(Gegenwind 281, Februar 2012)


Leweke von Hoff (Mitte hinten) mit den Kindern des ehemaligen Waisenhauses „Mukti Nepal”.

„Ich will ins Ausland”

Das Geschäft mit den Freiwilligen

„Ich hatte den Wunsch, eine fremde Kultur kennenzulernen und zu erfahren, wie Menschen auch ganz anders leben und glücklich sein können”, beschreibt Leweke von Hoff ihre Motivation für einen Freiwilligendienst im Ausland. Nach dem Abschluss ihres Grundstudiums in Germanistik, Geschichte und Öffentlichem Recht im Sommer 2006 in Münster wollte Leweke von Hoff praktische Erfahrungen sammeln, nicht zuletzt im Hinblick auf die Frage nach der beruflichen Orientierung.

Die aus Glasau stammende Schleswig-Holsteinerin recherchierte im Internet nach Anbietern von Freiwilligeneinsatzstellen; Tibet sollte ihr Reiseziel werden. „Zunächst habe ich auf deutschen und auf englischen Seiten gesucht und war erstaunt über die hohen Preise, welche die Dienstleister von den Freiwilligen exklusive der Flugkosten verlangten.” Schließlich stieß sie auf einen viel günstigeren Anbieter. „Erst als ich die Antwortmail erhielt, merkte ich, dass ich auf eine nepalesische Organisation gestoßen war.” Auch wenn Freunde und Familie den Plänen kritisch gegenüberstanden und Zweifel an der Seriosität der Organisation äußerten, welche die Vertragsverhandlungen formlos per Mail mit Leweke von Hoff führte, entschied sich die damals 22-Jährige für einen zweimonatigen Einsatz in Nepal mit „Hope and Home”. 800 Euro überwies Leweke von Hoff der Organisation für die Vermittlung, für einen einwöchigen Sprachkurs in Nepali, die Unterkunft in der ersten Woche in einer Jugendherberge und für die Zahlung von monatlich 100 Euro an das Waisenhaus „Mukti Nepal” in Kathmandu, in welchem sie ehrenamtlich die zwei Monate arbeitete. Im Dezember 2006 kehrte sie mit beeindruckend beglückenden sowie nachdenklich stimmenden und Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Freiwilligendienstes weckenden Erfahrungen nach Deutschland zurück.

Helfen in Entwicklungsländern

Tipps für Interessierte

Nach Beendigung der Schule nutzen viele junge Menschen ihre Zeit, um ins Ausland zu reisen. Lebenshungrig und voller Tatendrang soll Neues erkundet werden. Dank unseres Wohlstandes sind Reisekosten kein Problem und mit dem Finger auf der Landkarte suchen sich die jungen Menschen ihr Ziel. Entwicklungsländer sind insofern interessant zu bereisen, weil noch nicht Jede/Jeder dort war und es keine vorgefertigten Reiserouten gibt. Mann und Frau kann also noch richtiges "Neuland" erobern und Welten kennen lernen, in denen alles anders als zu Hause ist. Und weil bekannt ist, dass Entwicklungsländer immer Hilfe brauchen, kommen viele schnell dahin, ehrenamtlich ihre Arbeitskraft einzubringen. Es gibt verschiedene Programme, die es ermöglichen, offiziell an einem Austausch teilzunehmen. Einige Reisewillige bevorzugen jedoch, ihre eigene Reiseroute aufzustellen und sich eigene Kontakte zu suchen.

Folgende Gedanken möchte ich diesen jungen Menschen mit auf den Weg geben:

  1. Jedem/Jeder, der meint, dass allein sein Schulabschluss ihn befähigt, ein "guter Helfer" oder eine "gute Helferin" in einem Entwicklungsland zu sein, überlege bitte Folgendes: Wenn ein kenianische Jugendlicher auf dem Arbeitsplatz der Mutter oder des Vaters helfen möchte, welche Kenntnisse und Fähigkeiten bräuchte er, um sich dort sinnvoll einzubringen? Welche Fähigkeiten könnte sie/er in dem Entwicklungsland einbringen? In der Entwicklungszusammenarbeit wird das "helfen" nicht gern gesehen. Suggeriert es doch, dass eine Person etwas kann oder hat und die andere Person dies entgegennimmt. Diese Schräglage ist keine gute Voraussetzung für partnerschaftliche Arbeit. Besser ist es, gemeinsam zu überlegen, wo Probleme liegen und wie man sie lösen kann. Idealerweise werden Entwicklungstipps auch von Süd nach Nord gegeben.
  2. Wer wirklich Entwicklungsländer unterstützen will, braucht nicht erst dort hinzureisen. Zahlreiche MigrantInnenorganisationen leisten Unterstützung in ihren Herkunftsländern und sind dankbar für tatkräftige Hilfe (z.B. auch bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit).
  3. Wer ein Entwicklungsland bereist, sollte sich vorher ausreichend über das Land und die Lebenssituation dort informieren und zwar nicht nur in Büchern oder im Internet. Auf der BEI-homepage (www.bei-sh.org) finden Interessierte unter "Mitgliedsgruppen" zahlreiche Vereine und Initiativen, die Kontakte in Entwicklungsländern pflegen. Sie freuen sich über echtes Interesse an ihrer Arbeit und können viel über die Länder erzählen. Darüber hinaus gibt es auch weitere Kontakte im BEI zu anderen Akteuren mit Sprach- und Landeskenntnissen.

Ulrike Neu, Gruppenberaterin beim BEI

Soweit mögen die Erfahrungen von Leweke von Hoff denen vieler anderer junger Menschen ähneln, die sich für einen Freiwilligendienst im Ausland entscheiden, was sie jedoch im März 2011 erlebte, brachte sie an den Rand dessen, was sie bewältigen und verantworten konnte.

Leweke von Hoff hielt Kontakt zu den 6- bis 15-jährigen Kindern und Jugendlichen des Waisenhauses in Kathmandu. Da ihr die Kinder ans Herz gewachsen waren, bezahlte sie über die Jahre fünf Kindern das Schulgeld. 2008 und nochmals wieder im März 2011 besuchte sie ihre Schützlinge. Aus den geplanten zwei Wochen wurden drei Monate. Bereits bei ihrem ersten Besuch erschien ihr die Leiterin des Waisenhauses, Goma Luitel, suspekt. „Mir war klar, dass sie sich finanzielle Hilfe von mir erhoffte, was ich akzeptieren konnte. Ihre freundschaftliche, fast schwesterliche Verhaltensweise mir gegenüber passte jedoch nicht zu unserem Verhältnis.” Unverständlich blieb Leweke von Hoff ein Vorfall während dieser Zeit, als ein Kind mit Hilfe von Spendengeldern zur weiteren Schulausbildung in ein Internat vermittelt werden sollte. Das wusste die Leiterin durch Bestechung der örtlichen Verwaltung zu verhindern. Erst 2011 wurde ihr klar: „Kinder waren das Kapital des Waisenhauses, das sich per Spendengelder finanzieren musste. Doch wenn Kinder weggingen, wurde die Möglichkeit des Spendenerwerbs verringert.” Dieses unrechtmäßige Vorgehen der Leiterin wurde 2006 in den örtlichen Nachrichten angeprangert und sie wurde verwarnt. Das Problem ist, dass die Missstände in Politik und Verwaltung bekannt sind, aber einerseits auf Grund von Korruption und andererseits auf Grund mangelnder Kapazitäten nicht konsequent verfolgt werden.

Erst im März 2011 erfuhr Leweke von Hoff von den Misshandlungen und der Ausbeutung der Kinder im Waisenhaus. „Ich hatte die Kinder zu einem Ausflug in die Stadt mitgenommen. Über die Jahre hatten sie Vertrauen zu mir aufgebaut und eines der Mädchen erzählte mir schließlich vom Tod eines anderen Kindes, das ihrem Bericht zufolge vorher von der Leiterin misshandelt worden war. Die pure Angst brachte die Kinder zum Erzählen. Alle hatten Misshandlungen erfahren. Sie wurden zur Disziplinierung in einen Schrank eingesperrt, verprügelt und mit Eisenstangen geschlagen. Zur Strafe mussten sie oft ohne Essen ins Bett gehen.” Außerdem hörte Leweke von Hoff, dass fast alle Kinder und Jugendlichen keine Waisen waren, sondern aus armen Familien oder von allein erziehenden Müttern stammten, die sie nicht versorgen konnten. „In ihrer Gutgläubigkeit hatten die Eltern ihre Kinder Menschenhändlern überlassen.”

Schockiert wandte sich Leweke von Hoff an „Unicef”, doch dort wurde ihr dringend von weiterer Einmischung abgeraten. Sie sei zu unerfahren und könne die Situation nicht überblicken. „Tatsächlich ist ja das Problem, das viele Volontäre zu uninformiert über die politischen Verhältnisse sind, um die Situation vor Ort zu verstehen, und bei Problemen wissen sie dann auch nicht, an wen sie sich wenden können.”

„Karnali”
„Karnali” - für verschleppte Kinder und Jugendliche ein Zuhause auf Zeit mit dem Ziel, vermeintliche Waisenkinder mit ihren Familien zu vereinen.

Leweke von Hoff wollte jedoch nicht tatenlos wieder abreisen. „Ich konnte die Kinder nicht im Stich lassen und recherchierte zwei Wochen lang mit Hilfe von Bekannten und Anwälten auf eigene Faust im Waisenhaus, um Hinweise auf die Grausamkeiten und auf andere illegale Tätigkeiten der Leiterin zu sammeln.” Zu dem Zeitpunkt erwies sich die Freiwilligeneinsatzstelle „Hope and Home” als hilfreicher Ansprechpartner. „Sie hatten mich zwar 2006 an das Waisenhaus vermittelt, doch sie hatten immer ein offenes Ohr für meine Wünsche und Bedenken und haben sich in den Jahren professionalisiert.” 2011 vermittelten sie ihr die richtige Kontaktperson, mit deren Hilfe sich ein Netzwerk aus Akteuren bildete.

Von terre des hommes, Save the Children und dem Central Child Welfare Board, CCWB, einer dem nepalesischen Ministerium für Frauen, Kinder und Soziale Angelegenheiten unterstellten Behörde, wurde ein Plan zur Evakuierung der Kinder entwickelt. „Sie haben alles organisiert, ich musste nur noch ausführen.” Doch das war eine zentrale und schwierige Aufgabe. Um rechtlich gegen die Missstände im Waisenhaus vorgehen zu können, brauchte das CCWB schriftliche Zeugenaussagen der Jugendlichen. Für ein weiteres Treffen holte Leweke von Hoff sechs 10- bis 15-Jährige zu einem Ausflug ab. „Ich habe die Leiterin belogen, dass ich mit den Jugendlichen über Berufspraktika sprechen wollte. Stattdessen schrieben sich die Kinder ihre Geschichte von der Seele, immer noch weiterhin sehr misstrauisch, dass ihnen tatsächlich geholfen werden könnte.”


Blick vom Haus in die Umgebung.

Mit einem Polizeieinsatz und vor den Augen von Presse und Fernsehen wurden die Kinder und Jugendlichen zwei Tage nach der Zeugenaussage aus dem Waisenhaus "Mukti Nepali" evakuiert und nach "Karnali" gebracht. "Karnali" ist ein Übergangsheim für Kinder verschleppter Eltern, welches von Next Generation Nepal betrieben wird, einer in Nepal und den Vereinigten Staaten ansässigen Hilfsorganisation.

15 Kinder und Jugendliche konnten seit März 2011 mit ihren Familien vereint werden. "Das Ziel von Next Generation Nepal ist, die verschleppten Kinder mit ihren Familien zu vereinen und die Verschleppung weiterer Kinder zu verhindern." Gegen die grauenvollen Misshandlungen der Leiterin von „Mukti Nepal” wurde Anklage erhoben. „Ich habe erfahren, dass das Gerichtsverfahren in Kathmandu jetzt läuft.”

Auch wenn sich für die Kinder und Jugendlichen alles zum Guten gewendet hat, ist das Thema Kinderhandel in Nepal immer noch ein brisantes Thema. „Ich glaube jedoch, dass in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung geraten ist. Der Mantel der sozialen Scham hat dazu geführt, über wahrgenommenes Unrecht hinwegzublicken, weil es Schande bringt: Dieses System hat Risse bekommen.”

Heute hofft Leweke von Hoff, die inzwischen in Berlin arbeitet, dass junge Menschen sich genau über ihren Einsatzort informieren und sich über ein Netzwerk an Hilfsorganisationen am Einsatzort absichern, falls es Probleme geben sollte. Denn mit dem guten Willen und der Naivität der Volontäre lässt sich viel Geld verdienen. „Dass Entsendeorganisationen mit der Vermittlung der Volontäre ihr Geld verdienen, ist ja legitim, doch sollte transparent sein, wohin in welcher Höhe Gelder fließen, um die Volontäre davor zu schützen, korrupte Verhältnisse zu unterstützen.”

Im „Ruricher Hilfswerk e.V.” hat Leweke von Hoff eine Hilfsorganisation in Deutschland gefunden, die sie unterstützt, über Spenden den Schulbesuch der Kinder und Jugendlichen aus dem nun geschlossenen Waisenhaus „Mukti Nepal” weiterhin zu finanzieren.

Nicole Gifhorn

Ein Jahr lang weltwärts gehen mit dem Freiwilligendienst solivol

solivol ist das jüngste Bildungsangebot von artefact zum Thema nachhaltige Entwicklung. solivol gehört zu weltwärts - einem Freiwilligenprogramm der Bundesregierung, das 2008 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgelegt wurde.

artefact spricht mit solivol junge, entwicklungspolitisch engagierte Erwachsene zwischen 18 und 28 Jahren an, die bereit sind für ein Jahr bei Nichtregierungsorganisationen in Ländern des Südens mit zu arbeiten.

Im Rahmen von solivol kooperiert artefact mit Grasroot-Initiativen, die zu Themen nachhaltiger Entwicklung wie erneuerbaren Energien, Aspekten ökologischen Wirtschaftens, Frauenförderung oder partizipativen Bildungsansätzen arbeiten. solivol ist ein Angebot an alle jungen Menschen, die sich für ihr privates oder berufliches Engagement Orientierung durch die Teilnahme an einem langfristig angelegten Lernprogramm erhoffen. Das Freiwilligenjahr wird in Deutschland durch Seminare, Selbststudium und Fremdsprachenerwerb vorbereitet. Während des Auslandseinsatzes werden die jungen Freiwilligen durch pädagogische Fachkräfte von Glücksburg aus betreut, am Ende des Freiwilligeneinsatzes steht eine gemeinsame Reflexion und Nachbereitung.

Kontakt: artefact gGmbH, Bremsbergallee 35, 24960 Glücksburg. Tel.: 04631-61160, E-Mail: info@artefact.de, Internet: https://www.artefact.de/?s=solivol&lang=de

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