(Gegenwind 299, August 2013)

Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.): Blut und Ehre.
Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.): Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland.
Ch. Links Verlag, Berlin 2013,
286 Seiten, 19,90 Euro

Buchbesprechung

Die zufällige Entdeckung einer Mordserie

Anfang November 2011 wurde angeblich zufällig entdeckt, dass eine Mordserie an eingewanderten Geschäftsinhabern bzw. ihren Verkäufern Taten einer Terrororganisation von Nazis waren. Sehr schnell wurde dann verbreitet, die „Zelle” oder das „Trio” wäre eine isolierte und versteckte Gruppe gewesen, sie hätten keine Kontakte gehabt und nichts veröffentlicht, deshalb habe man sie auch nicht entdecken können.

Inzwischen wissen wir, dass das nicht stimmte und nicht stimmt. Denn zwischen November 2011 und Sommer 2012 wurden in etlichen Behörden und Geheimdiensten hektisch Akten vernichtet, anschließend fünf Geheimdienstchefs als „Verantwortliche” für die Vertuschungsaktionen ermittelt und entlassen oder zum Rücktritt gezwungen. Untersuchungsausschusse erhielten zögerlich immer mehr Listen von Unterstützern des NSU, Stück für Stück kamen auch Veröffentlichungen der letzten Jahre ans Licht. Unter den Unterstützerinnen und Unterstützern, deren Zahl bundesweit inzwischen 130 Personen übersteigt, sind auch etliche „Informanten” verschiedener Geheimdienste und Sicherheitsbehörden, von Polizei und Verfassungsschutz. Wenn diese wirklich keine Informationen zur Mordserie geliefert haben, stellt sich natürlich die Frage, warum sie jahrelang bezahlt wurden und warum 2011 und 2012 die Akten vernichtet wurde.

Die Autoren des vorliegenden Buches, beides Journalisten, tragen jetzt auf 286 Seiten zusammen, was über die Nazi-Szene bekannt ist, wie sie in den letzten 20 Jahren agiert hat und warum die These vom „Trio” offensichtlicher Quatsch ist.

Zunächst geht es um die „Entdeckung” der Terrorzelle, wobei ja viele Unstimmigkeiten nicht geklärt sind. Auch der Prozessbeginn in München erinnert so gar nicht an einen Prozessbeginn gegen eine Terrororganisation. Auch die Ermittlungen im Vorfeld, z.B. wurden die gesicherten Spuren zum Bombenanschlag in Köln bei der Polizei vernichtet, lassen einige Probleme im Prozess erwarten - ganz abgesehen von den Akten, die vor Prozessbeginn ganz gezielt vernichtet wurden, teils nachdem die Bundesanwaltschaft sie angefordert hatte.

Im nächsten Teil wird dann der „Terror von rechts” dargestellt, wie es ihn zwischen 1945 und 1990 in West- und Ostdeutschland gab. Da geht es zum Beispiel um das Attentat auf Rudi Dutschke, das Oktoberfest-Attentat, die „Gruppe Ludwig” oder das „Kommando Omega”. Aber während der Staat auf die RAF sehr umfassend, mit einer Mobilmachung der Polizei und der Gesetzgebung reagierte, mit Stuttgart-Stammheim einen eigenen Gerichtssaal mit Gefängnis baute, war dieser Terrorismus von Nazis nie bedrohlich für den Staat.

Die nächsten sechs Kapitel sind parallel geschrieben: Es geht einerseits um die Entstehung, den Aufbau des bundesweiten Netzwerkes und die Morde des NSU, schließlich um die Aufklärung und offensichtlich nicht gewollte Aufklärung. In drei parallelen Kapiteln geht es um den Nazi-Terror der Jahre 1990 bis 2011, der nicht dem NSU angerechnet wird, aber eben auf genau das gleiche Netz in Sachsen und Thüringen, in Nürnberg, München, Dortmund und Hamburg zurückgriff, auf die gleichen Leute, die gleichen Strukturen.

Die drei und viele der übrigen lernten sich Anfang der 90er Jahre kennen - zur Zeit des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, der Anschläge in Mölln und Solingen, dem Brand des Flüchtlingsheims in Lübeck. Sie und ihre Freunde machten mit und erlebten, dass Pogrome und Anschläge die Abschaffung des Asylrechts zur Folge hatten, also von der Politik, von CDU und SPD positiv aufgegriffen wurden. Sich selbst erlebten die späteren Terroristen und Mörder in einer Position der „Vollstrecker der Mehrheitsmeinung” - alle redeten, sie wollten handeln.

In dem nächsten Kapitelpaar geht es dann einerseits um die Morde und die verschiedenen Möglichkeiten, wer die Verbrechen unterstützt hat. Andererseits geht es um die Veränderungen der Szene, zum Beispiel der Veränderung von „Rechtsrock-Gruppen” zu kriminellen Vereinigungen, dem Aufbau des „Blood-and-Honour”-Netzwerkes, dem auch die NSU-AktivistInnen nahe standen. Außerdem wird der Aufbau einer Unterstützungsstruktur des Ku-Klux-Klan beschrieben, unter anderem innerhalb der Polizei in Baden-Württemberg, wo auch Michele Kiesewetter ihren Dienst tat. Und es geht um die „Combat 18”, die „Kampfgruppe Adolf Hitler”. Sie propagierte ein Konzept des „führerlosen Widerstands”, bei der die Taten für sich selbst sprechen sollten (ohne Bekennerschreiben) - ein Konzept, das allen relevanten Sicherheitsbehörden bestens bekannt war, weshalb es verwundet, dass sie hinterher das „Fehler von Bekennerschreiben” als Ausrede benutzen wollten, nicht gegen die Täter der Mordserie ermittelt zu haben.

Das dritte Kapitel-Paar behandelt schließlich die Nicht-Ermittlung im rechtsradikalen Spektrum durch alle Sicherheitsbehörden. Während heute von offizieller Seite eine „mangelhafte Zusammenarbeit” oder das „Fehlen einer zentralen Datenbank” als ein Grund für die lange andauernde Mordserie genannt wird, bleibt die Fragen, wo die Behörden bei Nicht-Ermittlungen hätten zusammenarbeiten können und welche Datenbank fehlen könnte, wenn man gar nicht ermittelt. Parallel dazu werden die aktuellen Entwicklungen in der Nazi-Szene beschrieben, unter anderem die Gewalttaten in Halberstadt, Pölchow, Kiel, Bückeburg und Oschatz.

„Sie taten alles, aber sie schauten nicht nach rechts”. So fassen die Autoren das Handeln der staatlichen Behörden zusammen. Und das gilt nicht nur für die Mordserie an den eingewanderten Geschäftsleuten. Das gilt auch bei den Gewalttaten gegen Einwanderer, Obdachlose, Punker und alle anderen, die quer durch die Republik täglich stattfinden. Anschließend ziehen die Autoren daraus ihre Schlussfolgerungen, bezogen auf die Diskussion über V-Leute oder ein NPD-Verbot. „Anti-rechts-Initiativen brauchen eine andere Förderung”, so eine der Forderungen, die sie im Ergebnis erheben.

Das Buch schließt mit einem umfangreichen Sachregister, einem Ortsregister und einen Personenregister. So wird es auch zum Handbuch, zum Nachschlagewerk für alle, die sich für rechte Gewalt in Deutschland interessieren.

Reinhard Pohl

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