(Gegenwind 270, März 2011)
Am 7. Januar wurde in Kiel-Gaarden ein junger Mann ermordet. Der Hintergrund war vermutlich Eifersucht: Als mutmaßlicher Täter wurde der (getrennt lebende) Ehemann der Freundin des Opfers festgenommen. Drei mutmaßliche Mittäter stellten sich der Polizei.
Zwei Punkte führten zu einer teils aufgeregten Auseinandersetzung: Täter und Opfer sind Kurden aus dem Libanon bzw. dem Irak. Und der Mord geschah in aller Öffentlichkeit, einem Hinterhof des Stadtviertels, umgeben und gut einsehbar von mehreren mehrstöckigen Wohnhäusern. Das irakische Opfer wurde gezwungen, sich hinzuknien, wurde festgehalten, der Täter schnitt ihm die Kehle durch.
Die Lokalzeitung »Kieler Nachrichten«, die zunächst über eine „Messerstecherei” berichtet hatte (falsch, denn das Opfer war nicht bewaffnet), sprach nun von einer „regelrechten Hinrichtung” - und warnte vor der Gefahr der „Blutrache”.
Rund 14 Tage später wurde ein Aufruf zur Demonstration in Umlauf gegeben. Unter dem Titel „Bandenterror in Kiel” riefen der AStA, Die Linke (Kreisverband Kiel) und die Heinrich-Böll-Stiftung zu einer Demonstration für den 29. Januar auf. Im Flugblatt wurde der Hintergrund der Tat nicht angesprochen, die kurdische Herkunft von Täter und Opfer waren aber durch die breite Berichterstattung der Lokalzeitung bekannt. Die Tat selbst wurde im Flugblatt „Verbrechen gegen die Menschlichkeit” (juristisch das Synonym für einen Völkermord), einem „Verbrechen gegen die Demokratie und gegen das Grundgesetz” gesprochen. Das Flugblatt warnt vor „blutigen Racheakte[n]” und sprach davon, „solch ein Akt” (gemeint ist der Mord) habe „überhaupt keinen Platz in unserer Gesellschaft”. Im weiteren Text hieß es ohne weitere Erläuterung: „Mord (Ehrenmord) wird von keiner Religion toleriert und ist in jeder Hinsicht zu verurteilen.”
In Kiel-Gaarden wurde während der Demonstration ein Flugblatt unter dem Titel „Die »Kieler Nachrichten«, der AStA, Die Linke und der »Kieler Bandenterror«” verteilt. Hier wurde der Mord in eine Reihe mit anderen Eifersuchtstaten und Raubmorden der letzten Jahre gestellt und kritisiert, dass offensichtlich wegen des kurdischen Hintergrunds bei Täter und Opfer keine Eifersuchtstat angenommen, sondern mit Bezeichnungen wie „Ehrenmord”, „Bandenkrieg” und „Blutrache” Stimmung gegen „gewalttätige Fremde in deutschen Armenvierteln” gemacht werde. Die Formulierung aus dem Demo-Aufruf lege nahe, dass die Gewalt „von außen” in die (deutsche) Gesellschaft käme. Mit der Formulierung „veraltete Traditionen” würde der kurdische Hintergrund von Täter und Opfer „im Stile Sarrazins” diffamiert. „Auch der Kieler Kreisverband Die Linke scheint dem deutsche Mob geben zu wollen, wonach er verlangt”, heißt es dann weiter. Dem AStA wurde vorgeworfen, „sozial behütete Studierende” gegen „bildungsferne Schichte” zu mobilisieren. Der Aufruf ging dann in die Richtung, sich nicht in „Integrierte” und „Integrationsunwillige” spalten zu lassen.
Gegen den letzten Vorwurf wandte sich der „Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender” (bei uns am 15. Februar eingetroffen). „Polemik gegen die gesamte Studierendenschaft”, „deren Standort auf dem sogenannten Westufer ausgemacht wird” nennen die Autoren das - unterstützen aber die Kritik am Demoaufruf, dem sie „Rechtspopulismus à lá Sarrazin” vorwerfen. Aber die Zuweisung der Auseinandersetzung in „Westufer” und „Ostufer” / Gaarden nennen die Autoren „rhetorisches Fragment aus dem Nationalismus”.
Dagegen wehrten sich die Autoren des Flugblattes in einer weiteren Stellungnahme (bei uns am 18. Februar eingegangen.)
Übrigens haben wir als Gegenwind-Redaktion am 29. Januar die drei Aufrufenden schriftlich angefragt, warum sie im Aufruftext Begriffe wie „Bandenterror”, „Blutrache”, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit” etc. verwendet haben. Der AStA und die LINKE antworteten nicht, die Heinrich-Böll-Stiftung telefonisch: Dieser Mord habe durch die Inszenierung als öffentliche Hinrichtung eine neue Qualität gegenüber anderen Taten, der Text selbst sei allerdings knapp vor Druckbeginn als kompletter Entwurf aus dem Bekanntenkreis des Opfers vorgelegt und nicht in der Wortwahl diskutiert worden.
Am Tag nach der Demonstration verbreitete der Flensburger shz-Verlag in formeller Verantwortung der »Barmstedter Zeitung« einen langen Artikel unter der Überschrift: „Kiel-Gaarden: Ein Stadtteil schafft sich ab”. Dort hieß es: „Mord, Raub, Drogendealer mit Goldkettchen in aufgemotzten BMWs und Kinder in bitterer Armut - ein Quartier schmiert ab.” „Längst ist es vorbei, dass Studenten in das einst angesehene Arbeiterviertel der Howaldt-Werft ziehen - schön zentral, multikulti, mit viel Grünflächen und einer noch bis Mitte der 90er Jahre intakten Infrastruktur.” „Doch heute wird das Straßenbild geprägt von einem hohen Anteil ausländischer Mitbürgern, von denen viele nicht bereit sind, Deutsch zu lernen.”
„Bereits 2006 erlangte das Viertel traurige Berühmtheit, als es hier zu Festnahmen im Zusammenhang mit Al-Kaida und den Kofferbombern kam. Doch seitdem Anfang Januar ein 30-jähriger Iraker am helllichten Tag auf dem Hinterhof einer Bäckerei von einer Gruppe libanesischer Kurden regelrecht hingerichtet wurde, geht die Angst um.”
Unter der Zwischenüberschrift „Großfamilie hat Revier im Griff” berichtet die shz dann: „Verschärft wird das Problem durch die Macht einer kurdisch-libanesischen Großfamilie, die bislang in Berlin, Bremen und Essen viel Geld mit Drogenhandel und Geldwäsche verdient und gleichzeitig Millionen an Sozialtransfers bezieht. Seit einiger Zeit ist sie offenbar auch in Kiel aktiv. Ganze Häuserblocks sollen sich inzwischen in ihrem Besitz befinden.” Weiter wird unter Berufung auf einen ungenannten Türken behauptet, „... dass rivalisierende Rockerclubs türkische und libanesische Gefolgsleute im Viertel anwerben”.
Deutlicher werden BILD-Zeitung und die anti-islamische Rechte („pi-news”) im Internet: Es handele sich um den Bremer Miri-Clan, zu dem der Täter gehöre. Die vom LKA Bremen auf 1400 Mitglieder (darunter 800 Kinder) geschätzte Großfamilie soll laut SPIEGEL hinter der Gründung des Motorrad-Clubs „Mogols” stehen, der den „Hells Angels” in der Türsteher-Szene und im Drogenhandel Konkurrenz mache.
Die Demonstration selbst fand am 29. Januar mit ungefähr 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt, fast alle aus der Familie und dem (kurdischen) Bekanntenkreis des Opfers. Die Aufrufer hatten aus den eigenen Kreisen kaum jemand mobilisieren können. Die RednerInnen riefen dazu auf, die Mörder rechtsstaatlich zu verfolgen und der Gewalt keinen Raum zu geben.
Die Familie des Opfers hat inzwischen einen Rechtsanwalt beauftragt, sich als Nebenkläger beim erwarteten Prozess gegen den mutmaßlichen Täter registrieren zu lassen. Die Demonstration endete mit einer Kundgebung am Tatort, wo ein Foto des Ermordeten aufgestellt wurde, dazu wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet.
Fakt bleibt: Der Hintergrund der Tat ist nicht aufgeklärt. Weder diejenigen, die die Verankerung des Täters im „Miri-Clan” auch einen Hintergrund für die „offenen Hinrichtung” sehen und deshalb den kurdischen Hintergrund betonen, können irgendwelche Belege dafür bringen - noch diejenigen, die das als Rassismus brandmarken und von einer Eifersuchts-Tat sprechen.
Das bedeutet aber: Insbesondere diejenigen, die dem Täter die Zugehörigkeit zu einer „Bande” unterstellen, die der Täter-Gruppe die Zugehörigkeit zu unserer (deutschen?) Gesellschaft absprechen, die Begriffe wie „Ehrenmord” und „Blutrache” in die öffentliche Diskussion bringen, stehen in der Verantwortung, das zu belegen. Denn wer „unsere” Gesellschaft und das Grundgesetz gegen Gewalt verteidigen will, sollte auch berücksichtigen: Tatverdächtige gelten als unschuldig, bis ihre Schuld durch ein ordentliches Gericht festgestellt ist.
Reinhard Pohl