(Gegenwind 271, April 2011)

Gewalt ist keine Sache der Ehre

Mord in Gaarden:

Familiäre Hintergründe

Im letzten Gegenwind berichteten wir von einem Mord in Gaarden. Ein junger Kurde, befreundet mit einer Libanesin, war am 7. Januar mutmaßlich vom getrennt lebenden libanesischen Ehemann der Frau getötet worden. Der mutmaßliche Täter sowie vier Mittäter wurden verhaftet.

Für Ende Januar riefen der AStA der Universität Kiel, die Heinrich-Böll-Stiftung SH und der Kreisverband Kiel der LINKEN zu einer Demonstration auf. Im Aufruf war von „Messerstecherei” und „Bandenterror”, von „Ehrenmord” und „Tradition” die Rede, ohne dass es näher erläutert wurde. Ein Gegenflugblatt warf den Aufrufern vor, im Stile Sarrazins zu agieren.

Wir haben uns bekannte Kurdinnen und Kurden, die das Opfer und seine Familie gut kennen, nach den Hintergründen gefragt. Im Folgenden fasse ich zusammen, wie sich uns der Fall zur Zeit darstellt.

Das Opfer

Ali Sindi ist ein irakischer Kurde, ein „Sindi” aus Zaxo (Nordirak/Kurdistan). Er wurde 1984 geboren. Die Sindis sind eine relativ große Gruppe innerhalb der kurdischen Bevölkerung, der „Stamm” umfasst mehrere hunderttausend Mitglieder. Ali Sindi lebte seit rund zehn Jahren in Deutschland, war mit einer deutschen Frau verheiratet und hat eine kleine Tochter. Seine Geschwister leben im Irak, ein Bruder lebt in Norwegen. Er arbeitete als Friseur in Kiel-Gaarden und galt als freundlich, offen und stets gut gelaunt und hilfsbereit.

Rund 40 andere Familienmitglieder, meist Cousins und Cousinen mit ihren Kindern, leben in Deutschland, vor allem in Lübeck.

Die Freundin

Die Freundin, etwas älter als er, lebte von ihrem Mann getrennt. Die gemeinsame Tochter lebte bei der Mutter der Frau in Kiel-Gaarden.

Sie war bereits in zweiter Ehe verheiratet, der aktuelle Ehemann (von dem sie getrennt lebte) ist ihr Cousin. Die Informationen, ob es sich bei dieser Familie um „Libanesen” oder um „libanesische Kurden” handelt, sind widersprüchlich. Ebenso gibt es unterschiedliche Informationen und Gerüchte, wie weit die Trennung vom ersten Mann auf Druck der Familie des zweiten Mannes erfolgte bzw. dieser auch den ersten Mann bereits tätlich angegriffen hat.

Nach Beendigung der ersten und Abschließen der zweite Ehe sind beide nach Kiel gezogen, wo sie gemeinsam lebten. Die Trennung erfolgte vor längerer Zeit, Mit Ali Sindi befreundet war sie seit ungefähr Sommer 2009.

Der Ex-Mann und mutmaßliche Täter

Der Ex-Mann lebte nach der Trennung weiterhin in Kiel-Gaarden. Er soll den neuen Freund seiner Ex-Frau über Monate hinweg bedroht haben. Ansonsten gehen die Informationen, besser Gerüchte über ihn weit auseinander. Er galt als gewalttätig und drogen-abhängig, soll selbst auch Drogen verkauft haben, ohne dass es dafür eine wirkliche Bestätigung gibt. Hier wird man den anstehenden Prozess abwarten müssen.

Vielfach wird behauptet, er gehöre zur Familie Miri, die insbesondere mit rund 1400 Mitgliedern in Bremen wohnt. Nach Informationen des SPIEGEL sind einzelne Mitglieder der Familie in Drogenhandel, Verschiebung von Autos und die Türsteher-Szene verwickelt und stehen hinter der Gründung des Motorrad-Clubs „Mongols”, der sich in Konkurrenz zu den Hells Angels in Bremen und Berlin zu etablieren versucht.

Der mutmaßliche Täter und andere Mitglieder seiner Familie, die in Kiel wohnen, fallen auch hier dadurch auf, dass sie andere bedrohen und selbst erstaunlich große Autos fahren, die auch demonstrativ vorgeführt werden.

4. Januar 2011

Am 4. Januar hat sich das Paar nach 18 Monaten Zusammenleben zum ersten Mal in der Öffentlichkeit, in der Kieler Innenstadt gezeigt. Das hat sich (unter Kurden) sehr schnell herumgesprochen und führte zu unterschiedlichen Reaktionen. Während jüngere Leute das lockerer sehen, haben ältere Menschen das eher als „ungehörig” betrachtet, da die Frau noch nicht geschieden war.

Dennoch scheint sich das Paar entschlossen zu haben, die Beziehung öffentlich zu machen, sich nicht mehr zu verstecken. Auch enge Freunde des Mannes waren überrascht, weil er die Beziehung über rund 18 Monate geheim gehalten hatte. Andererseits sind beide hinterher nicht nach Hause gegangen, sondern haben sich bei einem Freund in Gaarden versteckt. Das Risiko, sich öffentlich zu zeigen, war beiden wohl bewusst.

7. Januar 2011

Die Tat geschah am helllichten Tag in Kiel-Gaarden. Anscheinend war das Opfer nur kurz aus dem Versteck gekommen, um Brot zu kaufen. Anscheinend hat der Täter ihn dort aufgelauert.

Die Umstände der Tat sind sehr abstoßend. Das Opfer wurde von mehreren Männern festgehalten, ihm die Kehle durchgeschnitten - direkt vor dem Bäcker, gegenüber vom Kindergarten, neben der Bushaltestelle. Offenbar war es den Tätern egal, viele Zeugen zu haben, oder das war sogar erwünscht.

Die Helfer, die das Opfer festgehalten haben, sind angeblich Brüder und ein Cousin der Frau, als mutmaßlicher Anstifter wurde angeblich der Vater der Frau verhaftet. Falls das stimmt, hätte der Ex-Mann und mutmaßliche Täter eben nicht Unterstützung als seiner, sondern aus der Familie der Frau erhalten.

Beurteilung

Wir haben nur unter irakischen Kurden rumgefragt. Die Tat wird rundum abgelehnt, die Bestrafung der Täter unabhängig von ihren Motiven gefordert. Die Familie des Opfers selbst hat einen Rechtsanwalt beauftragt, Akteneinsicht zu nehmen und eine Nebenklage-Vertretung vorzubereiten. Die von der Polizei geäußerte Befürchtung, es könnte jetzt Racheakte geben, weist die Familie des Opfers zurück.

Es gibt auch Kurdinnen und Kurden, die das Verhalten der Frau für die Tat verantwortlich machen. Sie sei verheiratet gewesen, und auch wenn die Scheidung geplant war, hätte sie bis nach der Scheidung mit einer neuen Beziehung warten müssen. Das geht bin hin zu einzelnen Äußerungen, die im „Ehebruch” der Frau den Auslöser für die Tat sehen und meinen, die Frau hätte bestraft werden müssen - zumindest durch Ausstoß aus der Familie und Unterstützung des Ex-Mannes beim Bemühen, das alleinige Sorgerecht zu bekommen.

Einzelne Stimmen sind auch zu hören, die dem Opfer die Schuld geben. Er habe gewusst, dass diese Beziehung „verboten” sei, er habe sich in der Öffentlichkeit mit der Frau gezeigt, die Tat wäre die logische Konsequenz seines Verhaltens.

Wie gesagt: Dies sind einzelne Stimmen, die wir nicht danach bewerten können, wie viele Anhängerinnen und Anhänger sie in Kiel oder Lübeck haben. Um ein klareres Bild zu erhalten, müssen wir den anstehenden Strafprozess abwarten.

Die Polizei geht anscheinend auf Nummer sicher: Die Frau, um die es ging, ist aus Kiel verschwunden. Wie man hört, wird sie von der Polizei geschützt.

Reinhard Pohl

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