(Gegenwind 274, Juli 2011)

Agentur für Arbeit

Soziales

Arbeitlos in Schleswig-Holstein

Immer zum Monatswechsel veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit die aktuellen Zahlen zum Arbeitsmarkt. Unkritisch übernehmen die Medien landauf landab die von der Regierung vorgebetete Lesart. „Sinkflug der Arbeitslosigkeit” und „Arbeitsmarkt im Aufwind” und ähnlich Überschwängliches ist dann zu lesen und zu hören.

Müssten Journalisten nicht wissen, dass die Regierenden in diesem Lande schlechte Nachrichten nicht gebrauchen können, dass ein genauerer Blick auf das Zahlenwerk vonnöten ist? Tatsächlich pfeifen es die Spatzen vom Dach: Millionen Arbeitslose verschwinden mit Definitionstricks aus der Statistik.

Im Mai waren in Schleswig-Holstein offiziell 102.203 Menschen als arbeitslos registriert. Nicht mitgezählt wurden aber 33.410 Personen, deren Status im Bundesagentur-Chinesisch „nah der Arbeitslosigkeit” ist und die deshalb in derselben Sprache als „unterbeschäftigt” gelten. Für den April lauteten die veröffentlichten Zahlen 106.590 offiziell Arbeitslose und 24.441 nicht mitgezählte.

„Es wird einfach wegdefiniert, dieser hohe Berg von Arbeitslosen ...” Gerd Bosbach, Professor für Statistik an der Fachhochschule Koblenz

Nun ist es nicht so, dass die Senkung der Arbeitslosenzahl etwa durch die erweiterte Herausrechnung von „Unterbeschäftigten” erzielt wurde. Vielmehr werden jetzt weitere Personengruppen statistisch ausgewiesen, die bisher nicht berücksichtigt wurden.

Da sind zunächst die, die älter als 58 sind. Sie gelten nicht mehr als arbeitslos, wenn sie mit der Agentur die sogenannte 58er-Regelung vereinbart haben. Eine solche „vorruhestandsähnliche Regelung” ist nach verschiedenen Paragrafen der verschiedenen Sozialgesetzbücher möglich. Soweit sie Hartz IV-Betroffene (§ 53 SGB II) sind, hat die Zahl geringfügig abgenommen. Dagegen springt die Zahl der zweiten Gruppe von 0 (!) im April auf 5.770 im Mai. Bisher waren hier nur die nach § 428 SGB III aufgeführt. Von nun an zählen auch noch § 65 SGB II und § 252 SGB VI dazu.

„Personen in vorruhestandsähnlichen Regelungen werden nicht als arbeitslos gezählt; sie werden in der Entlastungs- und Unterbeschäftigungsrechnung berücksichtigt, weil ohne diese Regelungen die betroffenen Personen arbeitslos wären.” Weiterentwicklung des Messkonzepts der Unterbeschäftigung,

Bundesagentur für Arbeit, Mai 2011, S. 8

Das klingt gut: „... werden nicht als arbeitslos gezählt ... weil [sie sonst] arbeitslos wären.”

Vor zwei Jahren, im Mai 2009, kam eine weitere Ausnahme hinzu: Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Arbeitslose nicht mehr als arbeitslos, obwohl er keine Arbeit hat. Jetzt sind es z.B. Integrationskurse, wie sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durchführt oder berufsspezifische Sprachkurse des Europäischen Sozialfonds (ESF). Im Mai immerhin über 2.200 Personen allein in Schleswig-Holstein. Das sind zwar „arbeitsmarktpolitische Instrumente”, aber die Bundesagentur ist dafür nicht zuständig.

„Die Maßnahmen entlasten die Arbeitslosigkeit ... durch die zeitweise Verringerung des effektiven Arbeitskräfteangebots: die Teilnehmer an solchen Maßnahmen werden dem Arbeitsmarkt sozusagen ‚entzogen’”. Weiterentwicklung des Messkonzepts der Unterbeschäftigung, Bundesagentur für Arbeit, Mai 2011, S. 15

Ein Angestellter bleibt angestellt, auch wenn er erkrankt. Ein Arbeitsloser dagegen ist nicht mehr arbeitslos, wenn er krank wird. Jedenfalls in der Logik der Arbeitsagentur. Das ist schon konsequent. Schließlich steht er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Um es nach Marx zu sagen: Er hat nicht einmal mehr seine Arbeitskraft, die er verkaufen könnte.

Bisher wurden ausschließlich Bezieher von Arbeitslosengeld I gezählt, die wegen Erkrankung Anspruch auf sechswöchige Leistungsfortzahlung haben. Jetzt kommen auch noch jene hinzu, die in absehbarer Zeit wieder gesund sein und ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt wieder anbieten könnten. Diese Neu-Definition ließ die Zahl von 1.095 im April auf 2.668 im Mai.

Um 33.410 Menschen ist die Arbeitslosenstatistik geschönt - eine Größe, die die Einwohnerzahl der Stadt Itzehoe um einige Hundert übersteigt. Immerhin, es wird ein wenig mehr vom „hohen Berg von Arbeitslosen” sichtbar und es lässt ahnen, dass da noch vieles verborgen ist.

Offizielle Arbeitslosigkeit 102.263
Nicht gezählte Arbeitslose 33.410
Tatsächliche Arbeitslosigkeit im März 2011 135.673
Älter als 58, beziehen ALG II (§ 53a SGB II) 2.989
Älter als 58, beziehen ALG I (§/ § 65 ASbs. 4 SGB II /§ 252 Abs. 8 SGB VI ) 5.770
Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten) 8.114
Bürgerarbeit 42
Berufliche Weiterbildung 5.746
Fremdförderung 2.211
PSA 15
Eignungsfeststellungs- u. Trainingsmaßnahmen (Restabwicklung) 1
Aktivierung und berufliche Eingliederung (z. B. Vermittlung durch Dritte) 5.451
Beschäftigungszuschuss (für schwer vermittelbare Arbeitslose) 383
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 20
Kranke Arbeitslose (kurzfristige Arbeitsunfähigkeit) 2.668
Nicht gezählte Arbeitslose 33.410

Klaus-Dieter Brügmann
Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE. Schleswig-Holstein

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