(Gegenwind 272, Mai 2011)
oder
Kiel-Friedrichsort ist einer der reizvollsten Stadtteile Kiels. Hier gibt es den kilometerlangen Falckensteiner Strand und den sog. Kleinen Strand mit Fähranlegern für die Fördeschifffahrt. Im Sommer herrscht hier Hochbetrieb. Hochseilgarten, Minigolf, Surfschule und etliche Restaurationsbetriebe, Jugenddorf und Zeltplätze locken die Kieler und viele Auswärtige an. Viele FriedrichsorterInnen wollen gar nicht woanders Urlaub machen.
In den letzten Jahren beunruhigen aber zunehmende Arbeitslosigkeit (Beispiel: Insolvenz bei der Schiffswerft Lindenau) und Sozialabbau den Stadtteil. Die großen Firmen ziehen sich auf ihr Kerngeschäft zurück, d.h. sie engagieren sich kaum noch im Stadtteil. Alteingesessene Geschäfte schließen. Junge, gut ausgebildete Menschen finden hier keine Arbeit. Drei Schulen werden geschlossen. Während die staatlichen Schulen zusammen mit dem Mädchentreff, dem Jugendtreff, den Kindergärten, der Kirche und der Moschee versuchen, die Lage der Kinder und Jugendlichen zu verbessern, kümmert sich die neu entstandene Privatschule nur um ihr eigenes Klientel.
Die Folge: die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Die Lage etlicher Kinder und Jugendlicher ist prekär. Jugendliche schütten ihren Frust mit Alkohol zu und suchen nach Halt und Bestätigung bei der braunen Propaganda.
Seit ungefähr zwei Jahren ist dies nicht mehr zu übersehen: Aufkleber und Parolen mit NS-Propaganda werden vermehrt beobachtet. In einigen Wohngebieten vernehmen die NachbarInnen rechtsradikale Musik. Protestieren sie dagegen, werden sie drangsaliert, in mindestens einem Fall wird ein türkischer Arbeiter krankenhausreif geschlagen.
MigrantInnen werden beleidigt und bedroht. Türkische Jugendliche schreiten zur Selbsthilfe. Die Polizei versucht die Gruppen zu trennen. Das löst aber die Probleme nicht. Während es dem Jugendtreff und der Moschee gelingt, dass die türkischen Jugendlichen die braune Provokation nicht mehr mit Gewalttaten beantworten, entziehen sich die von den Rechten beeinflussten Jugendlichen immer mehr. Mit den Worten, Schule sei nicht nötig, sie werden woanders unterrichtet, lehnen sie Schulbesuch und Ausbildungsangebote ab.
Der sogenannte Nationale Widerstand marschiert kurz vor den Sommerferien 2009 durch die Einkaufsstraße, verteilt Propagandamaterial gezielt an SchülerInnen, macht einen Propagandainfotisch. Beides wird von der Polizei gut beschützt.
Alkoholexzesse an den Stränden, in Wohnungen und Kleingärten nehmen immer mehr zu. Am sog. „Kleinen Strand” wird die Hakenkreuzflagge gehisst. Ältere Rechte fahren vor und beschäftigen sich mit den Jugendlichen. Viele FriedrichsorterInnen, insbesondere MigrantInnen, haben Angst sich hier zu erholen. Auf Spielplätzen werden Kinder, die sich der braunen Propaganda entziehen, massiv bedroht. Auch dort lassen Eltern ihre Kinder nicht mehr hin.
Eine Serie von Einbrüchen und Zerstörungen ängstigen Geschäftsleute und BürgerInnen. Aufsehen in ganz Kiel erregt in der Weihnachtsnacht 2010 die Zerstörung der Einrichtung einer kleinen türkischen Bäckerei. Sie wird mit Hakenkreuzen beschmiert.
Kirche und Schule werden besonders oft mit Propaganda attackiert.
Wegschauen und hoffen, dass man selbst nicht betroffen ist? Verharmlosen und verkünden, dass Auswärtige am Werk seien, dass man nicht schlafende Hunde wecken soll? Vielleicht ist es auch eine Phase, die von allein verschwindet. Im Übrigen müsse man diese wenig gebildeten Jugendlichen nicht ernst nehmen, weil sie eine dumme Minderheit sind. Sich bloß nicht mit denen anlegen. Obwohl oben beschriebene Vorfälle viele erschreckt, hört man diese Meinungen oft.
Zum Glück verschließt der Ortsbeirat (OBR) nicht Mund, Augen und Ohren, sondern handelt. Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus des Landes Schleswig-Holstein wird zu einer OBR- Sitzung eingeladen. Der NPD-Ratsherr Gutsche erscheint mit Anhang und verkündet, dass die im Stadtteil aufgetauchte Propaganda von Linken getätigt wurde, um der nationalen Bewegung zu schaden. Aus Angst vor Schneebällen, die von über den Besuch aufgebrachten Bürgern geworfen werden könnten, lassen sich die NPD-Mitglieder von der Polizei zu ihren Autos eskortieren.
Im Frühjahr 2010 wird der Runde Tisch gegen rechte Ecken gegründet. TeilnehmerInnen sind sowohl Einzelpersonen als auch VertreterInnen verschiedener Organisationen des Stadtteils.
Die erste öffentliche Handlung ist Anfang Juli eine Reinigungsaktion. Ca. 70 Personen ziehen durch Friedrichsort, ausgerüstet mit Bollerwagen, Musik, diversen Reinigungsmitteln und guter Laune, um rechte Aufkleber zu entfernen. Nazis versuchen zu fotografieren, junge Mütter aus der rechten Szene begleiten mit Kinderwagen den Reinigungstrupp. Die Polizei schützt die Putztruppe vor möglichen Übergriffen.
Wenig später sind der Jugendtreff, die Gesamtschule (igf) und strategisch gut sichtbare Wände mit verfassungsfeindlichen Parolen übersät. Zu diesem Zeitpunkt dauert es noch sehr lange bis alles gesäubert ist. Ein Polizist empfiehlt einer Bürgerin wegzugucken, als diese die Parolen bei der Polizei anzeigen will. Sie wohne doch nicht dort. Als sich der Runde Tisch gegen rechte Ecken einschaltet, werden dann schnell für die Reinigung Zuständige gefunden.
Auch bei Aldi wurde zunächst gesagt, dass Aldi kein Geld für die Reinigung der Hauswand hätte. So etwas passiert jetzt, da der Runde Tisch gegen rechte Ecken allgemein bekannt ist, kaum noch. Lediglich die e.i.g., eine Finanzberatung, der Miethäuser gehören, weigert sich trotz mehrfacher Bitte die großflächigen Parolen an ihren Mietshäusern zu entfernen.
Im November 2010 bringt der Runde Tisch gegen rechte Ecken seine Erklärung heraus.
Am 6.12. 2010 zogen viele Nikoläuse mit wärmendem Punsch durch die Geschäftsstraße. Auch die Aktion „Nikolaus schickt Nazis raus” findet viel Zuspruch. PassantInnen und Geschäftsleute berichten den Nikoläusen eigene Erlebnisse und sind froh, dass endlich etwas gegen die rechte Szene getan wird. Während am Anfang nur wenige FriedrichsorterInnen den Mut hatten, Aufkleber abzukratzen, tun es jetzt viele, so dass die Aufkleber und Parolen keine lange Überlebenschance im Stadtteil haben.
Kiel-Friedrichsort ist seit Langem von Gegensätzen geprägt. Ende des vorletzten Jahrhunderts wurde die Torpedo-Werkstatt (heute MaK, Caterpillar, Vossloh) gegründet. Aus dem ganzen Deutschen Reich und auch aus dem Ausland zogen Arbeiter hierher. Ihre sozialdemokratische Gesinnung bereitete der kaiserlichen Regierung große Sorgen. Der 1. Arbeiter- und Soldatenrat in Deutschland wurde hier gegründet. Der Kaiser Wilhelm II. wurde bei Besuchen ausgebuht, sein Bruder Heinrich im November 1918 während der Revolution für ein paar Tage gefangen genommen.
Während der NS-Zeit bejubelten viele die neue Zeit. Andererseits gab es auch Widerstand. Diese FriedrichsorterInnen betätigten sich u.a. als FluchthelferInnen, indem sie Bedrohte über die Ostsee nach Dänemark brachten. Einige kamen ins KZ. Die Furcht vor Denunziation ließ viele erstarren. Im Vergleich zur EinwohnerInnenzahl gab es hier relativ viele ZwangsarbeiterInnen.
Nach dem 2. Weltkrieg kamen viele Flüchtlinge, in den 60er Jahren viele ArbeitsmigrantInnen. In den 80-ger Jahren besuchte der Ex-Bundeswehroffizier und rechtsextreme Kader Michael Kühnen Friedrichsort recht gern.
Diese Spannungen scheinen bewusst oder unbewusst nachzuwirken. Ältere, ehemals in führender Position Tätige, lehnen noch heute die Flüchtlinge vehement ab, beklagen, dass der Nationalsozialismus immer noch diffamiert wird, hegen erschreckende Vorurteile gegenüber MigrantInnen. Selbst wenn sich die Jüngeren davon distanzieren, scheint bei vielen die Konzentration auf das eigene Wohlergehen und das Wegschauen die Folge in der nächsten Generation zu sein.
Im Oktober 2010 feiern die Jugendtreffs im Norden und der Mädchentreff ein Fest „Gegen die Gleichgültigkeit”. Einige Jugendliche, die mit den Rechtsradikalen sympathisieren, feiern mit. Sie trinken ihre Cola unter dem Transparent „Nazis rein, wir sagen Nein”.
Parallel zu den Aktivitäten des Runden Tischs gegen rechte Ecken findet eine Diskussion um die Umbenennung der Frenssenstraße statt. Im Mai 2010 wird für den wegen „Wehrkraftzersetzung” 1944 hingerichteten ehemaligen Direktor Alfred Bräuer der Friedrichsorter Rüstungsfirma Poppe vom Künstler Gunter Demnig ein Stolperstein verlegt. Der Kieler OB Albig hält eine eindrucksvolle Rede, in der er u.a. hervorhebt, dass die damaligen Machthaber erschreckend jung waren. Abiturienten der igf (heute Gemeinschaftsschule) verfassen Infoblätter über Alfred Bräuer und seine Frau, die sich aus Verzweiflung das Leben genommen hatte. Die SchülerInnen schlagen vor, die Frenssenstraße in Alfred-Bräuer-Straße umzubenennen.
Der Runde Tisch gegen rechte Ecken ist bei der Stolpersteinverlegung zahlreich vertreten. Das prosperierende Unternehmen Sauer u. Sohn, Nachfolger der Fa. Poppe, dagegen ist trotz ausführlicher Information und Einladung nicht vertreten.
Der Kulturreferent der Stadt Kiel, Rainer Pasternak informiert bei einer Ortsbeiratssitzung die Friedrichsorter Bürger über das Wirken Frenssens. Er nennt ihn einen Täter der NS-Herrschaft. Es gäbe in Kiel noch viele Straßen, mit denen Männer geehrt werden, deren Leistungen kritisch betrachtet werden müssen. Niemand von diesen sei jedoch so belastet wie Frenssen. Am 10. Februar 2011 informiert Propst A. Crystal, der eine Doktorarbeit über Frenssen verfasst hat, die FriedrichsorterInnen ausführlich über Frenssen („Kieler Nachrichten” 19.2. 2011). Fazit: Frenssen war der „Theologe” des Faschismus. Er bezeichnete sich selbst als Wegbereiter des Nationalsozialismus und rechtfertigte die Euthanasie.
Der OBR stimmt am 10. Februar 2011 einstimmig für die Umbenennung, auch um ein Zeichen zu setzen, dass braunes Gedankengut in Friedrichsort keinen Platz hat. Erschreckend ist, dass die meisten AnwohnerInnen der Frenssenstraße sich gegen eine Umbenennung sträuben. Sie fürchten die Kosten, obwohl die Stadt Kiel die Verwaltungskosten, wie die Änderung der Ausweise übernehmen will. Andere verteidigen Frenssen mit kruden Argumenten.
Im Januar 2011 findet im Jugendtreff ein Konzert „beats against nazis” mit ca. 200 begeisterten TeilnehmerInnen statt. Es wird veganes Essen und Informationsmaterial, aber kein Alkohol verkauft. Gegen 23 Uhr ist der Jugendtreff wieder aufgeräumt. Im Vorfeld konnten sich viele nicht vorstellen, dass Antifas so friedlich feiern. AnwohnerInnen bringen ihre Autos in Sicherheit, verbarrikadieren sich in ihren Häusern oder quartieren sich woanders ein.
Viele Polizeifahrzeuge, zum Glück nicht sichtbar für die Konzertbesucher, warten vergeblich auf ihren Einsatz. Eine nicht weit entfernte Hochhaussiedlung, in der einige rechte Jugendliche, die an diesem Abend von der Polizei Hausarrest erhalten, wohnen, wird später mit den Einsatzfahrzeugen umstellt. Es wird sowohl befürchtet, dass sie Gewalttaten gegen die KonzertbesucherInnen begehen könnten, als auch dass Antifas ihnen einen Besuch abstatten könnten. Es kursieren Gerüchte über Gräueltaten, die aus diesem Spektrum verübt worden seien.
Unter diesem Motto stellt sich Runde Tisch gegen rechte Ecken am 14. Februar 2011 im Gemeindehaus über 110 ZuhörerInnen vor. Torsten Albig, der Kieler Oberbürgermeister, nimmt als Schirmherr teil und eröffnet den Abend. In seinem Grußwort bekräftigt er, dass wir uns gegen Intoleranz, Dummheit und Bösartigkeit wehren und nicht zulassen, dass Kiel und Friedrichsort als rechtsextreme Orte bezeichnet werden(können), dass wir den Kindern deutlich machen, dass Gesellschaft ein starkes Miteinander ist, aber schwach ist, wenn es nur angeordnet wird.
Der Runde Tisch gegen rechte Ecken wird von der Ortsbeiratsvorsitzenden Birgit Wellendorf und Robert Kuper vorgestellt. Er besteht seit ca. einem Jahr, hat ca. 30 Mitglieder, die verschiedene Organisationen im Stadtteil oder nur sich selbst vertreten und trifft sich einmal im Monat. Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus des Landes Schleswig- Holstein stellt nicht nur Informationen von anderen Initiativen und den Kontakt zu anderen Gruppen her, sondern beriet den Runden Tisch gegen rechte Ecken in vielen wichtigen Bereichen.
Das Beratungsnetzwerk und der Buchladen ZAPATA zeigen und verkaufen während der Veranstaltung auf einem Büchertisch Literatur.
Andreas Speit, Journalist (taz), Autor und Experte zum Thema Rechtsextremismus, informiert über rechtsextreme Netzwerke, aktuelle Entwicklungen bei der NPD und den Freien Kameradschaften in Schleswig-Holstein und Kiel. Er stellt die Frage, wann Behörden, besonders die in Kiel, bei Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund schneller hätten handeln können. Wann stehen junge Täter vor Gericht? Die Erfahrung zeige, dass sie sich, wenn lange Zeit keine Sanktionen erfolgen, immer weiter in der rechten Szene verankern. BeobachterInnen der Friedrichsorter Szene können da nur zustimmen.
Der Referent zeigt auf, wie die NPD durch H. Apfel und U. Voigt ein neues Gesicht erhalten hat. „Holocaust interessiert nicht, sondern Hartz IV!” verkündeten sie, aber auch „viel Masse, wenig Klasse”, womit sie ihre Anhänger meinen.
Die NPD ist bestrebt, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich geistig befinden. Das ist pädagogisch auf dem neuesten Stand. Die zum Teil platte Sprache sollte deshalb sehr ernst genommen werden. Die NPD erreicht mit diesen Themen die Mitte der Gesellschaft. Wer weiß denn schon, dass die Bezeichnung „Kinderschänder” aus dieser Ecke kommt? Kennen wir nicht alle Leute, die für diese die Todesstrafe oder zum mindestens Lebenslang fordern? „Volksrente” statt „Altersarmut” steht auf einem Plakat mit einer freundlich und intellektuell aussehenden älteren Dame. Wer wünscht sich das nicht? Bis zu 50% der GewerkschafterInnen befürworten, dass Deutsche bei der Arbeitsplatzsuche bevorzugt werden. „Wir kümmern uns.”, sagt U. Pasteurs (NPD) aus Mecklenburg-Vorpommern und richtet ein Bürgerbüro für Hartz IV-Beratung ein. Von der NPD und den ihr nahestehenden Organisationen initiierte Kinder- und Dorffeste locken die Menschen an. Eine Blaskapelle aus dem braunen Spektrum wird regelmäßig für Feuerwehrfeste, Familienfeiern, u. ä. gebucht. Warum soll man/frau da nicht hingehen, wenn es sonst nichts gibt?
Die gewalttätige Seite der braunen Kameraden lernen diese Gutgläubigen nur selten kennen. Durch das Info-Leck im Internet erfahren wir aber, wie die NPD-Funktionäre wirklich denken. Sie grüßen sich mit „88” (Heil Hitler), kritisieren, dass „Bilder die Kanaken nicht so richtig eklig rüberbringen”, und vieles mehr.
In Norddeutschland sind die braunen Gruppen eng vernetzt. Nur 200 Parteimitglieder? Das ist doch wenig. Zu bedenken ist, dass es keine Karteileichen gibt und nicht wenige Mitglieder keine 25 Jahre alt sind.
Die NPD steht, auch wenn sie es leugnet, in enger Verbindung zu den Jungen Nationalisten, den Autonomen Nationalisten und den Freien Kameradschaften. Die jungen AnhängerInnen haben Stil und Gestus der Linken übernommen. Sie wirken dynamisch, modern und militant.
Nicht nur in den östlichen Bundesländern werden viele Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund begangen. Schleswig-Holstein steht an 4., zeitweise an 5. Stelle in der Statistik, berichtet A. Speit.
Die Referenten klären an diesem Abend nicht nur über die Vorfälle, sondern auch über die
politischen und sozialen Hintergründe auf. Dietrich Lohse und Alexander Hofmann vom Runden Tisch gegen Rechtsextremismus und Faschismus in Kiel berichten über die Kieler Nazi-Szene. Referent D. Lohse (Drucker, ver.di-Mitglied) warnt davor zu glauben, dass der Verfassungsschutz stets korrekt aufklärt. Während der Verfassungsschutz behauptet, es gäbe kaum Verbindungen zwischen NPD und dem Rockermilieu, schildert D. Lohse aus eigener Anschauung wie sich z. B. der damalige NPD-Vorsitzende Peter Borchert mit seinen Kumpanen im Rotlichtviertel versteckte und die Polizei sie dabei schützte. „Wer den Nazis öffentlich Raum zur Verfügung stellt, wird auf Widerstand stoßen. Es müssen Forderungen an die Politik gestellt werden und um den richtigen Weg gestritten werden.” Mit dieser Aussage erklärte D. Lohse, warum es immer wieder Demonstrationen (2005 in Kiel mit 8- bis 10 000 TeilnehmerInnen) aber auch sog. Ausschreitungen gegen Nazi-Aufmärsche gibt.
Die neuen Nazis sprechen nicht nur die Sprache der NSDAP, sondern auch ihre Vorgehensweise unterscheidet sich nur darin, dass sie die heutige Zeit analysieren und entsprechend reagieren. Sie sind TrittbrettfahrerInnen der sozialen Frage, wenn sie sich um Hartz IV- Betroffene kümmern.
Referent A. Hofmann (Rechtsanwalt, Avanti) fragt, wo kann man Nazis den Raum wegnehmen? Er berichtet über die Schließung einer Kneipe. Die Nachbarschaft hatte sich gegen ihren Betrieb gewehrt und war letztendlich erfolgreich. Es bestehen gezielte Absprachen und Aufgabenteilungen zwischen der NPD und den anderen rechten Organisationen. Die NPD meldet z.B. Demonstrationen an. Die Gewalttaten werden dann von anderen verübt.
Die in Friedrichsort zu beobachtenden Parolen und Aufkleber sind vermutlich Teil einer bundesweiten Strategie. Hier wird die Subkultur der Jugendlichen angesprochen: Besuche von Fußballspielen und Konzerten, Feiern aber auch Schutzaufgaben bei Demonstrationen im Bundesgebiet, Parolen sprühen und Schlägereien. Damit werden die Jugendlichen der Erwachsenenwelt entzogen und eine eigene Erlebniswelt, ein positives Wir-Gefühl aufgebaut. Von Kiel aus strahlen neue Ideen ins Bundesgebiet aus. Es reicht nicht aus, wenn ein bis zwei Jugendliche ins Gefängnis gehen und/oder aufhören. Die Szene reproduziert sich selbst. Das hat deutlich gegenüber früheren Jahren zugenommen. D. Zöllner, ein bekannter „Führer”, wie ihn die Friedrichsorter Jugendlichen nennen, der auch in Friedrichsort aktiv war, hat bekundet, dass Kiel „Frontstadt” werden müsse und „Werwolfeinheiten” aufgebaut werden müssten. Dagegen hilft nur, wenn alle GegnerInnen der neuen Nazis zusammenstehen.
Die anschließende Diskussion zeigt, dass auf vielen Ebenen Handlungsbedarf besteht. Ein erblindeter Bürger deutet an, dass er als Kind als unwertes Leben fast von den Nazis ermordet wäre. Er appelliert gegen das Ausgliedern von Menschen mit Behinderungen aus der Gesellschaft. Eine KN-Austrägerin will für Frau Celik, die Bäckereibesitzerin, sammeln. Potentielle Opfer sollen sich wehren lernen. Eine Mutter sagt aufgebracht, es sei genug geredet, jetzt muss endlich etwas getan werden.
Mehrfach wird die Forderung nach „streetwork” gestellt. Die Anwesenheit des OB lässt hoffen. Die Jugendlichen, die fest in der Szene verankert sind, werden möglicherweise nicht mehr erreicht werden können, wohl aber wird durch ein derartiges Angebot die Nachwuchsrekrutierung erschwert.
Am „Kleinen Strand” können nicht nur die Nazis Partys feiern! Er soll z. B. durch eine Strandparty am 6. Mai zurückerobert werden. Es wird gefordert, dass antifaschistische Initiativen jede Art von Unterstützung erhalten. Die Lage der Kinder und Jugendlichen muss verbessert werden, die Gesellschaft dahin geändert werden, dass die Saat der Nazidemagogie nicht aufgeht.
Die nächste Sitzung des Runden Tisches gegen rechte Ecken findet am Mittwoch, 20.4. 2011 im Kulturladen Leuchtturm in Kiel-Friedrichsort, An der Schanze 44 statt. Danach tagt der Runde Tisch gegen rechte Ecken jeden 3. Mittwoch im Monat. Nähere Informationen gibt es hier: kontakt@runder-tisch-friedrichsort.de
Eine Teilnehmerin des Runden Tischs gegen rechte Ecken in Kiel-Friedrichsort