(Gegenwind 304, Januar 2014)

Lehrer am Alten Gymnasium Dr. Jan-Christian Schwarz zusammen mit den Gymnasiasten erzählen den Anwesenden über die Schicksale Flensburger Juden bei der Gedenkveranstaltung am 9. November 2013 im Flensburger Rathaus
Lehrer am Alten Gymnasium Dr. Jan-Christian Schwarz zusammen mit den Gymnasiasten erzählen den Anwesenden über die Schicksale Flensburger Juden bei der Gedenkveranstaltung am 9. November 2013 im Flensburger Rathaus

Pogromnacht in Flensburg

75 Jahre danach

Anfang November 2013 fand in Flensburg eine Reihe von Veranstaltungen statt, die dem 75. Jahrestag der Pogromnacht gewidmet waren. Die erste unter diesen war die feierliche Enthüllung eines Gedenksteines für die Opfer des Holocaust, welche am 8. November auf dem Gelände des Jüdischen Friedhofes in Flensburg durchgeführt wurde.

Die stark besuchte Kundgebung versammelte eine große Anzahl von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Flensburg, unter denen nicht wenige Holocaustüberlebende waren. Außerdem nahmen an der Zeremonie auch die Stadtpräsidentin Swetlana Krätzschmar, Aktivisten politischer Parteien und Abgeordnete, Kirchenleute und Gewerkschaftler, Mitglieder antifaschistischer und anderer Vereine, Schul- und Universitätslehrkräfte, Studenten und andere Einwohner Flensburgs und seiner Umgebung teil.

Eine solch große Versammlung wurde mit der Melodie „Weinen Israels” in der Darbietung einer Gruppe unter der Leitung von Mikhail Manevitch eröffnet, wonach sich Gershom Jessen, Vorstandsmitglied der JGF, an die Anwesenden mit einer Rede wandte. Er erinnerte die Teilnehmer der Kundgebung an die Entstehungsgeschichte des Gedenksteines, welches als ein symbolisches Grabmal für all die millionenfachen Opfer der Schoa gedacht war, die von ihren Quälern nicht nur des Lebens, sondern auch einer würdigen Bestattung beraubt worden waren. Das von unserer Gemeinde geäußerte Ansinnen, solch ein Denkmal aufzustellen, wurde am 22. November 2012 bereits auf der ersten Sitzung der Vorbereitungsgruppe „9.11.2013”, welche die Vertreter der städtischen Öffentlichkeit versammelte und unser Gemeindemitglied Barbara Winkler zu ihrer Vorsitzenden hatte, unterstützt.

Die Enthüllung des Gedenksteines für die Opfer der Schoa.
Die Enthüllung des Gedenksteines für die Opfer der Schoa.

Dank der engen Zusammenarbeit zwischen der JGF und der Universität Flensburg war ein Kontakt mit den Dozenten Sarah Philipp und Werner Fütterer geknüpft worden, die schließlich eine aus sieben Diplomandinnen bestehende Entwurfsgruppe organisierten. In dem im Sommer durchgeführten Wettbewerb war der erste Platz von Jennifer Wasmund belegt worden, deren Entwurf Sven Höch übergeben wurde, dem Steinmetz, der sämtliche Grabmäler auf unserem Jüdischen Friedhof geschaffen hatte. Der Idee der Autorin nach stellt der Gedenkstein eine Stele mit einer abgeschnittenen und abgerutschten Spitze dar und symbolisiert somit jenen Zivilisationsbruch, der von den Nationalsozialisten der Welt zugefügt worden war. Eine besondere Aufmerksamkeit schenkte Herr Jessen den zahlreichen Organisationen und Privatpersonen, deren Spenden es ermöglicht hatten, das Denkmal so schnell aufzustellen.

Als nächster trat Dr. Martin Lätzel auf, der Leiter des Referates für kulturelles Erbe, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Kulturdialog und Heimatpflege im schleswig-holsteinischen Ministerium für Justiz, Kultur und Europa. Während er in seinem Beitrag das nationalsozialistische Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung verurteilte, verwies er auch auf den sittlichen Zustand der Gesellschaft, welcher zur Vorbedingung jener Gräueltaten geworden war.

Nach dem Erklingen der Melodie zum Lied „Schalom alejchem” wandte sich Thomas Rasmussen an die Versammlung, der Geschäftsführer des kommunalen Betriebes „Flensburger Friedhöfe A. d. ö. R.”. Nachdem er den Teilnehmern der Kundgebung über die jahrelange Zusammenarbeit seiner Organisation mit unserer Gemeinde berichtet hatte, erinnerte er auch an städtische Begräbnisstätten der Opfer des Nationalsozialismus.

Die Beitragsreihe schloss der Dozent Werner Fütterer, der seine Rede verschiedenen Aspekten des kreativen Prozesses der von ihm betreuten Studentinnengruppe widmete. Danach nahmen Shaul Nekrich, der Landesrabbiner des Landes Brandenburg, Elena Sokolovsky, Vorstandsvorsitzende der JGF, und Vadim Kobsar die Decke von dem Gedenkstein ab und eröffneten ihn den Blicken der Anwesenden.

Während die Holocaustüberlebenden Shanna Gussinowa und Valeriy Berdichevsky Erinnerungskerzen anzündeten, legten Dr. Iossif Smolianskij, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der JGF, und Leonids Grinbergs, Vorstandsmitglied der JGF, am Denkmal weiße Rosen nieder. Nachdem Herr Nekrich das Kaddisch gesprochen und Efraim Berger, der Gabbaj unserer Gemeinde, dieses ins Deutsche übersetzt hatte, wurde eine Schweigeminute verkündet, welche in das Spielen der Melodie zum Lied „A jiddische Mama” überging. Der Herr Landesrabbiner sprach ein weiteres Gebet und die Kundgebung wurde mit den Klängen der „Hatikwa” beendet.

Am Abend desselben Tages führte der hohe Gast aus Brandenburg in unserem Gemeindezentrum einen G'ttesdienst aus dem Anlass des Erew Schabbat durch. Der 9. November selbst begann ebenfalls mit einem Gebet in den Räumen unserer Gemeinde und war der stadtweiten Gedenkveranstaltung „Die Schoa brennt in unseren Herzen” gewidmet, die im Bürgersaal des Rathauses stattfand und mit einem musikalischen Beitrag des Saitenquartetts „Phon und zu” eröffnet wurde.

Herr Landesrabbiner Shaul Nekrich liest das Kaddisch.
Herr Landesrabbiner Shaul Nekrich liest das Kaddisch.

Die erste Rede hielt Frau Krätzschmar, die nicht nur die Pogromnacht thematisierte, sondern auch die aktuelle Wiedergeburt des jüdischen Lebens in Flensburg ansprach, wobei sie besonders die gewichtige Rolle von Elena Sokolovsky hervorhob.

Frau Krätzschmar übergab das Wort an Dr. Jan-Christian Schwarz, einen Lehrer am Alten Gymnasium, der zusammen mit den Lernenden dieser Schule eine Aktion mit dem vielsagenden Titel „Yad Vashem” - „Denkmal und Name” vorbereitet hatte. Nachdem Dr. Schwarz den Gang der Ereignisse im November 1938 nachgezeichnet hatte, erzählten sieben Gymnasiasten den Anwesenden über die Schicksale Flensburger Juden, die an jenen tragischen Tagen Übergriffen und Erniedrigungen ausgesetzt worden waren. Sie verlasen auch die Namen aller 42 bekannten Opfer des Holocaust, deren Leben mit Flensburg verbunden war. Dr. Schwarz bat alle Anwesenden aufzustehen und übergab das Wort an Herrn Nekrich, der das Kaddisch sprach, welcher der Veranstaltung einen besonderen sakralen Charakter verlieh.

Besonders symbolhaft gestaltete sich die Anzündung der Erinnerungskerze, da dieser feierliche Akt von Dr. Smolianskij, einem Holocaustüberlebenden, und Eduard Gusinov, dem in Flensburg geborenen Enkel einer Überlebenden der Leningrader Blockade, ausgeführt wurde. Anschließend wurde eine Schweigeminute verkündet, wonach vom Rednerpult Herr Berger sprach, der über die Entstehungsgeschichte unserer Gemeinde und über deren Rolle im öffentlichen Leben Flensburgs berichtete.

Er wurde vom Kinderchor der Gemeinde St. Nikolai abgelöst, der unter der Leitung von Gerold Jensen sehr rührend „Ojfn Pripetschek” und andere jüdische Lieder sang. Diese Darbietung machte auf alle Anwesenden einen großen Eindruck und wurde zu einem würdigen Abschluss der Gedenkversammlung.

Der Vorstand der JGF

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