(Gegenwind 269, Februar 2011)
Sebnem Bahadir ist selbst Türkisch-Dolmetscherin und ehemalige Kinderdolmetscherin, heute Dozentin an der Universität Germersheim, der bekanntesten Ausbildungsstätte für DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen in Deutschland.
In diesem Buch sind Aufsätze von ihr aus ungefähr 10 Jahren versammelt. Leider täuscht das Inhaltsverzeichnis einen Zusammenhang vor, der im Buch dann fehlt. Die Aufsätze von 1998 bis 2008 wurden nicht aufeinander abgestimmt, auch nicht aktualisiert, sondern schlicht hintereinander abgedruckt.
Dabei geht es der Autorin darum, dass die Dolmetscherin nicht alleine im Hintergrund für die Verständigung sorgen sollte, sondern sich selbst stärker inszenieren soll - dazu sollten Elemente aus dem Theater in die Ausbildung eingebaut werden. Diesen Ansatz vertritt sie allerdings alleine, auch deshalb hat es sich bisher nicht durchsetzen können. Vor allem aber, das ergibt sich auch aus der Erfahrung des Dolmetscher-Treffens, wird ein solcher Ansatz von den Auftraggebern von DolmetscherInnen einhellig abgelehnt - DolmetscherInnen, die sich an der Umsetzung versuchen, würden voraussichtlich schlicht am Versiegen der Aufträge scheitern, dazu ist der Konkurrenzdruck dann doch zu hoch.
Davon abgesehen bietet die Autorin eine Fülle von Erfahrungen und Anregungen, die sich gerade durch ihre Doppelrolle als Dolmetscherin und Ausbilderin ergeben. Dabei spricht sie auch umfangreichen, als man das unter deutschen Ausbildern findet, die Problematik der "natürlichen Dolmetscherin" an, also der Erwartung, dass eine zweisprachige Einwanderin nicht nur "automatisch" dolmetschen kann, sondern dies auch jederzeit und ohne Bezahlung macht. Dabei unterläuft ihr allerdings die Fehleinschätzung, die Beauftragung professioneller DolmetscherInnen (sie bevorzugt den Terminus "Fachdolmetscherin", gebräuchlich ist eher "Kommunaldolmetscherin" im Gesundheitswesen sei heute unstrittig. Das leitet sie ab aus Fachkonferenzen von Ausbildern verschiedener Unis. Sie übersieht, und hat dies auch im zehn Jahre alten jetzt abgedruckten Aufsatz nicht korrigiert, dass das alleine eine "Inner-universitäre" Erkenntnis ist.
So richtig das ist, bei Gesundheitsministerien oder Krankenhäusern hat sich das noch nicht ansatzweise rumgesprochen, auch weil die Universitäten dazu neigen, sich in den Alltagskampf um eine richtige Beauftragung und fachgerechte Bezahlung nicht einzumischen. Dazu müsste man sich in die politische Diskussion einmischen, zum Beispiel die um den "Aktionsplan Integration", an dem auf Bundesebene wie in Schleswig-Holstein gerade gearbeitet wird.
Die von der Autorin vorgeschlagen und sehr sinnvolle Fachausbildung für DolmetscherInnen im Gesundheitswesen scheitert ja bisher nicht daran, dass die DolmetscherInnen eine solche Ausbildung nicht wollen - sie scheitert daran, dass die ausgebildeten FachdolmetscherInnen im Anschluss ein normales Honorar verlangen müssen, bei dem sie natürlich von unausgebildeten DolmetscherInnen spielend unterboten werden. Die bisher weitgehend ahnungslosen Ärzte und Krankenhäuser werden dann nur noch auf unausgebildete DolmetscherInnen zurückgreifen. Dagegen hat Integrationsministerin Maria Böhmer im Mai 2010 im Ethik-Rat den Vorschlag gemacht, Dolmetsch-Leistungen im Gesundheitswesen an die Honorarsätze des JVEG zu binden und als Kassenleistung gesetzlich zu verankern. Wenn sie dieser Vorschlag durchsetzt, würden ausgebildete Fachdolmetscherinnen genauso viel kosten wie Laien - dann würden natürlich die FachdolmetscherInnen engagiert. Diese aktuelle Debatte kommt im Buch nicht vor, weil es sich eben um eine Sammlung und Veröffentlichung von Aufsätzen handelt, die bereits in anderen Zusammenhängen veröffentlicht worden sind. Ich fürchte auch, dass Diskussion aus dem politischen Raum nicht immer in den inner-universitären Debatten ankommen.
Insgesamt bietet das Buch aber eine Fülle von Anregungen und Erfahrungen aus der Sicht einer "Deutsch-Türkin", auch wenn ich ihre Hauptthese für nicht durchsetzungsfähig halte.
Reinhard Pohl
Sebnem Bahadir: Dolmetschinszenierungen. Saxa-Verlag, Translationswissenschaftliche Bibliothek 5, Berlin 2010, 220 Seiten, 29,90 Euro.