keine Zeit hat, der andere ist ausgestiegen, nachdem das Interview gemacht wurde, aber dann das Foto-shooting gemacht werden sollte. Warum er ausgestiegen ist, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass einige erst das Projekt ganz verstanden haben, als das Buch fertig war. Einigen haben gesagt, ich mache mit, aber wussten nicht, wie das Gesamtprojekt geplant war. Erst als das Buch da war, sie das Vorwort gelesen haben, das Geleitwort von Günter Wallraff, merkten sie, was die Idee dahinter war. Vorher dachten sie einfach, sie machen mit.
Gegenwind:
Waren Sie allen bekannt?
Dayan Kodua:
Nein. Ich war nicht bei allen bekannt. Einige kannten mich, für die anderen war mein Pluspunkt meine Webseite. Dadurch konnten sie sehen, wer ich bin. Durch meine Webseite kann man sich ein vernünftiges Bild machen und merkt, dass ich nicht nur labern will. Das war für mich sehr wichtig. Wenn ich angefragt werde für ein Projekt, gucke ich auch gerne auf der Webseite, wer fragt mich da, wer ist das? Und wenn ich dann nichts lesen kann, dann denke ich auch, nein, muss nicht sein. Aber nachdem das Konzept stand und ich den Leuten, sagen konnte, das bin ich, ich den Grund warum ich das machen wollte erklären konnte, war dann bei vielen wohl der Eindruck, das ist okay, das macht Sinn.
Gegenwind:
Gab es auch welche, die Sie vorher nicht kannten? Haben Sie bei der Recherche für Sie unbekannte Schwarze in Deutschland gefunden?
Dayan Kodua:
Ja, natürlich. Es gab viele, die ich vorher nicht kannte. Das Gute ist eben, dass man das Internet hat. Man googlet zwanzig Stunden lang durch, man kommt hierhin, man kommt dahin, man findet die oder den. Man entdeckt überraschend viele tolle Schwarze, die in Deutschland leben. Das Buch hätte mit zweihundert erfolgreichen Schwarzen gefüllt werden können. Das wäre natürlich zu viel Arbeit. Viele leben auch im Süden, das war für mich zu schwierig wegen der Fahrtkosten, man hat ja ein bestimmtes Budget. Aber es sind viele.
Gegenwind:
Wie viele Verlage mussten Sie fragen, bis einer gesagt hat, ich mache das?
Dayan Kodua:
Ich muss ehrlich gestehen, bei den Verlagen habe ich fast aufgegeben. Irgendwann wusste ich nicht mehr, welche Verlage ich noch fragen soll, so schwierig war das. Alle fanden das Projekt gut, aber keiner wollte das Buch verlegen. Bei zwei Verlagen musste ich jeweils sechs Monate warten, die haben nicht abgesagt, aber mich sechs Monate hingehalten. Ja, super das Projekt, wir müssen das besprechen. Und man wartet und hat Hoffnung. Es gibt tolle Verlage in Deutschland, so namhafte. Nach vielen Monaten dann doch eine Absage zu kriegen war schmerzhaft. Ich habe mindestens fünfzig Verlage angeschrieben. Ich habe natürlich, typisch ich, bei den Großen angefangen. Zum Schluss war schließlich alles da, alle Interviews waren gemacht, die Fotos waren größtenteils gemacht, das Paket war schon voll, da konnte ich keinen Rückzieher mehr machen, das wäre zu peinlich für mich und für die Arbeit von allen anderen. Da habe ich selbst einen Verlag angemeldet. Und eine Woche später habe ich dann die Zusage vom jetzigen Verlag bekommen. Das habe ich erst nicht wahrgenommen, weil das so lange gedauert hatte. Erst als das Buch gedruckt war, war mir klar, dass ich tatsächlich einen Verlag gefunden hatte.
Gegenwind:
Warum heißt das Buch so, wie es heißt?
Dayan Kodua:
Das Buch heißt „My Black Skin”. Das ist englisch, und zwei Protagonisten haben auch gefragt „warum muss das Englisch sein?”. Ich finde „Meine schwarze Haut” auf deutsch nicht so schön, und ich habe auch in Amerika, als ich dort wohnte, von meiner „black skin” gehört. Und ich bin ein Fan von einer amerikanischen Internet-Seite, die heißt „My black skin is...” Da werden schwarze Frauen empowered, aufgebaut. Da gibt es Video-beiträge, in denen gesagt wird, my black skin ist erfolgreich, es geht nur um Positives, was die Hautfarbe betrifft. Die USA haben eine ganz andere Rassismus-Geschichte, das darf man nicht vergessen, das war ganz, ganz schlimm. Die jungen Schwarzen brauchen das, und deshalb liebe ich diese Webseite. Das mochte ich immer, und ich fand das immer positiv. Und ich wollte ja was Positives erzählen. Und dann habe ich gedacht, ich brauchen auch noch einen deutschen Titel, und dann habe ich gedacht „schwarz, erfolgreich, deutsch”. Denn das ist das, was ich machen möchte. Am Anfang hat mir Herr Wallraff schon gesagt, „schwarz, erfolgreich, deutsch”, dann haben Sie ja schon alles gesagt, worum es geht. Aber es ist ja kein Roman, sondern es sind verschiedene Geschichte. „Schwarz, erfolgreich, deutsch” ist das, was ich vermitteln möchte.
Gegenwind:
Ich frage auch, weil ich schon eine Anfrage hatte von jemanden, die nur flüchtig auf den Titel im Internet schaute und dann fragte, ob das Buch auch später auf Deutsch erscheint.... Ein englischer Titel kann auch ein Verkaufshindernis sein.
Dayan Kodua:
Aber dann hat sie nicht richtig draufgeguckt. Aber das ist interessant, das höre ich zum ersten mal. Aber wenn man hier die Straße langgeht, steht hier auch vieles auf Englisch. Hier steht „café to go”, auch viele andere Nachrichten. Deshalb habe ich darüber noch nicht nachgedacht, dass es zu einem Missverständnis führen kann. Ich habe ja auch eine Website, die ist auch auf deutsch. Und es steht ja auf Deutsch der Untertitel „schwarz, erfolgreich, deutsch”. Und die meisten Journalisten schreiben in Artikeln nur „My Black Skin”, ohne Untertitel.
Gegenwind:
Wir machen Sie das Buch jetzt bekannt? Organisiert der Verlag etwas, oder müssen Sie das selbst?
Dayan Kodua:
Ich bin jetzt im Juli in Kiel in meiner alten Schule, der Fridtjof-Nansen-Schule, das war damals Hauptschule und Realschule, jetzt ist es eine Gemeinschaftsschule. Da werde ich auch ein paar Bücher verteilen. Ich werde da auch einen kleinen Filmbeitrag in Kiel drehen. Und dann habe ich in Hamburg sechs Schulen, wo ich auftrete, Gespräche führe, Bücher verteilen werden. Dort nehme ich vielleicht auch ein oder zwei von den Protagonisten mit, die über ihr Leben erzählen. Und dann plane ich eine Ausstellung. Für mich ist es ein Projekt, an dem ich nichts verdienen will. Ich bin der Stadt Hamburg so dankbar, dass sie mir geholfen hat, mein Baby „Buch” umsetzen zu dürfen. Und ich möchte gerne, dass auch Lieschen Müller sieht, dass die Nachbarin, die ein Kopftuch trägt, nicht automatisch auch putzen geht, sondern vielleicht studiert. Deshalb möchte ich jetzt eine Ausstellung machen, weil ich auch Bilder so toll finde, das bereite ich pa-rallel vor. Der Verlag plant bis jetzt keine Auftritte, die haben das Buch aber auf der Buchmesse vorgestellt. Ich mache diese Sachen alleine mit meiner Agentin.
Gegenwind:
Könnten sich also Interessenten an einer Veranstaltung bei der Redaktion melden, und ich leite das weiter?
Dayan Kodua:
Ja, gerne. Wer Interesse hat, soll sich gerne melden.
Interview: Reinhard Pohl
Wer Interesse an einer Veranstaltung mit Dayan Kodua hat, schickt die Anfrage einfach an redaktion@gegenwind.info, wir leiten das weiter.