(Gegenwind 295, April 2013)
Die Verletzungen sind nicht unerheblich und als er im Krankenhaus wieder zu sich kommt, fragt er sich was schlimmer ist: sein Gesundheitszustand oder die Konsequenzen, die sich nun ergeben. Immerhin ist er ein „Illegalisierter”, jemand ohne Aufenthaltsstatus und somit steht ihm die unmittelbare Abschiebung bevor, von den Kosten seines Krankenhausaufenthaltes ganz zu schweigen.
Die Wunden heilen recht schnell und als man ihn aus dem Krankenhaus entlässt, gibt man ihm Termine für die Nachuntersuchungen. Termine, die er nicht wahrnehmen wird, weil er sie nicht wahrnehmen kann. Zwar war er unschuldig an diesem Geschehen, ein völlig unbeteiligter Passant auf der Straße - aber es ändert nichts an der Tatsache selbst.
Recht bald stellen sich die ersten Beschwerden ein, die Schienen müssten entfernt werden und in seiner Not wendet er sich an einen Landsmann. Der bringt ihn kurzerhand in die Sprechstunde des Kieler Medibüros. Wenn jemand weiter weiß, dessen ist er sich sicher, dann die ehrenamtlichen Mitarbeiter in den Räumlichkeiten der ZBBS im Sophienblatt 64a in Kiel.
„Wir haben einmal die Woche Sprechstunde und vermitteln weiter in ärztliche Versorgung, zu Arztpraxen und Krankenhäusern”, sagt Sebastian Wernke. „Wir sind zur Hälfte immer besetzt mit Ärzten oder Ärztinnen bzw. Menschen mit medizinischem Hintergrund und zur Hälfte mit Erfahrenen aus dem sozialpädagogischem Bereich”.
Eine Vermittlung zu einer Arztpraxis, die die Weiterversorgung der Wunden übernimmt ist schnell gefunden. Nun das, was den jungen Mann noch auf der Seele liegt.
„Ein wichtiger Punkt, der vielen noch nicht klar ist. Ärzte und Ärztinnen machen auf keinen Fall strafbar, wenn sie Menschen ohne Papiere behandeln. Es gibt zwar einen Paragraphen im Aufenthaltsgesetz, der bestraft die Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, dies trifft aber auf keinen Fall für Mediziner zu, auch nicht für Krankenhausverwaltungen”, erklärt Mona Golla. „Im Gegenteil, diese Daten fallen unter die ärztliche Schweigepflicht und dürfen nicht an die Ausländerbehörde weitergegeben werden.”
Die Angst vor der Abschiebung ist also erst einmal vom Tisch, aufatmen. Bleibt die Kostenfrage. Er will es gar nicht zu Ende denken, was da auf ihn zukommt, zukommen wird.
„In diesem Fall greift das Sozialamt,” so Sebastian Wernke. „Die Krankenhausverwaltung rechnet direkt mit dem Amt ab. Und da die medizinischen Leistungen ja erbracht wurden, sind die persönlichen Daten wie Name oder Adresse völlig unerheblich. Hinzu kommt”, so der Student der Psychologie weiter, „dass es ein Unfall, ein Notfallgeschehen war, wo medizinische Leistungen erbracht werden müssen.”
„Natürlich ist das keine Lösung auf Dauer”, fügt Mona Golla hinzu. „Unsere Arbeit besteht aus zwei Säulen. Einmal aus der praktischen medizinischen Versorgung und aus der politischen Arbeit. Also irgendwann eine politische Lösung für das Problem zu finden. Also Menschen die keinen legalen Aufenthaltsstaus haben, irgendwie in normaler Form in die Gesundheitsversorgung zu integrieren. Eine Idee, wie das gehen könnte”, erklärt die Mitarbeiterin der ZBBS Kiel, „wäre der anonyme Krankenschein”.
„Wesen des anonymen Krankenscheins ist es,” fährt Sebastian Wernke fort, „dass Betroffene zu einer Clearingstelle gehen könnten, wo dann geklärt werden könnte, ob sie bedürftig sind oder nicht und ob es vielleicht auch noch andere Möglichkeiten gäbe, beispielsweise ein Asylverfahren anzustreben, womit dann ja auch eine andere Krankenversorgung möglich wäre. Falls festgestellt wird, dass sie bedürftig sind und dass beispielsweise kein Asylverfahren angestrebt werden kann, würde diese Clearingstelle einen Krankenschein ausgeben. Den anonymen Krankenschein, mit dem die Betroffenen dann, ganz normal wie jeder gesetzlich Versicherte, zum Arzt gehen könnten.”
Bis dahin wird aber noch viel Zeit vergehen. Und bis dahin wird es die Sprechstunde geben in den Räumen der ZBBS. Jeden Dienstag von 15:30 - 17:30 Uhr, Sophienblatt 64a - Kiel.
Germaine Adelt