(Gegenwind 286, Juli 2012)
Im Herbst 2011 wurde Deutschland aufgeschreckt: Nach einem Banküberfall wurden die beiden Täter gestellt und erschossen sich. Dadurch wurde bekannt, dass eine dreiköpfige Nazi-Gruppe vierzehn Jahre lang nicht nur Banken überfallen, sondern gezielt gemordet hatte. Opfer waren zumeist eingewanderte Kleinunternehmen, also Einwanderer, die es mit Fleiß zu einer eigenen Existenz in Deutschland gebracht hatten.
Über die Mordserie hatten Polizei und Medien regelmäßig berichtet, sie war auch einmal Thema der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst”. Die Sonderkommission „Bosperus” sah genauso wie die Medienberichterstattung unter dem Titel „Dönermorde” den oder die Täter innerhalb der („schwer durchschaubaren”) Einwanderer-Community. Es wurde vermutet, es ginge um Drogenhandel oder Schutzgelderpressung. Die Opfer seien entweder darin verstrickt, oder sie könnten sich auch im Gegenteils geweigert haben mitzumachen.
In dem Buch „Das braune Netz” zeichnet der Autor nach, wie verankert dieses anti-islamische Weltbild, das Gerede von einer „Parallelgesellschaft” (in der Deutsche im Grunde genommen nicht ermitteln können) ist. Gleichzeitig wird die Gefährlichkeit der Nazi-Szene geleugnet und übertüncht durch die offiziell geförderte „Extremismus-These”, nach der Faschismus und Antifaschismus im Grunde sich nahe stehende Bewegungen sind, die Gesellschaft wird dabei als Hufeisen dargestellt: Die extremen Ränder liegen nahe beieinander.
Dabei gab es jede Menge Informationen und Kontakte in die Szene, bis hin zu Informanten des Verfassungsschutzes, die ihrerseits direkt oder indirekt mit den Tätern Kontakt hatten. Diese V-Leute erhielten über das ganze Jahrzehnt der Mordserie regelmäßig Geld für Informationen, richtige und falsche, und dieses Geld wurde zum Teil in die Organisationen der Nazi-Szene investiert.
Die Verharmlosung der Nazi-Szene durch Sicherheitsbehörden und Politiker zeichnet der Autor am Beispiel Dortmund nach, wo diese Szene trotz Gewalttätigkeiten und Anschlägen lange Zeit in Ruhe gelassen, stattdessen aber Antifa-Aktivitäten behindert wurden. Das ist nur ein Beispiel für viele, denn in vielen Städten wurden während der gesamten Zeit der NSU-Mordserie Nazi-Aufmärsche von großen Polizeiaufgeboten geschützt und antifaschistische DemonstrantInnen abgedrängt oder gar festgenommen. Und solche Aufmärsche sind die Kontaktbörse, die Durchlauferhitzer und Motivationsveranstaltungen für die Nazi-Szene und ihren Nachwuchs. Der Polizei danken die Nazis diesen Schutz nicht, mehrere Polizisten wurden in den letzten Jahren von Nazis ermordet.
Unklar ist bisher, ob die vielen Informationen bei Polizei und Verfassungsschutz absichtlich oder aus anderen Gründen nicht zusammengeführt und zur Fahndung genutzt wurden. Dazu sind mehrere Untersuchungsausschüsse und eine Bund-Länder-Kommission eingerichtet worden, allerdings haben alle Landesinnenministers ihren Landeskriminalämtern schon die Aussagegenehmigungen verweigert. Ob das jemals aufgeklärt wird, ob die Verantwortlichen es überhaupt aufklären wollen, ist zur Zeit noch nicht klar. Der Autor vermutet keinen „Fehler”, sondern Kumpanei, ohne das allerdings belegen zu können.
Das rief sofort Armin Pahl-Traughber auf den Plan. langjähriger Verfassungsschutz-Mitarbeiter und jetzt bei „Endstation rechts” aktiv. Er ist Vertreter der Extremismus-These und warf dem Autor in einer Internet-Rezension „Spekulation” und „Verschwörungsideologie” vor (siehe www.endstation-rechts.de). Tatsächlich wagt sich der Autor mit seinem „Kumpanei”-Vorwurf weit vor, rechnet auch die sogenannten V-Leute zum Verfassungsschutz, obwohl es sich in Wirklichkeit um normale, wenn auch korrupte Nazis handelt. Wer allerdings recht hat, wissen wir nicht und werden es eventuell nie erfahren.
Zu hoffen ist, dass sich das Buch gut verkauft, damit wir nach Veröffentlichung der Abschlussberichte der diversen Untersuchungsausschüsse mit einer Neuauflage rechnen können.
Reinhard Pohl
Markus Bernhardt: Das braune Netz. Naziterror - Hintergründe, Verharmloser, Förderer. Papyrossa-Verlag, Köln 2012, 117 Seiten, 9,80 Euro