(Gegenwind 275, August 2011)

Buch

Qualität kommt von Qual

Wir versuchen ja mit dem Gegenwind eine Zeitschrift zu produzieren, in der die Leserinnen und Leser die Artikel selbst schreiben. Wir wünschen uns also, dass sie dies auch tun - und dass sie dies auch können.
Für alle, die es gerne möchten, aber noch dieses oder jenes Problem haben, sei ein Buch empfohlen. Oder vielmehr zwei davon. Wolf Schneider hat im ersten in 66 Kapiteln aufgeschrieben, wie man gute Artikel und Meldungen verfasst. Im zweiten Buch geht es dann in 23 Kapiteln um Deutsch und die deutsche Sprache.

Wolf Schneider: Gewönne doch der Konjunktiv! - Sprachwitz in 66 Lektionen

Sprachwitz in 66 Lektionen

Wer erinnert sich noch an den zweiten Barschel-Untersuchungsausschuss? Es ging um Geld, das Günter Jansen und Björn Engholm für einen Mitarbeiter Barschels gesammelt hatten. Und irgendwann kamen die fragenden Abgeordneten bei Björn Engholm auf einen bestimmten Abend zu sprechen - die dort gefundenen Entscheidungen verwunderten. An diesem Abend, so Engholm, habe er sich „in einer existenziellen Grenzsituation” befunden, so erklärte der ehemalige Ministerpräsident. Hä??? „Na ja, ich war voll.” Zuviel Wein wäre es gewesen - und so, im zweiten Zugriff, war es auch verständlich.

Die Kirche müsse „die älteren Leute vermehrt auf ihre Agenda setzen”, diese Forderung fand der Autor im Programm einer evangelischen Familienbildungsstätte. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln”, fand er dagegen in Luthers Übersetzung der Bibel. Fünfhundert Jahre Sprachentwicklung im Hochdeutschen, und es ist dadurch nicht unbedingt besser, klarer oder verständlicher geworden - eher im Gegenteil.

Was man schreiben will, sollte man also klar schreiben - und ab und zu eine Überraschung einbauen. „Nur wer stolpert, schläft nicht ein”, lautet die Lektion 30. Manche Kapitäne verstehen von Navigation so viel wie ein Fisch vom Stäbchen - mit solch einem Vergleich lässt man die Leserin und den Leser mitarbeiten. Dagegen sind Übertreibungen schnell langweilig. Vielleicht war es in den 90er Jahren noch für einige interessant, als es angesichts des Klimawandels und der damit verbundenen Überschwemmungen an Rhein und Elbe eine „Jahrhundertflut” gab. Dieselben Bilder alle paar Jahre zeigten dann, dass hier ein unsinniges Wort erfunden worden war, die dritte Jahrhundertflut innerhalb von fünf Jahren zwingt einen dazu, neue Wörter zu erfinden - oder zu einer klaren, knappen Sprache zurückzukehren.

Der Autor macht uns mit der Drei-Sekunden-Regel vertraut: In drei Sekunden, in sechs Wörtern, in zwölf Silben will der Leser wissen, worum es geht - oder er blättert weiter. Wer also gelesen werden will, muss sich daran halten. Fertige Texte muss man daraufhin durchsehen, ob sie gelesen werden wollen - oder sie korrigieren. Wenn Korrekturen nichts helfen, muss man sie neu schreiben.

Zur Klarheit gehört auch, die Groß- und Kleinschreibung und die Verwendung von Bindestrichen nicht nebenbei zu regeln, sondern genau zu durchdenken. Zwischen Zwei-Kilo-Tüten, zwei Kilo-Tüten und zwei Kilo Tüten besteht ein großer Unterschied. Wer im Internet bestellt, möchte gerne, dass die Anbieterin oder der Anbieter das wirklich klar und richtig aufschreibt. Nicht anders ist es bei Artikeln, die gelesen und verstanden werden wollen. Auch das Kindbett sollte man nicht mit dem Kinderbett verwechseln.

Wer also deutsch schreiben will, sollte sich die 66 Lektionen dieses Deutschlehrer durchlesen. Man muss ja nicht alles so machen, wie er das will. Es würde schon reichen, ab und zu während des Schreibens zu zögern und manchmal ein paar Sekunden mehr zu überlegen. Qualität entsteht, wenn die Autorin oder der Autor sich quält - Leserinnen und Leser kann man nicht quälen, sie blättern einfach weiter.

Wolf Schneider: Speak German! - Warum Deutsch manchmal besser ist

Speak German!

Die Aufforderung, Deutsch zu sprechen, schränkt der Autor gleich auf der Titelseite ein: „Warum Deutsch manchmal besser ist”, heißt es dort.

Denn es geht zwar gegen die z.B. bei Firmen oder Computerspezialisten beliebten Anglizismen, die ansonsten eher unbeliebt sind - aber den Job will Wolf Schneider neben der Arbeit oder der Arbeitsstelle gerne bestehen lassen, möchte aber ein Auto nicht in „Arctic Blue Silver” angeboten bekommen. Er ist bereit, den Intercity (inzwischen) zu akzeptieren, auch wenn der (deutsche) Schnellzug auch vorher zwischen Städten und nicht zwischen Dörfern verkehrte. Aber warum muss dann in der Werbung dazu aufgefordert werden, ein „Surf-and-Rail-Ticket” zu kaufen? Auch in der Schweiz ist es gelungen, die vor einigen Jahren geschaffenen „Leadpoststellen” wieder in „Hauptpoststellen” zurückzuverwandeln, und statt „Public Relations” kümmert sich die zuständige Abteilung inzwischen wieder um die „Öffentlichkeitsarbeit”. Für die Mehrheit der Kunden ist das kein Verlust. „Etwas Ähnliches wie Englisch” nennt der Autor die Sprache, aus der diese modernen Wörter vermutlich stammen.

Natürlich gibt es in jedem Land und für jede Sprache Gruppen, die sich um die „Rettung der Sprache” kümmern und alles Fremde bekämpfen. Zu diesen gehört der Autor nicht. Er ist bereit, weiterhin „Telefon” statt Fernsprecher zu sagen, auch das „Auto” darf bei ihm weiterhin den Kraftwagen ersetzen. Ein TV-Gerät muss es dennoch nicht sein, solange es den Fernseher gibt. Cousin und Vetter sind inzwischen bei uns so heimisch, dass man beide gleich gut kennt.

Auch hier geht es also darum, sich das alles mal beim Lesen durch den Kopf gehen zu lassen und sich dann zu überlegen, welche Regeln man annehmen und anwenden möchte. Denn wer unüberlegt das übernimmt, was die Nachbarn an Vokabeln verwenden, wirkt nicht immer gelehrt und welterfahren, sondern schnell auch lächerlich.

Reinhard Pohl

Wolf Schneider: Speak German! Warum Deutsch manchmal besser ist. rororo-Taschenbuch, Reinbek 2009, 191 Seiten, 8,95 Euro

Wolf Schneider: Gewönne doch der Konjunktiv! Sprachwitz in 66 Lektionen. rororo-Taschenbuch, Reinbek 2009, 254 Seiten, 8,95 Euro

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