(Gegenwind 269, Februar 2011)
„Community Interpreting”, Kommunaldolmetschen, also das Dolmetschen „in der Nachbarschaft” (Arzt, Behörde, Beratungsstelle) führt in Deutschland leider nur ein Schattendasein. Dolmetscher verdienen ihr Geld bei Firmen, bei Konferenzen oder bei Gericht und Polizei - bei Behörden, beim Arzt oder bei Beratungsstellen wird auf Qualität der Verständigung nicht so viel Wert gelegt. Einzelne MitarbeiterInnen dort wünschen sich schon eine bessere Qualität der Verständigung und damit ihrer Arbeit insgesamt, diese Qualität gibt es aber nicht zum Nulltarif.
Sparen kann so sehr teuer werden: Die Behörde, der Arzt, die Beratungsstelle vereinbaren mehrere Folgetermine, um die unzureichende Verständigung durch neue Versuche zu verbessern. Ärzte können die Verständigungsprobleme zum Teil durch (teure) Laboruntersuchungen versuchen auszugleichen. Behörden nehmen oft in Kauf, dass bei mangelhafter Verständigung einfach die Rechte der Antragsteller eingeschränkt werden, sie also die Regelleistungen nicht erhalten.
Die beiden Autorinnen und Herausgeberinnen dieses Buches sind von Untersuchungen zur Rolle und Leistung von Kinderdolmetschern ausgegangen. Kinder von Einwandererfamilien müssen oft die Defizite der Integrationspolitik ausgleichen, sie werden zu Sprachmittlern ihrer Eltern und oft auch zu „Familienaußenministers”, wie sie ein Beitrag dieses Sammelbandes nennt.
Andere Beiträge beschäftigen sich mit dem Beruf der Dolmetscherin oder des Dolmetschers überhaupt, sie versuchen zwischen Alphatieren und schwarzen Schafen, Samurai und Samaritern der Branche ohne vorgeschriebene Ausbildung zu unterscheiden und Dolmetscherinnen und Dolmetscher in Typen und Persönlichkeiten zu sortieren.
Ein Schwerpunkt des Buches sind Beiträge zum Dolmetschen im Gesundheitswesen. So geht es um türkische Einwanderer, die als Sprach- und Kulturmittlerinnen im Gesundheitswesen arbeiten, sowie um das Dolmetschen in der Psychotherapie mit traumatisierten Flüchtlingen.
Zwei Schlussbeiträge werfen einen Blick in die Welt: Anne Fuchs beschreibt das Dolmetschen in Guatemala, wo Spanisch die offizielle Landessprache ist, die Mehrheit der Bevölkerung aber indigene Sprachen als Muttersprache spricht und häufig das Spanische nur unzureichend versteht. Marion Daneshmayeh stellt Ausbildungsprogramme für KommunaldolmetscherInnen vor, die es in anderen Ländern durchaus gibt.
Für dieses Buch haben die Herausgeberinnen insgesamt 533 Arbeiten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Thema Dolmetschen / Kommunaldolmetschen und Kinderdolmeschen ausgewertet. Dabei reicht das Spektrum von Zeitschriften-Aufsätzen bis zu Diplom- und Doktorarbeiten. Die Zahl der Arbeiten ist in den letzten Jahren steil angestiegen. Wurde für den Zeitraum 1975 bis 1979 nur eine Arbeit zum Thema entdeckt, waren es 1985-1989 bereits 38 Arbeiten. 1995 bis 1^999 wurden 149 Arbeiten veröffentlicht, im Fünfjahres-Zeitraum 2000 bis 2005 waren es 276 Arbeiten.
Das Buch ist besonders interessant für Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die nicht eine Fremdsprache studiert und damit Dolmetscher geworden sind, sondern die als Migrantinnen und Migranten in den Beruf hineingewachsen sind. Gerade sie bringen viele Vorkenntnisse zum interkulturellen Dialog und der Vermittlung mit, können aber auch als ehemalige Kinderdolmetscher viele „angewöhnte Fehler” weiter machen, schon aus Mangel an Vergleichsmöglichkeiten und Korrekteuren.
Reinhard Pohl
Nadja Grbic und Sonja Pöllabauer (Hg.): Kommunaldometschen / Community Interpreting. Probleme - Perspektiven - Potentiale. Frank & Timme, Berlin 2008, 369 Seiten, 39,80 Euro