(Gegenwind 300, September 2013)

Kettenhäftlinge
Kettenhäftlinge in Doa,
bewacht von Polizeiaskaris (undatiert)

Die Fotos kommen aus dem Kolonialen Bildarchiv in Frankfurt. Dort sind ca. 50.000 Fotos aus dem Bestand der Deutschen Kolonialgesellschaft zu sehen.

„Positive Erinnerung an die Kolonialzeit”?

Kritische Bemerkungen zur Ausstellung im Rathaus-Foyer anlässlich des Besuches einer Delegation der Partnerstadt Tanga in Eckernförde

In der Zeit vom 14. bis 20. August hat eine Delegation unserer Partnerstadt Tanga in Tansania Eckernförde besucht. Zur Vorbereitung wurden von der Ratsversammlung einstimmig Finanzmittel bewilligt, eine Mehrheit beschloss die Benennung des Vorplatzes der Stadthalle als „Partnerstadt-Tanga-Platz”.

Wir haben als Ratsfraktion DIE LINKE beides unterstützt und ich habe mich an verschiedenen Veranstaltungen im Rahmen der Besuchstage beteiligt, unter anderem zeigte ich der Stadtpräsidentin von Tanga, Frau Juliana T. Malange, unsere Stadtbücherei und besuchte mit ihr und einer Ratskollegin des Bürgerforums den BSIC (alte Bauschule). Während eines Mittagessens in der Siegfried Werft lernte ich auch den Bürgermeister von Tanga kennen, Herrn Omari M. Guledi. Die Gespräche mit unseren Gästen waren interessant und sicher beispielhaft für viele andere Begegnungen im Rahmen der Besuchstage. Sie bieten eine gute Grundlage für eine gemeinsame Zukunft der Städtepartnerschaft.

Zugleich halte ich es für notwendig, daran zu erinnern, dass die Städtepartnerschaft mit Tanga nicht die mit einer beliebigen Stadt in Afrika ist, sondern mit einer Stadt, die während der Zeit des Bestehens der Kolonie Deutsch-Ostafrika (1885 - 1919) eine wichtige Rolle als nördliches Handels- und Verwaltungszentrum erfüllt hat. Tanga war neben Dar-es-Salaam Hauptausfuhrhafen für „Kolonialwaren” und hatte im Gesamtsystem des Kolonialismus eine große Bedeutung, die auf der im Hinterland Tangas betriebenen Plantagenwirtschaft beruhte, deren Produkte mit der ab 1893 errichteten Usambara-Bahn nach Tanga verfrachtet wurden. Die Plantagenwirtschaft war ein äußerst repressives System, das die bestehenden Strukturen der afrikanischen Landwirtschaft bedrohte, teilweise zerstörte und nur durch Zwangsarbeit aufrecht erhalten werden konnte; dazu gehörte auch die Prügelstrafe, die mit großer Brutalität an den Afrikanern vollzogen wurde. Die Haltung der meisten Plantagenbesitzer gegenüber den Afrikanern war arrogant und rassistisch. Durch die Einführung einer Kopf- und Hüttensteuer wurden die Menschen gezwungen, ihre Arbeitskraft an die Kolonialherren zu verkaufen. Die 1892 in Tanga gegründete „Deutsche Schule” diente nicht einfach dazu, Afrikanern aus reiner Menschenfreundlichkeit Bildung zu vermitteln, sondern sie hatte als Regierungsschule die Aufgabe, willfährige Helfer für den Verwaltungsapparat der Kolonie heranzuziehen, die im Sinne der Kolonialherren agieren bzw. die Unterdrückung der Bevölkerung absichern sollten. Die deutschen Kolonialherren führten in Tanga eine Art Apartheidsystem ein, wodurch die Stadt in getrennte Wohnquartiere für Europäer und Afrikaner getrennt wurde (nachzulesen in dem Buch von Jürgen Becher: Dar es Salaam, Tanga und Tabora / Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft 1885 - 1914.- Stuttgart, 1997).

Anlässlich des Besuches der Delegation aus Tanga wurde im Rathaus-Foyer von Bürgerinnen und Bürgern Eckernfördes eine Ausstellung zusammengestellt, laut Begleittext soll sie „ihren ganz persönlichen Blick auf die afrikanische Stadt am indischen Ozean” darstellen. Dies ist zum Teil gut gelungen, dort wo ein lebendiges Bild aktuellen afrikanischen Lebens vermittelt wird. Die „persönliche” Art der Thematisierung des deutschen Kolonialismus in Ostafrika ist jedoch dürftig und äußerst fragwürdig. Unter der Überschrift „Deutsche Spuren aus der Kolonialzeit” heißt es: „Tansania war von 1885 bis 1919 deutsche Kolonie, Tanga ein ‚kaiserliches’ Verwaltungszentrum. Aus diesen Jahren der Unfreiheit sind noch zahlreiche Gebäude, Denkmäler und Grabmäler erhalten; zum Teil von den Tansaniern sorgfältig restauriert. In Gesprächen mit der einheimischen Bevölkerung erfahren deutsche Besucherinnen und Besucher aber nur positive Erinnerung an die Kolonialzeit; nirgendwo spürt man Anklage oder gar Hass. Deutschland sollte das Positive dieses Erbes fördern.” Die Behauptung, deutsche Besucherinnen und Besucher erführen in Tansania „nur positive Erinnerung an die Kolonialzeit”, legt den Schluss nahe, die Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika würde dort heutzutage generell als positiv, als „gute Zeit” wahrgenommen.

Das ist jedoch ein gefährlicher Unsinn, der - gewollt oder ungewollt - dazu dient, die großenteils katastrophalen Zustände in der Kolonie Deutsch-Ostafrika zu verharmlosen und von Kolonialverbrechen abzulenken, die aber Bestandteil unserer gemeinsamen afrikanisch-deutschen Geschichte sind. Richtig an der Behauptung ist, dass die deutsche Kolonialzeit heute in Tansania häufiger als noch vor einigen Jahrzehnten positiv betrachtet wird. Das liegt hauptsächlich daran, dass niemand mehr am Leben ist, der die Zeit selbst erlebt hat - im Unterschied zur britischen Herrschaft ab 1919, die bis in die 60er Jahre bestand. „Kolonialismus” wird deshalb häufig mit dem britischen Kolonialsystem identifiziert. Unsinnig und geradezu zynisch ist die Behauptung aber deshalb, weil sie so verstanden werden kann, als sei die Zeit des deutschen Kolonialismus ein Segen für Tansania gewesen. (Dazu passt übrigens die unkommentierte Präsentation eines jener Sammelbilderalben in der Ausstellung, in denen „unsere Kolonien” seinerzeit zum Ergötzen deutscher Buben und Mädels verherrlicht wurden). Wenn der Kolonialismus segensreich für Ostafrika gewesen wäre, ist zu fragen, warum sich die afrikanische Bevölkerung von Beginn an immer wieder in zahlreichen Aufständen gegen die deutschen Kolonialherren und ihre einheimischen Helfer zur Wehr gesetzt hat und warum diese Aufstände durch die sogenannte Schutztruppe niedergeschlagen werden mussten? (Die Truppe bestand zu einem geringen Teil aus deutschen Offizieren. Diese befehligten afrikanische Söldner, „Askaris”, welche im wesentlichen aus anderen afrikanischen Ländern angeworben wurden, z.B. aus dem Sudan, aus Mocambique oder Somalia. Als Landfremde ließen sie sich einfacher als Einheimische im Kampf gegen die Bevölkerung einsetzen.) Es verging praktisch kein Jahr, in dem nicht irgendwo in Deutsch-Ostafrika bewaffneter Widerstand gegen die Besetzung des Landes durch die deutschen Kolonisatoren ausbrach. Ich erinnere an drei besonders bedeutende Ereignisse:

  1. 1888 bis 1889: „Araber”-, bzw. Küstenaufstand. Zentren des Aufstandes sind Bagamoyo, Pangani, Tanga, Mikindani und Kilwa. Bis Ende September 1888 sind die Deutschen aus allen Küstenorten außer Dar-es-Salaam und Tanga vertrieben. Im Mai 1889 landet eine deutsche Invasionsarmee unter Hermann von Wissmann mit der Begründung des Kampfes gegen Sklaverei und zur Verbreitung des Christentums. Es wird eine Schreckensherrschaft errichtet, der viele Afrikaner zum Opfer fallen. Unterstützt wird dies durch eine britische Seeblockade.
  2. Am 17.08.1891 erleidet die „Schutztruppe” eine vernichtende Niederlage durch das Volk der Wahehe im Süden des Landes. Der Widerstand der Wahehe setzt sich bis 1898 fort (Selbstmord ihres Anführers Mkwawa). Parallel dazu und später finden u.a. Aufstände der Dschagga (Bezirk Moschi), der Wagogo (Dodoma), der Mafiti (Mahenge) oder der Wangoni (Ssongea) statt. An Mkwawa erinnert heute eine Gedenkstätte in Kalenga.
  3. 1905 - 1907: Maji-Maji-Aufstand. Infolge der Einführung einer Kopf- und Hüttensteuer und des Arbeitszwanges für Afrikaner bricht auf Baumwollplantagen in den südlich von Dar-es-Salaam gelegenen Matumbibergen 1905 ein Aufstand aus. Er dehnt sich rasch über das gesamte südliche Territorium der Kolonie aus und wird in einem fast dreijährigen Krieg brutal niedergeschlagen. Die amtliche Bilanz von Seiten der Kolonialherren spricht von 75000 Toten. Tatsächlich ist die Zahl der Opfer wesentlich höher. Afrikanische Forscher der Universität Dar-es-Salaam (u.a. John Iliffe und Gilbert Gwassa) haben in den 60er Jahren mit der Erforschung der Ereignisse begonnen und zahlreiche, damals noch lebende Zeitzeugen befragt („Maji-Maji-Research-Project”). Infolge dieser und neuerer Forschungsarbeiten geht man heute von einer Zahl der Opfer von 250000 bis 300000 aus. Sie resultiert nicht allein aus unmittelbaren Kampfhandlungen der „Schutztruppe” und ihren Massakern, sondern auch aus einer Strategie der „verbrannten Erde”, die die Nahrungsgrundlagen der Bevölkerung systematisch vernichtete (nachzulesen beispielsweise in dem Buch von Felicitas Becker und Jigal Beez: Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905 - 1907.- Berlin, 2005). Dieses Kolonialverbrechen größten Ausmaßes ist im Unterschied zum Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland weitgehend tabuisiert.
Tanga Hafen, ca. 1905
Hafenscene aus Tanga (ca. 1905)

Julius Nyerere, späterer erster Staatspräsident Tansanias, sagte 1956 in einer Sitzung eines Ausschusses der UNO über den Maji-Maji-Aufstand: „Die Menschen kämpften, weil sie nicht an das Recht des weißen Mannes glaubten, die Schwarzen zu regieren und zu zivilisieren. Die heutige tansanische Gesellschaft ist ohne die historische Erfahrung des Maji-Maji-Krieges nicht denkbar.” Nicht die Erinnerung an die angeblichen Segnungen des deutschen Kolonialismus sondern im Gegenteil das Erinnern des landesweiten Widerstandes dagegen hat einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung Tansanias als gemeinsame Nation vieler verschiedener Völker geleistet. Dies wird heute gerne vergessen. Die Gründe dafür sind vielfältig und können an dieser Stelle nicht ausführlich erörtert werden. Festzuhalten ist, dass der Umgang mit der kolonialistischen Vergangenheit sowohl in Tansania, als auch hierzulande umstritten ist. Die Behauptung, dass sich in Tansania angeblich niemand dafür interessiert, reicht indes keinesfalls aus, in Deutschland dieses finstere historische Kapitel zu verschweigen. Übrigens meinte ein Mitglied der Delegation aus Tanga in einem Gespräch mit mir, es sei sehr wichtig („very important”), sich damit zu befassen.

Infolge des Maji-Maji-Aufstandes kam es ab 1907 zu einer Änderung der brutalen Kolonialpolitik in Deutsch-Ostafrika. Die schlimmsten Repressionen wurden von Seiten der Kolonialregierung gelockert, Prügelstrafen abgemildert, allerdings gegen den Widerstand der meisten Plantagenbesitzer. Doch die nächste Katastrophe kam bald: der erste Weltkrieg forderte in Deutsch-Ostafrika auf Seiten aller Kriegsparteien insgesamt weitere mehrere Hunderttausende von Toten. Der deutsche Oberbefehlshaber, General von Lettow-Vorbeck, wurde nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland als „im Felde unbesiegter” Kolonialheld gefeiert. Alljährlich wurde mit großem Brimborium der „Schlacht von Tanga” (November 1914) gedacht, in der die „Schutztruppe” eine englische Invasion erfolgreich abgewehrt hatte. In der Ausstellung im Rathaus-Foyer wird dieses Ereignis genannt, die vielen afrikanischen Opfer des noch bis 1918 fortdauernden Krieges aber werden nicht erwähnt.

Die dunklen Kapitel der gemeinsamen deutsch-afrikanischen Geschichte lassen sich weder durch Verschweigen, noch durch waghalsige Interpretationen aus der Welt schaffen. Die oben angeführte Bemerkung aus der Ausstellung im Rathaus-Foyer muss leider als Verhöhnung der Opfer des deutschen Kolonialismus in Afrika verstanden werden, dessen Folgen noch heute spürbar sind. Eine Folge ist eine Weltwirtschaftsordnung, die es den afrikanischen Staaten nicht erlaubt, ihre Produkte zu fairen Bedingungen auf dem Weltmarkt anzubieten. Neokolonialistische Ausbeutung im Interesse der reichen Staaten des Nordens besteht weiterhin fort. Afrika fungiert als Reservoir billiger Rohstoffe für die Industriezentren des Nordens. Hoffentlich dient die Städtepartnerschaft zwischen Eckernförde und Tanga ein wenig dazu, diese Herrschaftsverhältnisse überwinden zu helfen.

Natürlich muss eine Städtepartnerschaft zwischen Eckernförde und Tanga den Blick in die Zukunft richten. Die Menschen in Tanga und Eckernförde wünschen sich eine bessere Welt, in der alle in Frieden und in sozialer Sicherheit leben können, hier wie dort. Diesem Wunsch dienen auch die von Eckernförde ausgehenden Hilfsprojekte in Tanga. Grundlage für eine bessere Zukunft ist jedoch zugleich auch die genaue Kenntnis der finsteren Kapitel der gemeinsamen Geschichte.

Rainer Beuthel
(Ratsherr DIE LINKE in Eckernförde)

Eine kleine Literaturauswahl zum Thema:

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