(Gegenwind 277, Oktober 2011)

Tufan Kiroglu: „Die ersten Türken von Neumünster. 12 Lebensgeschichten.” Epuli Verlag

Buch

50 Jahre türkische Einwanderung

50 Jahre ist es her, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei ein Abkommen über „Gastarbeiter” abschloss. Die Arbeitsämter eröffneten „Filialen” in der Türkei, wo meist junge Arbeitskräfte nach einer Gesundheitsuntersuchung und Prüfung ihrer Zeugnisse eine Fahrkarte nach Deutschland bekamen.

Tufan Kiroglu ist heute Vorsitzender der „Türkischen Gemeinde” Neumünster. Er hat sich auf die Suche gemacht, um die ersten Türken von Neumünster zu finden, und zwölf Interviews geführt. Seine Interviewpartner, alle im Rentenalten, schildern ihr damaliges Leben in der Türkei, die Anwerbung durch die deutschen Büros und ihre Ankunft im Deutschland der 60er oder 70er Jahre. Sie waren teils ungelernt, teils auch ausgebildete Kräfte. Einer seiner Interviewpartner kam auch mit gefälschten Zeugnissen, konnte dann trotzdem bleiben und sich hier weiterbilden.

Alle Interviewpartner sprechen nicht nur über die damalige Zeit, ihren Empfang hier, die Probleme des Einlebens und des ersten Kontaktes mit Arbeitskollegen und Nachbarn. Sie werfen auch einen Blick auf die heutige Situation. Heute leben hier nicht die einzelnen Gastarbeiter, sondern ganze Familien mit ganz anderen Anforderungen an die Gesellschaft.

Alle Gesprächspartner schildern ihre damaligen Erfahrungen in der Summe positiv. Einerseits gab es wohl damals tatsächlich ein Bewusstsein in der Bevölkerung, dass die eintreffenden Gastarbeiter gebraucht werden und nützlich für Deutschland sind. Andererseits war Deutschland damals aber genau so unvorbereitet wie die türkischen Arbeitskräfte selbst. Deutschland ging davon aus, dass die Arbeitskräfte vorübergehend kämen - und auch viele der Interviewpartner berichten, sie wollten damals Schulden bezahlen, den Grundstein für eine Existenzgründung in der Türkei finanzieren, nur einige Jahre in der Fremde bleiben.

Die Gründe, letztlich endgültig zu bleiben, sind sehr vielfältig. Einige Interviewpartner haben später das Leben in der Türkei noch mal ausprobiert, bei anderen entstand einfach die Familie mit Kindern und Enkeln, die man nicht mehr verlassen wollte - denn dass die hier geborenen Enkel nur Deutschland als einzige Heimat haben, ist natürlich klar.

Nicht alle Interviewpartner sind wirklich zu den „ersten Türken von Neumünster” zu rechnen, kamen Sie doch ursprünglich nach Kiel oder in einen anderen Ort in Schleswig-Holstein. Aber damals, auch das ist weitgehend unbekannt, war es noch einfacher, umzuziehen, den Arbeitsplatz zu wechseln. Das Ausländergesetz entstand erst später, die Ausländerbehörden hatten viel Freiraum - auch im negativen Sinne, aber eben auch zu Gunsten der damals noch wenigen Ausländer hier.

Unter den zwölf Interviewpartnern ist nur eine Frau. Auch das ist sicherlich typisch, weil damals sowohl für Kiel als auch für Neumünster vor allem junge Männer angeworben wurden, die in der Metallindustrie, auf der Werft oder in Schlachtereien arbeiten sollten.

Solche Bücher sind wichtig, gibt es doch gerade aus dieser Generation wenig Zeitzeugnisse. Denn die ersten Türken nicht nur von Neumünster bekamen keinen Deutsch-Kurs angeboten, große Betriebe beschäftigten für Notsituationen Dolmetscher. Ansonsten lernen sie sprachlich das, was sie für die Arbeit brauchten, und viele können bis heute nicht fließend Deutsch. Deshalb kann solch ein Interviewband auch nur von einem Journalisten erstellt werden, der beide Sprachen fließend spricht. Und damit das ganze Publikum das Buch versteht, ist es durchgehend zweisprachig gehalten, deutsch und türkisch. Eine gute Entscheidung!

Reinhard Pohl

Tufan Kiroglu: Die ersten Türken von Neumünster. 12 Lebensgeschichten. Epuli Verlag, Berlin 2011, 175 Seiten, 14,95 Euro

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