(Gegenwind 293, Februar 2013)
Am 17. Januar 2013 ist die Abschiebungshafteinrichtung des Landes Schleswig-Holstein 10 Jahre alt geworden. In unserem Land werden gewöhnlich zehnte Geburtstage gefeiert. Bei einer Abschiebungshaft aber möchte niemand feiern. Oder sollte man feiern, dass man seit 10 Jahren Menschen einsperrt, die meist unser Land nur durchqueren? Weil sie ohne Papiere und Visa in Deutschland angetroffen werden, kennt angeblich unser Gesetz keine andere Möglichkeit, als sie erst mal wegzusperren. (Dass das weltweit so üblich ist, nur von anderen Staaten nicht so konsequent durchgeführt wird wie hier, macht die Sache nicht besser!) Nach durchschnittlich vier Wochen werden sie dann unter erheblichem bürokratischem Aufwand und damit erheblichen Kosten dahin gebracht, wo sie ohnehin auf eigene Kosten hingefahren wären.
Die Kosten zahlt der Steuerzahler. Den Abzuschiebenden werden sie nur theoretisch berechnet. Sie können die Rechnung, die sie bekommen, ihr Leben lang nicht begleichen. Wenn sie in irregulärer Migration oder unter dem Asylgebot unterwegs sind, sind ihre Einkünfte die Unterhaltzuwendungen von europäischen Staaten. Werden sie in ihr Herkunftsland gebracht, beträgt die Rechnung aus Deutschland für sie einen Posten, der mögliche Jahresarbeitseinkünfte um ein Mehrfaches übersteigt. Für diese Einkünfte müssten sie aber erst einmal ein regelmäßiges Einkommen erzielen. Das ist in vielen Regionen der Erde gar nicht so leicht. Die Rückkehr nach Deutschland ist erst nach Begleichung dieser Summe möglich.
In Rendsburg wurde 2012 bei 317 Personen nach durchschnittlich 27,5 Tage die Haft beendet, um sie dann nicht etwa in ein Herkunftsland abzuschieben. Diese Abschiebung betraf nur 13 Prozent der Häftlinge. 77 Prozent wurden in ein anderes zuständiges Land in Europa zurückgebracht. 9 Prozent wurden aus der Haft aus verschiedenen rechtlichen Gründen entlassen. Damit wurde unser Land für sie zuständig. Da stellt sich offenbar Europa mit unserer tatkräftigen Hilfe selbst ein bürokratisches Bein.
Genau genommen geht es nur darum, dass die Männer, die unerlaubt herumreisen, kenntlich gemacht werden. Sind sie identifiziert, können die Behörden dafür sorgen, dass die Reiseroute dahin verläuft, wo der Aufenthalt erlaubt ist. Das wäre mit relativ wenig Aufwand zu erreichen. Stattdessen lädt sich Schleswig-Holstein wie alle anderen Bundesländer sowie Länder aus ganz Europa die Last auf, irreguläre Migranten hinter Gitter zu bringen, sie dort mit z.T. martialischen Sicherheitsvorkehrungen (NATO-Draht-Rollen, Mauern, Video etc.) zu bewachen und sie rundum zu betreuen. Wer einen Menschen in Haft nimmt, ist dafür zuständig, ihn auch medizinisch zu versorgen und am Leben zu halten. Dann muss man sich um ihre Seelen kümmern und sie hinsichtlich ihrer Zukunft beraten. Das alles geschieht unter dem Zwang der Haft, die umso schwerer wiegt, da sie keine angemessene Begründung hat. Die Männer, die in der Abschiebungshaft festgehalten werden, haben in der Regel verzweifelte Geschichten hinter sich bis hin zur Traumatisierung.
Viele der Abschiebungshäftlinge reisen in Europa herum, um ihrer Abschiebung in dem Land, das ihnen das Asyl nicht gewährt hat, zu entgehen. Andere möchten Verwandte besuchen und das führt sie beispielsweise aus Norwegen durch Deutschland nach Paris. Andere wollen ihre (im einen und anderen Fall schwangere) Freundin, die das Schicksal nach Italien oder Belgien verschlagen hat, wieder sehen und vielleicht heiraten. Das sind sicher keine gefährlichen Reisetätigkeiten. Sie mit Haft zu beantworten, erschient grob unverhältnismäßig.
Der Koalitionsvertrag von 2012 stellt eine Schließung der Abschiebungshafteinrichtung in Aussicht. Die Landesregierung könnte sich und dem Land ein Geburtstagsgeschenk besonderer Art machen. Sie sollte ihrem Impuls folgen und die Abschiebungshaft wirklich abschaffen, auch wenn sie damit gegen Gesetze verstoßen sollte. Gesetze kann man ändern! Aber das ist gar nicht notwendig. Die Männer identifizierbar zu machen, dazu braucht es keine Haft und keine umständlichen Prozeduren. Das kann im Datenzeitalter problemlos in wenigen Schritten erledigt werden. Die Landesregierung würde auch Europa damit beschenken, dass sie die bürokratische Verwahrlosung an diesem einen Punkt Europas, dem Umgang mit irregulären Migranten, aufbricht. Dazu würde noch ein Signal gesetzt, die Migrationsfragen endlich europäisch zu regeln. Und das Land beschenkte sich selbst mit einer sinnvollen Senkung der Kosten. Für die erfahrenen MitarbeiterInnen gibt es genug Verwendung im personell knapp ausgestatteten Strafvollzug.
Das alles heißt nicht, dass etwa in der AHE Rendsburg schlecht gearbeitet würde. Dort findet täglich zuwendende Behandlung durch die Bediensteten statt, ebenso eine fachgerechte Beratung; alle Häftlinge werden ärztlich betreut, sie bekommen seit zehn Jahren jede Woche Besuch von ehrenamtlich tätigen Menschen aus Rendsburg; auch der Flüchtlingsrat kümmert sich um die Männer in Haft. Zudem ist der Beirat als öffentliches Gewissen tätig. Dennoch wäre zu wünschen, dass man als irregulärer Migrant nicht wochenlang inhaftiert wird, nur um dann nach Schweden, Norwegen oder Italien zurückgebracht zu werden. Dafür gibt es im offenen Europa andere Mittel. Ein dem Ausweis vergleichbares Dokument könnte ausreichen, um bei jeder Kontrolle nachzuweisen, woher der jeweilige Mensch kommt und wer für ihn zuständig ist.
Und schließlich: Die Abschiebungshaft ist nicht für die Inhaftierung verantwortlich, sondern die Gerichte. Wenn keine Abschiebungshaft mehr verhängt wird, ist es auch nicht mehr notwendig, sie vorzuhalten.
Es wäre allerdings fatal, wenn Rendsburg ohne entsprechende Gesetzesänderung geschlossen würde, um einer schlechteren Umsetzung Platz zu machen.
Dr. Martin Hagenmaier
Ev. Pastor in der JVA Kiel mit der „Filiale” Abschiebungseinrichtung Rendsburg