(Gegenwind 301, Oktober 2013)

2 Milliarden Euro Schulden für Netzkauf? - Nicht mit meinem Geld

Energie

Rohre, Kabel und Atomkonzerne

Die Debatte zum Hamburger Volksentscheid über den Rückkauf der 2002 privatisierten Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme verlief flacher als die Elbe. Das Ergebnis des Volksentscheides liegt erst nach Redaktionsschluss vor, aber die Kontroverse ist über Hamburg hinaus interessant und soll hier vorgestellt werden. (Aktuell: Der Volksentscheid endete positiv, Hamburg muss das gesamte Netz zurückkaufen - Red.).

Am 22. September fand in Hamburg parallel zur Bundestagswahl ein Volksentscheid über die Rekommunalisierung der 2002 privatisierten Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme statt. Seit drei Jahren setzt sich die Initiative „Unser Hamburg - Unser Netz” hierfür ein. Die wird getragen von Umweltorganisationen wie BUND, Robin Wood und Greenpeace, der Verbraucherzentrale, einigen Kirchenfunktionären sowie Grünen und Linken. Eine breite soziale Bewegung ist es nicht, die sich hier formiert hat, sondern vor allem die Hauptamtlichen und die aktiven Mitglieder der Umweltverbände. Sie sind es vor allem, die auf den Straßen die nötigen Unterschriften für den Volksentscheid gesammelt haben. Und dafür argumentiert, dass die Energienetze des Stadtstaates nicht in die Hände von zwei Atomkonzern gehören: eon besitzt das Gasnetz, Vattenfall das Strom- und das Fernwärmenetz. Denn die Energieversorgung sei Teil der Daseinsvorsorge. „Deshalb gehören die Netze nicht in die Hände privater, profitorientierter Unternehmen, sondern unter demokratische Kontrolle”, so Wiebke Hansen, die Kampagnenleiterin: „das fördert auch Transparenz und faire Preise”. Gestritten wird in der Stadt darum, ob die Stadt es sich leisten könne und solle, insgesamt 2 Milliarden Euro für den kompletten Rückkauf der Netze zu investieren. Die Finanzierung sei kein Problem, so Hansen: „Die Stadt nimmt Kredite auf zu Zinsen, die unter drei Prozent liegen dürften. Dafür erhält sie von der Bundesnetzagentur garantierte Gewinne von sieben bis neun Prozent - ein sicheres Geschäft.” Und dann könne die Stadt den Netzausbau demokratisch steuern für die dezentral organisiert Energiewende - mit Kleinanlagen in Bürgerbesitz. Warum Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, dass nicht wolle, „verstehe ich auch nicht”, so Hansen treuherzig.

Die regierende SPD wird bei ihrer Gegenkampagne zum Netzrückkauf von einem breiten bürgerlichen Bündnis aller Kapital- und Honoratiorenvereine Hamburgs unterstützt. Und von CDU und FDP sowie der marktbeherrschenden Lokalzeitungen aus dem Springerverlag. Am 6. September veröffentlichte die in der Stadt Handelskammer die „Hamburger Erklärung „Nein zum Netzkauf!””. Mitgetragen von Kapital- und Grundeigentümerverbänden, der Handwerkskammer sowie der IG Bergbau, Chemie, Energie: „Wir sind dagegen, mehr als 2 Milliarden Schulden zu machen für den Kauf von Strom-, Gas- und Fernwärmenetzen!” Es gehe um „Hamburg als Wirtschaftsstandort mit hoher Lebensqualität”. Die Handelskammer titelte auf ihrer Mitgliederzeitschrift im September: „Schicksalsfrage Netzkauf!”. Im Editorial gab der Präses Fritz Horst Melsheimer die Losung aus: es gäbe „vonseiten der Befürworter der Volksinitiative keine plausiblen Argumente”, es gehe darum „das Begehren der Volksinitiative abzulehnen”. Im Leitartikel „Warum der Rückverkauf unvernünftig wäre” lamentiert Autor Tobias Knahl über den „Zeitgeist: Latente Unzufriedenheit mit Großunternehmen lässt viele darauf hoffen, „Vater Staat” handle effizienter, nachhaltiger und bürgerorientierter”. Dagegen starteten die Kapitalverbände eine Kampagne, die Angst vor Schulden wecken soll: „2 Milliarden Schulden für Netzkauf? Nicht mit meinem Geld”, dazu blicken auf Portrait eine Schneiderin und ein Aluminiumgießer erschrocken von Plakaten.

Zusätzlich organisierte die SPD über den von ihr dominierten DGB-Apparat eine „Wilhelmsburger Erklärung” mit Unterschriften von Betriebsräten aus Hamburgs Großbetrieben gegen den Rückkauf der Netze, in dem ganz betriebsgemeinschaftlich die Interessen der dort Beschäftigten mit denen der Konzerne Vattenfall und eon als identisch behauptet wurden.

Volksentscheid Energiewende: Unser Hamburg - Unser Netz

Olaf Scholz leitete 2011 Verhandlungen mit eon und Vattenfall ein, um mit einem Teilrückkauf der Netze der Kampagne von „Unser Netz” den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn in Umfragen nach Fukushima waren über 70 Prozent der Befragten für die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze. Denn die Atomkonzerne eon und Vattenfall sind auch die Besitzer der vier Atomkraftwerke - Krümmel, Brunsbüttel, Stade und Brokdorf - die rund um Hamburg an der Elbe stehen. Brokdorf läuft bis heute, die anderen drei waren wegen Pannen oft nicht am Netz, Krümmel und Stade wurden gegen unter Protest von Vattenfall stillgelegt, der Konzern klagt deswegen auf milliardenschweren Schadensersatz.

Die AKWs gehörten bis 1997 den städtischen Hamburgischen-Elektrizität-Werken HEW. Der damalige rotgrüne Senat verkaufte sie an Vattenfall und eon, ebenso das Fernwärmenetz der Stadt.

Der SPD-Senat vereinbart mit den beiden Konzernen 2012 den Erwerb einer Beteiligung der Stadt von 25,1 Prozent an den Versorgungsnetzen für Strom, Gas und Fernwärme für 543,5 Millionen Euro. Die Initiative „Unser Netz” klagte auf Offenlegung aller Verkaufsunterlagen, das Verwaltungsgericht Hamburg lehnte dies am 12. September ab. Initiative und Stadt streiten sich, ob der Preis, den die Konzerne angesetzt hatten, zu hoch war. In der Endphase geht es jetzt zunehmend um das Fernwärmenetz: anders als beim Strom- und Gasnetz gibt es hier keine staatliche Regulierung. Allein mit der Fernwärme hat Vattenfall in 2009 in Hamburg mehr als 100 Millionen Euro Gewinn gemacht, die ganzen Jahre hindurch liegt die Gewinnmarge bei der Fernwärme über 30 Prozent. Um sich diese Rendite zu erhalten, hat Vattenfall eine großangelegte Werbekampagne gegen den Netzrückkauf gestartet. Bei der Fernwärme hat Vattenfall derzeit nahezu ein Monopol. Insbesondere die MieterInnen der städtischen Großsiedlungen Hamburgs müssen dessen Fernwärme abnehmen, weil der Vermieter dies festgelegt hat. Und bei Hartz-IV-Bezieherinnen bezahlt das Arbeitsamt die Fernwärme auch gleich direkt bei Vattenfall. Und die SPD-Führung Hamburgs ist so eng mit den Energiekonzernen verflochten, dass dies auch so bleiben soll. Letzte Woche wurde bekannt, dass Hans-Joachim Klier, bis Mai 2011 Referatsleiter für Energiewirtschaft in der Wirtschaftsbehörde, nur drei Monate später bei Vattenfall angestellt wurde - als Berater für die „Gestaltung des Verhältnisses zu Politik und Verwaltung in Hamburg in energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Fragen”. Im SPD-Senat unter Olaf Scholz, der diesen Wechsel genehmigen musste, erhob niemand Einspruch: „Es gab keine Bedenken”, so Klier laut Hamburger Abendblatt.

Klier ist nicht der einzige Spitzenfunktionär, der aus dem Hamburger Staatsapparat in den Vattenfallkonzern gewechselt ist. Ivo Banek war mal Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, jetzt ist er Leiter der Konzernkommunikation bei Vattenfall. Hauke Wagner, früher Juso-Chef, jetzt Mitglied im Landesvorstand der SPD, ist seit September 2012 bei Vattenfall als „Projektmanager Energiekonzept Hamburg” ganz vorne dabei in der Debatte um die Netze. Der Landesvorstand der Hamburger SPD hat eine weitere Personalunion mit Vattenfall: Ina Morgenroth, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall, sitzt im Aufsichtsrat der Vattenfall Europe Netzservice GmbH. „Macht man bei der SPD jetzt gar keinen Unterschied mehr zwischen Vattenfall, Stadt und Partei?”, fragte zu Recht der Fraktionschef der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft Jens Kerstan Mitte September. Die SPD ließ die Kritik an sich abperlen, ihr Fraktionschef Andreas Dressel konterte: „Wir sind eben eine Volkspartei, deswegen sind unsere Mitglieder in vielen wichtigen Bereichen der Stadt vertreten.” Problembewusstsein: Null. SPDlerInnen lieben anscheinend das Schulfach Darstellendes Spiel: Stelle den staatsmonopolistischen Kapitalismus dar - die Verflechtung von Staat und Kapital. Die Initiative „Unser Netz” konzentriert sich leider so sehr darauf, die Seriosität der Finanzierung des Rückkaufs zu belegen, dass sie zur Verflechtung von Hamburgs SPD und norddeutscher Atomwirtschaft: schweigt. Und so den Kern des Problems ignoriert. Sechs Tage vor der Abstimmung sprach sich wohl wegen der Angstkampagne von SPD, CDU, FDP, Vattenfall und Kapitalverbänden eine relative Mehrheit von 46 Prozent gegen eine hundertprozentige Rekommunalisierung der Energienetze aus. Aber immerhin noch 42 Prozent dafür. Dem Volksentscheid ist Erfolg zu wünschen - zur Einschränkung der Konzernmacht.

Gaston Kirsche

Kampagne & Gegenkampagne:
www.unser-netz-hamburg.de, www.nein-zum-netzkauf.de

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