(Gegenwind 292, Januar 2013)
Rascher als erwartet ist die HSH Nordbank wieder in die Schlagzeilen geraten. Die auflaufenden Verluste aus dem Kreditersatzgeschäft machen auf Sicht eine erneute Kapitalspritze der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg unumgänglich. Hinzu kommen die Folgen der europäischen Kürzungspolitiken, die unmittelbar zum Verlust von Wirtschaftsleistung führen. Also wird auch weniger gehandelt und damit werden weniger Schiffe gebraucht und schon stapeln sich in der „shipping”-Sparte der HSH Nordbank notleidend werdende Kredite. Dazu kommt noch ein schwaches Neugeschäft. Laut jüngster Konjunkturprognose des Essener Wirtschaftsinstituts RWI sind die die Investitionen in neue Anlagen und Maschinen in Deutschland innerhalb eines Jahres um 12 Prozent gesunken. Die Unternehmen erwarten sinkende Absatzchancen in Südeuropa und anderen Regionen der Welt. Heftige Irritationen hat auch die Entlassung des Vorstandvorsitzenden Paul Lerbinger hervorgerufen, der durch den Kreditrisikomanager Constantin von Österreich ersetzt wurde. Die Bank steht schon wieder an einer Wegscheide und politische Entscheidungen sind erforderlich. Da ist es hilfreich zurück und nach vorn zu blicken.
Die SPD, die Grünen und der SSW hatten es sich in ihrer Kooperationsvereinbarung recht einfach gemacht und die Spruchformel des Untersuchungsausschusses übernommen: „Sobald es rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, werden die Beteiligungen des Landes an der HSH-Nordbank verkauft.” (Anm. 1) Damit hielt die Koalition an dem fest, was man im Lande seit nunmehr zehn Jahren meint wollen zu müssen, nachdem die Europäische Kommission die Zerstörung der deutschen Landesbanken auf ihre Agenda gesetzt hatte(Anm. 2).
Dieses Vorhaben, eines „wirtschaftlich sinnvollen” Verkaufs der Anteile des Landes an der HSH Nordbank war und ist keine realistische Lösung des Problems. Die Stärke der Bank bestand und besteht darin, dass sie sich im Privateigentum der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg befindet (in der angelsächsischen Semantik deutlicher: „german states Schleswig-Holstein and Hamburg”). Als Bank im Privateigentum zur individuellen Verfügung ist sie nicht überlebensfähig. Dies vor allem, weil das Schiffbaugeschäft mit einem dichten Krisenzyklus - alle drei bis vier Jahre findet in diesem Sektor ein Niedergang statt - ein öffentliches Rückgrat braucht, um die jeweiligen Krisen durchzustehen (Anm. 3). Die Unsicherheit, ob die Bank nach dem Rückzug der öffentlichen Anteilseigner überhaupt alleine oder sinnvoll in eine größere Einheit integriert, überlebensfähig ist, ist so groß, dass die Bank als unverkäuflich gelten kann. Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die gesamte Landespolitik, bis auf die Linkspartei, ein derart unrealistisches Ziel verfolgt?
Der deutsche Finanzsektor hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Gestalt angenommen, in der alle Erfahrungen der Finanzkatastrophen des 19. Und 20. Jahrhunderts aufgenommen wurden. Dieser Finanzsektor, der noch am ehesten die Wirtschaft als Einheit repräsentiert, ist die Grundlage des wirtschaftlichen Erfolges der Republik. Nebeneinander existieren Genossenschafts-, Privat-, und öffentliche Banken. Bei der Eigenkapitalrentabilität liegen die Sparkassen noch in den Jahren 1994 bis 2007 mit vierzehn Prozent einsam an der Spitze aller Bankengruppen. Auf Platz zwei folgen die Genossenschaftsbanken mit einer Eigenkapitalrentabilität von über zwölf Prozent und erst an Platz drei folgen die Großbanken, zu denen auch die Deutsche Bank gehört mit über elf Prozent. Das Schlusslicht bilden die Landesbanken mit sechs Prozent.
Wirtschaftlich am effektivsten sind die Sparkassen, weil ihr System der dezentralen, kollektiven gegenseitigen Besicherung, mit den Landesbanken als Refinanzierern, ökonomisch nicht zu übertreffen ist. Und es ist privatwirtschaftlich nicht zu kopieren. Offensichtlich sind im ökonomisch zentralen Finanzsektor kollektive Lösungen individuellen überlegen. Das darf und durfte aber nicht sein, weil sich hier zeigt, dass der Staat durchaus der bessere Unternehmer ist (natürlich nicht generalisierend gemeint). Die Wirklichkeit steht hier in schreiendem Widerspruch zu marktliberalen Meinungen.
Besonders in der Finanzkrise zeigte sich diese Überlegenheit, als die Sparkassen in Deutschland die Unternehmen weiter finanzierten. In Ländern mit rein privatwirtschaftlichem Finanzsektor schickten die Banken Unternehmen reihenweise in die Pleite. Auch das, und nicht etwa Hartz vier, sorgte dafür, dass Deutschland bisher glimpflich durch die Krisen kommt.
Die Schleswig-Holsteinische Finanzministerin Heide Simonis wurde Anfang der 90er Jahre mit dem Problem konfrontiert, das Eigenkapital der Schleswig-Holsteinischen Landesbank von damals knapp sechs auf acht Prozent aufstocken zu müssen (Basel I) und zugleich den Haushalt zu konsolidieren. Die CDU-Regierungen hatten eine rabiate Verschuldungspolitik betrieben. Die Neuverschuldung überstieg die Zinszahlungen teilweise um ein Vielfaches. Die steigenden Zinsen für Staatsanleihen machten eine Fortsetzung dieser Politik unmöglich (Anm. 4) und so begann die Regierung Engholm mit dem Aufbau von Primärüberschüssen, also der Rückführung der Nettokreditaufnahme unter die Zinsausgaben. So verbot sich eine Kreditaufnahme, die den Haushalt belasten würde. Die findige Heide Simonis fand eine Lösung für das Problem indem sie anstelle von flüssigem Kapital das Wohnungsbauvermögen des Landes für die Verbesserung des Eigenkapitals der Landesbank Schleswig-Holstein verwendete. Das machte Schule und alle Landesbanken folgten diesem Beispiel, sächliches Landesvermögen für die Kapitalisierung ihrer Landesbanken zu verwenden. Besondere Aufmerksamkeit fand dabei die Übertragung der Wohnungsbauförderanstalt an die WestLB durch die Nordrhein-Westfälische Landesregierung, denn die WestLB agierte als einzige Landesbank auch international und wilderte damit im Revier der Großbanken (Anm. 5).
Der Bundesverband deutscher Banken begann, nachdem er in der deutschen Politik auf Eis gelaufen war, bei der Europäischen Kommission in Sachen Kapitalübertragung via Wohnungsbauförderanstalt zu ventilieren. Die Generaldirektion Binnenmarkt ließ den Verband eiskalt abblitzen und fand nun wirklich nichts Schlimmes an der Art und Weise, wie die öffentlichen Banken ihre Kapitalübertragung betrieben. Erst bei der Generaldirektion Wettbewerb fand man Gehör. Dort war der „Sozialist” Karel van Miert mit der Entwicklung eines europäischen Finanzmarktes unter wettbewerblichen Fragestellungen befasst. Van Miert war sofort interessiert und witterte die Chance, „den Finanzsektor der europäischen Beihilfekontrolle zu unterstellen und somit einen wichtigen Integrationsschritt auch ohne die Beteiligung der Mitgliedstaaten zu implementieren.” (Anm. 6) Denn auch van Miert fand nichts Verwerfliches an der Kapitalübertragung via Wohnungsbaugesellschaft. Er drängte den Bankenverband, die Beschwerde wegen der Kapitalübertragung fallen zu lassen und eine Klage gegen die Garantien der Länder: Gewährträgerhaftung und Anstaltslast zu starten. Die Generaldirektion Wettbewerb sollte im Hintergrundbleiben, um jeden Anschein zu vermeiden, selbst politisch aktiv zu werden.
Trotzdem reichte der Bankenverband 1994 „nur” eine Beschwerde gegen die Kapitalübertragung der WestLB ein, denn man wollte sich die Politik nicht vergrätzen. Sofort zog trotzdem heftiger politischer Gegenwind auf. Helmut Kohl selbst engagierte sich und der Konflikt um lässige Kapitalübertragungen wurde rasch zu einem Konflikt um die Zukunft der Landesbanken in Deutschland. Um die Sache grundsätzlich klar zu stellen, bereitete die Bundesregierung eine Vertragsänderung der europäischen Verträge vor. Paragraph 222 EGV, der 1957 gelautet hatte: „Dieser Vertrag läßt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.” sollte nun durch eine Protokollnotiz ergänzt werden. Der Entwurf der Bundesregierung lautete:
„Der Schutz der Eigentumsordnung des Artikels 222 EG-Vertrag umfasst auch die sich aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergebenden Einstandspflichten öffentlich-rechtlicher Körperschaften für ihre öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute. Es bleibt der Organisation der Mitgliedstaaten überlassen, auf welche Weise sie den Gebietskörperschaften die Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglichen, in ihren Regionen eine flächendeckende und leistungsfähige Finanzinfrastruktur zur Verfügung zu stellen.”
Diese Initiative scheiterte, weil der deutsche Bankenverband die europäischen Schwesterverbände alarmierte und diese auf ihre Regierungen einwirkten, den deutschen Vorstoß zu blockieren. Die deutsche Initiative führte nun aber dazu, dass dies nicht nur als politischer Eingriff in ein laufendes rechtliches Wettbewerbsverfahren gesehen wurde, sondern die Landesbanken europäisch thematisiert wurden. 1999 fällte die Kommission mit nur einer Stimme Mehrheit einen Bescheid in Sachen WestLB: Die Kapitalübertragung sei illegal und zurückzuerstatten.
Mario Monti, ehemals Goldman Sachs und heute ernannter italienischer Ministerpräsident, war inzwischen Wettbewerbskommissar geworden und begann sofort die Kapitaleinlagen der deutschen Landesbanken zu überprüfen. Die Bundesregierung erhob dagegen Klage beim EuGH und bestritt die Zuständigkeit. Kurze Zeit später, noch 1999 erhob dann der Europäische Bankenverband seine Klage gegen Anstaltslast und Gewährträgerhaftung. Bereits 2001 lenkte die Bunderegierung ein. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung wurden aufgegeben. Eine Übergangsfrist wurde vereinbart.
Die Landesbanken befürchteten nun erheblich höhere Refinanzierungskosten und betrieben in der Übergangsfrist eine Vorratskreditaufnahme in je mittlerer zweistelliger Milliardenhöhe (Anm. 7). Für dieses Geld gab es keine sinnvollen Investitionen und so legten die Landesbanken das Geld im Kreditersatzgeschäft und hier insbesondere in amerikanischen Papieren aus Immobilienkrediten an. Die Verluste aus diesen Papieren seit 2007 haben 2008 zum Zusammenbruch der Lehman geführt und machen der HSH Nordbank bis heute schwer zu schaffen.
Erst dieses Geschehen konnte von interessierter Seite dazu verwendet werden, durch die Lande zu tönen, man habe es doch nun gesehen, die öffentlichen Banken könnten es nicht. Man könnte meinen, dass die Zerschlagung der Landesbanken nur diese ideologische Volte ermöglichen sollte.
Auf den Fast-Zusammenbruch der HSH Nordbank reagierte die Landesregierung mit dem Rückzug des Finanzministers aus dem Aufsichtsrat der Bestellung von Hilmar Kopper zum Aufsichtsratsvorsitzenden. Dieser war langjährig bei der Deutschen Bank beschäftigt, jenem Institut, dass die Erledigung der Landesbanken intensiv mit betrieben hat und nicht zuletzt den toxischen Müll aus den USA bei der HSH Nordbank abgeladen hat, während diee bereits auf den Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienmarktes gewettet hat. Kopper brachte noch jenen Constantin von Österreich von der Deutschen Bank mit der jetzt Vorstandsvorsitzender ist. Mit diesem Führungspersonal hat die HSH Nordbank keine gute Zukunft.
Es hat sich gezeigt, dass die befürchteten Effekte des Wegfalls der Gewährträgerhaftung in Form erhöhter Refinanzierungskosten so nicht eingetreten sind und zugleich die Bedeutung des Privateigentums des Staates an der Bank einen kaum zu überschätzenden Wert darstellt. Es spricht sehr wenig dagegen, die Bank wieder als öffentlich-rechtliche zu betreiben. Die Verarbeitung der Verluste muss ohnehin geschehen. Die Beteiligung von Flowers schmilzt weiter bis zur Bedeutungslosigkeit ab. Der Trust befindet sich ohnehin im Konkursverfahren und vielleicht sollte man Notsituationen nutzen, um seine Anteile, die kaum mehr 200 Millionen Euro wert sind einfach aufkaufen. Die Träume einer renditestarken Privatbank HSH sind zerstoben. Es ist heute klar, dass es viel wichtiger ist, dass Banken robust sind und nicht so sehr renditestark. Es ziehen aber neue Herausforderungen am Horizont auf: Es muss ein Netz gebaut werden, dass es erlaubt Banken in die Insolvenz gehen zu lassen. Im Rahmen einer europäischen Lösung scheint es sinnvoll, die deutschen Landesbanken so zu vernetzen (auch neu zu schneiden, umzubauen, fusionieren), dass sie in der Lage sind auch den Konkurs einer Großbank aufzufangen.
Die Sparkassen sind durch die Politik der Europäischen Kommission derart beschädigt, dass sie unbedingt Unterstützung brauchen. Ihr Wertverlust aus der Beteiligung an der HSH Nordbank übersteigt eine Milliarde Euro. In Zeiten der Schuldenbremse kann die Landesregierung und die Kommunen geldlich wenig ausrichten. Es ist aber möglich durch die Übertragung von Landesanteilen die Sparkassen mehr als symbolisch zu handeln und damit die dezentrale Finanzierungsstruktur auf die der Schleswig-Holsteinische Mittelstand angewiesen ist zu stärken.
Funktionierende öffentliche Banken sind auch wichtig um die außer Rand und Band geratenen Privatbanken in den Wettbewerb zu zwingen. Vor allem die Deutsche Bank hat die wichtigsten Zinssätze zu ihren Gunsten manipuliert, aktive Steuerhinterziehung betrieben und Kunden gezielt falsch beraten - um nicht zu sagen betrogen. Die Skandale häufen sich und es wird Zeit, jetzt an den Neubau überlegener öffentlicher Finanzierung zu gehen; allein um die Deutsche Bank zerschlagbar zu machen.
Zuletzt steht auch politisch Einiges zur Disposition. Die Rekonstruktion eines funktionierenden öffentlichen Bereiches im Finanzsektor ist auch deshalb jetzt anzugehen, weil das Beispiel der Landesbanken nicht Schule machen darf. Ansonsten werden private Krankenhäuser klagen können, wenn Städte die Defizite ihrer Kliniken übernehmen, private Schulen werden klagen, wenn öffentliche besser gestellt werden und alle Bereiche effektiven öffentlichen Wirtschaftens werden weiter unter Druck geraten. Das ist in Zeiten der Schuldenbremse ein Programm zur Extrementstaatlichung, welches auch der Wirtschaft extrem schaden wird, weil Politik und Wirtschaft in einem coevolutionären Steigerungsverhältnis stehen.
Es geht politisch um einen neuen Konsens für eine gemischte Wirtschaft. Es gibt viele Bereiche, in denen der Markt nicht funktionieren kann, weil seine entscheidende Leistung, Kommunikation ohne Interaktion zu ermöglichen nicht realisierbar ist. Dort ist öffentliche Bewirtschaftung einfach effizienter als ein nie zu beendender Regulierungsprozess, bei dem ohnehin immer der Staat den schwarzen Peter hält, weil Marktversagen stets auf Regulierungsversagen zurück geführt wird. Daneben gibt es auch Bereiche in denen der Staat als Akteur auf dem Markt erscheinen muss, um sein Funktionieren zu ermöglichen; das ist z.B. im Finanzsektor der Fall.
Thomas Herrmann