(Gegenwind 284, Mai 2012)

„Man kann nicht misstrauisch genug sein, wenn man untersucht, welche Lobbys hier klammheimlich einen Vertrag gezimmert haben. Nicht, was darin steht, ist das Gefährliche, sondern was dahinter steht.”
Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge über ACTA (Quelle: SWR)

Internet

Die weitreichenden Folgen des Handelsabkommens ACTA

Mit ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) entsteht ein multilaterales Handelsabkommen, dessen ursprünglicher Zweck die Bekämpfung von Produktpiraterie und der Schutz von Immaterialgüterrechten sein soll. Ausgehandelt hinter verschlossenen Türen und damit ohne demokratische Legitimation, stammen die Vorgaben, die nun unverändert in das Abkommen fließen sollen, alleine von denen, die behaupten „Rechteinhaber” zu sein oder es auch tatsächlich sind.

Mit der Unterzeichnung des ACTA-Abkommens würden sich die unterzeichnenden Staaten, freiwillig zu weitreichenden Gesetzesänderungen im Sinne des Abkommens bereit erklären oder Exekutivorgane bis hin zu Privatunternehmen in die Pflicht nehmen.

Diese Änderungen sind so tiefgreifend, dass sie auf regulärem Weg durch die Parlamente kaum Chancen auf eine Verabschiedung hätten. Ohne Prüfung und Debatte in den Parlamenten sollten Botschafter damit ein Abkommen unterzeichnen, welches die Rechteverwertungsindustrie am Verhandlungstisch im Grunde mit sich selbst ausgehandelt hat. Aufgabe der Diplomaten des Auswärtigen Amtes wäre dann, die Vereinbarung zu unterschreiben und zur Ratifizierung an das Parlament weiterzuleiten.

In der öffentlichen Diskussion wird ACTA gezielt meist nur im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen durch Raubkopien, Filesharing etc. genannt und kritisiert.

Schätzungsweise 80-90 % der sog. politischen Klasse weiß nicht, wovon sie redet, wenn sie den Begriff „ACTA” benutzt und doch reden viele von „geistigem Eigentum”, das es zu schützen gälte. Die Folgen, die ACTA für Wirtschaftsstandorte und Gesamtbevölkerungen von Ländern bedeutet, werden unter völliger Missachtung jeglicher Folgenabschätzung offenbar hingenommen. Warum, das darf gemutmaßt werden.

Allerdings sind die Auswirkungen des Abkommens weitaus gravierender und weitreichender. Sie greifen selbst in unsere Lebensgrundlagen ein. Auch die Landwirtschaft, die Ernährung, die Medizin und immaterielle Güter sind von diesem Abkommen betroffen.

Landwirtschaft

Wir brauchen eine dezentrale, verbraucherorientierte, ökologisch vertretbare Landwirtschaft und einen freien Markt, in dem auch kleinere Betriebe bestehen können. Mit der EU-Zusage zu ACTA werden die Rechte weniger großer, oligopolistisch operierender Konzerne gestärkt.

Dabei werden Patente auf Pflanzen, Tierzucht und Produktionsmethoden oft an wenige Herstellerkonzerne vergeben, wodurch die Bauern weltweit in Abhängigkeiten getrieben werden. Die Konzerne scheinen wenig Vertrauen in ihre eigenen Produkte zu haben, setzt ein Bauer gentechnisch verändertes Saatgut ein und es entsteht ein Schaden, muss er dafür haften, nicht etwa der Hersteller. Eine unabhängige Produktion von Lebensmitteln droht unmöglich zu werden.

Das Absurde daran: Wenn patentiertes Saatgut in ein Feld eines anderen Bauern verweht wird, könnte dieser als Patentverletzer beschuldigt und verfolgt werden. Damit müssten sich selbst nachhaltig produzierte erstklassige Bioprodukte Patente- bzw. Rechteinhabern unterwerfen, sofern sie nicht als „Lebensmittelpiraten” beschuldigt und verfolgt werden wollen, sofern Saatgut, Produktionsweise und Rohstoffe nicht im Rahmen der erteilten „Lizenz” erworben wurden.

Ernährung

Wir brauchen gesundes und natürliches Essen das an geeigneten Standorten produziert wird. Die Zusage zu ACTA ist leider ein Bekenntnis zur patentgeschützten Designer-Nutzpflanze. Die Gewinner einer Gesetzgebung gemäß ACTA-Abkommen sind international operierende Konzerne. Deren standardisierte Produkte sind einzig als zugelassene Patente lizenzierbar. So muss selbst für Backweizen, der ursprünglich von Indischen Bauern gezüchtet wurde, Lizenzgebühr entrichtet werden.

Das europäische Patentamt hat mit seiner Entscheidung im Oktober 2011 die Patentierung von genverändertem Brokkoli erlaubt. Mittlerweile wurden etwa 80 Patente und knapp 800 weitere Anträge auf die Patentierung eingereicht. Die Palette reicht von pilzresistenten Gurken über Getreide bis hin zu zahlreichen weiteren Grundnahrungsmitteln. Das Bündnis „No patents on seeds”, versucht zu verhindern, dass das natürliche Recht auf Nahrungsmittelanbau zu einem gesetzlich geschützten oder gar vertraglich fixierten Privileg wird. Über 300 Organisationen (wie z.B. der BUND, Pflanzenzüchter- u. Bauernverbände, Greenpeace, etc.) haben sich gegen die gesetzliche Kontrolle von Saatgut und Pflanzenanbau zusammengeschlossen.

Nur dann, wenn man will, dass einen nur noch lächelnde Hühner aus den Kühlregalen anschauen und das Essen auf dem Tisch nur noch aus der Gen-Küche kommt, kann man ACTA befürworten. Wer will das?

Was ist falsch an Patenten auf Pflanzen, Tiere und Saatgut?

Patente werden in der Industrie mittlerweile als Waffen gegen Mitbewerber eingesetzt. Gesteht man Konzernen Patente auf Lebewesen zu, richtet sich dies automatisch gegen kleinere Marktteilnehmer.

In Zeiten, in denen Menschen hungern, werden Lebensmittel durch die Monopolisierung von Gütern der Grundversorgung unnötig verknappt. Sie werden mehr denn je zu Spekulationsobjekten, was wiederum die Preise nach oben treibt. Biologisch und landwirtschaftlich sind die Folgen ebenfalls dramatisch, denn statt Artenvielfalt kommen noch weniger hochspezialisierte Tier- und Pflanzenarten in noch größerem Maßstab zum Einsatz. Artenvielfalt ist eben nicht das Ziel großer Agro-Gentechnik-Konzerne. Für kleinere, ökologisch wertvollere landwirtschaftliche Betriebe, schwinden die Chancen im Wettbewerb, da sie die Kosten für einen Patentrechtsstreit mit einem Konzern nicht tragen können.

Heilkräuter, Kulturpflanzen und Saatgut sind oft in einem jahrhundertelangen Prozess entstanden und überlebenswichtiger Bestandteil der Lebensführung indigener Gesellschaften. Die Patentierung von Wirkstoffen aus diesen Pflanzen in den wohlhabenden Industrienationen behindert die Ursprungsproduzenten nicht nur beim Export der Kulturpflanzen, sondern auch bei der lokalen Vermarktung und damit der Versorgung seiner Bevölkerung.

Die flächendeckende Ausbreitung von monokulturellen Saatgütern in Kombination mit Unkrautvernichtungsmitteln hat den Artenreichtum und damit die genetische Vielfalt bereits stark beeinträchtigt. Daraus resultiert der Zwang, langfristig Saatgut aus den Industrienationen zu lizensieren und damit teuer zu kaufen.

In der Landwirtschaft erweist sich die Patentierung natürlicher Basisgüter zudem als unvereinbar mit der Tradition, denn der Jahrhunderte lange Austausch von z.B. Saatgut und Wissen über geteilte Kreuzungen war stets Allgemeingut, gehörte allen und keinem einzelnen Patentinhaber.

ACTA fördert dem gegenüber Agrarkonzerne wie Monsanto beim Exklusivvertrieb von Produkten, der nicht nur die Artenvielfalt in unserer Natur bedroht, sondern weltweit die Nahrungsgrundlagen in den ärmsten Regionen zerstört und stattdessen das Monopol jener Konzerne auf Grundversorgung manifestiert.

Geplante Gesetzesvorlage „Food Bill” in Neuseeland

Einen Schritt weiter ist der neuseeländische Markt, der zur Zeit auf die Gesetzesvorlage „Food Bill” vorbereitet wird. Sie sieht gar eine staatliche Genehmigung für das Herstellen, Weitergeben, Verarbeiten von Nahrung und gesundheitsfördernden Stoffen vor. Egal, ob Tomaten, Paprika, Kräutertee oder Mineralwasser, die Nutzpflanzen darf nur der künftig anbauen, der die staatliche Lizenz erworben hat.

Medikamente

Eine ganze Bandbreite von Bürgerrechten sind von ACTA betroffen. Neben immatieriellen Gütern und Lizenzen auf Pflanzen und Tiere, betrifft es auch die Medizin. Mit der Umsetzung von ACTA ist der große Markt für Generika bedroht, dessen Verschwinden für Medikamente insgesamt einen starken Preisanstieg zur Folge hätte. Dies betrifft Entwicklungsländer stärker noch als den europäischen Raum, da unter dem Verlust von Generika insbesondere die Bekämpfung von HIV leidet.

Der Blick nach Indien zeigt, dass sich die Gesundheitsversorgung dort in den letzten Jahrzehnten ohne restriktiven Patenschutz durch die Herstellung von Generika, d.h. wirkungsähnlichen Medikamenten, rasant verbessert hat. Diese Grundversorgung ist lebensnotwendig, denn 80% der Bevölkerung bleiben als Tageseinkommen gerade 2 Dollar.

Z.B. hatte der deutsche Konzern Bayer Pharma ein Monopol auf das patentierte Krebsmedikament Sorafenib, welches unter dem Namen Nexavar für rund 5.600 Dollar pro Monatsdosis vertrieben wird. Die indische Patentbehörde hat nun zu Gunsten des Konkurrenzunternehmens von Bayer, Natco Pharma einem Patentantrag stattgegeben, wonach ein Generikum vertrieben werden kann. Der angepeilte Preis für die Monatsdosis: 175 Dollar. Indien ist ACTA nicht beigetreten. Würde Europa abschließend ratifizieren, stünden ähnlich vergleichbare Konkurrenzprodukte (Generika) innerhalb Europas - wie auch in anderen Unterzeichnerländern - unter dem wirtschaftlichen Diktat der Rechteinhaber (Patente).

ACTA verbietet die den Vertrieb von Generika innerhalb fester Patentzeitfenster und hilft Patentträgern dabei, den Handel von in der Regel preislich nur einen Bruchteil ausmachenden Generika zu unterbinden. Welche Präparate patentgeschützt werden oder sind, erfährt die Öffentlichkeit allenfalls durch die Presse; zumeist ohnehin nur in Randnotizen bestimmter Fachmedien.

Betroffen sind u.a. Patienten, die auf AIDS-Therapien angewiesen sind. Steigende Medikamentenpreise führen zu höherer Sterblichkeit, da das bezahlbare Maß längst überschritten ist. In Südafrika kam es bereits unter TRIPS zu einer Patentklagewelle der Hersteller gegen Generikaproduzenten.

Auch und gerade in Europa und nicht zuletzt auch auf den deutschen Markt und das Gesundheitswesen hat ACTA weitreichende Auswirkungen unter Einfluss gar solcher Initiativländer von ACTA wie Japan, die es einzudämmen bzw. zu verhindern gilt.

So hat jüngst der in deutscher Hand (Bayer Basics) befindliche Ableger von Ranbaxy (Indien), der wiederum dem Japanischen Konzern Daiichi Sankyo gehört, von der Fa. Pfizer (USA) die Verwertungsrechte für ein nun noch bis 7. Mai 2012 „offenes” Patent des im patentierten Cholesterin-Senker enthaltenen Wirkstoffs (Atorvastatin), unter dem Namen „Sortis” vertrieben, abgekauft. Einmal, um die Wirkstofffreigabe im Zeitfenster der Restverwertungsdauer zu sichern; zum anderen, um sich Marktvorteile bzgl. des genannten Wirkstoffs auf dem Generikamarkt zu verschaffen. Pfizer nutzte das Patentrecht jahrelang für das in Deutschland unter dem Namen „Sortis” bekannte Medikament aus und wehrte sich vergebens gegen die Festpreis-Höchstgrenzen in Deutschland. Damit fiel Sortis aus der Erstattbarkeit durch die gesetzlichen Krankenversicherungen heraus. Folge hiervon waren erhebliche, hohe Zuzahlungen für dieses Medikament, welches weltweit als das umsatzstärkste Medikament aller Zeiten gilt (Erlös Pfizer: 130 Mrd. $). Alternativ blieb denjenigen, die sich die Zuzahlung nicht leisten konnten, nur die Anwendung von Simvastatin mit nur ca. 50 % Wirkungsgrad gegenüber Sortis und mit nur marginaler Steigerung der Wirkung durch Hinzunahme von Ezetrol als Kombi-Medikamentierung. Dies unter Inkaufnahme der Verdopplung von Nebenwirkungen und Nichterreichung der Wirkstoffeffizienz von Sortis. Das nunmehr von Ranbaxy produzierte und via Basics vertriebene „Atorvastatin”-Präparat erreicht nunmehr die identische Wirkung wie Sortis, liegt im Rahmen der Erstattbarkeit im deutschen Gesundheitswesen und ist bereits in die Lauer-Taxe aufgenommen. Ein Umstand, der z.B. Hexal noch nicht gelungen ist und damit Basics einen enormen wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Hexal hat ebenfalls eine Vereinbarung mit Pfizer getroffen. Heißt also: auch unter der Kreis der durch ACTA geschützten Zeichnerländer (Japan) zeichnet sich durch weit reichendes Profit-Management aus; zeigt aber auch, dass nur durch kostspielige Vereinbarungen mit Rechteinhabern Generika ermöglicht werden.

Fazit

Keine Frage; auch um die Überwachung des Internet- und Warenverkehrs, der über das Internet abgewickelt wird, geht es bei ACTA. Dies gilt mindestens insoweit, als das Internet auch zum Wissens-Transfer benutzt wird, um Produkte zu erschaffen oder natürliche Ressourcen möglichst verwertungsrechtefrei auszunutzen. Die Monopolisierung verlangt somit förmlich nach einem Instrument, um denjenigen Handel zu kontrollieren, der nicht frei von Rechten Dritter ist; von Rechten, die z.B. in Patenten bestehen bzw. aus ihnen heraus fließen. Genau dies aber ist darauf angelegt, Freiheitsrechte weltweit zu beschränken und dem Diktat von Monopolen und damit einher gehender Marktmacht unterzuordnen.

Wir benötigen eine verbrauchergerechte Urheberrechts-Reform und faire Zahlungsmodelle für immaterielle Güter. ACTA, in seiner jetzigen Form, betoniert das überholte Urheberrecht und verschafft global operierenden Konzernen mehr Macht und Verfügungsgewalt über natürliche Ressourcen zu denen nicht zuletzt auch Wissenstransfer gehört. Anstatt patentierte Pflanzen und Tierzuchtverfahren zu fördern, sollten natürliche Ökosysteme, Artenvielfalt und dezentrale Produktion von Lebensmitteln unterstützt werden. ACTA bewirkt das Gegenteil und gibt Großkonzernen oligarchische Kontrolle über weltweite Märkte. Zustande gekommen ist das Abkommen unter völligem Ausschluss der Bürger, die es am Ende betrifft. Wird es global wirksam, sind jene Menschen am anderen Ende der Verwertungsskala beliebig manipulierbarer Marktmacht und Preishoheit wettbewerbs- und alternativlos ausgeliefert.

Auch und gerade dies macht es unerlässlich, die Bevölkerung in Deutschland und Europa sowie weltweit dafür zu sensibilisieren, warum ACTA ein Abkommen ist, welches zwingend abzulehnen ist und dort, wo es bereits Gültigkeit erlangt hat, in seinen Auswirkungen zu revidieren.

Stopp ACTA ! Diese Forderung macht also global und aus existenzieller Sicht Sinn, wenn einem etwas an der Menschheit liegt und nicht bloß die oberflächliche Betrachtungsweise zulässt, es ginge nur um das - durchaus auch schützenswerte - Copyright, den Markenschutz und Urheber- bzw. Verwertungsrechte z.B. hinsichtlich Filme, Musikstücke, Bücher und Bekleidungshersteller (Stichwort: Markenpiraterie).

Die Internationalität des Abkommens überwindet vielmehr Grenzen nationaler Gesetzgebung und macht kontinental übergreifend staatliche Behörden seiner Befürworter und „Macher” zu Vasallen der Content-Industrie und von Oligopolisten; ganz zu schweigen von der Einbindung Privater in Überwachungsmechanismen zur letztendlichen Durchsetzung von nicht demokratisch legitimierten Rechtspositionen.

Und nicht, dass daran gedacht werden kann, die restriktiven Aspekte von ACTA seien durch einige Federstriche aus dem Abkommen eliminiert. Nein! Diese sind längst in den Bestrebungen zur Novellierung der EU-Richtlinie 2004/48/EC („IPRED 3”) aufgegriffen. Hierdurch soll die Welt mit den hässlichen Folgen der Überwachung von Meinung, Wissenstransfer und Informationsaustausch und zivil- und strafrechtlichen Sanktionen beglückt werden, während vordergründig durch die Aufmerksamkeit, welche ACTA zuteil wird, versucht wird, diesen Teil des aus ACTA augenscheinlich verschwundenen Szenarios der Begutachtung und Kritik sowie deren nachhaltigen Verfolgung entziehen zu können. Weit gefehlt! Wer ACTA ablehnt, hat IPRED längst auf dem Schirm und die Kritik wird mindestens so laut, wie diejenige bei ACTA in den letzten Wochen und Monaten. Doch dies bleibt einer gesonderten, weiteren Auseinandersetzung vorbehalten.

Birgitt Piepgras (Hekate), Ingo Bläser (Senfberg) und Dietmar Schulz
(DSLawFox) unter CC-BY-SA 3.0 Lizenz

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