(Gegenwind 291, Dezember 2012)
Es gibt große Begriffe, bei denen sich viele auf den ersten Blick machtlos fühlen. Gentrification ist einer davon. Dabei nutzen Spekulanten die folgende Erkenntnis aus: Zuerst siedeln sich in herunter gekommenen Gebieten kreativ ambitionierte Habenichtse an, nach und nach ziehen reiche Bürgerkinder, die ihrer Eltern überdrüssig sind, ein höherpreisiges Klientel nach. Die Region gewinnt wieder an Wert für Spekulanten.
Die Medaille der Gentrification hat auch eine andere Seite. Ein Gebiet wird einseitig für eine gesellschaftliche Gruppe attraktiv oder unattraktiv gemacht. So ist auf Sylt die Verlängerung der Reeperbahn entstanden. Tag für Tag pendeln Menschen vom Festland auf die Insel, weil sie dort ihre Jobs auf der Partymeile haben, aber keine Wohnung. Dort ist eine Immobilienblase entstanden, denn die Preise sind hoch, sehr viel höher als man mit ehrlicher Arbeit dort verdienen kann. Wir alle wissen, dass solche Blasen auch wieder platzen und am Platzen der Sylter Blase wird schon fleißig gebastelt. Wer heute sein mit Reet gedecktes Luxusferienhaus entdeckt, findet's auf Föhr, denn dort siedelt das postmoderne SUV-Bürgertum.
Zu einer Kommunalpolitik, die zu solchen Blasenbildungen führt, gab im Septemberheft die Arbeitsgemeinschaft der IHK'en in Schleswig-Holstein in ihrem Propaganda-Blättel „wirtschaft zwischen nord- und ostsee” den Gemeinden des Landes den Rat, sie „müssen ihre Profile schärfen und durch Förderung einer passenden Infrastruktur dazu beitragen, dass ein Ort sich tatsächlich als ‚familienfreundlich’, ‚seniorengerecht’ - oder was auch immer man anstrebt - präsentiert. Die beste Immobilie wird zum Flop, wenn das Umfeld nicht stimmt.” Das ist die unverbrämte Aufforderung zur Förderung von Immobilienblasen, das ist die Aufforderung zur Gettobildung: gutsituierte Senioren gegen Besserverdienerfamilien, Gettos für Hartz-IVer.
Nun lassen wir es einmal dahin gestellt, ob die IHK das Recht hat, ihre Zwangsabgaben in eine solche einseitige Propaganda umzumünzen. Sie war und ist Träger sehr verlogener Ideologien. Sie vertrat ihr bestes Ausbildungssystem der Welt, das dann in einem von ihr selbst viel bejammerten Fachkräftemangel führte, und jetzt betreibt sie Hatz auf die jugendlichen Verlierer im Kammerland, indem sie Jugendliche für ausbildungsunfähig erklärt. Wer sich mit einer solchen Ideologie identifiztiert, kann keine vernünftigen Lösungen hervorbringen. Wir müssen sie mit Liebesentzug strafen, dann haben der Reichen Kammern wieder einen Anlass zum Jammern.
Es gibt etwas Besseres, was man der Gettopolitik zum Wohle der Spekulanten entgegen setzen kann: Wohnprojekte im Mietshäuser-Syndikat bilden. Und dabei können alle mitmachen, sowohl die Reichen wie auch die Armen. Sie schließen sich in Gruppen zusammen, die gemeinsam ein Haus oder mehrere bewohnen und bewirtschaften wollen. In Selbstverwaltung. In Freiheit. In Unabhängigkeit. Die Gruppe bildet einen Verein, der ein Unternehmen, die Haus-GmbH, gründet. Die Firma kauft und verwaltet das Haus so, wie sich die Gruppe das wünscht.
Kann denn jede Gruppe wirklich selber so ein Unternehmen führen?
Im Prinzip ja. Zur Zeit schaffen das 66 Projekte, die sich im Unternehmensverbund des Mietshäuser-Syndikats gegenseitig mit Rat und Geld unterstützen. Die Unternehmen der Wohnprojekte werden mit profundem immobilienwirtschaftlichen Wissen wie ein soziales Wohnungsunternehmen geführt. Fast, denn alle unternehmerische Arbeit wird ehrenamtlich von allen gemeinsam eingebracht. Dadurch lernen alle Leute im Projekt nach und nach mit betrieblichen Fakten umzugehen.
Über Mailing-Lists bleiben alle miteinander in Kontakt. Weil niemand sein eigenes Projekt wieder verlieren möchte, fragen sie lieber mal freundlich nach Lösungen, bevor sie in Eitelkeit untergehen.
Die Finanzierung der Projekte beruht auf drei Säulen: Die eine ist die Solidarität der Projekte untereinander. So beteiligt sich das Mietshäuser-Syndikat am Unternehmen des Projekts mit einer Einlage und mit dem Wissen aller.
Die zweite Säule sind die Direktkredite: private Personen, die das Projekt unterstützen möchten, geben der Projektgesellschaft einen Kredit und bekommen dafür auch (kleine) Zinsen. Dieses Modell ist mit dem Bundesaufsichtsamt abgestimmt. Alle Geldgeberinnen wissen, dass ihr Kredit an das Projekt mit einem höheren Risiko behaftet ist. Zum Ausgleich dafür erhalten sie die Gewissheit: Das Geld ist für das Wohnprojekt mit seinen Zielen für ein angenehmes, friedliches, freiheitliches Wohnumfeld ohne soziale Ausgrenzung. Außerdem bieten Syndikatsprojekte die Sicherheit: Das Haus wird niemals mehr den spekulativen Märkten zugeführt, denn das wird mit der Beteiligung des Syndikats ausgeschlossen. Das Haus gehört den Bewohnerinnen und Bewohnern, das Eigentum ist an die Nutzung gebunden: Wer wohnt, verfügt auch über das Eigentum, aber nur zum Wohl der Gemeinschaft. Eine weitere Sicherheit und gleichzeitig „Rendite” für die Kreditgeber_innen ist das Eigeninteresse des Wohnprojekts. Denn die Gruppe sucht sich ein Wohnumfeld aus, in dem sie gerne wirken möchte. Also wird sie sich auch zum Nutzen der Nachbarschaft engagieren.
Die dritte Säule sind Kredite einer Hausbank. Meistens wählen die Projekte eine Bank, die sich ethischen Zielen verpflichtet, wie zum Beispiel GLS Bank oder Umweltbank. Aber auch die kommunalen Sparkassen und manchen regionale Volksbanken können mit der etwas speziellen Finanzierung von selbst verwalteten Wohnprojekten umgehen.
Hin zu kommen viele Maßnahmen, um die Mieten möglichst niedrich zu halten, zum Beispiel Eigenleistungen. Dabei werden diejenigen Bau-Arbeiten geleistet, die klassisch in Eigenleistung erbracht werden, wie zum Beispiel Fußboden verlegen oder Wände streichen.
In Schleswig-Holstein gibt es bisher nur zwei dieser Syndikatsprojekte, nämich die Freie Hütte in Lübeck und die frischenbauern in Meldorf. Hier können sich interessierte Gruppen Informationen beschaffen. Es ist im Syndikatsverbund üblich, dass alle Beratungsleistungen honorarfrei erbracht werden. Lediglich Fahrtkosten und Unterkunft sollten bezahlt werden.
Wer ein Syndikatsprojekt mit einem Kredit unterstützen möchte, kann das entweder mit einem Monatsbetrag tun oder einen einmaligen festen Betrag tun. Kreditgeberinnen schließen dann mit dem Projekt oder mit dem Syndikat einen individuellen Kreditvertrag, in dem Zinsen, Kündigungsfristen und Art und Weise der Einzahlung vereinbart werden.
Wer also mehr Informationen und das persönliche Gespräch finden möchte, findet hier die richtigen AnsprechpartnerInnen: https://frischebauern.de oder https://syndikat.org Die frischenbauern veranstalten darüber hinaus jeden Monat einen Infotreff in Meldorf, und zwar an jedem ersten Freitag im Monat in der Kulturkneipe ‚Bornholdt’, Zingelstraße 14, 25704 Meldorf ab 19:30 Uhr, das nächste Mal am 7. Dezember.
Krischan Sternberg
Wohnprojekt „frische bauern”
Meldorf