(Gegenwind 267, Dezember 2010)
Die Sitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages Anfang November hatte es in sich. Denn das deutsch-dänische Gemeinschaftsvorhaben der festen Fehmarnbeltquerung erlebte einen so verwunderlichen wie kometenhaften Aufstieg. Mit einem im wahrsten Sinne des Wortes märchenhaften Kosten-Nutzenverhältnis von 1 zu 6,7 katapultierten die von Bundesverkehrsministerium (BMVBS) beauftragten Gutachter das Projekt wie eine strahlende Rakete hoch an das Firmament der wichtigsten Infrastrukturprojekte des deutschen Bundesverkehrswegeplanes. Grundsätzlich kommen gute Vorhaben bei einem investierten Euro auf einen wirtschaftlichen Nutzen von drei. Wenn überhaupt. Lange Gesichter gab es angesichts eines so unfassbar wirtschaftlichen Vorhabens deswegen in manch anderer deutscher Region. Lang ersehnte Projekte wurden bei der Neubewertung zurück gestuft. Bei anderen wird sich die sicher geglaubte Realisierung wahrscheinlich doch eher am Sankt Nimmerleinstag vollziehen. Wenn sie nicht bis dahin ganz gestorben sind. Denn das nötige Kleingeld, um wie in vergangenen Zeiten all die infrastrukturellen Bedürfnisse zu befriedigen, wird der Staat auf lange Sicht nicht mehr aufbringen können.
Deswegen ist das plötzlich außergewöhnlich gute Kosten-Nutzenverhältnis aus zahlreichen Gründen erstaunlich. Das BMVBS der alten und neuen Regierung behandelte das Vorhaben aus mangelndem wirtschaftlichen Interesse seit Jahren eher stiefmütterlich. Bereits Ex-Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee brüskierte die Dänen mehrfach vorsätzlich mit Zögern und Zaudern. Er hoffte inständig, die Dänen würden so vom Projekt zurücktreten. Als nichts mehr half, stimmte er letztlich dem von den Dänen forcierten Staatsvertrag aus diplomatischer Höflichkeit zu. Deswegen musste das für Deutschland infrastrukturell vergleichsweise bedeutungslose Vorhaben vom Bundesverkehrsministerium fortan als Segnung gepriesen werden. Fortan musste auf Gedeih und Verderb ein Vorhaben schöngeredet werden, das - leider, leider - zukünftig zu Lasten anderer Projekte realisiert werden muss. Schließlich müsse man nun einen Staatsvertrag erfüllen, womit sich politische wie diplomatische Sprachregelung veränderten. Es sei doch toll, dass Deutschland die laut aktueller Kostenschätzung mindestens 5,5 Milliarden teure feste Fehmarnbeltquerung einfach geschenkt bekomme. Zumal das Königreich Dänemark eine Querung auch noch selbst bauen und betreiben werde. Da wären ja die damals noch angenommenen 780 Millionen Euro, die die Bundesregierung für die Schienenhinterlandanbindung, sowie die 60 Millionen Euro, die das Land Schleswig-Holstein für die Straße wird aufwenden müssen, geradezu lächerlich. Peanuts.
Dieser dubiosen Einschätzung hat nicht nur der Bundesrechnungshof (BRH) deutlich widersprochen. Angesichts allgemein üblicher Kostenverdopplung bei Großprojekten schätzen Deutschlands höchste Haushaltswächter die wahren Kosten für den fast durchgehend vierspurigen Ausbau der A1 / B 207 bis Puttgarden sowie die Elektrifizierung einer zukünftig zweigleisigen Eisenbahnverbindung ab Lübeck auf mindestens 1,7 Milliarden Euro. Auch der Rechnungsprüfungssausschuss des Bundestages forderte das Bundesverkehrsministerium auf, aus planerischer Vernunft zusätzlich eine zweite Fehmarnsundquerung ökonomisch zu bewerten. Denn um 2009 überhaupt eine politisch Zustimmung zum Projekt zu bekommen, wurde, abgesehen von getürkten Güterverkehrsprognosen, die teure Sundquerung in keine Planung aufgenommen. Zudem soll der Ausbau des Bahnknotenpunktes Lübeck jetzt ebenso finanziell quantifiziert werden, wie das überfällige dritte Gleis von Hamburg Wandsbeck bis nach Bad Oldesloe. Denn niemand weiß, wie der ab 2020 von der Strecke Hamburg-Flensburg auf die Fehmarnbelt-Verbindung umgeleitete Schienengüterverkehr überhaupt abgewickelt werden soll. Die Strecke zwischen Hamburg und Lübeck ist schon heute völlig überlastet. Gesamtbaukosten aller Maßnahmen zusammen: mindestens 2,3 Milliarden Euro.
Doch damit nicht genug. Eine weitere Verteuerung droht bei einer möglichen Teilstreckenverlegung zwischen Bad Schwartau und Großenbrode. Würde die vom Kreis Ostholstein bevorzugte „Variante X” so oder ähnlich realisiert werden, sind Mehrkosten von bis zu 250 Millionen möglich. Die Ergebnisse der vom Kreis Ostholstein selbst in Auftrag gegebenen Betroffenheitsanalyse hatten nämlich für mächtig Wirbel gesorgt. Würde wie, staatsvertraglich vorgesehen, auf der als „Bäderbahn” bekannten Bestandstrasse ausgebaut, führen ab Eröffnung 2020 rund 80 Güterzüge mehrheitlich nachts donnernd durch Ostholstein. Folge: mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Bahnlärm mit Mehrkosten für die Krankenkassen, Entwertung von Immobilien, Verlust der Lebensqualität, 500 Arbeitsplatz- sowie jährliche Wertschöpfungsverluste im zweistelligen Millionenbereich, so die Gutachter. Angesichts dieses unschönen Szenarios stimmte das Land einem so genannten Raumordnungsverfahren zu, in dem weitere Alternativen zur von der DB vorgelegten, wirtschaftlichsten Variante untersucht werden sollen. Wirtschaftlich heißt im Bahnjargon: so billig wie möglich, so wenig Lärmschutz wie nötig, so legal wie es eben gerade geht. Ein eigenes Bahngesetz macht manches geschmeidig und somit vieles möglich.
Dass Bundesverkehrsminister Ramsauer aller einleuchtenden Tatsachen statt der rund 2,5 Milliarden Euro nur leicht angepasste Baukosten von 820 Millionen ansetzt, ist einleuchtend. Erhebliche Zusatzkosten sind so sicher wie das Amen in der Kirche, sehen aber schlecht aus. Da aber die offiziellen Kostenschätzungen nur marginal der Entwicklung angepasst wurden, bleibt der Bundesverkehrsminister einfach weiterhin bei den niedrigen Erwartungen. Dabei hatten Wissenschaftler der Universität Rostock vom Fachbereich Verkehr, Tourismus, Marketing bereits 2008 in einem Gutachten ein völlig anderes Kosten-Nutzenverhältnis errechnet. Für einen investierten Euro, so die Fachleute damals, bekäme der Bund lediglich 65 Eurocent zurück. Kein Wunder, dass die Bundesregierung derlei kritische Betrachtungen nicht einbezieht und Medien und Menschen gegenüber lieber die Mär von 6,7 aufrecht erhält.
Das mag, so offensichtlich die Trickserei auch ist, politisch korrekt sein. Die allzu platte Inszenierung dieses politischen Theaters könnte jedoch fatale Folgen haben. Es schürt den Zorn der betroffenen Menschen vor Ort. „Dass Politiker ungestraft und ohne jegliche Konsequenzen Zahlen zurechtbiegen, wie es ihnen gerade in den Kram passt, ist völlig schamlos und macht mich wütend”, so Hendrick Kerlen erbost. Der stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnisses gegen eine feste Fehmarnbeltquerung meint, dass wer in dieser Form Wind sähe, sich letztlich über Sturm nicht wundern dürfe. Egal, ob bei Asse, Gorleben, Stuttgart oder Fehmarnbelt.
Im Gegensatz zum Bundesverkehrsminister sieht die Kanzlerin die Gefahr wachsenden zivilen Ungehorsams selbst unter den potentiellen Wählern, die in der Vergangenheit konservative Sichtweisen mit ihrer Stimme belohnt haben. In Baden-Würtemberg zeigt sich ihr, wohin Ignoranz und politische Abgehobenheit führen können. Direkt auf die Straße oder, schlimmer, zum Kreuz an der falschen Stelle. Die Grünen sind dabei, die CDU als stärkste Kraft im Ländle abzulösen. Ein Schwabenstreich im ewig schwarzen Heimatland. Um nicht auch noch in Berlin oder bei der Neuwahl in Schleswig-Holstein, die laut Landesverfassungsgericht bis spätestens Herbst 2012 stattfinden muss, völlig unter die Räder zu geraten, geht selbst die Kanzlerin neue Wege. Auf der CDU-Regionalkonferenz im Oktober in Lübeck in der Musik- und Kongresshalle bekam Frau Merkel einen ersten Vorgeschmack. Draußen protestierten lautstark rund 500 Menschen gegen Atomkraft und die feste Fehmarnbelquerung. Nicht viel. Noch nicht, das weiß auch Merkel. Sie weiß aber auch, dass sich das ändern kann. Deswegen erwiderte sie, nach der Gleichbehandlung von Stuttgart 21 und der festen Fehmarnbeltquerung befragt, sie setze sich für eine Mediation am Fehmarnbelt ein. „Also, wie in Stuttgart: Faktencheck! So schnell wie möglich alles auf den Tisch”, folgert Kerlen. Spätestens dann würde sich zeigen, was Ramsauers Rakete vom angeblich fabelhaften Nutzen bei Licht betrachtet eigentlich ist: ein qualmender Rohrkrepierer.
Malte Siegert
Fotos: Am 13. Oktober besuchte Kanzlerin Merkel die Hansestadt Lübeck zu einer Regionalkonferenz. Das Aktionsbündnis sowie die Bürgerinitiativen der Allianz demonstrierten vor der MUK. (Fotos: Susanne Dittmann)