(Gegenwind 285, Juni 2012)
Am 15. April 1992 hatte der Spuk ein Ende: An diesem Tag fasste die Norderstedter Kripo in Zusammenarbeit mit dem Kieler Staatsschutz vier Neonazis, die im Stadtteil Harksheide über Wochen rassistische Anschläge nach dem Vorbild des KuKluxKlan verübt hatten.
Erstmals aktiv geworden war die insgesamt wohl neunköpfige, rassistische Gruppe bereits im Herbst 1991, als einem deutsch-ghanaischen Ehepaar eine Hetzschrift mit dem Titel „Mischehe ist Völkermord” ins Haus flatterte. Einen gleichlautenden Text fand die Kripo später bei den Angeklagten. Zur Tat schritten die damals zwischen 17 und 19 Jahre alten Neonazis jedoch erst einige Monate später: Am 8. Februar begann zunächst der Terror gegen die aus Südafrika stammenden Realschullehrerin Nomsa Gertz-Mketo, die mit ihrem Mann Uwe und ihren drei Kindern ein Reihenhaus im Cordt-Buck-Weg bewohnte. Als eine der Töchter spätabends von einer Party nach Hause kam, entdeckte sie ein gesprühtes Hakenkreuz und faschistische Runen an den Rolläden des Hauses. Auch am Haus einer arabischen Familie sowie an Bushaltestellen und Schaukästen in der Umgebung tauchen in der Folgezeit zahlreiche Nazi-Symbole und einschlägige Parolen auf.
Rund drei Wochen später der nächste Schlag: In der Nacht zum 1. März stellten die jugendlichen Rassisten ein etwa 1,50 Meter großes Holzkreuz im Garten Gertz-Mketos auf, zündeten es an und klingelten die Familie aus dem Bett - ein Anschlag im Stile der us-amerikanischen Rassisten-Organisation KuKluxKlan. Noch immer unbehelligt, ging die Gruppe nun noch einen Schritt weiter und verübte am 21. März und 4. April 1992 Brandanschläge auf Häuser ausländischer Familien. In einem Fall drang das Feuer dabei unter der Tür hindurch bis in den Flur des Gebäudes, im anderen Fall hatten sich die Neonazis „in der Tür geirrt” und trafen statt der bereits geschmähten deutsch-ghanaischen Familie ein benachbartes deutsches Ehepaar. Neben zwei weiteren Anschlägen mit brennenden Kreuzen und Dutzenden Sprühaktionen wurden die immer radikaleren Aktionen mit eben jenen Drohanrufen „untermalt”, die der Gruppe am Ende zum Verhängnis wurden: Nach diversen Anrufen, bei denen die Rassisten Beschimpfungen wie „Negernegernegersauuu!”, „Alte Negerfotze” oder die Drohung „Ihr werdet brennen!” ins Telefon brüllten, schnappte eine Fangschaltung des Staatsschutzes zu und führte die Beamten direkt zu den Tätern. Am 15. April 1992 folgten vier vorübergehende Festnahmen und mehrere Hausdurchsuchungen. Die vier Nazis waren „umfangreich geständig”, zeigten aber keinerlei Reue. Mindestens zwei von ihnen waren Mitglieder der rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (DVU), außerdem soll die Gruppe seit Sommer 1991 Wehrsportübungen im Rantzauer Forst durchgeführt haben, als ihren „Truppennamen” wählten sie „Blut & Ehre Division”.
Dass die Hetz- und Anschlagsserie derart gut dokumentiert wurde, ist vor allem der Courage der Gertz-Mketos zu verdanken. Obwohl ihnen Bekannte teilweise anrieten, den Fall nicht „hochzukochen”, gingen sie wenige Tage nach den ersten Sprühaktionen an die Öffentlichkeit und klagten die Täter - aber auch die Norderstedter Polizei an, die den Fall anfangs bagatellisierte. Was folgte, war eine erstaunliche Gegenbewegung: Während sich bei der Familie im Cordt-Buck-Weg nun regelmäßig mehr als ein Dutzend Freunde und Bekannte einfanden, um sie im Notfall zu unterstützen, streiften an den folgenden Wochenenden bis zu 30 Mitglieder der Antifa Norderstedt durch die Wohnviertel zwischen Falkenbergstraße, Ulzburger Straße, Langenharmer Weg und Steindamm - ein Gebiet, in dem übrigens auch die Täter selbst wohnten. Als Sammelpunkt diente ihnen meist das Gelände der Grundschule Harksheide-Nord, von dort aus machten sich Rad- und Autostreifen auf die Suche nach den inzwischen regelmäßig zuschlagenden Rassisten. Am Ende war es für die wahrscheinlich besser, von der Polizei erwischt zu werden, als von der Antifa oder gar den Betroffenen selbst.
Vor Gericht kamen die vier Haupttäter erst im Juni 1993 und wurden dort zum Schrecken der Betroffen mit Samthandschuhen angefasst. Schon nach zehn Minuten schloss Richter Detlef Deecke die Öffentlichkeit im ohnehin hermetisch aberiegelten Norderstedter Amtsgericht von der Verhandlung aus, nach Ende des Prozesses wurden die Neonazis über eine Hintertür an Betroffenen und Antifas vorbei gelotst. Auch das Urteil sorgte damals für Kopfschütteln: Zwei Jahre auf Bewährung, dazu 500 DM Bußgeld an Amnesty International, statt einer von der Staatsanwaltschaft geforderten Haftstrafe von zweieinhalb Jahren ohne Bewährung. Während die Antifa in einer Presseerklärung das Fehlen der Anklagepunkte Volksverhetzung und Bildung einer terroristischen Vereinigung kritisierte, ist das Urteil auch für Uwe Gertz noch heute ein Zeichen für die gängige Verharmlosung von Neonazi-Gewalt: „Wenn ich sehe, wie damals wie heute auf „Einzeltäter” und „Verrückte” abgestellt wird, wir es aber tatsächlich fast immer mit organisierten Gruppen zu tun haben, steigt der Ärger wieder hoch.” Die Harksheider Anschlagsserie sieht er als eine Art Vorläufer der heutigen Entwicklung bis hin zu den Rechtsterroristen des NSU: „Anfang der 90er Jahre entwickelte sich mit den Anschlägen von Mölln, Rostock oder auch Solingen eine neue Qualität rechter Gewalt.”
Doch auch wenn die Wochen zwischen Februar und April 1992 bei den Betroffenen noch immer Beklemmungen auslösen, sind es bei Gertz letztlich andere Emotionen, die wirklich hängen geblieben sind: „Es hat sich bewährt, nach vorne zu gehen, sich nicht wegzuducken. Diese Erfahrung habe ich als Gewerkschafter gemacht, aber auch im Angesicht der Neonazi-Gewalt. Die Lehre ist: Wenn Du angegriffen wirst, vernetze Dich und wehre Dich!” Da ist es dann fast schon egal, dass sich die Rassisten - bis auf ein kaum vernehmbares Murmeln vor Gericht - nie für die Anschläge entschuldigt, nie wirklich Reue gezeigt haben. Nur der Anwalt einer der Haupttäter sprach jetzt davon, dass sein Mandant wisse, „dass er damals arg über die Stränge geschlagen” habe.
Olaf Harning
Die Gruppe Antifa Norderstedt nahm die Vorgänge 1992 zum Anlass, sich in einem Flugblatt mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen. Das Papier ist ... einzusehen.