(Gegenwind 296, Mai 2013)
Vor einem guten Jahr wurde das Anerkennungsgesetz des Bundes in Kraft gesetzt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen malte damals das griffige Bild des Taxi fahrenden Akademikers, dem man mithilfe des so genannten „Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes” (BQFG) zu dem Recht verhelfen wollte, in seinem erlernten Beruf zu arbeiten. Die schwarz-gelbe Koalition preschte vor mit der Schlagzahl von 300.000 Migrant_innen, deren sozio-ökonomische Situation sich durch das Gesetz verbessern sollte. Zudem sollte mit dem Gesetz ein Schritt zur Behebung des eklatanten Fachkräftemangels in Deutschland getan werden.
Insgesamt haben etwa 2,9 Millionen Menschen mit Einwanderungshintergrund ihren Berufsabschluss im Ausland erworben. Bei nicht-reglementierten Berufen ist die volle Anerkennung dieser Berufsabschlüsse ein wichtiges Transparenz-Instrument für potentielle Arbeitgeber und erhöht die Chancen eines Berufseinstiegs; im Fall der reglementierten Berufe ist sie die notwendige Voraussetzung für die Berufszulassung. (Anm. 1)
Die größte Nachfrage nach Anerkennung herrscht im akademischen Bereich- dieser ist bisher gesetzlich allerdings unzureichend abgedeckt. Die Bundesländer stehen in der Verantwortung, den allgemeinen Rechtsanspruch auf das Anerkennungsverfahren auf landesrechtlich geregelte Berufe auszuweiten. Doch die nicht-reglementierten akademischen Berufe finden sich weder in dem Bundes- noch in den Landesgesetzen, die entweder schon in Kraft getreten sind oder sich aber im Gesetzgebungsprozess befinden. Ergo fährt der Akademiker aller Wahrscheinlichkeit nach weiterhin Taxi, denn ohne Anerkennung kein Job im erlernten oder studierten Beruf.
Heute zeigt sich: Trotz grundsätzlicher und überfälliger rechtlicher Verbesserungen wurden die von der Bundesregierung erzeugten Hoffnungen nicht erfüllt. Denn innerhalb der Gruppe der Arbeitsmigrant_innen gibt es signifikante Unterschiede anstatt Chancengleichheit. Und die im April von Bundesbildungsministerin Wanka so positiv bilanzierten 30.000 Antragsstellenden zeigen eine deutliche Diskrepanz zwischen den potenziell in Frage kommenden und den letztendlich erreichten Menschen mit im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen.
Wo also liegen die Hürden? Welche Personengruppen werden nach wie vor diskriminiert? Hat sich ein Jahr nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes der allgemeine einheitliche Rechtsanspruch auf berufliche Anerkennung in Deutschland tatsächlich erfüllt?
Eine strukturelle Hürde bei der Umsetzung der beruflichen Anerkennung für im Ausland erworbene Qualifikationen wird - wie so viele bildungspolitische Hemmnisse - durch den deutschen Bildungsföderalismus aufgebaut. Der allgemeine Rechtsanspruch auf das Anerkennungsverfahren wird durch einen Flickenteppich von Länder- und Ausnahmeregelungen aufgeweicht und damit insbesondere für Drittstaatsangehörige ausgehöhlt.
Umso mehr ist Schleswig-Holstein angehalten, in dem Landesanerkennungsgesetz mit Konsequenz Zugänge für alle landesrechtlich geregelten Berufsgruppen zu erleichtern.
Die Industrie und Handelskammern haben in Nürnberg eine zentrale Anerkennungsstelle (IHK Fosa) für die sie betreffenden Ausbildungsberufe eingerichtet und wiesen zum Ende des Jahres 2012 etwa 1490 Anerkennungsanträge auf mit etwa 400 Bescheiden. Die Handwerkskammern haben ein Leitkammern-System mit Herkunftslandprinzip etabliert, eine Mischung also aus dezentraler Beratungsstruktur und spezialisierten Anerkennungsstellen. Hier wurden bis November etwa 1300 Anträge gestellt und 274 Bescheide erteilt. Bündelungstendenzen zeichnen sich auch im Bereich der Ärzte- sowie Apothekenkammern ab. Die bundesweite Vereinheitlichung einer Anerkennungsstruktur im Bereich der nicht-reglementierten Berufe ist somit im Aufbau. Unter den Antragsstellenden hat die Mehrzahl ihre Qualifikation in der Türkei, Polen, Russland, Kasachstan und Rumänien erworben. Von den etwa 675 Bescheiden bis zum Ende 2012 wurde 414-mal volle Gleichwertigkeit bescheinigt und in 235 Fällen eine „Teilanerkennung” erteilt.
Eine Statistik für reglementierte Berufe soll zum Herbst 2013 vorgelegt werden.
In den Ländern laufen die Zeugnisbewertungsverfahren landesintern bei den zuständigen Landesbehörden. Der Aufbau einer einheitlichen Struktur mit effektiven Bündelungen - ähnlich der Kammern - um föderalistische Gräben zu überbücken, ist bis dato jedoch noch nicht erkennbar.
Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), angesiedelt an der Kultusminister_innen Konferenz, erstellt seit Jahren Gutachten als Bewertungsgrundlage für Anerkennung bzw. individuelle Zeugnisbewertung für Hochschulabschlüsse durch die Länderbehörden. Für diese Verfahren besteht weder ein allgemeiner Rechtsanspruch noch der einheitlich geregelte Zugang für Drittstaatsangehörige. Mit der notwendigen zusätzlichen Finanz- und Personalausstattung, läge dort die Expertise, um den Vollzug des BQFGs zu gewährleisten und darüber hinaus eine länderübergreifende Anerkennungsstelle für die landesrechtlichen Berufe aufzubauen. Allerdings müssten Bund und Länder die finanziellen Weichen dafür stellen.
Einem Marathonläufer, der auf halber Strecke stehen bleibt, kann man für sein Bemühen auf die Schulter klopfen - das Ziel wird er jedoch aller Wahrscheinlichkeit nicht erreichen. Vergleichbar mit diesem Bild ist das zweite Grundproblem des Bundesanerkennungsgesetzes: die fehlende Betrachtung des gesamten Anerkennungsverfahrens. Das BQFG nimmt leider nicht den Anerkennungsprozess als Ganzes in den Blick, sondern lediglich das Feststellungsverfahren, in dem die Gleichwertigkeit der ausländischen Berufsqualifikation mit der deutschen Referenzausbildung geprüft und etwaige Lücken aufgezeigt werden. Das ist ein wichtiger formaler Teil im Prozess der beruflichen Anerkennung - aber eben nur die halbe Strecke.
Wird der/dem Antragstellenden nur eine so genannte „Teilanerkennung” ausgesprochen, ist eine zweite Phase notwendig, um eine volle Anerkennung zu erreichen: die Nachqualifizierung. Nachqualifizierung durch Sprachkurse, Anpassungslehrgänge und Vorbereitungskurse auf Eignungs- oder Kenntnisprüfung (Drittstaatsqualifikationen) ist deshalb ein Grundpfeiler der beruflichen Anerkennung.
Der Haken: die Ausgestaltung passgenauer Maßnahmen und der zuständigen Trägerstruktur wird vom Bundesanerkennungsgesetz offen gelassen, wird also zur Durststrecke. Das Ziel eines erleichterten Berufseinstiegs für Migrant_innen kann ohne Nachqualifizierungszugang jedoch nicht erreicht werden. Dem Gesetz geht im Hinblick auf die berufliche Anerkennung also auf halber Strecke die Puste aus.
Für nicht reglementierte Berufe gibt es keinen Anspruch auf Nachqualifizierung. Darüber hinaus fehlt ein bundesweiter Beratungsanspruch, was es für viele Migrant_innen besonders schwierig macht, sich in dem unübersichtlichen Weiterbildungsdschungel zu orientieren, Anpassungsmaßnahmen zu finden, die zum Ziel führen und dafür eine Finanzierungsmöglichkeit aufzutun.
Der Aufwand und damit die Gebührenhöhe der Verfahren hängen vom Einzelfall ab und können sehr unterschiedlich ausfallen. Insbesondere die Finanzierung der Nachqualifizierung stellt für viele Antragsstellenden eine unüberwindliche Hürde dar.
Menschen im Leistungsbezug können nach SGB III eine Förderung für zertifizierte Maßnahmen erhalten. Diese unterliegt allerdings einer Ermessensentscheidung der Sachbearbeiter_innen im Jobcenter. Wird die Maßnahme allerdings nur an Berufs(fach)schulen oder Universitäten angeboten (deren Kurse nicht AV-zertifiziert sind), ist die Förderung unklar und eine Teilnahme kann den Wegfall des Bezugs der Leistungen zum Lebensunterhalt nach sich ziehen. Das betrifft beispielsweise Sozialpädagog_innen, Ergo- und Physiotherapeut_innen sowie Erzieher_innen.
Die häufig zu absolvierenden Praxisanteile einer Anpassungsmaßnahme stellen ebenfalls eine Herausforderung dar, denn sie erfordern eine Arbeitserlaubnis (und auch eine vorläufige Berufserlaubnis) in Deutschland. Diese kann beispielsweise an einer negativen Vorrangprüfung scheitern. Oder aber an einer negativen Ermessensentscheidung des Jobcenters, wenn dieses sich vorbehält, zum Beispiel im Falle der Ärzte keine „Überqualifizierung” finanzieren zu wollen.
Und schließlich kann die Teilnahme an einem Anpassungslehrgang unter Umständen zum Verlust des Freizügigkeitsanspruchs für Unionsbürger_innen führen. Diese haben das Recht, sich drei Monate in Deutschland aufzuhalten, bevor sie nachweisen müssen, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Da nachqualifizierende Maßnahmen in der Regel mehrere Monate dauern, kann als Konsequenz die Ausweisung drohen.
Lange Wartezeiten, bis der Zugang zu einer Maßnahme erteilt wird, sind eher die Regel als die Ausnahme.
Durch das Einstampfen von Weiterbildungsprogrammen wie AQUA wird diese Situation noch verschärft. Die Programmstelle AQUA der Otto-Benecke-Stiftung stellte bislang erfolgreich Weiterqualifizierungsangebote für inländische und ausländische arbeitssuchende und arbeitslose Akademiker_innen zur Verfügung. Das Bundesbildungsministerium hat die Finanzierung nun zum Herbst 2013 gestrichen und das Bildungsprogramm kann seit Februar 2013 keine neuen Anpassungsmaßnahmen und Vorbereitungskurse anbieten. Damit fällt ein wichtiges Nachqualifizierungsangebot weg. Die Folge ist: Für Ärzt_innen mit Drittstaatsqualifikationen, die eine berufliche Anerkennung in 2013 anstreben, wird es in diesem Jahr zumindest keine Lösung geben einen Vorbereitungskurs zur Kenntnisprüfung zu absolvieren. (Anm 2). Damit wird ein Stillstand hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Ärzt_innen erzwungen, der einer Neuausrichtung der beruflichen Anerkennungskultur in Deutschland diametral entgegen steht und angesichts des zunehmenden Ärztemangels in vielen Krankenhäusern schlicht nicht nachvollziehbar ist.
Geplant ist zwar ein neues Programm beim Bundesarbeitsministerium, offen bleibt aber, wann dieses an den Start gehen und wer davon erreicht wird.
All diese strukturellen und rechtlichen Hürden machen einerseits deutlich, dass wir eine vorausschauende Arbeitsvermittlung brauchen, die den Menschen und seine Kompetenzen in den Mittelpunkt stellt und einen qualifizierten Berufseinstieg fördert. Es muss darum gehen Perspektiven zu fördern, anstatt im Status quo zu verharren. Und sie zeigen andererseits, dass gesetzlich nachgebessert werden muss: Wir brauchen einen umfassenden Beratungsanspruch und eine gesetzlich geregelte Nachqualifizierungsstruktur.
Dazu gehören flankierende Maßnahmen wie Länder- und Bundesprogramme zur Förderung der beruflichen Anerkennung. Das „Hamburger Stipendienprogramm” für Menschen außerhalb des Leistungsbezugs geht derzeit mit gutem Beispiel voran. Es umfasst die Sicherung des Lebensunterhalts während der Anpassungsmaßnahmen bis zu 36 Monaten, sowie einmalige Zuschüsse für Kursgebühren, Lehrmaterial, Fahrtkosten, Übersetzungen, Verwaltungsgebühren, aber auch Kinderbetreuungskosten. Durch letzteres wird ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Teilnahme an Anpassungsmaßnahmen geleistet. Qualifizierte Frauen, die über den Familiennachzug nach Deutschland eingewandert sind, bislang aber keine berufliche Perspektive hatten, werden so mit einbezogen. Dies sollte keine Hamburger Ausnahme, sondern bundesweite Regel sein.
Mit dem geplanten schleswig-holsteinischen BQFG können wesentliche arbeitsmarktrechtliche Verbesserungen bei der Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen geschaffen werden. Doch Voraussetzung dafür ist ein mutiges Landesanerkennungsgesetz, dass sich dem zurzeit abzeichnenden länderübergreifenden Duktus, bestimmten Berufsgruppen wie Ingenieur_innen, Architekt_innen, Erzieher_innen und Lehrer_innen mit Drittstaatsqualifikationen einen gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang zu verweigern, entzieht.
Schleswig-Holstein könnte gemeinsam mit Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern einen progressiven norddeutschen Weg beschreiten, wenn mit dem Landesanerkennungsgesetz analog zu den EU-Abschlüssen auch einheitliche Verfahren über die Gleichwertigkeit von Drittstaatsqualifikationen beschlossen werden und die Regelungen in der Verordnung zur Gleichstellung von Lehrerqualifikationen für EU-Staatsangehörige auch auf Drittstaatsangehörige ausgeweitet würden. Mit einer norddeutschlandweit einheitlichen Rechtsgrundlage für die landesrechtlich geregelten Berufe, würde in der Metropolregion auch die Tür für länderübergreifende Anpassungsqualifizierungen geöffnet werden.
Um ausreichende Möglichkeiten zu schaffen, damit alle Erwerbsfähigen sich ihren Kompetenzen und Potenzialen entsprechend entwickeln und qualifizieren können, müssen wir den Ausbildungs- und Arbeitsmarktzugang auch für die Menschen verbessern, die als Flüchtlinge und Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind. Es ist unerträglich, Menschen hier im allgegenwärtigen Abschiebungsmodus zu halten und ihnen nicht einmal ausreichende Ausbildungs- und Arbeitsmarktzugänge zu gewähren. Ein schleswig-holsteinisches Landesstipendienprogramm, das diejenigen aktiv einbezieht, die sich in der Asylbewerberleistung befinden, wäre wünschenswert.
Voraussetzung für das Gelingen der beruflichen Anerkennung für Menschen mit ausländischen Qualifikationen - unabhängig der Staatsangehörigkeit - ist eine gemeinsame Anerkennungskultur der Länder, eine flächendeckende Nachqualifizierungsstruktur, ein erweiterter Beratungsanspruch, eine Arbeitsvermittlung, die auf Kompetenzförderung setzt, sowie flankierende Landes- und Bundesförderprogramme.
Nicht zuletzt brauchen wir aber auch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken. Denn die rechtliche Rahmensetzung kann letztendlich nur die formale berufliche Anerkennung fördern, die informelle setzt eine gesellschaftliche Öffnung voraus.
Bei all der Fachkräfterhetorik darf nie vergessen werden, dass es hier um Menschen, ihre Existenz und ihre Verwirklichungsmöglichkeiten geht.
Arfst Wagner
Mitglied des Deutschen Bundestages Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen (Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung)
Catharina J. Nies
M.A. (Politikwissenschaft)
Anmerkungen:
1. Es zeichnet sich darüber hinaus ab, dass die Anerkennung der mitgebrachten Qualifikation in absehbarer Zukunft zu einem entscheidenden Zuwanderungskriterium werden könnte.
2. Die Kenntnisprüfung auf Niveau des zweiten Staatsexamens wird von Ärzt_innen, deren Drittstaatsqualifikation mindestens einen wesentlichen Unterschied zum deutschen Medizinstudium aufweist und die eine Approbation anstreben, abgelegt.