(Gegenwind 301, Oktober 2013)
Seit einigen Wochen ist in Kiel ein Steuererlass durch die Oberbürgermeisterin in siebenstelliger Höhe ein bedeutendes Thema. Zunächst wurde bekannt, dass bei einem Kieler Unternehmer in den 90er Jahren eine Gewerbesteuerschuld von über acht Millionen DM aufgelaufen war. Der Schuldner bestritt den Steuerbescheid gerichtlich und verlor den Rechtstreit dann vor zehn Jahren. Trotzdem verweigerte er die Zahlung. So erhöhten Säumniszuschläge und Zinsen die Gesamtsteuerschuld auf nunmehr über sieben Millionen Euro. Dann erließ die Oberbürgermeisterin in einer Eilentscheidung den Nebenkostenbetrag in Höhe von 3,7 Millionen Euro, um dem Schuldner wenigstens zur Zahlung der ursprünglichen Steuerschuld in Höhe von heute 4,1 Millionen Euro zu bewegen.
Die CDU-Fraktion im Kieler Rat machte diesen sogenannten „Steuer-Deal” zum Thema. Dabei ging es um die Rechtmäßigkeit des Steuererlasses. Hier sind tatsächlich Fragen offen, denn im § 227 der Abgabenordnung heißt es: „Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre...”
Unbillig ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der Einzelfallgerechtigkeit ermöglichen soll. Davon war aber während des gesamten Verfahrens nie die Rede. Vielmehr argumentierte die Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke, dass sie die Eilentscheidung getroffen hätte, um wenigstens einen Teil der Steuerschuld für die Stadt beizubringen. Der Schuldner wäre bei Eintreiben der Gesamtschuld von über sieben Millionen Euro in die Insolvenz gegangen und die Stadt hätte gegenüber anderen bevorrechtigten Gläubigern das Nachsehen gehabt. Das ist zwar zunächst plausibel aber nicht im Allgemeinverständnis von Einzelfallgerechtigkeit unterzubringen.
Für Irritationen sorgte dann der emotionsgeladene Auftritt Susanne Gaschkes im Kieler Rat. In den Medien wurde beschrieben, dass sie mit den Tränen kämpfte, als sie ihre Entscheidung verteidigte und die Offenlegung des Steuererlasses durch die CDU als einen persönlichen Angriff auf ihre Person wertete. Dabei setzte sie sich stark für einen fairen und humanen Umgang in der Politik ein. Die Resonanz blieb aus. Der Kieler Bundestagsabgeordnete und Ehemann der Oberbürgermeisterin Hans-Peter Bartels hatte sich erst im Juni in der Bild-Zeitung zu Thomas de Maizière mit dem Satz: „Der Minister lügt” geäußert, ohne dass seine Ehefrau ihn kritisiert hätte. Nicht zuletzt muss auch an Björn Engholm erinnert werden. Dieser ist exemplarisch mit dem Versuch gescheitert Macht und Moral zu personifizieren.
Anfang September gelang es dann dem NDR, den Namen des Steuerschuldners zu ermitteln. Es handelt sich um Detlef Uthoff, den Inhaber der Augenklinik Bellevue. Dieser hatte sich in den neunziger Jahren auch als Immobilienhändler versucht. Seine Steuerschuld resultiert aus dieser Zeit, weil das Finanzamt 1998 seine Aktivitäten als gewerblich und damit gewerbesteuerpflichtig einstufte. Dies wurde von Uthoff bestritten, dann aber gerichtlich bestätigt. Bei seinen Immobiliengeschäften ging Detlef Uthoff wenig zimperlich vor. So berichtete der NDR damals, dass Demonstrationen empörter Mieter seiner neu erworbenen Häuser bis vor die Augenklinik führten. Jedenfalls war die Existenz als Immobilienhai von kurzer Dauer. Die noch Mitte der neunziger Jahre prognostizierte Bevölkerungsentwicklung Kiels, die von über 250.000 Einwohnern ausging, stellte sich als unrealistisch heraus. Die Bevölkerungszahl fiel rasch auf 230.000 Menschen. In der Folge entspannte sich die Wohnungssituation in Kiel und statt steigender Immobilienpreise sah man nun sinkende. Detlef Uthoffs Immobilienunternehmung kollabierte.
In der Folge scheint sich Detlef Uthoff dann als Steuervermeider zu profilieren. Jedenfalls muss sein anrechenbares Einkommen so gering gewesen sein, dass die Steuerverwaltung keine Durchgriffsmöglichkeit für die Begleichung seiner Steuerschuld sah. Das ist nicht so schwer, wenn man in Dienstvillen wohnt, Dienstwagen fährt, auf Dienstjachten segelt und Alles über Spesen abrechnet. Hinzu kommt, dass Detlef Uthoff in Hamburg mit dem Versuch scheiterte, eine Augenlaserklinik in bester Lage aufzubauen. Auch das wird teuer gewesen sein. Zugleich pflegt Detlef Uthoff bekanntermaßen einen aufwändigen Lebensstil. Für den würde es wohl nicht reichen, wenn auch noch Steuerschulden beglichen würden. Allerdings ist es für den stark geltungsbedürftigen Mann wahrscheinlich auch ein Desaster, von der Steuerseite in der Öffentlichkeit illuminiert zu werden.
Es kann dann kaum verwundern, dass die Finanzbehörden ganz genau hingucken, wie das Geld in der Familie Uthoff am Fiskus vorbei fließt. Das scheint moralisch kaum anständig, aber wohl auch nicht rechtswidrig zu sein. Erstaunlich ist dann aber doch die relative Hilflosigkeit der Finanzbehörde, die in merkwürdigem Gegensatz zur zwingenden Schlagkraft steht, die ihr regelmäßig zugeschrieben wird. Das Land hat wohl schon besser ausgesehen, als auf derartige Zustände mit steuerrechtlicher Abhilfe reagiert wurde.
Es gibt viele Indizien, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, sondern sich zwei Gruppen herausgebildet haben, von denen die eine die Steuern zahlt, die sie muss und eine zweite, die die Steuern zahlt die sie will. Mit Vertretern der zweiten Gruppe in Verhandlungen zu treten, um wenigstens an ein paar Steuern zu kommen, bestätigt diesen Zustand. Das ist die Crux der pragmatischen Herangehensweise der Oberbürgermeisterin. So sinnvoll ihr Handeln im Detail gewesen sein mag, es darf nicht stilbildend werden. Es kann Konzessionen im Vorgeschriebenen geben, um Situationen aushaltbar zu machen. Dauernde Konzessionen sind aber gar nicht auszuhalten.
Thomas Herrmann