(Gegenwind 303, Dezember 2013)

Das schwarze Schaf mit weißen Schafen auf der Wiese
Foto: josupewo / Pixelio.de

Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes:

Diskriminierung bei der Bildung, Diskriminierung bei der Arbeit

Alle vier Jahre legt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes einen Bericht über Benachteiligungen nach dem „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz” (AGG) vor, das geschieht immer zum Ende einer Legislaturperiode. So haben die neuen Bundestagsabgeordneten die Möglichkeit, aus den Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen, zum Beispiel Gesetze zu entwerfen oder zu verändern. Ergänzt wird der Bericht durch Beiträge anderer Beauftragter, und zwar des Behindertenbeauftragten, der Migrationsbeauftragten, des Aussiedlerbeauftragten und des Wehrbeauftragten. Schwerpunkt des Berichts 2013 sind Diskriminierungen im Bildungsbereich und im Arbeitsleben.

Der Bericht ist schwer zu lesen: Fast 450 Seiten dick arbeitet er mühsam Punkt für Punkt ab, nur etwas erleichtert durch gelegentliche „Beispiele der besten Praxis” oder Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Viele Verweise auf andere Untersuchungen kann die normale Leserin oder der normale Leser kaum berücksichtigen. Außerdem sind viele Schilderungen von Benachteiligung sehr unkonkret gehalten und beziehen sich auf Gespräche mit „Experten”, weil Untersuchungen und Zahlen fehlen.

Bildung

Der Bericht kommt zum Ergebnis, dass bereits bei der frühkindlichen Betreuung Kinder nach der sozialen Herkunft getrennt werden. Kinder mit Behinderung kommt zu einem großen Teil in eigene Einrichtungen. Und da Kindereinrichtungen nach dem Motto „kurze Beine, kurze Wege” im Stadtteil oder im kleinen Ort eingerichtet sind, bleiben Kinder aus „armen” Stadtteilen unter sich, ebenso wie Kinder aus „wohlhabenden” Stadtteilen. Dazu kommt, dass Eltern mit Auto häufiger ausweichen können, wenn der Kinderhort in der Nähe „zu viele” Einwanderer-Kinder aufgenommen hat.

Die Anti-Diskriminierungsbeauftragte des Bundes, Christine Lüders, geht grundsätzlich davon aus, dass eine gute Mischung der Kinder die Bildungschancen und die soziale Entwicklung aller fördert.

Eine wichtige Rolle spielt auch, was die Erzieherinnen und Erzieher bewusst oder unbewusst als „normal” und als „unnormal” vorgeben. Wer spielt mit der Puppenstube, wer mit den Autos? Ist bei den Puppen oder den Bilderbüchern vorgegeben, dass die „normale” Familie aus Vater, Mutter und den Kindern besteht, oder gibt es auch Familien mit zwei Vätern oder zwei Müttern? Gibt es männliche Erzieher, gibt es behinderte ErzieherInnen, sehen die Kinder das?

In der Schule sieht die Beauftragte in ihrem Bericht den Übergang von der Grundschule zur Sekundarschule als größtes Diskriminierungsrisiko, weil es hier die Empfehlungen oder Entscheidung einer Lehrerin oder (sehr selten) eines Lehrers gefragt ist. Diese entscheiden häufig, dass die Tochter eines Rechtsanwaltes aufs Gymnasium soll, während der Sohn einer alleinerziehenden Friseurin auf eine andere Schulform (Hauptschule, Gemeinschaftsschule) verwiesen wird. Es gab verschiedene Versuche mit identischen Leistungsbeschreibungen, aber unterschiedlichen Deckblättern mit Nationalität und Beruf von Mutter und Vater, die zeigen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer sich davon beeinflussen lassen. Auch wird nach verschiedenen Untersuchungen mehr Wert auf die Beherrschung der deutschen Sprache gelegt als es für die Wahl der Schulform nötig wäre, dafür werden die Leistungen in allen anderen Fächern unterbewertet.

Dabei bemängelt die Beauftragte auch, dass eine spätere Korrektur schwierig ist, denn die Schulsysteme sind wenig durchlässig, „Querversetzungen” selten. Wer also mit 10 oder 11 Jahren aufgrund des Namens oder der Herkunft „abgewertet” wurde und die falsche Schulart besucht, bleibt meistens dort.

Die Anti-Diskriminierungsbeauftragte der CDU-FDP-Bundesregierung regt sogar an, gänzlich auf die Gliederung des Schulsystems zu verzichten, was allerdings die Bundesländer in jeweils eigener Zuständigkeit entscheiden müssten. Die meisten Bundesländer sind auf dem Weg, ein zweigliedriges Schulsystem plus „Sonderschulen” zu schaffen, indem die früheren Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden.

Die Beauftragte bemängelt, dass es in fast keinem Schulgesetz Bestimmungen gibt, um Diskriminierungen zu verhindern. Einzelne Länder kennen solche Verbote oder auch Beschwerdemöglichkeiten.

Für einige Gruppen gibt es ein Problem im Zugang zur Schule. Das betrifft in einigen Bundesländern Flüchtlingskinder, für die es keine Schulpflicht gibt. Generell gilt es für Kinder, die und deren Eltern ohne Papiere, ohne Aufenthaltstitel hier leben. Der Schulbesuch wird in einigen Bundesländern bewusst ermöglicht, allerdings wird in den meisten Bundesländern diese Gruppe ignoriert. So bleibt es ein Risiko für die Eltern, die Kinder zur Schule zu schicken.

Inklusion ist für die meisten Schulen ein unbekanntes Wort. Rund 80 % einer Kinder mit einer Behinderung besuchen eine Sonderschule. Die betroffenen Eltern wehren sich oft nicht gegen diese Diskriminierung, weil sie wissen oder glauben, dass die Regelschule auf die Beschulung dieser Kinder überhaupt nicht vorbereitet ist.

Kinder von Einwanderern werden oft wegen der Erwartungshaltung der Lehrerinnen und Lehrer benachteiligt: Kinder mit ausländischem Namen erhalten seltener eine Gymnasialempfehlung und öfter eine Sonderschulempfehlung, auch hier bestätigen Versuche mit „vertauschten Deckblättern” den Missstand.

Auf den Gebieten Sportunterricht, Schwimmunterricht, Muttersprachenverbot auf dem Schulhof oder den Regelungen in der Hausordnung zu Kopfbedeckungen (Kopftuch) kommt es ebenfalls zu Diskriminierungen, oft auch durch schein-neutrale Regelungen. So gibt es Schulen, die das Kopftuch nicht verbieten, sondern eben alle Kopfbedeckungen (also auch Baseball-Kappen). Da aber eine Diskriminierung aufgrund der Religion verboten ist, können solche Hausordnungen gegen das AGG verstoßen. Hier wirkt sich zusätzlich nachteilig aus, dass es im Schulsystem in der Regel keine Beschwerdestellen gibt. So entstehend Konflikte, die über die Leserbriefspalten von Lokalzeitungen ausgetragen werden, die Aufsichtsbehörde muss dann im Einzelfall Lösungsmöglichkeiten suchen.

Defizite zeigen sich beispielhaft am Umgang mit „Schimpfwörtern” auf dem Schulhof wie „schwul” oder „Schwuchtel”. Lehrerinnen greifen kaum ein, möglicherweise betroffene Schüler wehren sich dann auch nicht. Generell wird zu wenig berücksichtigt, dass sich Schüler einer bestimmten Altersgruppe über erlittene Diskriminierungen sowieso nicht beschweren würden, um nicht als „weinerlich” zu gelten. Informationen zu Diskriminierung oder den gesetzlichen Möglichkeiten, sich zu wehren, gibt es an Schulen kaum.

Der Zugang zu Universitäten ist SchülerInnen aus Einwandererfamilien wegen der Benachteiligung in der Regelschule, fehlenden Finanzen, teils auch wegen fehlendem Selbstbewusstsein (auch als Ergebnis von Diskriminierung) erschwert. Universitäten haben meistens eine Quote für ausländische Studierende (die aus dem Ausland kommen), um diese wird teilweise geworben. StudentInnen aus sozial schwachen Haushalten werden dagegen nicht besonders ermuntert oder gefördert. Systematische Regelungen zur Verhinderung von Diskriminierung gibt es kaum, sofern es sie als „Projekte” gibt, fallen sie als erstes einer Mittelknappheit zum Opfer.

Empfehlungen

Arbeit

Beim Zugang zur Arbeit wirkt sich oft die ethnische Herkunft nachteilig aus. Teilweise werden übertriebene Anforderungen an Deutschkenntnisse gesetzt. Für Bewerberinnen und Bewerber, die im Ausland ausgebildet wurden, ist die Nicht-Anerkennung der Qualifikation ein zusätzliches Problem.

Bei Stellenausschreibung und der Vereinbarung von Vorstellungsgesprächen werden Menschen wegen ihres Alters oder einer Behinderung nach wie vor benachteiligt.

Auch wer Arbeit hat, kann wegen ihres oder seines Aussehens (der ethnischen Herkunft), wegen des Geschlechtes oder der sexuellen Ausrichtung gemobbt oder benachteiligt werden, z.B. bei der Einteilung der Arbeiten, der Beförderung oder der Berücksichtigung bei der Teilnahme an Weiterbildungen.

Bereits die Arbeitsmarktstatistiken zeigen starke Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit entlang der Grenze „mit Migrationshintergrund” und „ohne Migrationshintergrund” oder auch Lohnunterschiede bei einer Aufschlüsselung nach Geschlecht, ebenso sichtbar bei einer Aufteilung nach „normalen” und geringfügigen oder befristeten Arbeitsverhältnissen. So finden sich im Niedriglohnbereich doppelt so viele Frauen wie Männer.

Menschen mit Migrationshintergrund sind weniger häufig überhaupt beschäftigt, deutlichere Unterschiede findet man im öffentlichen Sektor. Und wenn Kinder von Einwanderern seltener Lehrerinnen und Lehrer werden als Kinder von Einheimischen, ist die Benachteiligung der nächsten SchülerInnengeneration schon vorprogrammiert.

Der Übergang von der Schule zu einer Ausbildung (im dualen Ausbildungssystem) ist für einige besonders schwierig. Das kann die soziale Herkunft, auch eine Adresse in einem bestimmten Stadtteil, betreffen. Es kann der (ausländische) Name sein, ebenso das Geschlecht. Hier kann sich auch eine vorausgehende Benachteiligung im Bildungssystem auswirken. Menschen mit Behinderung wird oft weniger zugetraut, so landen oft Schülerinnen oder Schüler von einer Förderschule ohne weitere Chancen direkt in der Behindertenwerkstatt.

Betriebe haben oftmals eine Erwartung,, was „normal” ist. So gibt es auch die Erfahrung, dass Jugendlichen mit anderem Aussehen oder bestimmten Symbolen (vor allem dem Kopftuch) bestimmte Chancen nicht gegeben werden, und zwar mit der vorgeschobenen oder tatsächlich vorhandenen Befürchtung, sie würden auf Kunden abschreckend wirken. Oft wirken sich hier auch Vorurteile aus, z.B. wird Jugendlichen, denen man den „Migrationshintergrund” ansieht, oft unterstellt, sie könnten auch schlechter Deutsch oder hätten schlechtere Leistungen in der Schule, wären unpünktlich oder weniger motiviert. Wenn es deshalb gar nicht erst zu Vorstellungsterminen kommt, haben sie natürlich auch keine Gelegenheit, diese Erwartung zu widerlegen.

Bei den Einstellungen wirken ähnliche Muster. Die Antidiskriminierungsstelle sieht hier auch Kopftuchverbote im öffentlichen Dienst, z.B. für Lehrerinnen, negativ: Diese ermutigten die Privatwirtschaft, Bewerberinnen nach ähnlichen Kriterien auszusortieren.

Oft wirkt sich auch der besondere Kündigungsschutz, wie er für Schwerbehinderte oder Schwangere gilt, schon bei der Bewerbung und der Vereinbarung eines Vorstellungsgesprächs negativ aus, weil einige ArbeitgeberInnen höhere Kosten für das Unternehmen befürchten, wenn sie solche BewerberInnen einstellen.

Aus diesen Gründen hält die Beauftragte anonymisierte Bewerbungsverfahren für eine Methode, die Chancengleichheit herzustellen. Hier wird übrigens ein weiterer Zusammenhang deutlich: Die Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit nahm 2010 an einem Modellversuch teil: Bei den Bewerbungen wurden Name, Geburtsort, Geschlecht, Alter, Familienstand und Kind, Staatsangehörigkeit und Religion geschwärzt und das Foto entfernt, bevor die Unterlagen in die Personalabteilung weitergeleitet wurden, die über die Einladung zum Vorstellungsgespräch entschied. Ein Effekt war, dass die Zahl der Bewerbungen von Einwanderern um 35 % zunahm. Offenbar hatten sich vorher viele gar nicht beworben, weil sie eine Diskriminierung erwarteten, eine Ablehnung befürchteten. Auch dieser „Verzicht” stellt einen Teil der „Dunkelziffer” dar.

Zum Thema Mobbing gibt es wenige Statistiken, da sich Opfer oft nicht beschweren. Bekannter sind die Zahlen wegen sexueller Belästigung, vor allem der Belästigung von Frauen in untergeordneter Stellung oder in Berufen, die als „Männerberufe” gelten. Das Gesetz verlangt von Arbeitgebern, solche Belästigungen auch aktiv zu unterbinden und Angestellte zu schützen - das passiert aber oft (noch) nicht.

Beim Zugang zu Weiterbildungen im Beruf werden Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, ältere Angestellte und auch Behinderte benachteiligt. Die Erwartung, sie könnten sowieso weniger leisten, erfüllt sich so automatisch, wenn man sie von Weiterbildungsmöglichkeiten fernhält. Betriebe entscheiden entsprechend ihrer Erwartung, welche Weiterbildung sich (für den Betrieb) „lohnt” und welche weniger lohnen sein könnte.

Frauen gekommen 22 Prozent weniger Lohn als Männer. Wenn man die „typischen” Frauenberufe weglässt und nur die Tätigkeiten vergleicht, in denen Männer und Frauen die gleiche Leistung erbringen, ist der Lohnunterschied immer noch 8 Prozent. Im AGG ist dieser Bereich sehr unklar geregelt, Lohnunterschiede nicht direkt verboten, und es gibt vergleichsweise wenig Klagen. In anderen Bereichen gibt es vermutlich ähnliche Lohnunterschiede, sie sind allerdings kaum untersucht worden.

Die Diskriminierungen setzen sich bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fort. Da Frauen, Behinderte, Menschen mit Migrationshintergrund öfter im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, können sie meistens leichter gekündigt werden, z.B. indem ein befristetes Arbeitsverhältnis nicht erneuert wird, sie können leichter gekündigt werden und sie werden öfter gekündigt. Es gibt auch Kündigungen, wenn Frauen sich entschließen, ab jetzt ein Kopftuch zu tragen - oft ist es aber für die Betroffenen schwer, dies als Motiv einer Kündigung auch zu beweisen, wenn die Kündigung anders begründet wird. Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn eine chronische Erkrankung erkennbar wird. Ebenso werden ältere ArbeitnehmerInnen öfter gekündigt, auch hier ist es oft schwierig zu beweisen, dass es sich um eine Diskriminierung aufgrund des AGG-Merkmals „Alter” handelt.

Empfehlungen

Fazit

Das AGG hat nicht dazu geführt, Diskriminierung zu verhindern. Aber es gibt jetzt Stellen wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (www.antidiskriminierungsstelle.de), die Betroffene berät und Veröffentlichungen zum Thema erarbeitet. Zum Teil sind es Berichte und Studien wie diese, zum Teil auch Ratgeber und Hinweise für Betroffene, auch in verschiedenen Sprachen.

Bisher haben die Erfahrungen und Denkanstöße nicht zu einer dringend nötigen Überarbeitung des AGG geführt. Dazu wäre es sicherlich auch nötig, dass sich in allen Bundesländern entsprechende Initiativen bilden, Beratungsstellen schaffen und letztlich auch Anti-Diskriminierungsverbände gründen, die die Vertretungsrechte nach dem AGG wahrnehmen können. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hält niedrigschwellige Beratungsangebot vor Ort für wichtig als Ergänzung zur eigenen Arbeit.

Vor ort bleibt natürlich das Problem, dass das Gesetz vor der Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft („Rasse”), des Alters, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder einer Behinderung (Einschränkung) schützen soll. Die Vereine und Organisationen, die diese verschiedenen Gruppen vertreten, haben aber wenig miteinander zu tun, kennen sich vor Ort teilweise kaum. Insofern bleibt noch viel zu tun.

Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum