(Gegenwind 269, Februar 2011)

Solaf Aligalib

Solaf Aligalib aus dem Irak:

„Meine Muttersprache ist Kurdisch”

Gegenwind:

Was ist Deine Muttersprache?

Solaf Aligalib:

Meine Muttersprache ist Kurdisch, Sorani.

Gegenwind:

Welche Sprachen kannst Du außerdem?

Solaf Aligalib:

Ich kann noch Bahdinani, einen anderen Dialekt des Kurdischen, und Arabisch.

Gegenwind:

Deine Mutter hat mit Dir Kurdisch gesprochen. Wann hast Du Arabisch gelernt?

Solaf Aligalib:

Ja, meine Mutter hat Kurdisch gesprochen. Aber wir lebten in Bagdad, ich bin auch in Bagdad geboren. Bis zur zweiten Klasse bin ich auch in Bagdad zur Schule gegangen. Ich habe also zu Hause Kurdisch gesprochen, Arabisch in der Schule.

Gegenwind:

Lebtet Ihr mit kurdischen Nachbarn zusammen, oder sprachen die anderen Arabisch?

Solaf Aligalib:

Nein, wir hatten in Bagdad keine kurdischen Nachbarn. Auf der Straße mussten wir auch Arabisch sprechen. Ich habe also beide Sprachen gleichzeitig gelernt, zu Hause Kurdisch, auf der Straße und in der Schule Arabisch.

Gegenwind:

Weißt Du noch, wie Dein Gefühl als Kind war, zu Hause eine andere Sprache zu sprechen als in der Schule?

Solaf Aligalib:

Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich habe sicherlich Fragen gestellt, meine Mutter gefragt.

Gegenwind:

Gab es in der Schule Probleme für Dich als kurdisches Kind?

Solaf Aligalib:

Ja, schon, aber nicht so sehr in Bagdad. Ich erinnere mich mehr an Probleme, als wir wieder in die Heimat zurückzogen. Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, zogen wir nach Sulaimaniyya. Dort wurden wir als „Araber” bezeichnet, obwohl wir Kurden waren. Aber wir Kinder haben mehr Arabisch als Kurdisch gesprochen.

Gegenwind:

Wie hast Du den Sprachwechsel erlebt? In Sulaimaniyya wird ja auch auf der Straße Kurdisch gesprochen.

Solaf Aligalib:

Ich habe damals kein reines Kurdisch gesprochen, sondern auch viele arabische Worte benutzt. Die anderen Kinder fanden das nicht okay. Wir sagten „mama” zu unserer Mutter, wie die Araber das machen, aber die Kurden sagen „daya”. Deshalb wurden wir als „Araber” bezeichnet. Das tat richtig weh damals.

Gegenwind:

Wie lange dauerte es, bis Du als Kurdin akzeptiert warst?

Solaf Aligalib:

Das hat ein paar Jahre gedauert.

Gegenwind:

Wie war in Sulaimaniyya die Unterrichtssprache in der Schule?

Solaf Aligalib:

Ich bin wieder auf eine arabische Schule gegangen, auch weil ich Kurdisch nicht schreiben und lesen konnte. In Sulaimaniyya gab es auch nur eine Schule, und die war arabisch. Zwei Jahre später sind wir nach Arbil umgezogen. Dort gab es auch nur eine Grundschule und ein Gymnasium, und beides waren arabische Schulen.

Gegenwind:

Hast Du es im Irak erlebt, als die Schulen auf Kurdisch umgestellt wurden?

Solaf Aligalib:

Nein, ich bin nur auf die arabische Schule gegangen, wir hatten aber Kurdisch als ein Fach. Der Rest des Unterrichts war auch Arabisch. Ich habe in Arbil Sportwissenschaften studiert, das Studium war auch auf Arabisch.

Gegenwind:

Kennst Du die heutige Situation?

Solaf Aligalib:

Ich kenne das nur aus Berichten. Ich bin 1996 nach Deutschland gekommen. Erst danach ist mehr Kurdisch an den Schulen eingeführt worden, nicht nur in den Schulen, auch in der Universität. Das hat sich weiter entwickelt. Heute wird nur auf Kurdisch unterrichtet, auch in Sulaimaniyya an der Uni. An den Schulen wird auch auf Kurdisch unterrichtet, es gibt nur noch eine arabische Schule.

Gegenwind:

Wann bist Du das erste Mal wieder im Irak gewesen?

Solaf Aligalib:

Das war 2004. Da wurde auf der Straße ein reineres Kurdisch gesprochen, es gab keine arabischen Worte mehr. Ich fand das nicht so toll. Ich bin es persönlich nicht gewohnt, nur diese Sprache zu sprechen und zu schreiben, weil ich das nicht gelernt habe.

Gegenwind:

Gibt es Straßenschilder oder Wegweiser in beiden Sprachen?

Solaf Aligalib:

Nein, das ist mehr Kurdisch und Englisch. Es gibt aber immer noch einzelne arabische Schilder, die gibt es auch, man sieht also oft drei Sprachen.

Gegenwind:

Ist der Nordirak, also das autonome Kurdistan, inzwischen ein eigenes Land oder immer noch ein Teil des Irak?

Solaf Aligalib:

Viele Kurden dort sehen es eher als eigenes Land, sie wollen das auch. Ich finde das nicht so okay, ich finde, Kurdistan ist ein Teil des Irak. In Kurdistan leben inzwischen auch viele Araber, die wegen der Situation in Bagdad und im Südirak in den Norden umziehen.

Gegenwind:

Werden sie freundlich aufgenommen?

Solaf Aligalib:

Nachbarn meiner Eltern sind Araber. Sie sind nicht zufrieden, sie werden anders behandelt, eben als Araber. Aber sie haben keine Wahl, sie suchen Sicherheit und können nirgends anders hin.

Gegenwind:

Weißt Du, wie andere Sprachen, zum Beispiel Turkmenisch behandelt werden?

Solaf Aligalib:

Dazu habe ich zu wenig Kontakte. Ich fahre im Urlaub in den Irak, aber das sind nur vier Wochen, ich fahre wenig in andere Städte.

Gegenwind:

Welche Kontakte hast Du hier in Kiel? Bist Du mit anderen Arabern oder Kurden zusammen? Oder mehr mit Deutschen?

Solaf Aligalib:

Mit allen, Ich habe viele Freunde aus verschiedenen Gruppen. Es sind nicht nur Kurden, Araber und Deutsche, es sind auch Russen, Türken und so weiter.

Gegenwind:

Ist hier die gegenseitige Akzeptanz zwischen Kurden und Arabern aus dem Irak besser als im Land selbst?

Solaf Aligalib:

Nein, es ist schlimmer. Es gibt überhaupt keine Kontakte. Ich bin ja Dolmetscherin, eine Kurdin, die Arabisch dolmetscht. Wenn ich für Araber bestellt werde, haben die oft Angst, weil ich Kurdin bin, es ist sofort Misstrauen da. Erst wenn sie mich kennen lernen, fangen sie an mir zu vertrauen, dann haben wir kein Problem mehr. Aber es gibt auch Probleme zwischen Kurden, nicht nur zwischen Arabern und Kurden.

Gegenwind:

Gibt es hier denn Kontakte oder gemeinsame Veranstaltungen von Kurden aus dem Irak, aus der Türkei und aus dem Iran?

Solaf Aligalib:

Nein, es gibt nur Kontakte unter Kurden, die aus dem gleichen Land kommen.

Gegenwind:

Wie sollte Deiner Meinung nach im Irak mit den Sprachen umgegangen werden?

Solaf Aligalib:

Ich wünsche mir, dass im Norden nicht nur Kurdisch gesprochen wird, sondern auch andere Sprachen gefördert werden. In den Schulen wird dann nur Englisch als Fremdsprache unterrichtet, es sollte auch Französisch und Deutsch dazu kommen. Deutsch ist wichtig, weil viele aus Deutschland zurück kommen, und die Kinder sprechen besser Deutsch als andere Sprachen. In den normalen Schulen gibt es kein Deutsch, nur in privaten Schulen, und das kostet viel Geld. Je mehr Sprachen, desto besser. Außerdem sollten die Kinder Arabisch nicht verlieren. Ich finde, alle Kinder im Irak sollten Arabisch können, das sollte nicht als feindliche Sprache behandelt werden. Man kann es ja in Kurdistan als Fremdsprache unterrichten, aber wir sollten Arabisch nicht ablehnen, nur weil wir Kurden sind. Wenn man andere Sprache kann, ob Arabisch, Englisch oder Deutsch, kann man dadurch nur dazu lernen.

Interview: Reinhard Pohl

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