(Gegenwind 272, Mai 2011)

Karl-Martin Hentschel: Es bleibe Licht
Karl-Martin Hentschel: Es bleibe Licht. 100 % Ökostrom für Europa ohne Klimaabkommen. Ein Reiseführer. Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2010, 345 Seiten, 24,90 Euro

Energiewende in 20 Jahren

Nicht weniger als 100 Prozent Ökostrom will Karl-Martin Hentschel haben - und zwar gleich für ganz Europa. Drei Legislaturperioden war er als grüner Abgeordneter im Kieler Landtag, darunter auch Fraktionschef in der Zeit der rot-grünen Regierung. Und als Schleswig-Holsteiner hat er sich natürlich umfangreich mit dem Thema auseinandersetzen müssen, war das Bundesland doch lange Zeit führend in Deutschland und in gewisser Weise in der Welt.

An Schleswig-Holstein kann man aber auch die Probleme bei der Umstellung der Energieproduktion auf „100 Prozent Erneuerbare” erkennen: Obwohl Schleswig-Holstein in der Regel soviel Windstrom produziert wie es auch verbraucht, werden die Windräder gerade bei starkem Wind abgeschaltet, weil die Leitungs-Kapazitäten nicht reichen und konventionelle Kraftwerke nicht so schnell heruntergefahren werden können (oder sollen). Von den drei Atomkraftwerken läuft eines immer noch, und an mehreren Stellen im Lande, vor allem in Brunsbüttel, werden neue Kohlekraftwerke geplant, die nach ihrem Bau 60 Jahre lang Strom produzieren sollen. Sie rentieren sich nur, wenn sie auch laufen.

Die Regenerativen

Zunächst stellt Martin Hentschel die verschiedenen Möglichkeiten der regenerativen Stromerzeugung vor. Mit Strom beschäftigt er sich vor allem, weil diese Energieform in der Zukunft noch wichtiger werden wird, gibt es doch auch Diskussionen zur Umstellung großer Teile des Verkehrs auf Strom. Die Bahn ist hier schon weit fortgeschritten, für die Straße werden mehrere Modelle diskutiert.

Strom kann grundsätzlich aus Wind, Sonne, Wasser, Biomasse oder Erdwärme hergestellt werden. Die Produktion von Strom aus Sonnenenergie lohnt sich im Süden Europas und insbesondere in der Sahara sicherlich eher als in Schleswig-Holstein, die Biomasse wirft mehr neue Probleme auf als sie alte löst - und Wasserkraft gibt es bevorzugt dort, wo es Berge gibt. Für Schleswig-Holstein und weite Teile Europas bleibt insofern die Windenergie die erste Wahl, zumal die dafür nötige Technik überall bekannt und vorhanden ist.

Alternativen

In eigenen Kapitel geht Martin Hentschel auf verschiedene Modell und Einwande ein. er spricht die Speichertechnologie für Strom an, die Verknüpfung von Speichertechnik mit Elektroautos, die „Energiequelle” Effizienz und Einsparung, außerdem den angeblichen Klimaschutz durch Nutzung der Atomenergie sowie die Idee, Kohle-Strom durch die Abscheidung von CO2 und dessen Verpressung in den Boden unter dem Watt klimaschonend zu produzieren. Bis auf erhöhte Anstrengungen zur Energie-Effizient und Einsparung von Strom kann ihn nichts davon überzeugen.

Speicher

Erstes Problem der hiesigen Windenergie sind die starken Schwankungen der Produktion. Die meisten diskutierten Speicherlösungen, Batterien oder Druckluftspeicher, sind noch nicht marktreif und werden es vielleicht auch nie werden - verglichen mit den Möglichkeiten, die es jetzt schon gibt. Viele Staudämme, die Strom produzieren, verfügen auch über Pumpen, die das abgeflossene Wasser bergauf wieder in den Stausee zurückpumpen können. Wer das nicht hat, kann es relativ leicht einbauen, denn mit der Anlage der Stauseen und dem Bau der Staumauer mit den Generatoren ist die größte Geldausgabe schon getätigt.

Wenn es gelingt, den schleswig-holsteinischen Windstrom über ein Kabel nach Norwegen zu transportieren, und moderne Kabel können dies heute ohne unvertretbare Verluste, könnten dort Pumpen die Stauseen füllen. Das kann entsprechend dem Wind unregelmäßig geschehen.

Das ablaufende Wasser kann dann gleichmäßig Strom produzieren und diesen wieder nach Deutschland liefern. Damit kommt der unregelmäßig produzierte Strom gleichmäßig zurück - er wird „grundlastfähig”, kann also die Industrie und haushalte regelmäßig versorgen, wenn das entsprechende Stromnetz auch in Deutschland gebaut ist.

Das Netz

Schwachpunkt aller Ideen zur ökologischen Stromproduktion ist die Verteilung des Stroms. Das betrifft vor allem das Netz. Die technisch mögliche Produktion von Windstrom in der Nordsee oder zumindest an der Küste, die weit windreicher ist als das Binnenland, stößt sofort auf das Problem, dass dort der Verbraucht im Vergleich zum Ruhrgebiet oder Rhein-Main-Gebiet relativ gering ist.

Heute wird schon diskutiert, auch die Internet-Anschlüsse über das Stromnetz zu betreiben, denn die Informationen können bei entsprechend ausgebauten Netzen parallel übertragen werden. Diese Möglichkeit lässt sich aber auch anders nutzen: durch den Aufbau eines „intelligenten” Netzes.

In einem Haushalt wird die Waschmaschine gefüllt, ohne dass es wirklich darauf ankommt, ob sie sofort oder erst in drei Stunden gestartet wird. Das Stromnetz selbst kann bei einem reichlichen Stromangebot, also zu Zeiten wo wenig geheizt und beleuchtet wird, die gefüllten Waschmaschinen starten. Für die Privathaushalte hat das den Vorteil, dass zu diesen Zeiten der Strom auch billiger angeboten werden kann.

Insofern muss das neue Netz nicht auf Teufel komm raus allen Strom transportieren, der zur Zeit oder in Zukunft produziert und verbraucht wird. Das neue Netz kann „intelligent” regeln, den Strom gleichmäßiger zu produzieren und zu verbrauchen, Produktionsspitzen zu nutzen und Verbrauchsspitzen zu kappen.

Karl-Martin Hentschel plädiert für eine europäische Lösung. Das Gleichstrom-Hochspannungsnetz, das „Super-Grid”, das er will, würde dieses Modell auf ganz Europa übertragen.

Strom aus der Wüste

Hier käme auch das Projekt „Desertec” ins Spiel. Schon jetzt plant ein europäischer Zusammenschluss großer Konzerne den Aufbau von Sonnenergie-Produktion in der Sahara, wo eine im Vergleich zu Nordeuropa vielfache Ausbeute der dort reichlich vorhandenen Sonnenenergie möglich wäre. Dieser Strom könnte über mehrere Leitungen durchs Mittelmeer oder über Jordanien und die Türkei nach Europa transportiert werden.

Der Autor spricht dieses Projekt nur kurz an. Ich halte viele Fragen für ungeklärt, die vielleicht kurz mit dem Stichwort „neuer Kolonialismus” zu umschreiben sind. Ich werde darauf noch zurückkommen!

Durchsetzung

Entschieden plädiert Martin Hentschel dafür, keine (diesmal menschliche) Energie auf die Durchsetzung internationaler Klimaschutzabkommen zu verschwenden - immer nach dem Motto: Wir fangen mit der ökologischen Stromproduktion erst an, wenn sich alle Länder der Welt dazu verpflichtet haben. Der Autor geht davon aus, dass das Energieeinspeisegesetz ja schon jetzt die Bevorzugung von Ökostrom im Netz festschreibt. Mit dem Ausbau des Netzes wären die Energiekonzerne gezwungen, ihre fossile Stromproduktion immer wieder runterzufahren, so dass sich der Neubau großer Kohlekraftwerke sowieso nicht mehr lohnt.

Wenn Deutschland diesen Weg einschlägt, ist es dem Rest der Welt eine Nasenlänge voraus, und der Erfolg wird, so sagt Martin Hentschel voraus, die anderen von selbst dazu bringen, dem Weg zu folgen - wenn sie nicht, wie zum Beispiel China, sowieso schon dabei sind, sich auf diesem Wege einen Vorsprung zu sichern.

Fukushima

Nachdem das Buch veröffentlicht wurde, ereignete sich die Katastrophe von Fukushima. man sieht dem Buch, obwohl es im Dezember schon auf dem Markt war, unschwer an, dass der Autor in seiner Einschätzung der Atomenergie nichts verändern muss oder kann - der Unterschied dürfte sein, dass China auch darüber nachdenkt, den bisher geplanten Mix zwischen Atomkraft und Windenergie als Weg in die Zukunft in Richtung Bevorzugung der Windenergie zu revidieren.

Naturwissenschaft

Auch wenn Martin Hentschel erkennbar Naturwissenschaftler ist und das Buch im Wissenschaftsverlag erschienen ist, überrascht angenehm, wie leicht es sich liest. Viele Themen sind zusätzlich in Kästen erklärt, so dass auch diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit der Frage der Energieerzeugung und -Verteilung beschäftigen, schnell eine Übersicht und dann tiefe Einsichten gewinnen.

Die Selbst-Charakterisierung „Ein Reiseführer” für das Buch trifft überraschend präzise zu. Es ist eine Reise in die europäische Zukunft. Es muss natürlich längst nicht alles so eintreffen wie vorausgesagt. Aber wer mitreden will, und die Zahl der Interessierten ist seit Fukushima zweifellos gestiegen, sollte sich für die Reise, die uns allen bevorsteht, auf jeden Fall diesen guten Reiseführer besorgen.

Reinhard Pohl

Karl-Martin Hentschel: Es bleibe Licht. 100 % Ökostrom für Europa ohne Klimaabkommen. Ein Reiseführer. Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2010, 345 Seiten, 24,90 Euro

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum