(Gegenwind 290, November 2012)
Mitte Oktober wurde der Vorstandvorsitzende der HSH Nordbank Paul Lerbinger, zurück getreten. Der senile1 77-jährige Aufsichtsratschef Hilmar Kopper, hat damit innerhalb von vier Jahren drei Vorstandsvorsitzende verschlissen. Im November 2008 musste Hans Berger gehen und zum 31. März 2011 Dirk Jens Nonnenmacher. Neuer Vorstandsvorsitzender wird der bisherige Finanzvorstand Constantin von Oesterreich.
In der überregionalen Tagespresse wird die Entlassung Lerbingers als stillos2 gekennzeichnet. Und der Hamburger Ökonomieprofessor Carl-Christian Freidank wird mit den Worten zitiert: „Die Informationspolitik ist desaströs. Erst bedenkt man den im Frühjahr 2011 berufenen Paul Lerbinger mit Vorschusslorbeeren, und jetzt macht man ihn öffentlich zum Deppen. Das geht so nicht.” Das bezieht sich auch auf die gemeinsame Erklärung von Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) und Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD): „Eine erfolgreiche Restrukturierung erfordert einen handlungs- und durchsetzungsfähigen Vorstand, der für Stetigkeit und Stabilität bei der Etablierung des neuen Geschäftsmodells sorgt”. Da hätte man auch gleich „stets bemüht” ins Zeugnis schreiben können.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung3 und der Spiegel4 stellen die Ablösung Paul Lerbingers in einen Zusammenhang mit der erneuten Krise in der sich die Bank befindet. Der Restrukturierungsprozess, der ja mit dem Ziel der Privatisierung organisiert wurde, ist praktisch zum Erliegen gekommen. Die Auflagen der EU sind nicht ohne zusätzliche finanzielle Anstrengungen einzuhalten. Das Schiffbaugeschäft schreibt rote Zahlen. In der Bad Bank der HSH Nordbank werden Altlasten teuer abgeschrieben. Das Neugeschäft läuft enttäuschend.
Der Landtag hatte sich im September mit der Beteiligung des Landes an der HSH Nordbank beschäftigt und insbesondere die Garantien in Höhe von sieben Milliarden Euro in den Blick genommen für die Schleswig-Holstein und Hamburg noch geradestehen. Die Opposition forderte irriger Weise eine Vorsorge in den Haushalt einzustellen, für den Fall, dass das Geld fällig wird. Dazu später mehr. Ebenso zur Frage, ob die Bank eine neue Krisenrunde ohne weitere Staatsgelder durchstehen kann. Es ist in der letzten Krise zwar deutlich geworden, dass Robustheit mehr zählt als Effizienz, aber der gesamte Bankensektor hat eine Gestalt angenommen, die Wirtschaftskrisen eher beschleunigt und vertieft.
Die erneute Krise der HSH Nordbank kann nun nicht umstandslos auf eine miserable Performance der Bank zurückgeführt werden. Es ist sehr viel plausibler den laufenden wirtschaftlichen Abschwung in den Industrienationen als Ursache der Schwierigkeiten nicht nur der HSH Nordbank, sondern sehr vieler Banken auszumachen. Einige Länder befinden sich bereits in der Rezession und Südeuropa durchlebt eine Depression mit erheblicher Wirtschaftskontraktion. Die Wirtschaftskrise ist zurück.
Im vierten Quartal 2007 beginnt der weltweite Rückgang der Wirtschaftsleistung der Industriestaaten. Die deutsche Wirtschaft ist auch im Abschwung, wächst aber noch ein Quartal länger und befindet sich nach Definition - Verminderung des Bruttoinlandsproduktes zwei Quartale in Folge - erst im Spätsommer 2008 in der Rezession. In der Folge des Rückganges der Wirtschaftsleistung wurden mehr Kredite notleidend und nun häuften sich Meldungen von hohen Abschreibungen, Liquiditätsengpässen und drohenden Bankinsolvenzen. Am 15. September 2008 brach dann die Lehman Bank zusammen und erst das markierte den „offiziellen” Ausbruch der „Finanzkrise”.
In den wenigen Wochen nach dem Zusammenbruch der Lehmann Bank erstarrte das Wirtschaftsleben in den Industriestaaten. Unternehmen meldeten nie gesehene Umsatzeinbrüche. Die Produktionsleistung der deutschen Unternehmen, die seit 2005 um 20% gestiegen war, brach nun regelrecht ein und stabilisierte sich erst im dritten Quartal 2009 bei 90% der Leistung von 2005. Ende 2009 wird die Krise europaweit fast 200.000 Unternehmen liquidiert haben. Wer regelmäßig am Nord-Ostsee-Kanal spazieren ging konnte die „Krise” sehen; kein Schiff weit und breit.
Am 5. November 2008 beschloss die Bundesregierung nach heftigen Auseinandersetzungen ein erstes Konjunkturpaket, dem noch zwei weitere folgen sollten. Diese keynesianischen Programme in Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, waren nicht nur die größten in Europa, sondern auch sehr erfolgreich. Sie sorgten nicht nur dafür, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland in diesem Jahr wieder an das Vorkrisenniveau anlangen konnte, sondern hatten auch erstaunlich hohe Selbstfinanzierungseffekte, was man an außerordentlich hohen Steuereinnahmen ablesen konnte. Das ist schon die ganze Erklärung des Umstandes, dass Deutschland bisher so gut durch die Krise gekommen ist. Die Länder mit zu kleinen Konjunkturprogrammen, bzw. Kürzungspolitiken stützten in eine Rezession oder gar Depression. Wie der IWF jüngst im „World Economic Outlook 5” zeigen konnte, hat sich der sogenannte Multiplier verändert. Darunter versteht man den Wirkungsfaktor öffentlicher Ausgaben. Die Kürzungen bei staatlichem Konsum oder Investition haben mit einem Faktor von 0,9 bis zu 1,7 gewirkt. Das heißt, für jeden Euro, der eingekürzt wurde, sank das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 1 Euro und 70 Cent. Kurz: Mehr Kürzen, mehr Schulden.
Für das ansonsten wenig konjunkturempfindliche Land Schleswig-Holstein wurde die Krise vor allem durch die Beinahe-Pleite der HSH Nordbank spürbar. Die Landesregierung hatte sich noch im September den Bären einer Gewinnerwartung in Höhe von 100 Millionen Euro aufbinden lassen und musste dann im November eine Verlusterwartung von 2,8 Milliarden Euro zur Kenntnis nehmen. Das Eigenkapital der Bank war verbraucht, zur Rekapitalisierung blieben nur Tage und so entschlossen sich die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Privatbank in spe mit drei Milliarden Euro Cash, 10 Milliarden Garantien (der Bund garantierte nochmal 30 Milliarden Euro) über Wasser zu halten. Hinzu kamen sogenannte „secret loans”, Geheimkredite der amerikanischen Zentralbank in einer Gesamthöhe von 1.200 Milliarden Euro. Bloomberg hat dies unter dem Titel „The Fed's Secret Liquidity Lifelines 6”6 ins Netz gestellt. Die HSH Nordbank nahm von Mitte 2008 bis Mitte 2010 bis 6,3 Milliarden Dollar an Darlehen bei der FED auf.
Die HSH Nordbank war keineswegs die einzige deutsche Bank, die sich was bei der amerikanischen Zentralbank pumpen musste. Spitzenkreditnehmer war die Deutsche Bank mit einem Darlehensvolumen von 66 Milliarden Dollar in der Spitze. Der interessierte Leser wird sich erinnern, dass Josef Ackermann immer durch die Lande protzte, seine Bank wäre ohne staatliche Hilfen durch die Krise gekommen. Glatt gelogen. Die HRE erhielt Darlehen über 28,7 Milliarden, die Commerzbank 22 Milliarden, die Dresdner 18,4 Milliarden. Von den Landesbanken erhielten, neben der HSH Nordbank, die Bayern LB 10 Milliarden, die West LB 7,3 Milliarden, die Landesbank Baden-Württemberg 4,3 Milliarden, die Nord LB 3,2 Milliarden und die Landesbank Hessen-Thüringen 1,9 Milliarden. Die Zentralbank der Genossenschaftsbanken, die DZ Bank nahm 4,5 Milliarden auf. BMW wurde mit 4,3 Milliarden beglückt und der Freistaat Bayern erhielt ebenfalls geheime Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Dollar7.
Im Juni 2009 errichtete der Bund eine Bad Bank, in die 9,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also rund 240 Milliarden Euro flossen. Interessanter Weise wurde das zwar über Kredite finanziert, aber diese wurden nicht defizitwirksam. Eurostat gab in der Pressemitteilung vom 23. April dieses Jahres folgendes bekannt8: Deutschland hatte 2008 ein Defizit von 0,1%, 2009 von 3,2%, 2010 von 4,3% und 2011 von 1,0%, jeweils auf das Bruttoinlandsprodukt bezogen. Zugleich ist die Schuldenstandsquote, die sich 2008 auf 66,7% belief, auf 74,4% (2009), dann 84,0% (2010) gestiegen um 2011 wieder auf 81,2% abzusinken. Bei einem Defizit von 0,1% in 2008 und 3,2% in 2009 kann der Schuldenstand nicht von 2008 auf 2009 um 7,7% gestiegen sein. Das Absinken der Schuldenstandsquote von 2010 auf 2011 um 2,8% bei einem Defizit von 4,3% bzw. 1,0% ist unmittelbar darauf zurückzuführen, dass die verstaatlichte Hypo Real Estate 50 Milliarden Euro weniger aus der Bad Bank brauchte, als avisiert. Offensichtlich wurden und werden in Deutschland zwei Sorten Schulden gemacht, von denen eine Sorte ungebremst bleibt.
Ebenfalls 2009 schaffte der Bund eine sogenannte „Schuldenbremse” an, mit der die Rückführung der Defizite in den Haushalten von Bund und Ländern auf Sicht geregelt wurde. Zugleich wurde dafür gesorgt, dass die Kreditaufnahme für die Bad Bank, ebenso wie für die europäischen Rettungspakete und Sicherungsmechanismen außen vor blieben. Die Staatsschulden für die Bankenrettung steigen ungehemmt. Sie werden nicht defizitwirksam. Deshalb ist das Ansinnen, Vorsorge für den oben genannten Garantiefall im Landeshaushalt zu treffen, irrig. Gegebenenfalls wird das Geld außerhalb der Schuldenbremse besorgt.
Was ist eigentlich geschehen, dass die Banken weltweit derart krisenanfällig und krisenverstärkend wurden. Meine These lautet, dass es sich um einen Umbau des Finanzsektors handelt, der als neuer Finanzzentralismus beschrieben werden kann.
Der Schlüssel liegt im Begreifen des ehemals sehr stabilen dreistufigen Finanzsektors. Auf der ersten Stufe standen Sparer und Unternehmer, die über die zweite Stufe, die Banken vermittelt wurden. Als dritte Stufe kam die Zentralbank hinzu, als „lender of last resort”, die nicht Pleite gehen konnte und sich nicht am Geschäftserfolg zu orientieren hatte. Dieses Modell wurde durch ein zweistufiges abgelöst, in dem die Banken untereinander Geschäfte betrieben, die auf Sparer und Unternehmen kaum mehr angewiesen waren. Die Zweistufigkeit macht den Finanzsektor anfällig, er kippt einfach um.
Der 1998 verstorbene Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann sah schon Mitte der 90er Jahre, dass sich in der Folge der Ausdifferenzierung der Wirtschaft ein neues Differenzierungsmuster herausbildete. „Vor allem die technologisch anspruchsvolle Produktion erfordert immer größere Kapitalanteile ... Diese Geldmengen können nicht allein durch Reinvestition aufgebracht werden. Der Anteil an Krediten nimmt zu und damit die Abhängigkeit von den Fluktuationen auf den internationalen Finanzmärkten. Ein neuer weltgesellschaftlicher Zentralismus also, der sich jedoch nicht über Direktiven, sondern über Fluktuationen und folglich in der Form dissipativer Strukturen bemerkbar macht 9.” Es ist zur funktionalen Differenzierung der Großsysteme Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Recht eine Differenzierung zwischen Peripherie und Zentrum gekommen, die von ökonomischen Strukturveränderungen getrieben und dann politisch unter dem Stichwort Finanzmarktliberalisierung seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts forciert worden ist. Man denke an die Rede von „nationalen Champions”, Großfusionen und Übernahmen (waren es bei Vodafone nicht 150 Milliarden?) sowie Infrastrukturprojekte (China).
Die Differenzierungsform Zentrum/Peripherie ist nun nicht im Modus funktionaler Differenzierung zu verstehen und das führt zu den Verwirrungen der Gegenwart. Das das trotzdem mit den bekannten Rezepten versucht wird in den Griff zu bekommen ist selbst ein wichtiger Treiber der Krise. Mit der Herausbildung eines Finanzzentralismus ging eine Neukonstruktion der Finanzströme einher. Das klassische Kreditgeschäft wurde durch ein zirkuläres Kreditersatzgeschäft im Zentrum ersetzt. Die bekannten Probleme der Differenzierungsform Zentrum/Peripherie, Diffusion (der Kreditvergabe) und Kontrolle (der Risiken) schlugen in der Wirtschaftskrise voll durch. Bereits 2007 verlangsamten sich die Kreditströme, wachsende Unsicherheiten in Bezug auf die Zahlungsfähigkeit anderer Finanzorganisationen im Zentrum breiteten sich mit einem gleichzeitigen Rückgang der Wirtschaftsleistung aus. Mehr und mehr Kredite wurden notleidend. Und im September 2008 kam es zum Stillstand, als ein Netzknoten im Zentrum platzte. Das Zentrum selbst ist seither ratlos, es wird einfach weiter gemacht.
Die Politik hätte nur destruieren können (z.B. durch Nichtzahlung an „systemrelevante” Banken oder Zerschlagung der Großbanken oder durch Besteuerung des Kreditersatzgeschäftes), aber nicht instruieren. So bleibt es bei Maßnahmen, die an das Kontrollproblem nicht anlangen und die Diffusion nicht aufhalten können. Die Politik muss zusätzlich darauf reagieren, dass in der Folge von Fluktuationen und dissipativer Strukturbildung in der Wirtschaft auch die Staatsfinanzierungen stärker als bisher fluktuieren. Der gegenwärtig laufende Versuch, da Rationalität reinzubringen, indem versucht wird einen praktikablen Zusammenhang zwischen Schuldenständen und Zinsen zu konstruieren, wird dieses Problem eher verstärken, weil das Zentrum gestärkt wird. Da wäre es besser, das Zentrum rechts liegen zu lassen und eine Rekonstruktion der dezentralen, dreistufigen Finanzierung zu betreiben. Dort liegt der Schlüssel. Solange das nicht gelingt, wird die Krise andauern. Im schlechtesten Fall wächst sie sich zu einer dritten Depression aus, Dauer 15 bis 20 Jahre.
Thomas Herrmann
1: www.welt.de/regionales/hamburg/article110029494/Irreparabler-Reputationsschaden-fuer-HSH-Nordbank.html
2: Ebenda
3: www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kriselnde-landesbank-hsh-nordbank-chef-lerbinger-tritt-ab-11928968.html
4: www.spiegel.de/thema/hsh_nordbank
5: www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2012/02/index.htm, S. 43
6: www.bloomberg.com/news/2011-08-21/wall-street-aristocracy-got-1-2-trillion-in-fed-s-secret-loans.html
7: www.bloomberg.com/data-visualization/federal-reserve-emergency-lending/
8: epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/2-23042012-AP/DE/2-23042012-AP-DE.PDF
9: Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Ffm 1997, S. 729.