(Gegenwind 297, Juni 2013)
Die Ursprünge der zuerst im März 1933 in Eutin und Bad Schwartau, ab Oktober 1933 in Ahrensbök angesiedelten Konzentrationslager reichen weit in die Zeit vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 zurück. Hier wurde eines der ersten, wenn nicht sogar das erste Konzentrationslager in Deutschland Anfang März 1933 eingerichtet. Denn nach der Landtagswahl vom 29. Mai 1932 übernahm die NSDAP mit absoluter Mehrheit die erste deutsche Alleinregierung im Freistaat Oldenburg und ernannte den SA-Führer Johann Heinrich Böhmcker zum Präsidenten der Regierung des oldenburgischen Landesteils Lübeck. Ab Ende Juli 1932 verfolgten hier 50 zu „Hilfspolizisten” ernannte arbeitslose SA-Mitglieder zusammen mit der Ordnungspolizei und der im September 1933 eingerichteten Eutiner Staatspolizeistelle die politischen Gegner der NS-Regierung. Ein Bericht des „Geheimen Staatspolizeiamtes” in Oldenburg führte ab 12. Januar 1933 zu ersten Verhaftungen der dort registrierten 50 KPD-Funktionäre im Landesteil Lübeck.
Das Gefangenenverzeichnis des Amtsgerichtes Eutin verzeichnet am 1. März 1933 allein 93 Verhaftungen von Funktionären der KPD, die in „Schutzhaft” genommen wurden (Amtsgericht Eutin, Nr. 499-592). Nicht wenige von ihnen waren schon 1931/32 mehrfach verhaftet und teilweise nach Lübeck überführt worden.
Am 11. März 1933 wurde der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Fick (Nr.520) aus Stockelsdorf verhaftet und sechs Monate im „Konzentrationslager” eingesperrt. Mitte bis Ende März 1933 folgten weitere Spitzenfunktionäre der SPD wie Hermann Pätau aus Bad Schwartau, Paul Thätner (Nr.542) aus Ahrensbök und Johannes Rebenstorf (Nr.535) aus Eutin, der wegen Überfüllung ins Amtsgerichtsgefängnis Ahrensbök eingeliefert wurde. Die meisten kamen in das zum staatlichen Konzentrationslager umgewandelten Eutiner Amtsgerichtsgefängnis und wurden in den Zellen der früheren Frauenabteilung im Erdgeschoss untergebracht. Parallel dazu wurden wegen staatsfeindlicher Betätigung im Süden des Landesteils vor allem SPD- und KPD-Mitglieder im Amtsgerichtsgefängnis Bad Schwartau in „Schutzhaft” genommen und im „Konzentrationslager untergebracht”. So nach den „Warnungen” des Regierungspräsidenten ab Juni 1933.
Im September 1933 entschloss sich die Regierung, die Häftlinge wegen Überfüllung der Gefängnisse in das Direktionsgebäude einer stillgelegten Chemischen Fabrik in Ahrensbök auszulagern, nachdem der Plan verworfen worden war, die stillgelegte Schule in Eutin-Neudorf in ein KZ für rund 100 Schutzhäftlinge umzuwandeln.
Am 3. Oktober 1933 wurde das KZ in Holstendorf eröffnet und mit geringfügigen Umbaumaßnahmen Platz für 70 Schutzhäftlinge geschaffen. Einige der im FAD-Wegebau eingesetzten Häftlinge kamen zeitweilig in den Außenlagern Neukirchen, Hemmelsdorf und Nüchel unter. Schon Anfang Dezember 1933 mussten sie für vier Klassen der abgewickelten staatlichen Realschule Ahrensbök Platz machen. Die Schutzhäftlinge zogen am 5. Dezember 1933 bis zum 8. Mai 1934 in ein leer stehendes Privathaus im Ortskern von Ahrensbök, Plöner Straße 15, um.
Einen Tag nach dem Reichstagsbrand erließ Reichspräsident Hindenburg am 28.2. 1933 die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat”. Sie setzte alle bürgerlich-demokratischen Grundrechte außer Kraft. Diese „Legalisierung” des Terrors erlaubte mit Erlass vom 3. 3.1933 in ganz Deutschland die Verhängung von „Schutzhaft” durch staatliche Dienststellen. Auch die Wehrverbände der NSDAP (SA und SS) erhielten das Recht, „Schutzhaft” für missliebige Personen auszusprechen und die Polizeikräfte bei der Verhaftung zu unterstützen. Das war die amtliche Grundlage für die Einrichtung der frühen Konzentrationslager, die ab März 1933 in Deutschland eröffnet und vielfach zunächst als „Schutzhaftlager” bezeichnet wurden. 1933/34 gab es in Deutschland rund 80 frühe KZ mit zahlreichen Außenlagern und fast 30.000 Häftlingen, davon rund 350 im Landesteil Lübeck des Freistaates Oldenburg. Sie sind nicht zu verwechseln mit den provisorischen Haft- und Prügelkellern der SA.
Ab Mitte 1934 entstanden im Zuge der Reorganisation des KZ-Systems nach der Schließung der frühen KZ und nach dem Vorbild von Dachau mehrere Haupt- bzw. Stammlager , zentral der „Inspektion der Konzentrationslager” unterstellt und ausschließlich von der SS bewacht. 1936 wurde der Aufbau dieser 22 „modernen Konzentrationslager” mit rund 1.200 Außenlagern fortgesetzt, die meist bis 1945 bestanden und ab 1942 dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) zugeordnet wurden.
Die frühen KZ von 1933/34 unterstanden keiner zentral zuständigen Dienststelle. Bei allen Überschneidungen und Mischformen unterscheiden wir heute vier frühe KZ-Typen:
Das KZ-System wurde nach 1939 durch Todes- bzw. Vernichtungslagern wie Auschwitz-Birkenau, Treblinka, Majdanek ergänzt. Dazu kamen rund 2000 Lager (Stalag) für Kriegsgefangene; unzählige Lager für rund 10 Millionen ausländische Zivil- und Zwangsarbeiter, davon auch einige in Ahrensbök. Weiter Lager für Gefängnis- und Zuchthaushäftlinge, davon allein 1300 in Polen; 78 Polizeihaftlager in den besetzten Gebieten; rund 100 Arbeitserziehungslager; 20 kommunale Zwangslager für Sinti und Roma; Ghetto-Lager für die jüdische Bevölkerung vor allem in Polen und der UdSSR (z.B. Lodz, Warschau, Riga, Bialystok); Mordanstalten (Euthanasie-Anstalten) u.a. in Grafeneck, Hartheim, Hadamar); Massenerschießungsorte in den besetzten Gebieten, z.B. Baby Yar, Lidice, Oradour; Tötungsorte mit mobilen Gas- Kraftfahrzeug in Polen etc.
Am 29 September 2013 wird um 11 Uhr in der Gedenkstätte Ahrensbök eine Ausstellung zum frühen Konzentrationslager eröffnet
Jörg Wollenberg
„Der Landtagsabgeordnete Karl Fick (SPD) aus Stockelsdorf wird nach 6 Monaten Haft aus dem Konzentrationslager (Eutin) entlassen”. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Fick erneut verhaftet und in das KZ Neuengamme eingeliefert. Er starb am 3. Mai 1945 infolge der Bombardierung der Cap Arcona. (siehe Auschwitz -Ausstellung im Parterre).
Eröffnung der Ausstellung zum frühen KZ am 29. September 2013, 11.30 Uhr im 1. Stock.
Die „Auffindung kommunistischer Flugblätter” führte u.a. zur Verhaftung von fünf KPD-Mitgliedern aus Stockelsdorf . Zahlreiche weitere Kommunisten und Sozialdemokraten aus Ostholstein und Altona wurden ab Anfang Oktober 1933 in das KZ Ahrensbök-Holstendorf, ab Dezember 1933 in das KZ Ahrensbök, Plönerstraße, eingeliefert. Ebenfalls verhaftet: Oppositionelle aus dem konservativen Lager wie der Ahrensböker Unternehmer Jungclaussen und der Eutiner Bürgermeister Stoffregen wie auch Rechtsanwalt Dr. Evers (alle DNVP) oder Georg Schubach aus Bosau vom Tannenberg-Bund. Insgesamt durchliefen 311 Männer 1933/34 das Konzentrationslager ( Ausstellung 1. Stock).
„Meliorationsarbeiten im Lindenbruch, die von Schutzhäftlingen ausgeführt werden, schreiten rüstig vorwärts.” Sie sollen bis Ende 1933 fertiggestellt werden. Mit der Anerkennung durch das Arbeitsamt wurde die Finanzierung der KZ-Häftlinge, des Wachpersonals und des Sachbearbeiters erstmals in Deutschland aus den Mitteln des FAD bestritten.
(Ausstellungseröffnung zum FAD/KZ-Komplex am 29. September 2013, 11.30 Uhr im Obergeschoss)
„Die Regierung besichtigte gestern das Realschul-Gebäude in Ahrensbök. Die Realschule wird mit Beschleunigung aufgelöst werden”. Geplante Schließung zum 1. 10.1933. Realschulklassen kommen im Dezember 1933 in diesem am 3. 10. 1933 zum KZ umgewandelten Gebäude unter. Das alte Realschulgebäude in der Lindenstraße wird SA-Schulungszentrum für 300 Jugendliche ab 1.10. 1933, später LBA. Außerdem soll das Hotel Weidemann ab Ostern 1934 in ein Landschulheim für Mädels aus dem Ruhrgebiet umgewandelt werden. Den Realschülern folgten im November 1934 rund 100 SS- Männer aus Österreich, die nach dem Scheitern des NS-Putsches in Wien über Jugoslawien nach Deutschland geflohen waren. 67 von ihnen wurden Anfang 1936 durch die Eutiner Landesregierung eingebürgert, darunterder Ahrensböker Kaufmann Rudolf Gruber (1913- 1982).
(Ausstellungseröffnung am 8. Dezember 2013 im 1.Stock, Schulraum).
„Die Umwandlung des Realschulgebäudes” ist aus der Sicht der Regierung ein Ausgleich für die „Opfer, die Ahrensbök bei der Verwaltungsreform zum 1.10. 1933” zu bringen hat: Ahrensbök verliert neben der Realschule das Stadtrecht II. Klasse, den Sitz des Amtsgerichtes und das eigene Bankwesen (Städtische Sparkasse). Die Gemeinde wird dafür vergrößert durch Gnissau, Teile von Siblin, Curau und Obernwohlde. Auch in der Zusammenlegung der Schutzhäftlinge aus den Amtsgerichtsgefängnissen Eutin und Bad Schwartau hier in diesem Gebäude sieht die Landesregierung eine Begünstigung für die Gemeinde mit nach wie vor über 35 Prozent Arbeitslosen bei knapp 5000 Einwohnern.
(Ausstellungseröffnung zur Geschichte des Direktionsgebäudes der Flachsröste am 14. April 2013 im Parterre)
„Verfolgung des Bettlerunwesens”: Das Attentat eines „Landstreichers” auf einen Polizisten in Neunkirchen gibt der Regierung den Anlass zur Verhaftung von Bettlern. Zahlreiche „Landstreicher” landen nach dem 1.10. 1933 im KZ Ahrensbök- Holstendorf (1. Stock).
Quelle: Ahrensböker Nachrichten, 56.Jg., 3.9.1933 und Anzeiger für das Fürstentum Lübeck, Nr.206, 3.9.1933
Ergänzung: Am 10.11. 2013 wird eine kleine Ausstellung zu Ahrensböks „Judenkartei” eröffnet. Ab 1935 führte der Bürgermeister eine „Judenkartei”. Am Beispiel der Familien des Tierarztes Beckhard-Asch und des Viehhändlers Noah Troplowitz wird das Schicksal der Juden dargestellt werden, einschließlich der Geschichte von Nelly Mann und der in Ahrensbök nach 1945 registrierten Juden, u.a. aus Auschwitz ( aus den Akten der Unterstützungsanträge und Wiedergutmachung).
Zusammenstellung der Daten und verantwortlich für die Ausstellungen im Auftrag des Vorstands der Gedenkstätte in Zusammenarbeit mit Wolf Leo und Dr. Ingaburgh Klatt
Prof. Dr. Jörg Wollenberg.