(Gegenwind 269, Februar 2011)
Die Integration einer verschiedenartigen Gesellschaft, heutzutage Diversität genannt, hakt meistens an der Vermittlung. Dabei geht es einerseits um die Sprachmittlung, also das Dolmetschen, andererseits auch um die Kulturvermittlung, auch Mediation genannt.
In dem vorliegenden Buch wird der aktuelle Diskussionsstand zu diesem Themenkreis aufgezeigt, zusammengetragen auf einer Fachtagung. Diese hatte die interkulturelle Vermittlung in öffentlichen Diensten der Schweiz zum Thema, insbesondere die Bereiche Gesundheit, Soziales, Erziehung und Justiz.
Einerseits wird diskutiert, ob es ein „Recht auf Dolmetschen” gibt. Dies ist nur für den bereich der Justiz eindeutig geregelt. Andererseits gibt es in der Schweiz als viersprachigem Land ein „Recht auf Muttersprache”, das rein nach der Formulierung in der Verfassung auch für Sprachen von Einwanderern gelten müsste. Die konkrete Bedeutung dieses Rechtes für Krankenhäuser, Erziehungsberatungsstellen oder Sozialämter ist aber nirgends ausformuliert.
Andererseits müssen DolmetscherInnen oft mehr leisten als die reine Sprachmittlung. Teils tun sie es einfach, weil sie sich als Familienangehörige oder Landsleute auch zu „Anwälten” der Hilfesuchenden Einwanderer machen, teils erwarten die Institutionen von den „mitgebrachten” Sprachmittlern ausführliche Erklärungen. Dies halten die Autoren für riskant, sie empfehlen zwar überwiegend die Kombination von Dolmetschen und Mediation, allerdings nur nach gründlicher Ausbildung der DolmetscherInnen. Sonst besteht die Gefahr, dass niemand mehr überblickt, wer das Gespräch steuert, wer die Inhalte filtert und interpretiert.
Ein Autor des Sammelbandes stellt das System in Belgien vor. Ein Netz von DolmetscherInnen in 17 Sprechen, vor allem Arabisch und Türkisch, mit 51 Vollzeitstellen sorgt für eine weitgehend reibungslose Verständigung im Gesundheitswesen. Der Staat finanziert diese Vermittlung mit rund 2 Millionen Euro jährlich - und spart vermutlich ein Vielfaches dieses Betrages ein, weil nicht nur Reibungsverluste und Verzögerungen durch fehlende Verständigung vermieden werden, sondern auch Familienmitglieder als vermeintlich „natürliche” Dolmetscher ausscheiden. Er berichtet, dass PatientInnen viel leichter Persönliches preisgeben können, wenn es von fremden Profis gedolmetscht wird, als wenn Familienmitglieder im Raum sind oder nur eine Fremdsprache zur Verfügung steht.
Vorgestellt wird auch die Schweizerische Organisation INTERPRET, in der Sprachmittlerinnen und Sprachmittler zusammen geschlossen sind. Sie wahrt die Interessen der DolmetscherInnen, gewährleistet aber auch das Niveau und die Qualität von Sprachmittlung.
Der Sammelband umfasst eine Reihe von Theoriebeiträgen und eine Reihe von Berichten aus der empirischen Forschung. Eingestreut sind fünf „Stimmen aus der Praxis”, aus denen vor allem hervorgeht, was das System der „interkulturellen DolmetscherInnen” in der Schweiz von dem üblichen Bild der „studierten DolmetscherInnen” anderer Länder unterscheidet.
Auch wenn es um die Schweiz geht - die durch Einwanderung und Integration entstehenden Probleme und Fragestellungen sind in allen Ländern ähnlich. Die Lösungsansätze unterscheiden sich, und sicherlich ist es auch ein Unterschied, wie ein Land mit vier offiziellen Sprachen mit Sprachproblemen umgeht im Vergleich zu einsprachigen Ländern. Dennoch sollte man immer wieder einen Blick über die Grenzen riskieren, um sich Beispiele aus der Praxis und Vorschläge für Problemlösungen zu holen.
Reinhard Pohl
Janine Dahinden und Alexander Bischoff (Hg.): Dolmetschen, Vermitteln, Schlichten - Integration der Diversität? Seismo Verlag, Zürich 2010, 252 Seiten, 29 Euro.