(Gegenwind 298, Juli 2013)
Jedes Atomkraftwerk verfügt über ein „Zwischenlager” für Atommüll, der direkt am Standort gelagert wird. „Zwischenlager” deshalb, weil ein Endlager nicht existiert - das soll ja mit einem eigenen Gesetz in den nächsten Jahren erst gesucht werden. In Brunsbüttel hat ein Anwohner gegen die Betriebsgenehmigung des Zwischenlagers geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat dem Brunsbütteler Kläger in allen seinen Klagepunkten Recht gegeben. Die Pressemitteilung des Gerichts kann auf der Homepage des OVG (einfach „OVG Schleswig” bei google eingeben) nachgelesen werden.
Während der zweitägigen mündlichen Verhandlung saßen dem Kläger, seinem Anwalt und seiner Gutachterin ca. 15 Vertreter des Bundesamts fürStrahlenschutz und von Vattenfall gegenüber. Der Vorsitzende Richter nannte deutlich, worauf des dem Gericht ankomme. Er sprach unverblümt davon, dass sich die Richter „in einem Dilemma befänden, weil sie mit einer Stange im Nebel herumstochern müssten”; denn das beklagte Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), eine Behörde des Bundesumweltministers, das die Genehmigung erteilte, hatte wichtige Gutachten teilweise geschwärzt oder gar nicht herausgegeben. Außerdem war der Absturz eines A380 und der Beschuss mit modernen panzerbrechenden Waffen gar nicht betrachtet worden.
Das BfS kann versuchen, das Urteil beim Bundesverwaltungsgericht anzufechten. Es kann aber auch eine neue Genehmigung erteilen, dann unter Berücksichtigung neuester Waffentechnik und dem Absturz schwerer Verkehrsflugzeuge. Wie dann mit „geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen” verfahren wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin gibt es eine sogenannte „temporäre Erhöhung der Sicherheit” in Form von mehr Wachpersonal. Bis das Urteil rechtskräftig wird, bleibt alles beim Alten, möglicherweise wurstelt man sich mit einer „Notverordnung” durch.
Das BfS behauptet weiterhin, das Zwischenlager sei sicher: „Bei allen Zwischenlagern wurde der gezielte Flugzeugabsturz bereits in den Genehmigungsverfahren berücksichtigt.” Das BfS hört nicht auf damit, die Öffentlichkeit zu täuschen; denn gegen den Absturz eines A380 wurden die Zwischenlager NICHT ausgelegt.
Umweltminister Habeck sah bei seinen Interviews recht unglücklich aus. Er fürchtet, dass das Endlagersuchgesetz nicht mehr vor der Sommerpause verabschiedet wird. (Wir würden gerade das begrüßen; denn das Endlagersuchgesetz ist grottenschlecht. Es hebelt die Rechte von Anwohnern aus und wird unserer Einschätzung nach nicht zu einer akzeptablen Lösung führen.) Laut den Lübecker Nachrichten vom 21. Juni hält Habeck das Zwischenlager „weiter für sicher. Seine Atomaufsicht habe keine anderen Erkenntnisse”. Das Angebot Schleswig-Holsteins, Atommüll aus Sellafield aufzunehmen, bleibt nach Habeck bestehen. „Die Diskussion wird sich aber nicht mehr so stark auf Brunsbüttel konzentrieren”, LN vom 21. Juni. Damit sind Brokdorf und Krümmel als weitere mögliche Zwischenlager benannt, auch wenn sie die gleichen Sicherheitsmängel aufweisen. Aus unserer Sicht hat Habeck es versäumt, das Angebot der Zwischenlagerung an die Bedingung zu knüpfen, dass kein zusätzlicher Atommüll mehr in Schleswig-Holstein produziert werden darf.
Wir sind froh über das Urteil. Endlich hat ein deutsches Gericht deutlich gemacht, dass nicht nachgewiesen ist, dass Atomanlagen, so kostengünstig wie sie gebaut wurden, gezielte Angriffe unbeschadet überstehen. Aus unserer Sicht gilt das genauso für Hochwasser, Erdbeben, Notstromfälle usw., weil zu niedrig bemessene Lastannahmen beim Bau zugrunde gelegt wurden (genauso wie in Fukushima).
Die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Unterlagen sollte nicht zur Einschränkung der Aufklärungspflicht von Gerichten führen, sondern zur Beendigung der gefährlichen Atomtechnologie.
Wir überlegen, wie das Urteil zum Sofortausstieg aus der Atomstromproduktion genutzt werden kann. Auch ohne AKW wäre genügend Strom da. Im AKW Brokdorf wird pro Stunde ca. 1 Kilogramm Atommüll produziert. Das sind bis zum vorgesehenen Betriebsende im Jahr 2021 weitere ca. 80 Tonnen Atommüll, die ca. 5 Tonnen Plutonium enthalten und in ca. 25 Castoren gelagert werden müsste. Bei 9 noch laufenden AKW in Deutschland sind das fast 200 zusätzliche Behälter.
Habeck erkennt, dass „wir rausmüssen aus dieser Atomtechnik”, shz vom 21. Juni. Allerdings sind uns bislang keinerlei Aktivitäten aus der Reaktoraufsichtsbehörde bekannt, die eine Stilllegungsverfügung oder Nachrüstungsforderungen auf den Weg bringen sollen. Falls das Atomgesetz trotz der vielen Stresstests und BMU-Nachrüstungslisten, die nach Fukushima durchgeführt bzw. erstellt wurden, keine Handhabe bietet, AKW stillzulegen, muss der Energiewendeminister im eigenen Bundesland und im Bund so agieren, dass die politischen Mehrheiten für eine Atomgesetzänderung beschafft werden. Ohne AKW wäre die Energiewende ein Selbstgänger.
Ein ähnliches Urteil gegen ein bestandskräftig genehmigtes Zwischenlager durch eine Anwohnerklage zu erzielen, scheint juristisch äußerst anspruchsvoll. Das Zwischenlager Brokdorf würde sich anbieten; denn in Brokdorf wird noch Atommüll produziert, und das Nasslager ist nahezu voll. Um diesen Weg zu gehen, müsste ein Anwalt gefunden und Geld gesammelt werden.
PS: Am 8. Juli beginnt die 25. Jahresrevision im AKW Brokdorf.
Karsten Hinrichsen
www.brokdorf-akut.de
Die Klage eines Anwohners gegen die Bundesrepublik Deutschland ist vom Bundesverwaltungsgericht zur erneuten Sachaufklärung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen worden. Der Prozess beginnt am Montag, dem 17. Juni 2013, 10 Uhr, und ist zunächst für 3 Tage terminiert.
Die Genehmigung für das atomare Standortzwischenlager (ZL) Brunsbüttel wurde am 28.11.2003 vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) erteilt. Am 17.2.2004 reichte ein Brunsbütteler Bürger dagegen Klage ein. Das OVG Schleswig wies die Klage am 31.1.2007 ab. Das Bundesverwaltungsgericht gab der dagegen eingelegten Revision statt und verwies die Klage mit Beschluss vom 10.4.2008 ans OVG zurück mit der Aufforderung zu prüfen, ob die Genehmigung willkürfrei erteilt worden ist.
Das OVG hatte die Klage damals abgewiesen, weil es die maßgeblichen Vorschriften des Atomgesetzes zum Schutz vor Störmaßnahmen und Einwirkungen Dritter (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG) generell für nicht drittschützend ansah und damit Anwohnern von Atomanlagen einen Schutzanspruch im Hinblick auf terroristische Angriffe, insbesondere in Bezug auf den (gezielten) Flugzeugabsturz und einen Angriff mit panzerbrechenden Waffen grundsätzlich absprach.
Das Verfahren hat Rechtsgeschichte geschrieben, weil das Bundesverwaltungsgericht höchstrichterlich geklärt hat, dass Kläger überprüfen lassen können, ob mit der atomrechtlichen Genehmigung ausreichende Schutzvorkehrungen gegen entsprechende (auch terroristisch motivierte) Ereignisse getroffen worden sind. (Diese neue Rechtsauffassung war nach den Ereignissen in den USA vom 11.9.2001 überfällig.)
Die Sachaufklärung durch das OVG gestaltet sich indes äußerst schwierig:
Das beklagte BfS hat es abgelehnt, dem Gericht detaillierte Angaben zu den vorgesehenen Schutzmaßnahmen vorzulegen. Dies wird damit begründet, dass mutmaßliche Täter daraus Schlüsse ziehen könnten, wo Lücken im Sicherungskonzept liegen und wo bauliche Schwachstellen vorliegen.
Die Anwälte der beigeladenen Firma Vattenfall behaupten sogar dreist, dass diese Geheimhaltung auch zum Wohle des Klägers gereicht (der ja seine Klage gar nicht detailliert begründen kann); denn es sei für den Kläger besser, die Klage zu verlieren als wenn Terroristen technische Daten zur Kenntnis bekämen.
Dem Gericht geben die Anwälte praktisch die Empfehlung, ohne Kenntnis der Unterlagen einfach nach dem gesunden Menschenverstand zu urteilen.
Hier soll also die grundgesetzlich verbriefte Gewaltenteilung eingeschränkt und die Kontrollfunktion der Gerichte ausgehöhlt werden. Der Gesellschaft dienlicher wäre es, sich einer derart gefährlichen Technologie schnell zu entledigen, statt die Aufgaben der Organe des Rechtsstaats zu beschneiden.
Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hatte für das BfS die Flugzeugabsturzsicherheit des ZL Brunsbüttel begutachtet und dabei nur leichtere Flugzeugtypen als den Airbus A380 betrachtet. In einem Schreiben der GRS vom 28.4.2013 heißt es, dass ihr zum Zeitpunkt der Genehmigung (Ende 2003) keine detaillierten Konstruktionsdaten vorgelegen hätten. Diese seien von der GRS erst im Herbst 2005 von der EADS "erbeten" worden. Mit dieser Ausrede kann sich das Gericht unmöglich abspeisen lassen; denn - von kleineren späteren Veränderungen abgesehen - lagen die Konstruktionsdaten natürlich bei EADS vor. Es sollen 2003 sogar schon ca. 100 Bestellungen für den A380 vorgelegen haben.
Es liegt ein offensichtliches Ermittlungsdefizit der Genehmigungsbehörde vor. Der A380 ist ca. doppelt so schwer wie die bis dahin größten Verkehrsflugzeuge und seine Tanks können ca. 310.000 Liter Treibstoff fassen.
Die Methodik, mögliche auslösende Ereignisse kleiner anzunehmen als sie sind, in ihren Auswirkungen zu unterschätzen oder sogar ganz zu negieren, wird von Gutachtern gern angewendet, um die Kosten für erforderliche Gegenmaßnahmen für den Auftraggeber gering zu halten. (Probate Beispiele sind die zu niedrig bemessenen Sturmflutmauern am AKW Fukushima, die Deichhöhen an der Unterelbe, der Erdbebenschutz sowie als jüngstes Beispiel die zu niedrig bemessenen Deichbesticke an der Oberelbe.)
Vattenfall hat zwischenzeitlich einen Änderungsantrag für das ZL Brunsbüttel beim BfS gestellt, der noch nicht beschieden ist. Dabei soll es sich um das Verschließen von Lüftungsöffnungen und die Errichtung von Zwischenwänden im Inneren des ZL handeln, wodurch die Stellplatzkapazität sich von 80 auf 36 Castorbehälter verringern würde. Informationen zu diesem Genehmigungsverfahren werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Dem Vernehmen nach soll es sich dabei um die Erhöhung der Sicherheit gegen terroristische Angriffe handeln. (Vergleichbare Anträge sollen auch für die übrigen ZL in Deutschland gestellt worden sein.)
Es stellt sich die Frage, ob sich das Gericht nur mit der Rechtmäßigkeit der Genehmigung aus dem Jahr 2003 beschäftigen will oder auch mit der beantragten Umrüstung, die möglicherweise deshalb beantragt wurde, um einer Prozessniederlage zuvorzukommen.
Trotz dieser rechtlich unübersichtlichen Lage hatte Bundesumweltminister Altmeier das ZL Brunsbüttel (und das ZL Unterweser, das ebenfalls noch beklagt wird) als mögliche Abstellplätze für die aus dem Ausland zurückzunehmenden hochradioaktiven Glaskokillen benannt. Eine schnelle Entscheidung sei nötig, um das noch unbedingt vor der Bundestagswahl zu beschließende Endlagersuchgesetz verabschieden zu können. Durch diese Hektik ist die Rechtsprechung des OVG zusätzlich erschwert. Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat ihre Bereitschaft erklärt, einer Lagerung des Atommülls in SH unter Bedingungen zuzustimmen. Diese Bedingungen thematisieren aber weder die Sicherheit noch die Eignung des ZL Brunsbüttel. Auch dadurch lastet politischer Druck auf dem Gericht, dessen Entscheidung somit Einfluss auf die Endlagersuche nehmen könnte.
Die Initiative Brokdorf-akut hofft, dass das OVG eine gründliche Sachaufklärung durchführt und zu einem fairen Urteil kommt.
Initiative Brokdorf-akut
www.brokdorf-akut.de