(Gegenwind 270, März 2011)
Demokratie und Gleichberechtigung der Frauen sind wesentliche Faktoren für die nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände in Entwicklungsländern. Der entsprechende Tag der UN Tag für die Rechte der Frau und Weltfrieden jährt sich im März zum 100. Mal! Der nächste Schritt ist die Verwirklichung der Frauenrechten im täglichen Leben und dazu sind große Veränderungen in den traditionellen Denkstrukturen erforderlich. Damit die indischen Frauen, vor allem in den ländlichen Regionen, ihre gesetzlich garantierten Rechte und entsprechende Möglichkeiten wahrnehmen können, müssen sie gestärkt und ausgebildet werden. Diese Unterstützung bekommen sie vom Hunger Projekt unter anderem in Indien:
Dalimba Mahjhi lebt im indischen Bundesstaat Orissa und ist seit 2007 Frauenabgeordnete in dem Gemeinderat ihres Dorfes. Anfänglich schüchtern und zurückhaltend, entschied sie sich dafür, an einem Workshop teilzunehmen, um sich besser durchsetzen zu können und so ihrer Aufgabe besser gerecht zu werden. Sie hat Glück, dass ihr Mann sie bei ihrem Engagement unterstützt und auch der Rest der Familie zu ihr hält. Durch ihre von neuem Selbstbewusstsein getragene Arbeit, konnte sie inzwischen erreichen, dass der Bau einer Straße und neuer Wohnungen durch Regierungsprogramme gefördert wurde. In einem Frauenprogramm setzt sie sich für die Gesundheitsvorsorge Schwangerer ein. Besonders am Herzen liegt ihr aber die Schulbildung von Mädchen. Sie weiß, dass gerade diese ohne Bildung nur sehr schlechte Zukunftsaussichten haben. Dalimba besucht die Eltern und überzeugt sie davon, wie wichtig es ist, die Mädchen wenigstens die Grundschule beenden zu lassen. Mehrere Familien konnte sie überzeugen. Dies ist aber erst ein Anfang. Dalimba will die Schulen in ihrem Dorf ausbauen und allen Kindern mehr Bildung ermöglichen.
Die Regierung in Indien übertrug 1992 wichtige Anteile an Ressourcen und Entscheidungen auf die Gremien der kommunalen Selbstverwaltung - die Panchayats - die so endlich als wichtiger Schlüssel zur Überwindung extremer Armut in den ländlichen Regionen erkannt wurden. Gleichzeitig wurde in der indischen Verfassung verankert, dass ein Drittel aller Sitze in den Panchayats auf Dorf-, Block- und Distriktebene von Frauen besetzt werden muss. Diese Quote wurde inzwischen in einigen Bundesstaaten sogar auf 50 Prozent erhöht. Das Verfahren der Quotierung auch für das nationale Parlament läuft. 1,2 Millionen Inderinnen halten heute ein lokales politische Mandat und haben mit ihrer Arbeit und aktiven Teilhabe am öffentlichen Leben viel bewirkt und verändert.
Durch die Mitsprache von Frauen wurden in den Gemeinderäten andere Schwerpunkte gesetzt. In den Vordergrund sind Gesundheit, Ernährung, Bildung, Umwelt sowie lange ignorierte soziale Probleme wie häusliche Gewalt, Familienplanung, Korruption und das Kastenwesen gerückt. Die Frauen haben viel bewegt und bewiesen, dass eine bessere Zukunft in den ländlichen Regionen Indiens nur mit einer gleichberechtigten Beteiligung von Frauen möglich ist.
Für die Frauen ist es eine große Herausforderung die Regierungsbeteiligung für sich und ihre Dörfer erfolgreich zu nutzen. Viele von ihnen sind unterernährt und können weder lesen noch schreiben. Das Hunger Projekt organisiert als einzige Organisation in Indien seit dem Jahr 2000 Women`s Leadership Workshops, um die Frauen auf ihre Arbeit in den Panchayats vorzubereiten und sie während ihrer fünfjährigen Amtszeit zu unterstützen. Es wurden bisher über 75.000 Frauenabgeordnete für ihre herausfordernde Arbeit ausgebildet. Hierfür werden Trainerinnen und Trainer aus regionalen Nichtregierungsorganisationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des indischen Hunger Projekts geschult, die die Workshops in den lokalen Sprachen halten.
Der erste große Schritt in den Workshops ist die Bewusstwerdung und Überwindung des Kastendenkens. Dies ist am Anfang sehr schwer für die Frauen, denn diese Tradition ist tief in der Gesellschaft verankert. Doch erkennen sie schnell, dass alle am gleichen Strang ziehen und sie nur gemeinsam stark genug sind um etwas zu verändern.
Durch konkrete Übungen wird das Selbstbewusstsein der Frauen gestärkt. Sie merken, dass sie Dinge tun können, von denen sie vorher dachten, dass sie dazu nie in der Lage wären, beispielsweise Fahrrad fahren - sehr unüblich für indische Frauen. Durch diesen neuen Erfahrungen ermutigt, beginnen sie dann, Pläne für die Zukunft ihrer Dörfer zu entwickeln und den anderen zu präsentieren. Sie lernen, Schaubilder zu erstellen, mit denen sie auch als Analphabetinnen ihre Anliegen verdeutlichen können. So üben sie, die eigenen Vorstellungen vor anderen zu vertreten. Jede Frau entscheidet welche Prioritäten sie hat und was sie umsetzen möchte.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Workshops ist die Übung des Umgangs mit Behörden, um so Entwicklungsprogramme der Regierung nutzen zu können. Ihre Durchsetzungs- und Kommunikationsfähigkeiten werden gestärkt. Sie lernen mit Computern zu arbeiten und können entscheiden, ob sie diese nutzen wollen.
Die Workshops ermöglichen den Frauen auch die Vernetzung untereinander. Sie fühlen sich als Teil einer Interessengruppe. Sie alle haben mit denselben politischen Schwierigkeiten zu kämpfen und können von den Erfahrungen anderer lernen und ihr Wissen an neue Abgeordnete weitergeben.
Das Programm des Hunger Projekts begleitet die Frauenabgeordneten während ihrer gesamten Amtszeit. Neben den Workshops wird die Gründung von Frauenverbänden gezielt vorangebracht. Die Frauen werden für den nächsten Wahlkampf gestärkt, falls sie kandidieren möchten - denn jede Frau kann nur einmal ein für Frauen reserviertes Mandat in ihrem Panchayat bekommen. Wichtig ist auch, die anderen Frauen als Wählerinnen zu animieren, an der Wahl teilzunehmen. Daher führt das Hunger Projekt vor den Kommunalwahlen öffentlichkeitswirksame Kampagnen mit Treffen, Filmvorführungen, Straßentheater, Tür-zu-Tür-Kontakten und der Verteilung von Infomaterial durch. Die Frauen haben seit Einführung der Quote in den Panchayats bewiesen, dass sie vieles bewegen können und dass sie durchaus in der Lage sind, bisher von Männern besetzte Domänen zu übernehmen
Die größere Mitsprache von Frauen läuft nicht ohne Konflikte ab. In den vergangenen Jahren wurde eine zunehmende Gewalt (Bedrohungen der Frauen und ihrer Familien, Vergewaltigungen und sogar Morde) vor und nach den Wahlen beobachtet. Die Männer fürchten offenbar um ihre Vormachtstellung und sehen in den Frauen eine drohende Konkurrenz. Um dieser Gewalt zu begegnen gibt es Teams vom Hunger Projekt, anderen NROs und den Medien, die sich sofort um die Aufklärung und Veröffentlichung der Gewalttaten kümmern. Sie sorgen dafür, dass die Vorfälle an die Öffentlichkeit gelangen und die Polizei sich gezwungen sieht, den Fall zu untersuchen.
Die Erfolge der Frauenabgeordneten zeigen sich in ihren Dörfern. Dort haben sie in den vergangenen Jahren viel erreicht und durchgesetzt. Dies verschaffte ihnen Respekt bis zur höchsten Regierungsebene, so dass einige von ihnen sogar Barak Obama trafen.
Jemima Hartshorn, Vorstandsmitglied „Das Hunger Projekt”