(Gegenwind 293, Februar 2013)


Parteien

CDU Schleswig-Holstein taumelt

Relativ unglücklich verliefen die letzten Monate für die CDU Schleswig-Holstein. Jahrelang wurde Christian von Boetticher von der Führung als Nachfolger von Peter Harry Carstensen aufgebaut. Wenige Monate vor der Wahl wurden Details seines Privatlebens, die Beziehung zu einer 17-jährigen jungen Frau, bekannt. Verboten ist das nicht, aber in der CDU gilt es als unmöglich, er musste gehen. Die Nachfolge übernahm Jost de Jager.

Auch der ist nun Geschichte. Bei der Landtagswahl scheiterte er. Als „zu spät nominierter” hatte er keinen Wahlkreis, die neue Fraktion bestand aber nur aus den direkt gewählten Kandidaten. Mehr Stimmen, um auch Kandidaten von der Liste in den Landtag einziehen zu lassen, gab's nicht.

In anderen Parteien ist das kein Problem. Der SSW-Landesvorsitzende saß jahrelang „nur” in Kreistag, bei den Grünen ist sogar die Trennung von Parteiamt und Landtagsmandat vorgeschrieben. Die jetzige Abgeordnete Eka von Kalben musste nach der Landtagswahl vom Landesvorsitz zurücktreten, weil sie Abgeordnete wurde.

Bei der CDU war und ist es ein Problem: Zunächst wurde geguckt, ob einer der gewählten Abgeordneten „freiwillig” zurücktritt, um dem Vorsitzenden von Platz 1 der Liste nachrücken zu lassen. Dann entschied sich der Vorsitzende, für den Bundestag zu kandidieren - und musste in einer überraschend anberaumten Kampfabstimmung die in Flensburg und Schleswig „gesetzte” Kandidatin mit nur fünf Stimmen Mehrheit verdrängen: Mit 312:307-Stimmen wurde Sabine Sütterlin-Waack ausgebootet.

Beim Landesparteitag im November mobilisierte die Führung dann alles: Er sollte ohne Gegenkandidaten unbedingt mehr als 90 % der Stimmen erhalten. Zwar wurde er gewählt, aber „nur” mit 81 Prozent der Stimmen. Innerhalb der CDU gilt das fast schon als Niederlage, auch wenn er sich tapfer bedankte, die Wahl annahm und versprach, sich jetzt mit ganzer Kraft für den Wahlkampf in der Kommune (26. Mai 2013) und im Bund (22. September 2013) einzusetzen.

Das Versprechen hielt nur zwei Monate. Im Januar 2013 trat Jost de Jager zurück - für die gesamte Partei völlig überraschend. Und er trat gründlich zurück. Er verzichtete nicht nur auf seinen Vorstandsposten, auch auf die Kandidatur für den Bundestag, auf der Liste und im Wahlkreis Flensburg-Schleswig, und auf den Listenplatz 1 als Nachrücker für den Landtag. Er gab sogar bekannt, dass er überhaupt nicht mehr politisch aktiv sein wolle.

Reparaturarbeiten

Die Partei war und ist geschockt. Sie brauchte bis zum 15. Februar, um auf einer ersten Regionalkonferenz in Neumünster, denen Veranstaltungen in Bad Oldesloe und Schleswig folgten, einen neuen Kandidaten zu präsentieren. Reimer Böge, Mitglied des Europaparlaments, ist beruflich in Straßburg tätig. Er präsentierte sich in Neumünster der Partei als Kandidat für zwei Jahre. Seine Kandidatur begründete er damit, dass Jüngere es „nicht machen” wollten und er mit 61 Jahren als einziger bereit sei, die Pflicht zu übernehmen. Aber: Er würde sich nur für zwei Jahre wählen lassen, nicht nochmal kandidieren, und in den Sitzungswochen des Europäischen Parlaments müsste der Landesvorstand und die Partei in Schleswig-Holstein ohne ihn auskommen.

Der Beifall der ohnehin nur wenigen Mitglieder der Kreisverbände Neumünster, Pinneberg, Steinburg und Dithmarschen fiel kurz aus, in den anschließenden Redebeiträgen wurde aber vor allem Jost de Jager und sein Abgang kritisiert. Der Kandidat selbst wurde nur gefragt, ob er denn nicht doch länger als zwei Jahre Vorsitzender werden könnte, was er nicht beantwortete. Auffällig nur: Als der 15 Jahre jüngere Torsten Geerdts, Kreisvorsitzender der CDU Neumünster und seit 1997 stellvertretender Landesvorsitzender, die Versammlung schließen und verabschieden sollte, hielt er plötzlich eine zehnminütige Grundsatzrede über die Notwendigkeit von Reformen im CDU-Landesverband im nächsten Jahrzehnt. Ob sich da wohl jemand angesprochen fühlte?

Torsten Geerts war in der letzten Legislaturperiode Landtagsabgeordneter und Landtagspräsident. Diesem Landtag gehört er nicht an, weil er seinen städtischen Wahlkreis in Neumünster gegen die SPD nicht gewinnen konnte und die Liste nicht zog. Dort stand er aber auf Platz 2, nach dem Total-Rücktritt von Jost de Jager aktuell also auf Platz 1.

Der vorgesehene Übergangs-Landesvorsitzende Reimer Böge nutzte seine Einführungsrede, die Regierung Carstensen zu kritisieren. Die Schulpolitik mit der Kürzung der Zuschüsse für die dänischen Schulen sei ein schwerer Fehler gewesen, die Auseinandersetzung mit der Minderheit sei das eingesparte Geld „nicht wert gewesen”. Er wies darauf hin, dass seine (zweite) Frau Maria Kokkinou-Böge (aus Zypern) ebenfalls einer Minderheit angehöre und er deshalb die Probleme verstehe. Der Beifall blieb schwach. Er setzte sich für einen Mindestlohn ein, bezeichnete das CDU-Ersatzwort „Lohnuntergrenze” als zu sperrig für die Öffentlichkeitsarbeit, sprach sich gegen die Privatisierung von Wasser aus und machte einen misslungenen Scherz über die gesundheitsfördernde Wirkung von Pferdefleisch.

Beifall gab die Versammlung erst reichlich, als es in einer Frage an den Kandidaten gegen Ralf Stegner ging - die einzige Person, die die CDU auf Landesebene noch einen kann. Und Beifall gab es, als aus der Versammlung heraus gegen die Vorfestlegung auf eine Koalition mit der FDP und für größere Offenheit gegenüber den Grünen plädiert wurde.

Parallelgesellschaft

Die Vorgänge innerhalb der CDU kann nur verstehen, wer sich in dieser Parallelwelt auskennt. Eine Facebook-Freundschaft mit einer jüngeren Frau - bei anderen Parteien wäre das auch bei Bekanntwerden kein wirklich interessantes Thema. Ein Landesvorsitzender ohne Abgeordnetenmandat - für Außenstehende als Problem nicht wirklich identifizierbar. Eine Kampfabstimmung um einen Platz auf der Kandidatenliste - in anderen Parteien ein normaler Vorgang. Ein Wahlergebnis von über 80 Prozent für einen Vorstandsposten - bei den Grünen eher Anlass für Spott, aber keine „gefühlte Niederlage”.

Die CDU Schleswig-Holstein ist noch immer zerrissen zwischen der Tradition vor Uwe Barschel und den Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Und es ist keine Vorsitzende und kein Vorsitzender in Sicht, die oder der die Partei zusammenhalten und gleichzeitig führen kann. Jo Wadephul hat eine Führung in die Moderne versucht und dabei die Partei gespalten. Peter Harry Carstensen hat die Partei zusammen gehalten, ohne sie zu führen. Alle anderen waren Übergangskandidaten, die die Zufälle ihrer politischen Karriere eher zufällig auf diesen Posten verschlagen hat.

Auf der Regionalkonferenz in Neumünster, Bad Oldesloe und Schleswig wurde dieser Widerspruch ungewollt deutlich: Es ging nicht nur um die Vorstellung den vorgesehenen neuen Landesvorsitzenden, sondern auch um die Präsentation des Werbekonzeptes für die Kommunalwahl. Und dazu dienen auch bei der CDU von heute Laptops und Beamer, die von jungen Frauen aus der Landesgeschäftsstelle schnell und routiniert bedient werden. Sie zeigen Entwürfe der Werbeagentur, wobei Plakate und Faltblätter mit Muster-Fotos gefüllt sind. Diese Fotos zeigen einerseits den Landesgeschäftsführer, andererseits junge Fotomodelle. Bei den Werbezetteln für Listen zu den örtlichen Wahlen sind die gezeigten Modell überwiegend weiblich, und niemand ist älter als 25 Jahre - klar, die Agentur hat die rumliegenden Fotos einfach in die Beispiele geladen, um zu zeigen, wie das fertige Produkt aussehen könnte.

Sieht man sich im Saal um, ist die Mitgliedschaft aber nicht nur ganz, ganz überwiegend männlich, sondern auch im Durchschnitt 40 Jahre älter. So blieb es beim Appell des nominierten Vorsitzenden, mehr junge Frauen nicht nur in die Partei zu locken, sondern auch in Funktionen zu wählen - und der anschließenden Präsentation, die überwiegend junge Frauen als Kandidatinnen der CDU zeigte.

Und wie es funktioniert, hat jüngst der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag in Kiel gezeigt: Für den Bundestag unterstützte er als Kreisvorsitzender Schleswig die Kandidatin Sabine Sütterlin-Waack, der der freiwerdende Abgeordnetensitz des CDU-Abgeordneten Börnsen, der wegen seines Alters in diesem Jahr nicht wieder antreten will, seit Jahren versprochen worden war (von „oben”, vor jeder Versammlung und Abstimmung). Dann unterstützte er plötzlich die Gegenkandidatur von Jost de Jager, der dann in der ebenso plötzlich anberaumten Kampfabstimmung im Oktober 2012 knapp gewann. Nach dem Rücktritt de Jagers unterstützt Johannes Callsen jetzt die neue Kandidatur von Sabine Sütterlin-Waack, die in der neuen Wahlversammlung Anfang Februar 2013 mit großer Mehrheit gewählt wurde. Und dazu muss er sich keineswegs verbiegen - alle drei Meinungen entsprechen seiner inneren Überzeugung.

Reinhard Pohl

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