(Gegenwind 277, Oktober 2011)
Mit 241 von 258 Stimmen wurde Jost de Jager am 24. September zum neuen Landesvorsitzenden der CDU gewählt. Die Neuwahl wurde notwenig, weil Christian von Boetticher massiv zum Rücktritt gedrängt worden war und den Parteivorsitz aufgegeben hatte. Damit hat die CDU nach turbulenten Wochen, in denen sie in den Umfragen erstmals seit langer Zeit hinter die SPD zurückfiel, wieder Boden unter den Füßen.
Im Landeshaus wusste der Flurfunk schon seit Februar Bescheid, der Ministerpräsident erfuhr es nach eigenen Angaben erst am 19. Juli: Der Partei- und Fraktionsvorsitzende hatte neben der bekannten Dauerfreundin Anna Christina Hinze im Frühjahr 2010 eine damals 16-jährige Freundin, die er im September 2009 im Internet kennen gelernt hatte. Er trennte sich von ihr, als er erfuhr, dass Peter Harry Carstensen bei den Neuwahlen im Mai 2012 nicht erneut antreten und ihn als Nachfolger vorschlagen wollte. Als Freundin eines Abgeordneten fand er die Schülerin akzeptabel. Er hatte sie als 15-Jährige kennen gelernt, nach ihrem 16. Geburtstag (Januar 2010) dann im Februar 2010 erstmal getroffen. Die Trennung folgte im Mai 2010, die Heirat mit der „standesgemäßen” CDU-Referentin aus Hamburg dann im Herbst 2010. Anne Hinze ist mit 34 Jahren „First-Lady”-tauglich.
Das wollte die Partei nicht. Während die SPD von Stegner blitzartig zum Schweigen verdonnert wurden - wohl das klügste, was die Opposition machen konnte -, begann die CDU sofort damit, sich öffentlich zu zerlegen.
Während Christian von Boetticher den Landesvorstand am Sonntag einberief, um die Lage zu besprechen, kündigten einzelne Vorstandsmitglieder schon seinen Rücktritt an. Und als er mit einem Gutachten seines Anwalts in Kiel auftauchte, mit dem er belegen konnte, dass die öffentliche Berichterstattung über seine Beziehung mit der Schülerin unterbunden werden kann, war die Presse schon zur Rücktritts-Pressekonferenz eingeladen.
So trat er dann als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat zurück und lud die Landtags-Fraktion für Dienstag zur Diskussion ein. Doch wieder kamen ihm „Partei-Freunde” in die Quere: Montag mittag wurde aus der Landesgeschäftsstelle „bestätigt”, von Boetticher sei auch als Fraktionsvorsitzender zurückgetreten. Das erfuhren sie Medien dann Montag abend mit einem Fax, in dem Christian von Boetticher sich einerseits über die Falschmeldungen vom Mittag beklagte, andererseits bekannt gab, er habe sich nach längeren Überlegungen „um 17.10 Uhr” zum Rücktritt entschlossen.
Die Krise der CDU wurde nicht nur durch die Beziehung zu einer Jüngeren verursacht, sondern durch das Heckenschützentum massiv verschärft. Ursache dafür war die überfallartige Präsentation des Cartensen-Nachfolgers im Jahre 2010. Nachdem seit Monaten „alle” wussten, wenn Carstensen als Nachfolger ausersehen hat, alle es in der Zeitung gelesen haben, wurde es der Partei offiziell mitgeteilt. Sie wurde zu einem Parteitag in Norderstedt eingeladen, in der die „Nominierung”, nicht die Wahl eines Spitzenkandidaten einziges Thema war. Dieser wurde präsentiert, hielt eine Rede, wurde gelobt und anschließend mit einer Abstimmung „nominiert”.
Die eigentliche „Wahl” sollte einem Parteitag im Herbst 2011 vorbehalten sein.
Jetzt zeigte sich: Viele, die damals geschwiegen und ihren Ärger über das Verfahren runtergeschluckt hatten, hatten sich offenbar nicht damit abgefunden. Die Landesgeschäftsstelle hatte Kontakt mit von Boettichers Ex-Freundin aufgenommen, die Junge Union hatte Kontakt, schließlich wurde der Ministerpräsident eingeweiht. Und bevor von Boetticher dann in Kiel auftauchte, schienen alle einig.
Dazwischen lag auch die „Tournee” der vier SPD-Kandidaten, darunter Torsten Albig und Ralf Stegner, die sich auf öffentlichen Versammlungen aller Kreisverbände und der SPD-Arbeitsgemeinschaft vorgestellt hatten und teilweise in Probeabstimmungen, an denen sich auch Nicht-Mitglieder beteiligen durften, ihre Chancen testeten, bevor es dann zum Mitgliederentscheid per Briefwahl kam. Dass Christian von Boetticher gleichzeitig durch Land tingelte, er nannte seine Kampagne „Bildungskonferenzen”, bekam kaum jemand mit.
Doch wirklich gelernt hat die CDU daraus nicht. Schon während des Rücktritts von Christan von Boetticher von den drei Positionen, der sich 28 Stunden hinzog, wurden Nachfolger gesucht und gefunden. Die drei Monate Kandidaten-Kür im öffentlichen Verfahren konnte die CDU toppen: Drei stunden wurde zwischen den Funktionären telefoniert, dann ein „einstimmiges Votum” alles Kreisvorsitzenden für Jost de Jager präsentiert. Er sollte, so der Wille der Partei, nachfolger als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat werden. Für den Fraktionsvorsitzenden waren drei Namen im Spiel, er konnte allerdings am Tag nach dem Rücktritt nicht gewählt werden, weil der Punkt im Einladungsschreiben nicht stand. So dauerte es noch zwei Tage länger, bis Johannes Callsen gewählt wurde. (Den Namen muss man sich nicht merken.)
Nach der Entscheidung organisierte die CDU vier Regionalkonferenzen, hier sollten die Mitglieder über die Entscheidungen informiert werden, sie kritisieren dürfen, bevor der Parteitag wählen sollte. Eine Art „Rückwärts-Demokratie”.
Zu den vier Regionalkonferenzen wurden 24.000 Mitglieder eingeladen, außerdem waren sie öffentlich. Es kamen rund 600 Mitglieder. Sie liefen nach gleichem Muster ab (die anschließenden Informationen beziehen sich auf die Versammlung in Brokstedt, die einzige im Südwesten Schleswig-Holsteins): Die Krise und ihre Lösung durch die Parteispitze wurde vorgestellt, anschließend nach Wortmeldungen gefragt. Wortmeldungen gab es nicht.
Dann folgte eine Vorstellungsrede von Jost de Jager. Er sprach die wichtigsten Themen aus seiner Sicht an.
Verkehr: Die wichtigsten Projekte seien die A20 mit der westlichen Elbquerung bei Elmshorn nach Niedersachsen und die feste Fehmarnbelt-Querung. Beide müssten durchgesetzt werden, insbesondere die Grünen seien gegen beide Projekte.
Wirtschaft: Die Schuldenbremse sei in der Verfassung verankert und damit einigermaßen sicher gegen Aufweichungen, der Mittelstand müsste vor allem gefördert werden, weil er das Rückgrad der Wirtschaft Schleswig-Holsteins sei.
Energie: Mit dem Ausstiegsbeschluss habe die CDU-Führung der Basis einiges zugemutet, aber insbesondere Schleswig-Holstein würde davon profitieren. Die CDU-Regierung habe es geschafft, die Windeignungsfläche fast zu verdoppeln.
Bildung: Die CDU habe mit dem neuen Schulgesetz 2007 einen Schulfrieden erreicht, der sollte jetzt nicht gefährdet werden. Alle Schulen sollten das neue System jetzt umsetze. Außerdem wäre der Bildungsföderalismus im Grunde eine gute Sache. Die Länder sollten sich zwar besser abstimmen, aber der Bund sollte sich raushalten.
CDU: Er sollte sich für einen besseren Dialog innerhalb der Partei einsetzen, auch das Landtagswahlprogramm sollte in Dialog-Foren diskutiert werden. Die Einbeziehung von Nicht-Mitgliedern müsste zumindest überlegt werden.
Die daran anschließende Diskussion brachte teilweise sehr kritische Beiträge gegen die CDU-Führung und den aktuellen Kurs zutage. So wurde beklagt, dass von 24.000 Mitgliedern die übergroße Mehrheit überhaupt nicht mehr komme, und auch bei der Landtagswahl müsste man sich darauf konzentrieren, die eigene WählerInnen aus der Wahlenthaltung zurück zur Wahlteilnahme zu bekommen. Ein Ansprechen der Wähler anderer Parteien könnte man sich überhaupt nicht mehr leisten. „Wir waren mal 42.000 CDU-Mitglieder”, auch diese Äußerung fand viel Beifall.
Zur Dialog-Ankündigung wurde de Jager kritisch gefragt, ob die Parteiführung dabei denn auch bereit sei zu hören - eine Frage, die von Beifall begleitet wurde und bei der es auf die Antwort eigentlich gar nicht ankommt. De Jager verwies darauf, dass man in Sachen CCS große Fehler gemacht hätte, aber dann die Proteste in Nordfriesland wahrgenommen und den Kurs der Partei geändert habe. Außerdem verwies er darauf, die Landesregierung habe jetzt ein Dialog-Forum zur Fehmarnbelt-Querung eingerichtet.
Zur Energiewende wurde hauptsächlich gefragt, ob es überhaupt einen Kurs gäbe. Angesprochen wurde kaum die Windenergie, vielmehr ging es um die Biogasanlagen und die explosionsartige Ausbreitung des Maisanbaus. De Jager gab zu, dass zum letzten Punkt die CDU kein Rezept habe. Es widerspräche auch dem Grundverständnis einer christlichen Partei, so viel fruchtbares Land zum Anbau von Nahrung zu verwenden, die anschließend zu Biogas weiterverarbeitet würden. Zu den 320 Biogas-Anlagen im Betrieb kämen in Kurze 80 Anlange, die zur Zeit im Bau seien, und jede Anlage brauche 200 Hektar Ackerland. Er gab aber zu bedenken, dass es bei der Förderung von Biogas eben nicht nur um die Energiewende ginge, sondern auch um die Schaffung einer Einkommensquelle für Bauern jenseits der Nahrungsmittel-Produktion. Dass hier alles aus dem Gleichgewicht geraten sei, sah er aber genauso.
Schließlich wurde mit viel Empörung im Saal die Einführung der Elternbeiträge zur Schülerbeförderung angesprochen: Als die Dorfschulen in den 70er Jahren aufgelöst wurden, wurde allen Schleswig-Holsteinern besprochen, dass aus dem eingesparten Geld zuerst und für immer die (kostenlose) Schülerbeförderung finanziert würde. Heute wird das Geld immer noch eingespart, aber das Versprechen von damals gebrochen. De Jager wusste nur zu sagen, dass es „Versprechen für immer” nicht geben könnte.
Dennoch endete die Regionalkonferenz wie die anderen auch mit Beifall für den Spitzenkandidaten, den der Vorstand bestimmt hatte. Und am 24. September wurde er dann auch zum Landesvorsitzenden gewählt.
Reinhard Pohl