(Gegenwind 267, Dezember 2010)
Nach nur zwei Verhandlungstagen verwarf das Landgericht Flensburg in Sachen „Antimilitaristischer Gleisblockade” die durch die Verteidigung nach der ersten Instanz eingelegte Berufung. Die angeklagte Aktivistin hatte sich im Februar 2008 in Ohrstedt, Nordfriesland an die Gleise gekettet, um ihren Protest gegen die deutschen Militärs und deren Auslandseinsätze zu verdeutlichen. Ein Militärtransport verzögerte sich damals um mehrere Stunden. Das Landgericht verurteilte die von „containertem Essen” lebende Angeklagte nun zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen a 15 Euro. Die Verurteilung war bereits am letzten Prozesstag absehbar gewesen, weil Richter Grisée es für unproblematisch befand, das an der Urteilsfindung ein Militär der Streitkräftebasis als Schöffe beteiligt war.
Im Februar 2008 stoppte eine Gruppe junger FriedensaktivistInnen einen Transportzug der Bundeswehr auf dem Weg zu einem Manöver der Nato Response Force. Die NRF ist eine multinationale 18.000 Soldaten starke Eingreiftruppe der Nato, die im Zweifelsfall auch mit Angriffskriegen den Zugang der NATO-Staaten zu Märkten und Rohstoffen sicherstellen soll. Aus Deutschland sind daran regelmäßig u.a. das Luftabwehrraketengeschwader 1 aus Husum beteiligt. „Krieg fängt mit Üben an - jede Vorbereitung dafür ist essentieller Teil der Kriegseinsätze, die ich ablehne” so eine der beteiligten Aktivistinnen. Die heute 25jährige stand nun in Flensburg vor Gericht, weil ihre Ankettaktion in erster Instanz als Störung öffentlicher Betriebe und Nötigung gewertet worden war. Bereits im Frühjahr hatte das Amtsgericht Husum den Fall verhandelt und in einem skandalösen Urteil 120 Tagessätze gegen sie verhängt. In der Berufung vor dem Landgericht in Flensburg reduzierte Richter Grisée lediglich die Höhe der Strafe auf 90 Tagessätze.
Am ersten Verhandlungstag lehnte Richter Grisée trotz widersprüchlicher und sehr komplexer höchstinstanzlicher Entscheidungen zum Themenkomplex „Ankettaktionen und Versammlungsrecht” die beantragte Beiordnung eines Pflichtverteidigers ab. Es schien, als ginge es ihm schlicht darum, die Sache möglichst schnell vom Tisch zu kriegen. „Hier zeigt sich wieder einmal, dass Gerichte das Militär schützen, ohne die eigene Rolle kritisch zu reflektieren. Wer Antimilitaristinnen verurteilt, ist mitverantwortlich für die Kriege der Bundeswehr”, so ein Prozessbeobachter.
Zum Prozessauftakt geladen waren die Lokführer und Fahrdienstleister, die zum genauen Ablauf der Rangierarbeiten und Streckensperrungen befragt wurden. Der demonstrative Charakter der Aktion wurde mehrmals betont und das Gericht räumte ein, dass die Rechtseinschätzung der ersten Instanz zum Thema Versammlungsrecht so wohl nicht haltbar sei. Das Amtsgericht in Husum hatte in erster Instanz geurteilt, die Aktion sei keine Versammlung gewesen, da sie nachts und abgelegen stattgefunden hätte. Die Aussageabsprache zwischen Lokführer und Rangierleiter lief nicht so reibungslos wie in der ersten Instanz. Damals hatte die beiden eine sonderbare Story aufgetischt, um den Verdacht, dass sie Notsignale einfach ignorierten, aus der Welt zu schaffen. In der ersten Fassung des Polizeiberichtes der Nacht schreibt ein Bundespolizist, wie er mit dem Rangierleiter gesprochen habe, und dieser beschreibe, wie sie auf dem Weg vom Depot zur ca. 3 km entfernten Weiche während der Fahrt einen Knall an den Gleisen vernommen hätten, Fackeln am Gleisbett überfahren hätten, und Lichtsignale ignorierten, weil sie es für einen „Schabernack” hielten. Die Geschichte der Beiden hatte diesmal deutliche Widersprüche. So widersprachen die beiden sich u.a. in der Anzahl und in der Dauer der angeblich zur Gefahrenabwehr eingeleiteten Stopps.
In einer Verhandlungspause erfuhr die Angeklagte, dass einer der zwei Schöffenrichter beruflich bei der Bundeswehr tätig ist. Sie stellte daraufhin sofort einen Ablehnungsantrag wegen des Verdachtes der Befangenheit. Den lehnte der vorsitzende Richter jedoch ab. Der Schöffe Kowalski arbeite zwar in der Streitkräftebasis und bilde Soldaten in Fernmeldetechnik aus. Daraus leite sich jedoch noch keine Befangenheit ab. Die Angeklagte dazu: „Deutlicher kann eine Befangenheit kaum sein: In unserer Pressemitteilung vom Februar 2008 fordern wir die Abschaffung der Tötungsinstitution Bundeswehr und nun soll ein Bundeswehrangehöriger darüber entscheiden, ob meine Handlungen oder nicht vielmehr die Kriege der Bundeswehr verwerflich sind - das Ergebnis steht doch fest.” Die Streitkräftebasen stellen zudem die Logistik für die als Auslandseinsätze verharmlosten Kriegsbeteiligungen bereit. „Und gegen genau diese richtete sich die verhandelte Aktion!” sagte die Angeklagte.
Am Nachmittag des ersten Verhandlungstages machte sich ein Fernsehteam vom Planeten Mars in der Flensburger Innenstadt auf die Suche nach kompetenten InterviewpartnerInnen zum Thema Militarismus und Bundeswehr. Im Besonderen gingen sie der Frage nach, wie denn die BewohnerInnen der Küstenstadt zur Äußerung des Kriegsministers stünden, Deutschland führe Wirtschaftskriege und das sei auch gut so. Ernüchtert musste die Moderation feststellen, dass viele Menschen von diesen Äußerungen nichts mitbekommen hatten. Konkret darauf angesprochen, was sie denn nun dazu sagen würden, verneinten die allermeisten Menschen jedoch zumindest persönliche Begeisterung für Wirtschaftskriege.
Während der Interviews verwiesen auffällig viele Erdlinge auf einen alleine stehenden Sonderling in merkwürdig blauen Klamotten und sonderbar altmodischer Mütze, der offensichtlich mit einer Spendendose ausgestattet, Geld zur Unterstützung eines „Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge” sammelte. Der freundliche Militärangehörige erklärte, Wirtschaftskriege seien gar keine Kriege, sondern mehr so etwas wie Diskussionen um Rohstoffpreise. Auf das Massaker von Kunduz angesprochen und ob das so die Art von humanitären Diskussionen sei, an die er da denke, verneinte er schlicht jede deutsche Beteiligung daran. „Damit hatte die Bundeswehr nichts zu tun!” Und außerdem: „Wir haben keinen Kriegsminister, nur einen Verteidigungsminister.”
Auf der Suche nach weiteren Kompetenzwundern wie diesem ersten, traf das JournalistInnenteam vom Mars auf einen Wahlwerbestand der Grünen. In Flensburg lief anscheinend gerade ein „Bürgermeisterwahl” genanntes Akzeptanzbeschaffungsspektakel für Herrschaft. Dafür scheint es wichtig zu sein, dass die sog. Kandidaten in der Fußgängerzone stehen, bunte Poster mit großen Bildern ohne Inhalt aufstellen, und genauso inhaltsleere Flyer mit vielen bunten Bildern verteilen. Doch die Hoffnung, endlich kompetente InterviewpartnerInnen zu finden, wurde erneut enttäuscht. Zur Vorbereitung des Interviews suchte die Redaktion auf dem Mars schnell in Echtzeit ein Parteiprogramm der Grünen heraus. Aus Zeitgründen musste eins von 1998 reichen... und dort findet sich auch das Bekenntnis der Partei zum Pazifismus „Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab”. Gleichzeitig ergab die Recherche aber ein für die MarsbewohnerInnen verstörendes Moment: Bereits ein Jahr später ließ eine Regierung der Grünen Partei ein anderes Land bombardieren. Auf diesen Umstand angesprochen, erklärte der interviewte Herr von der Grünen Partei dem staunenden Moderator, dass Pazifismus nicht bedeute, gegen Krieg zu sein: „Pazifistische Grundwerte bedeuten ja nun nicht, gegen jeden Militäreinsatz zu sein!” Und dass außerdem Parteiprogramme ohnehin nicht unbedingt etwas mit der Politik einer Partei zu haben müssten. Warum er selber, wo er doch gegen Krieg sei, nun Werbung für eine Partei mache, die Krieg nicht ablehne, konnte leider nicht erklärt werden.
Der zweite Verhandlungstag begann mit der Vernehmung der verantwortlichen PolizeibeamtInnen. In den Zeugenaussagen offenbarte sich erneut das mangelnde Wissen der Polizei zu Versammlungen. „Nein, die Anwendung des Versammlungsrecht haben wir nie in Betracht gezogen”, gab z.B. die zuständige Beamtin der Landespolizei an, obwohl sie Banner mit Forderungen gesehen hatte, und sich auch an die Anrede: „Dies ist eine gewaltfreie Demonstration” erinnern konnte. „Man sieht hier ganz deutlich, dass Bürgerrechte das Papier, auf dem sie gedruckt werden nicht wert sind, da die Polizei sie nicht einmal kennt”, sagte Jan Hansen, Prozessbeobachter von der Initiative militarismus-jetzt-stoppen.
Die Justizwachmeisterei, die sich während des vorangegangenen Verhandlungstags zurückhaltend verhalten hatte, durfte die Härte der Eingangskontrollen zum Urteil noch einmal deutlich anziehen. „Daran zeigt sich, dass diese Kontrollen nicht einer angeblichen Sicherheit dienen, sondern die TeilnehmerInnen einschüchtern sollen!” sagte eine Prozessbeobachterin.
Die Verurteilte prüft nun weitere Rechtsmittel. „Ich bin nicht überrascht ob der Verurteilung, denn das Gericht war von Beginn an befangen. Einer der Schöffenrichter ist sogar selbst bei der Bundeswehr, wurde aber trotz Ablehnungsantrag nicht ausgetauscht. Außerdem zeigte der vorsitzende Richter keinerlei Interesse für entlastende Argumentationsstränge und verwies mehrmals gelangweilt auf die nächsthöhere Instanz, die das ja dann entscheiden könne”, so die Angeklagte. „Das Versammlungsrecht scheint für Herrn Grisée eher eine lästige Pflicht als ein zu schützendes Grundrecht darzustellen.”
Die Prozesse waren begleitet worden von solidarischen Transparentaktionen vor dem Gericht und Straßentheater in der Innenstadt. Außerdem gingen bei Gericht zahlreiche Protestfaxe ein, die die Befangenheit des Militärschöffen kritisierten. „Ich freue mich über die Solidarität, denn ich merke: Selbst wenn nur wenig Leute bis nach Flensburg fahren, um bei den Prozessen dabei zu sein, so sind sie doch im Kopf dabei - das gibt mir Mut, weiterhin radikal Stellung zu beziehen.”
Weitere Prozesse werden folgen: Die anderen Aktionsbeteiligten sind wegen Beihilfe angeklagt und außerdem stehen noch zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit der NOB und der Bahn an, die Schadenersatzansprüche geltend machen.
Hauke Thoroe
Soli-Spendenkonto für die antimilitaristischen Gleisblockadenprozesse:
Nord-Ostsee-Sparkasse BLZ: 217 500 00
Konto: 111 026 274 Inh. H. Thoroe
Betreff: Gleisblockade