(Gegenwind 282, März 2012)

Mitmachen leicht gemacht! Arbeitsgruppen in Attac / Globalisierung geht ganz anders - Mensch und Umwelt vor Profit!

LOKALES: Lübeck

Treffen von norddeutschen Attac-Regionalgruppen in Lübeck

Für eine sozial gerechte Gesellschaft - Annäherung an einen Systemwechsel

Zum Erfahrungsaustausch und der Vorbereitung der in diesem Jahr geplanten Aktionen trafen sich rund 20 aktive Mitglieder von Regionalgruppen aus Schleswig-Holstein, aus Hamburg und aus Lüneburg am 12. Februar in Lübeck. Diese Treffen finden seit einigen Jahren ein bis zweimal im Jahr in wechselnden Orten statt und sind eigentlich unverzichtbar geworden, weil sich Herausforderungen und Gruppenkonstellationen immer wieder verändern. In Lübeck waren erstmals auch Vertreterinnen und Vertreter einer neu konstituierten Gruppe aus Bergedorf dabei.

Wie für andere zivilgesellschaftliche Gruppen und Verbände ist auch für die aktiven Mitglieder von Attac der Austausch von Erfahrungen neben der Organisation von Aktionen und Veranstaltungen die Basis der zukünftigen Arbeit und des Erfolgs. Inzwischen hat Attac seit der Gründung im Jahr 2000 etwa 25 000 Mitglieder in Deutschland, aktuell treten rund 150 Menschen monatlich neu ein. In über 200 Orten gibt es Attac-Gruppen. Diese Gruppen informieren, gestalten lokale oder regionale Veranstaltungen und beteiligen sich an überregionalen Aktionen. Attac versteht sich seit seiner Gründung als Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise. Die erste zentrale Forderung von Attac war die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Die Aktionen decken inzwischen fast alle wesentlichen Politikbereiche ab. Die Regionalgruppen konzentrieren sich auf von ihnen selbst ausgewählte Schwerpunkte und beteiligen sich an den bundesweiten oder den darüber hinaus gehenden Aktionen und Kampagnen.

Unterstützung erhalten die Regionalgruppen durch das Attac-Bundesbüro und zahlreiche Experten, die als Referenten zur Verfügung stehen. Attac ist auch immer wieder bestrebt, Bündnisse zu organisieren oder sich an Bündnissen zu beteiligen. Teile der Gewerkschaften, Umweltverbände, kirchliche Gruppen und kapitalismuskritische Gruppen, aber auch Gliederungen von Parteien aus dem linken Spektrum, unterstützen Attac durch Mitgliedschaften oder beteiligen sich an Aktionen.

Berichte, Aktionstage, Kampagne, Strukturdebatte

In Lübeck standen neben den Berichten aus den Regionalgruppen Vorbereitungen zu globalen Aktionstagen zur Finanz- und Eurokrise, voraussichtlich vom 12. bis 15. Mai, Vorbereitungen einer bundesweiten Kampagne zur Einführung einer Vermögensabgabe und einer Vermögenssteuer und Fragen zur Entwicklung der Strukturen auf der Tagesordnung.

Berichte über einige Aktionen der Regionalgruppen in Norddeutschland

Alle Gruppen befassten sich im letzten Jahr mit dem Kernthema Finanz- und Eurokrise, zu diesem Thema stehen mehrere kompetente Attac-Mitglieder als Referenten zur Verfügung. Die angebotenen Veranstaltungen waren für die Organisatoren durch gute Besucherzahlen ausnahmslos erfolgreich. Allerdings muss in die öffentlichkeits- und Pressearbeit durchweg sehr viel investiert werden, um eine angemessene Resonanz zu erreichen. Verschiedene Gruppen haben auch durch globalisierungs- und sozialkritische Filme gute Besucherzahlen erreicht. Die Regionalgruppe Nordfriesland hatte sich mit insgesamt 4 Veranstaltungen zur Militarisierung, zu Krieg und Antikriegsstrategien an die Öffentlichkeit gewandt. Gerade bei diesen Veranstaltungen wurde deutlich, wie schwierig es ist, die Presse zu interessieren. Die Regionalgruppe Itzehoe hatte sich, abweichend von einem sehr ambitionierten Jahresprogramm, mit einem Sarrazin-Auftritt in der Stadt Itzehoe auseinanderzusetzen, dem mit einer Demonstration begegnet werden konnte. Der eigentliche Schwerpunkt der Regionalgruppe war allerdings die Auseinandersetzung mit der Energiepolitik in der Region, speziell mit der Kraftwerksplanung in Brunsbüttel und dem damit verbundenen Kohleimport aus Kolumbien. In Kooperation mit „Brot für die Welt” und der „Brunsbütteler Bürgerinitiative” gelang es, Vertreter der vom Kohleabbau betroffenen indigenen Bevölkerung Kolumbiens nach Deutschland zu holen, um authentische Informationen über die Situation in den dortigen Regionen zu erhalten. In diesem Jahr soll durch eine ähnliche Aktion ein Gewerkschaftler die Verhältnisse aus gewerkschaftlicher Sicht erläutern. Zur Situation in Kolumbien ist eine Ausstellung konzipiert worden, die ausgeliehen werden kann. Soweit bekannt, soll auch das Hamburger Kraftwerk Moorburg mit Kohle aus Kolumbien bestückt werden. In diesem Jahr wird die Regionalgruppe Itzehoe neben dem laufenden Programm zumindest auch noch auf ein Bundeswehr-Gelöbnis reagieren müssen. Nahezu alle Gruppen müssen sich leider auch immer wieder mit Nazi-Aufmärschen auseinandersetzen.

Größere Pläne hat die Regionalgruppe Bergedorf, aus Anlass der 850-Jahrfeier des Bergedorfer Schlosses wird zum 16. Juni ein „Historisches Mitmachspektakel” vorbereitet. Durch verschiedene, teils spektakuläre Aktionen sollen die Bürger auch und besonders auf die ungerechte Verteilung von Besitz und Geld und den ungerechten Umgang damit aufmerksam gemacht werden. Darüber hinaus ist ein Pfingstlager vorgesehen. Aufgrund der Nähe zum Kernkraftwerk Krümmel hat sich die Gruppe im vergangenen Jahr unter anderem an entsprechenden Aktionen gegen die mit dem Betrieb von AKWs verbundenen Gefahren beteiligt.

Die Hamburger Regionalgruppe ist vor allem im Stadtteil Altona aktiv, will ihre Aktivitäten demnächst auf die Stadtteil Eidelstedt und Niendorf ausweiten. Regelmäßiger Treffpunkt ist die über Hamburg hinaus bekannte „Werkstatt 3” in der Nähe des Altonaer Bahnhofs. Der Treffpunkt soll auch als „Globalisierungsbüro” bekannt werden. Die Hamburger Gruppe deckt ein breites Spektrum der Attac-Aktivitäten ab. Es sind gute Kontakte zu Bürgerinitiativen und Gruppierungen von einigen politischen Parteien aufgebaut worden, mit denen auch gemeinsame Veranstaltungen oder Aktionen durchgeführt werden.

Die wieder gegründete Lüneburger Gruppe und die ebenfalls vertretene Regionalgruppe Bad Oldesloe befassten sich wie alle anderen Gruppen intensiver mit dem Kernthema Finanz- und Eurokrise. Daneben standen aber auch Fragen der Entwicklung der Kommunalhaushalte und der Rekommunalisierung ganz oben auf der Agenda. Das Verhältnis zu parteipolitisch aktiven Mitgliedern wurde als ambivalent charakterisiert. Allzu oft hat das parteipolitische Engagement für diese Mitglieder Vorrang.

Die Regionalgruppe Bad Oldesloe hatte sich in den vergangenen Jahren auch intensiver mit dem geplanten Börsengang der Bahn befasst. Das Projekt Stuttgart 21, dessen indirekten bundesweiten Auswirkungen und damit auch die Frage sozial gerechter und sicherer Mobilität sind insgesamt offenbar nicht besonders thematisiert worden. Die Regionalgruppe Lübeck ist gut mit lokalen Gruppen und mit der Linkspartei vernetzt, die auch im Stadtparlament vertreten ist. Die Regionalgruppe Kiel hat sich intensiver mit dem Thema Rekommunalisierung beschäftigt und will sich neben den Kernthemen auch mit dem Aufbau dezentraler Netze befassen. Wegen der Beschäftigung mit einigen Dauerthemen sind die Kapazitäten der Gruppen stark gebunden. Ein weitergehendes Engagement ist kaum möglich, berücksichtigt man den teilweise erheblichen Aufwand, der die Organisation einer Veranstaltung oder die Abstimmung mit Bündnispartnern verursacht. Bei der Kooperation steht der Austausch von Informationen, Erfahrungen und Materialien mit anderen Regionalgruppen im Vordergrund. Die Veranstaltungen der Attac-Gruppen werden finanziell häufig durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Ergebnisse von systematischen Auswertungen der bisherigen Aktivitäten könnten die weitere Arbeit zusätzlichen erleichtern und noch erfolgreicher machen.

Strukturen von Attac (Auszug)

Aktionstage und Kampagnen

Steffen Stierle vom Arbeitskreis Entwicklung aus Frankfurt informierte über die in diesem Jahr geplanten Aktionstage und über Kampagnenüberlegungen bis 2013. Auf einer Internationalen Aktionskonferenz Ende Februar in Frankfurt und Ende März in Mailand werden die endgültigen Einzelentscheidungen zu dem wahrscheinlich am 12. Mai stattfindenden dezentralen globalen Protesttag gegen die Finanzpolitik, die neoliberale Politik in Europa und in der Welt insgesamt getroffen worden sein. Sehr wahrscheinlich wird in Frankfurt eine Großdemonstration stattfinden. Ziel soll eine europaweite Mobilisierung nach Frankfurt sein, um ein unübersehbares Zeichen der internationalen Solidarität und des Widerstands zu setzen. Die Großdemonstration und eine ebenfalls geplante Konferenz soll von einem möglichst breiten Bündnis, an dem auch Gewerkschaften beteiligt sind, getragen werden. Ein weiterer Aktionstag soll der 15. Oktober sein.

Im Mittelpunkt der ebenfalls geplanten neuen Kampagne steht die Forderung nach einer 30 bis 50 prozentigen Vermögensabgabe und die (Wieder-) Einführung einer Vermögenssteuer. Einerseits wird durchaus einkalkuliert, dass eine Umsetzung dieser Forderung kurz- und mittelfristig keine großen Chancen hat, andererseits wird auch erkannt, dass die eklatant ungerechte Eigentums- und Vermögensverteilung ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem darstellt. Mit der Kampagne soll also zunächst „Bewusstsein” für eine gerechte Gesellschaft angeregt werden, damit „Gemeinwohl der wirkliche Maßstab von Politik und Gesetzgebung wird”. Immerhin müsste bei tatsächlicher Einführung einer Vermögensabgabe, einer Vermögenssteuer, höherer Erbschaftsteuer, höheren Einkommens- und Unternehmenssteuern, auch geklärt werden, wie demokratisch und für welchen Zweck diese Einnahmen verwendet werden.

Entwicklung der Strukturen

Zentrales Thema der Diskussionen über Strukturen war und ist wie in vielen anderen Organisationen die Verstärkung der Gruppen durch neue Mitglieder und Aktive. Eine stärkere Professionalisierung ist nicht gewollt. Besonders geworben werden soll bei jungen Menschen. Deshalb wird auch ein besserer Zugang zu den Schulen angestrebt. Erste Schritte sind gemacht, didaktisches Material ist vorhanden, erfolgreich erprobt und kann überregional genutzt werden. Sicher sind im gesamten Spektrum Öffentlichkeitsarbeit trotz der regional massiven Blockade durch die Presse noch Potenziale zu erschließen.

„Attac ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen”, lautete eine persönliche Zwischenbilanz, eine andere: „Wir sind nah an der Systemfrage”. Wenn das so ist, was bedeutet das? Führende Politiker des neoliberalen Lagers sehen sich veranlasst, nun auch eine Finanztransaktionssteuer zu fordern. Doch zunächst bleibt es auf unbestimmte Zeit bei dieser allgemeinen Forderung. Die Banken-, Finanz- und Eurokrisen der letzten Jahre haben gezeigt, worauf Kapitalismuskritiker immer wieder eindringlich hingewiesen haben: Eine gerechte Gesellschaft erfordert mehr als höhere Steuern für Vermögende und die Verhinderung weiterer Privatisierungen, ohne grundlegende Systemänderungen wird eine sozial gerechte Gesellschaft nicht zu haben sein. Und mit etwas gutem Willen, lässt sich sogar aus der geltenden Verfassung ableiten, dass dies möglich und notwendig ist. Das heißt, auch Attac muss mit einem strategischen Ansatz weiter offensiv Systemkritik üben, systemische Ursachen und Alternativen aufzeigen. Dabei ist die Dialektik der Auswirkungen zu berücksichtigen.

Das nächste Treffen der norddeutschen Regionalgruppen, zu denen auch Gruppen aus Mecklenburg-Vorpommern und dem Wendland gehören, soll im Spätherbst in Itzehoe stattfinden.

Klaus Peters

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