(Gegenwind 286, Juli 2012)
Die Autoren dieses Buches über die NSU-Mordserie sind der Meinung, die Verbrechen hätten viel früher aufgeklärt werden können und müssen. Das ist sicherlich richtig. Die dafür aufgestellten Thesen überzeugen allerdings nicht: Danach sollen die deutlichsten Spuren die Tage der Morde, also der 9. September, der 13. Juni, der 25. Februar, der 9. Juni, der 4. und 6. April sowie der 3. Februar (jeweils in verschiedenen Jahren zwischen 2000 und 2006) sein. Natürlich fand am 13. Juni 1938 die Aktion „Arbeitsscheu Reich”, eine Verhaftungsaktion gegen Obdachlose und Prostituierte statt.
Natürlich verkündete am 9. September 1914 der Kanzler Bethmann Hollweg die Kriegsziele des Reiches im Weltkrieg. Natürlich starb Roland Freisler, Chef des Volksgerichtshofes, am 3. Februar 1945 bei einem Bombenangriff. Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, dass die NSU-Mörder das gewusst und deshalb ihre Taten in diesen Tagen ausgeführt haben - aber es gab genug andere Möglichkeiten, das Muster der Mordserie zu erkennen und die vorhandenen Informationen über die Nazi-Szene hinzuzuziehen.
Bis auf diese etwas abseits liegende These handelt es sich um ein gut gemachtes Buch zur Nazi-Mordserie. Dabei legen die Autoren Lutz Hunger, Pater Kaul und Ali Yamusak viel Wert auf Dokumentation. Reden des „Staatsaktes” 2012 im Bundespräsidialamt oder auch die Haftbefehle gegen Täter und Unterstützer sind im Wortlaut abgedruckt.
Zunächst schildern die Autoren die Taten, die Opfer und die Täter. Sie gehen auf das Nazi-Netzwerk ein und belegen, dass alles unter den Augen des Verfassungsschutzes geschah.
Im nächsten Kapitel beschreiben sie die Reaktionen, vor allem anhand des Presseechos. Dabei gehen sie auf die internationale Presse an und sehen sich im Anschluss die deutsche und die türkische Presse genauer an. Ali Yumasak ist Redakteur der türkischen „Hürriyet”, was dem Buch sehr zugute kommt.
Im dritten Kapitel wird die Serie von Nazi-Pogromen und -Anschlägen beschrieben, die die deutsche Gesellschaft eigentlich schon längst hätte aufrütteln und wachsam machen müssen. Von Eberswalde über Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhaben, Mölln, Solingen bis Dresden reicht die Blutspur.
Das die deutsche Gesellschaft weder aufmerksam noch sachkundig war, führen sie auf die Geschichte zurück, die für sie bei der halbherzigen „Entnazifizierung” nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Von dort schlagen sie den Bogen über die Übernahme hoher Nazis in den Staatsdienst der Bundesrepublik Deutschland über den Schutz für Altnazis, die zum Beispiel nicht an die Regierungen der vorher von Nazis besetzten Nachbarstaaten ausgeliefert wurden, über den nachsichtigen Umgang mit Nazis wie Michael Kühnen und anderen Kameradschaften. Auch der Anschlag auf das Münchener Oktoberfest durch ein Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann” wird von den Sicherheitsbehörden bis heute als Anschlag eines „Einzeltäters” geführt und die dahinter stehende Organisation schlicht geleugnet.
Schließlich zählen die Autoren alle 182 Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt seit der „Wiedervereinigung” auf, auch das hätte bereits bei den ersten NSU-Morden seit dem Jahr 2000 jeden Polizisten auf die richtige Spur führen können und müssen, wenn nicht auch die Mehrzahl dieser Morde von der Bundesregierung ignoriert und für „unpolitisch” erklärt worden wäre.
Das Buch ist bereits in zweiter Auflage erschienen und konnte deshalb im Kenntnisstand aktualisiert werden.
Reinhard Pohl
Ali Yumusak, Lutz Hunger und Peter Kaul: Rechter Terror in Deutschland. Mit einen Vorwort von Claudia Roth. TEIA Lehrbuch Verlag, Berlin 2012, 225 Seiten, 9.95 Euro