(Gegenwind 269, Februar 2011)

Csilla Kász

Csilla Kász aus der Slowakei:

„Meine Muttersprache ist Ungarisch”

Gegenwind:

Was ist Deine Muttersprache?

Csilla Kász:

Meine Muttersprache ist Ungarisch.

Gegenwind:

Wo bist Du aufgewachsen?

Csilla Kász:

Ich bin in der Slowakei geboren und habe dort bis zu meinem 24. Lebensjahr gelebt.

Gegenwind:

Welche Sprache hast Du zu Hause gesprochen? Ab wann konntest Du zwei Sprachen?

Csilla Kász:

Eigentlich haben wir zu Hause immer ungarisch gesprochen, ich bin auch auf eine ungarische Schule gegangen. Die meisten Ungarn oder alle, die sich für Ungarn halten, sprechen auch Ungarisch zu Hause. Das ist Normalität. Ich kenne keine Familien, die als Ungarn zu Hause Slowakisch sprechen. In den gemischten Familien ist es vielleicht anders. Aber dadurch, dass es auch ungarische Schulen gibt, erlernen viele Ungarn die slowakische Sprache erst ziemlich spät, wenn man - zumindest im Kinderalter - nicht gezwungen ist im Alltag Slowakisch zu sprechen. Sobald man aber arbeiten will, kommt man ohne Slowakisch nicht weiter. Erwachsene benutzen im Alltag beide Sprachen.

Gegenwind:

Wann konntest Du Slowakisch?

Csilla Kász:

Das hat ziemlich lange gedauert. Gelernt habe ich es von frühem Alter an, das fing schon im Kindergarten an, wo es jeden Tag ca. eine Stunde Slowakisch-Unterricht gab. Teilweise war ich auch gezwungen mich als Kind mit anderen Kindern auf Slowakisch zu unterhalten, da ich während meiner gesamten Grundschuljahren auch noch ein Kunst-Unterricht in der Nachbarstadt besuchte, wo meine Kommilitonen fast ausschließlich Slowaken waren. In der Schule gibt es an mindestens vier von fünf Tagen Slowakisch-Unterricht, und zwar Grammatik und Literatur getrennt. Dies ist wie ein Fremdsprachen-Unterricht aufgebaut, das heißt, dass man die slowakische Grammatik in der ungarischen Sprache erklärt bekommt. Es wurde auch in anderen Fächern - wie Mathe, Physik, Chemie - verlangt, den Stoff auf Slowakisch zu lernen, dafür haben wir aber im Unterricht nicht viel Zeit gehabt. In den letzten Schuljahren, als es mir klar wurde, dass ich auf ein Kunst-Gymnasium gehen möchte, habe ich extra Sprachkurse genommen, weil es dieser Art der Gymnasien nur mit slowakischer Unterrichtsprache gab. Hätte ich mir ein normales Gymnasium ausgesucht, hätte ich weiter auf Ungarisch lernen können, aber ich wollte in diese Richtung weiter. Das war der Punkt, an dem ich gezwungen war, Slowakisch zu lernen. Aber ich glaube, so richtig sicher im Slowakischen fühlte ich mich erst, als ich mein Abitur gemacht habe.

Gegenwind:

Wie war es in der Umgebung, bei den Nachbarn, in den Geschäften - kommt man überall mit Ungarisch zurecht?

Csilla Kász:

Das hängt davon ab, wo man lebt. In vielen Dörfern im Südslowakei ist die Bevölkerung oft zu 95 oder 99 Prozent ungarisch, da spricht man nur ungarisch. Das ändert sich jetzt schnell. Schon in meiner Nachbarschaft gibt es mittlerweile Läden, in dem man Slowakisch sprechen muss, weil die Verkäufer aus einem anderen Ort kommen und kein Ungarisch können. Es ziehen auch immer mehr Leute, Slowaken aus der Hauptstadt in die Dörfer im Süden. Es gibt in vielen Dörfern auch Nachfahren von sog. »Aussiedlerfamilien«. Das sind Slowaken, die in der Zeit der Durchführung der Benes-Dekrete aus Ungarn einsiedelten, als Austausch für die vertriebenen ungarischen Familien. Es wird immer mehr Slowakisch gesprochen, und das betrifft nicht nur die nördlich gelegenen Nachbarstätte, sondern wenn man in die Richtung zu den ungarischen Grenze fährt, passiert es immer öfter, dass man in früher ungarischen Städten Menschen antrifft, die kein Ungarisch können. Vor ca. zehn Jahren hätte man da nur mit Ungarisch klar kommen können.

Gegenwind:

Ändert sich das, weil die Regierung das will?

Csilla Kász:

Diese Entwicklung widerspiegelt einerseits die Bemühungen der slowakischen Regierung, der Verwendung des Ungarischen Grenzen zu setzen - es werden Gesetze erlassen, die den Sprachgebrauch einschränken, und es wird auch eine Ungarnfeindliche Atmosphäre hergestellt, aber es liegt auch in der Unbekümmertheit der Ungaren dort. Viele haben nicht das Bedürfnis, die ungarische Sprache zu behalten. Manche Ungarn schreiben ihre Kinder in slowakischen Schulen ein, weil sie denken, so hätten ihre Kinder bessere Arbeitschancen, oder weil es ihnen unwichtig ist die ungarische Sprache richtig zu erlernen. Auf diese Weise reduziert sich die Kenntnis der Sprache; die Kinder kennen die ungarische Rechtsschreibung, Grammatik, Literatur nicht mehr. Vielen Ungaren ist es nicht bewusst, was sie damit verlieren. Für meine Eltern war Ungarisch immer sehr wichtig, es war klar, dass ich in eine ungarische Schule komme. Das ist in manchen Familien so, aber andere assimilieren ganz schnell. Wegen der Regierung herrscht schon eine angespannte Atmosphäre; man kann sagen: viele Slowaken mögen keine Ungarn, wenn sie nie welche getroffen haben. Je nördlicher man in der Slowakei ist, desto mehr »Ungarnhass« findet man. Andererseits sind meine besten Freundinnen und Freunde Slowaken - Leute mit denen ich meine Schul- und Studentenjahren in der Hauptstadt verbracht habe.

Gegenwind:

Macht die ungarische Regierung etwas, um Ungarn in der Slowakei zu schützen oder zu fördern?

Csilla Kász:

Ja, es gibt einige Initiativen. Es gibt schon seit vielen Jahren ein »Ungarischer Ausweis«, das jeder Ungare, der außerhalb Ungarn lebt bekommen konnte und mit dem er in Ungarn bestimmte Vorteile nützen kann, zum Beispiel billiger reisen kann und Ähnliches. In manchen Fällen sind aber diese Bemühungen kontraproduktiv: Vor zwei Jahren hat Ungarn beschlossen, allen Slowaken ungarischer Nationalität die ungarische Staatsangehörigkeit anzubieten. In der Slowakei wird strikt zwischen Staatsangehörigkeit und Nationalität unterschieden. Ich bin slowakische Staatsangehörige ungarischer Nationalität. Alle, die sich für Ungarn halten, sollten auf Wunsch automatisch auch die ungarische Staatsangehörigkeit bekommen. Das hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass Ungaren mehr auf ihre ungarische Nationalität bestehen, weil es ihnen Vorteile bringen würde. Deshalb hat die slowakische Regierung beschlossen, dass es in Zukunft unmöglich ist, eine doppelte Staatsangehörigkeit zu bekommen. Das gilt nicht nur für Ungarn, sondern wenn ich jetzt die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen würde, würde ich automatisch meine slowakische Staatsangehörigkeit verlieren.

In der Slowakei gibt es außerdem strikte Gesetze, wo man Ungarisch sprechen darf und wo nicht, das gilt unter anderem für Behörden - also die Sprache in dem man sich in den Behörden unterhält -, Gedenktafeln, Firmen- und Straßenschilder, aber auch die Presse. Früher konnte man zum Beispiel in einer Behörde, wenn der Angestellte Ungarisch konnte, sich mit ihm auf Ungarisch unterhalten, jetzt nicht mehr. Im Oktober 2010 hat eine slowakische Zeitung »Nitiranske Noviny« eine Geldstrafe von 1500 € bekommen, weil sie die Anzeige einer Firma aus Ungarn nur auf Ungarisch veröffentlicht hat. Neuerdings soll es aber in Ungarn einen Fond geben, der dafür gegründet wurde, Geldstrafen dieser Art zu erstatten. Ob es auch wirklich funktioniert, weiß ich nicht.

Gegenwind:

Gibt es in der Slowakei noch andere Minderheiten-Sprachen? Werden die ähnlich oder schlechter behandelt?

Csilla Kász:

Eigentlich wird in der Politik immer nur über den Ungaren gesprochen. Von Sprachen spricht man selten, es geht immer um Nationalitäten. Es gibt sonst noch etwa 89.000 Roma, 44.000 Tschechen, 24.000 Ruthenen, 10.000 Ukrainer, 5.500 Deutsche, 2.500 Polen und weitere kleinere Völkergruppen, aber die ungarische Minderheit ist eben mit ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung viel größer als die anderen Minderheiten. Über die anderen Minderheiten spricht man nur im Kontext mit den Ungarn. Wenn Gesetze erlassen werden, wird das wegen der Ungarn gemacht, und diese Gesetze beziehen sich dann auch auf die anderen.

Gegenwind:

Gibt es auch Schulen für andere Minderheiten?

Csilla Kász:

Nein, eigene Schulen haben nur Ungarn. Und zweisprachige Straßenschilder gibt es meines Wissens auch nur slowakisch-ungarisch; zweisprachig dürfen sie nur sein, wenn mindestens 20 Prozent der dortigen Bevölkerung ungarisch ist. Die anderen Minderheiten erreichen kaum 20 Prozent, zumindest nicht in meiner Gegend in Südwesten der Slowakei.

Gegenwind:

Wie wird festgestellt, wer Ungar ist?

Csilla Kász:

Entscheident ist, für wen man sich hält, das ist wie die Religion.

Gegenwind:

Das heißt, Kinder aus gemischten Ehen entscheiden sich irgendwann, was sie sind?

Csilla Kász:

Ja. Diese Information steht aber weder im Personalausweis, noch im Reisepass oder in der Geburtsurkunde.

Gegenwind:

Kennst Du die Sprachenpolitik in Schleswig-Holstein, zum Beispiel die dänischen Schulen?

Csilla Kász:

Ich habe mich darüber nur kurz informiert. Dänisch und Friesisch sind als autochtone Sprachen von der Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen geschützt und es ist auch in der Landesverfassung verankert, dass sie einen Anspruch auf Schutz und Förderung haben. Romanes ist zwar auch eine autochtone Sprache in Schleswig-Holstein, ihr Status wurde aber bisher nicht anerkannt.

Gegenwind:

Welche Erfahrungen hast Du in Deutschland mit Deinen Sprachen gemacht?

Csilla Kász:

Das ist sehr gemischt. Da ich wie eine Muslima aussehe, werde ich in diese Schublade eingeordnet - viele glauben, dass ich Arabisch oder Türkisch sprechen kann. Ein einziges Mal bin ich von einer Ungarin wegen meiner Aussprache des Deutschen als Ungarin erkannt worden. Aber ansonsten wird es gut angenommen, dass ich andere Sprachen kann. Es ist natürlich für mich als Sprachwissenschaftlerin sehr nützlich, dass ich Ungarisch und Slowakisch beherrsche. Was aber das Dolmetschen betrifft, hier in Schleswig-Holstein gibt es nur wenige Ungarn, ich dolmetsche eher slowakisch. Die Leute sehen mir eben nicht an, dass ich Ungarisch oder Slowakisch kann.

Gegenwind:

Wie beurteilst Du die Sprachenpolitik in der Slowakei? Welche Verbesserungen wünscht Du Dir?

Csilla Kász:

Es gibt immer etwas was man verbessern könnte. Ich empfinde die Sprachregelungen als überflüssig und abwertend. Egal ob sie angewendet werden oder nicht, fühlt man sich als Minderheit unerwünscht. Sie bringen nichts, denn es ist jedem sein eigenes Interesse auch Slowakisch zu lernen, sonst finden man sowieso keine Arbeit. Solche Gesetze haben nur zu Folge, dass Spannungen entstehen. Als Schülerin auf dem Gymnasium in der Hauptstadt habe ich oft erlebt, von meinen Kommilitonen als Ungarin beschimpft zu werden, danach nicht mehr. Mein Bruder hat in einer Stadt im Herzen der Slowakei studiert, der ist noch öfter angesprochen worden, warum er Ungarisch spricht. Er hat zurückgefragt, ob es besser wäre, Deutsch zu sprechen, und es wurde gesagt, Deutsch stört uns nicht, aber Ungarisch stört. Diese Situationen entstehen, weil aus der Politik heraus Hassgefühle erfunden werden. Das ist wie hier in Deutschland auch, es wird einfach von den wirklichen Problemen abgelenkt. Es wird eine Bevölkerungsgruppe gesucht, die Schuld an irgendetwas ist, und das kommt immer gut an. Diese Situation ist künstlich erstellt und dient keinem.

Gegenwind:

Wird das Verhältnis durch die EU-Mitgliedschaft besser oder schlechter?

Csilla Kász:

Ich merkte keinen großen Unterschied im Bezug auf Minderheitenpolitik der Slowakei durch den Beitritt zur EU und die Öffnung der Grenzen. Das Ende des Kommunismus war ein viel größerer Einschnitt. Ich war in '89 erst zehn Jahre alt und weiß nur aus den Erzählungen meiner Eltern, dass die Situation vor der Wende viel schlimmer war: Damals hatte man Angst, wenn man nach Bratislava fuhr, im Zug Ungarisch zu sprechen. Ich gehe davon aus, dass es jetzt in der EU insofern besser ist, als sich die Slowakei außenpolitisch mehr rechtfertigen muss, wenn sie irgend welche diskriminierenden Gesetze erlassen will.

Interview: Reinhard Pohl

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